Frosch
Zur Wiedervernässung trockengelegter Moore gibt es zwar Zielvorgaben, aber keine Verpflichtung für private Grundbesitzer, geplante Verpflichtungen für die Landwirtschaft wurden gelockert.
© C. Schüßler

Umwelt

Kann so die Natur wieder hergestellt werden?

Die EU-Wiederherstellungsverordnung erhitzt auch nach der Einigung zwischen EU-Parlament und Rat die Gemüter und führt zu interessanten Schlagzeilen.

Bevor man auf diese Schlagzeilen hereinfällt, sollte man sich jedoch noch einmal die Komplexität des EU-Gesetzgebungsprozesses in Erinnerung rufen. Denn jede Richtlinie, jede Verordnung ist Ergebnis eines Kompromisses und die oft sehr ambitionierten Vorschläge der EU-Kommission werden fast immer, wenn man so will, verwässert. Warum also die große Aufregung bei diesem Dossier? Antwort: Weil es allen Seiten gelungen ist, das Thema maximal zu emotionalisieren und faktenbasierten Diskussionen über die Herausforderungen der Umsetzungsebene wenig Raum zu geben. 

Gut, dass es demokratisch legitimierte Gesetzgeber gibt, die ihren Wählern verantwortlich sind und nicht Partikularinteressen vertreten. Aus Sicht der kommunalen Ebene ist der nun erzielte Kompromiss nämlich ein guter, aus Sicht der Land- und Forstwirtschaft hoffentlich ein machbarer. Das allgemeine Ziel besagt jetzt: Bis 2030 sind 30 Prozent der Ökosysteme wiederherzustellen. Die Ziele steigen bis 2050 auf 90 Prozent aller Ökosysteme und 100 Prozent der Ökosysteme in schlechtem Zustand an.

Doch was bedeutet das für Gemeinden, was könnte auf sie zukommen und wo können sie mitreden?

Nationale Wiederherstellungspläne

Wo in manchen Medien von Verwässerung die Rede ist, muss jeder Anhänger des Subsidiaritätsprinzips jubeln. Denn letztlich gibt es weniger über den Kamm geschorene, EU-einheitliche sektorielle Ziele und mehr Flexibilität in den Mitgliedstaaten.

Allgemeine Ziele sind auf nationaler Ebene zu erreichen, die dafür notwendigen nationalen Wiederherstellungspläne werden in Zusammenarbeit mit relevanten Interessensvertretern erarbeitet, was weitere Mitsprache von Ländern, Gemeinden und Land-/Forstwirtschaft ermöglicht. Außerdem einigten sich Rat und Parlament darauf, regionale Besonderheiten wie Topografie, Klima oder Bevölkerungsdichte berücksichtigen zu können und den Ausbau erneuerbarer Energien, inklusive Netzausbau, nicht zu behindern. 

Allgemeines Ziel ist es, Ökosysteme von  einem schlechten in einen guten Zustand zu versetzen, Bestandsaufnahme und Überwachung erfolgen national. Spezielle Ziele für Flüsse und Städte sowie Land- und Forstwirtschaft sind bei der Planerstellung zu berücksichtigen.

Städtische Ökosysteme

Gemeinden dürfen bis 2030 gesamtstaatlich gesehen keinen Grünflächenverlust erleiden, ab 2030 muss es einen Zuwachs an städtischem Grün und Baumüberschirmung geben.

Während der allgemeine Zuwachs gesamtstaatlich gilt und etwa auch Fassadenbegrünung umfasst, muss der Aufwärtstrend bei der Baumüberschirmung  auf städtischer Ebene erreicht werden. Als Ziel gilt in beiden Fällen ein zufriedenstellendes Niveau. Was darunter zu verstehen ist, legt der nationale Wiederherstellungsplan fest, man wird sich aber wohl an der unten dargestellte Ausnahme orientieren können, die Kommission behält sich auch vor, Leitlinien herauszugeben.

Die gute Nachricht ist, dass auch hier das Subsidiaritätsprinzip berücksichtigt wurde. Die nationalen Wiederherstellungspläne erstellen eine Karte jener Städte und Gemeinde, die an der Zielerreichung mitwirken müssen, außerdem wird festgelegt, ob nur Zentren, Ortskerne und peri-urbane Räume (Stadtrandgebiete) verpflichtet werden oder Städte, Vororte und Kleinstädte gemäß LAU-Definition*.

Gegen diese Definition spricht sich der Gemeindebund aus, da sie in Österreich nicht praktikabel ist. Die LAU-Definition stammt aus der Regionalpolitik und führt in allen Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Ergebnissen. In Frankreich zum Beispiel sind Kleinstädte stark verbaut, das Umland wird bereits als ländlicher Raum geführt.

In Österreich oder Finnland sind Grün-, Wald- und landwirtschaftliche Flächen Teil des Gemeindegebiets, ein Wachstumsziel für „städtisches Grün“ wäre hier vielerorts eine Themenverfehlung. Das erkennt der Gesetzgeber übrigens bei sehr grünen Stadtzentren und städtischen Clustern an: Ab 45 Prozent Grünflächenanteil und zehn Prozent Baumüberschirmung können sie von den Zielvorgaben ausgenommen werden. Dies dürfte einem aus europäischer Sicht zufriedenstellenden Zustand entsprechen, wobei 45 Prozent Grünflächenanteil in den meisten Städten illusorisch ist und den nationalen Pläne eine umso wichtigere Rolle zukommt.

Raumplanung

Obwohl es keine quantitativen Ziele für städtische Ökosysteme, sondern nur noch die Verpflichtung zum grünen Aufwärtstrend gibt, wird die Verordnung Auswirkungen auf Raumordnung und Flächenwidmung haben. 

Wenn die Umsetzung möglichst widerstandsfrei gelingen soll, müssen neben und in den bis 2030 vorrangig zu beachtenden NATURA-2000-­Gebieten wohl vor allem öffentliche Flächen genutzt werden. 

Dies gilt auch für die Wiedervernässung trockengelegter Moore, wo es zwar Zielvorgaben, aber keine Verpflichtung für private Grundbesitzer gibt. Mit Blick auf nationale Wiederherstellungsziele könnten daher geplante Umwidmungen und örtliche Entwicklungskonzepte neu zu bewerten sein. 

Renaturierung von Flüssen

In Anbetracht zunehmender Hochwasserereignisse ist zu erwarten, dass die Renaturierung von Gewässern eine Priorität sein wird. 25.000 Flusskilometer sollen (zumindest abschnittsweise) wieder einem natürlichen Lauf folgen, Hindernisse, Begradigungen etc. sind zurückzubauen. Viele Grundstücke werden wohl mit einem absoluten Baustopp versehen und zusätzliche Flächen zur Renaturierung herangezogen werden müssen.  

Landwirtschaft

Die geplanten Verpflichtungen für die Landwirtschaft wurden gelockert, auch hier ist es jetzt Aufgabe der Mitgliedstaaten, Ziele auf nationaler Ebene festzulegen. Dabei geht es um einen Aufwärtstrend bei mindestens zwei der drei Indikatoren (Wiesenschmetterlingsindex, Kohlenstoffgehalt bewirtschafteter Böden, Landschaftselemente).

Die im Vorfeld höchst umstrittene Wiedervernässung wird vor allem auf öffentlichen Grundstücken beziehungsweise freiwillig erfolgen, Landwirte und private Grundbesitzer können dazu nicht verpflichtet werden. 

Ausblick: Nach der politischen Einigung Anfang November müssen Rat und Parlament dem Verhandlungsergebnis noch formell ­zustimmen. Erst dann wird der Verordnungstext im EU-Amtsblatt veröffentlicht und die Umsetzung kann beginnen. 

* Die Hierarchieebene der „Local Administrative Units“ (kurz LAU; aus dem Englischen: local administrative unit für örtliche Verwaltungseinheit) ist ein Werkzeug von Eurostat, dem Amt für Statistik der Europäischen Union.