Wissenschaftliche Analyse mit Aha-Effekt
Kleine Gemeinden mit EU-Förderungen meist heillos überfordert
Kommen Ihnen diese Aussagen bekannt vor? Denken Sie vielleicht an Ihre eigene Gemeinde oder Erfahrungen mit Zentralstellen? Nun, auch wenn man das eingangs Gesagte gefühlt eins zu eins auf Österreich umlegen kann, handelt es sich um Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie im Auftrag des niederländischen Gemeindeverbands VNG (Vereniging van Nederlandse Gemeenten) und der niederländischen Provinzen.
Fünf Forscher der Universität Utrecht haben sich im letzten Jahr mit der Frage der „Europäisierung“ niederländischer Gemeinden und Provinzen befasst, herausgekommen ist eine 150-seitige Dokumentation. „Europäisierung“ wird dabei als der Grad definiert, in welchem eine Kommune/Provinz über europäische Themen informiert ist, diese aktiv beeinflusst bzw. beeinflussen will, wie sie EU-Gesetze umsetzt und ob EU-Fördermittel abgerufen werden.
Gemeinden sind in den Niederlanden größer als in Österreich
In den Niederlanden gibt es bei fast 18 Millionen Einwohnern nur 342 Gemeinden, eine kleine Gemeinde in den Niederlanden hat weniger als 20.000 Einwohner, kann also nicht mit der österreichischen Durchschnittsgemeinde verglichen werden. Und dennoch: Die Studie wirft ein besonderes Schlaglicht auf „kleine“ Gemeinden, wo mangels personeller Kapazitäten bzw. aufgrund hoher Personalfluktuation so gut wie keine proaktive Auseinandersetzung mit EU-Gesetzgebung oder Fördermöglichkeiten stattfindet.
Große Städte und Provinzen verfügen demgegenüber oft über eigene Europaabteilungen, die für gezieltes Lobbying und das Abrufen von Fördermitteln verantwortlich sind. Amsterdam hat sich etwa weit über Brüssel hinaus einen Namen gemacht, weil es sich schon früh für europäische Regeln für die Plattformwirtschaft, insbesondere Kurzzeitvermietung, eingesetzt hat.
Gemeinden sind zu sehr mit Tagesgeschäft beschäftigt
Mehr als die Hälfte der niederländischen Gemeinden sieht sich jedoch außerstande, EU-Recht korrekt umzusetzen, wobei nur 21 Prozent aller Gemeinden sogenannte kleine Gemeinden sind – 53 Prozent der Gemeinden haben zwischen 20.000 und 50.000 Einwohner.
Doch wenn selbst in den reichen Niederlanden mit ihrer exzellenten Verwaltung der Großteil der Gemeinden mit der Umsetzung von EU-Recht kämpft und sich dabei vom Zentralstaat wenig bis gar nicht unterstützt fühlt, kann man sich ausmalen, wie es anderswo aussieht.
Kleine Gemeinden sind so mit dem Tagesgeschäft beschäftigt, dass sie weder europäische Entwicklungen verfolgen noch versuchen können, sich mit Förderprogrammen auseinanderzusetzen. Wobei die Erwartungen an Förderungen in keinem Verhältnis zu deren Relevanz stehen, zumindest nicht für kleine und mittlere Gemeinden, auch das wurde von den Forschern untersucht. Nur wenige Gemeinden sind in der Lage, EU-Wissen aus unterschiedlichsten Quellen nicht nur „downzuloaden“, sondern Expertise, Konsultationsbeiträge und anderes relevantes Wissen auch wieder in europäische Gremien einzubringen, also „upzuloaden“.
„Crossloading“ schaffen nur wenige Gemeinden
Die Königsdisziplin des „Crossloading“, einer Kombination aus bewusster Auseinandersetzung mit und versuchter Beeinflussung von EU-Agenden, bleibt wenigen Gemeinden vorbehalten. Und zu guter Letzt noch ein Wort zum niederländischen Gemeindebund VNG: Obwohl auch dieser viel größer ist als der österreichische, müssen EU-Dossiers priorisiert werden, nicht jeder Richtlinien- oder Verordnungsvorschlag mit direkten Auswirkungen auf die Gemeinden kann bearbeitet werden.
Hier zeigt sich die Stärke des europäischen Dachverbands CEMR (Council of European Municipalities and Regions – Rat der Gemeinden und Regionen): Er bringt viele Verbände zusammen und ermöglicht Kooperationen auch bei vermeintlichen Nischendossiers. Letzten Endes stehen Gemeinden und Verbände in ihrer Europaarbeit aber wohl vor ähnlichen Herausforderungen, egal wie groß sie sind.