Heimat bist du großer Bürokraten?

Eigentlich können wir uns das mit den „großen Töchter / Söhnen“ in der Bundeshymne sparen. Wir haben in diesem Land Bürokraten und Normenersteller.

Alle Hausbesitzer und -innen müssen auf ihren Dächern – und seien sie noch so niedrig – eine Dachsicherungsanlage montieren. Die muss auch nachträglich installiert werden, versteht sich. Darunter ist natürlich keine Anlage zu verstehen, die das Dach sichert. Das wäre zuviel der Schnapsidee. Gemeint sind im Wesentlichen Seile, die straff über das Dach zu spannen sind und bei denen sich jeder, der das Dach betritt, mittels Karabinerhaken zu sichern hat. Wie Bergsteiger in der Wand.



Gleich zwei Gesetze sowie zwei Verordnungen regeln diese Absturzsicherungen. Da wäre einmal der Paragraph 8 des Bauarbeitenkoordinationsgesetzes (BauKG), die Paragraphen 3 und 4 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) und die Paragraphen 1 und 7 der Bauarbeitenschutzverordnung (BauV) sowie ein Erlass des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Und natürlich gibt es auch schon eine Önorm (B 3417) dazu, die bis ins kleinste Detail alles zu den Dachsicherungsanlagen regelt.



Passend dazu gibt es Normen über die „Vorgefertigten Zubehörteile für Dacheindeckungen – Sicherheitsdachhaken“ (Önorm EN 517). Damit sind übrigens keine Schneenasen gemeint, sondern wirklich nur Sicherheitsdachhaken.



Das ist aber beileibe noch nicht alles, was es an Normen und Richtlinien gibt. Da wäre zum Beispiel die Önorm B 1600, die ein eigentlich sehr heikles Thema streift, die Barrierefreiheit von Wohnungen. In Österreich müssen 100 Prozent aller neuen Wohnungen grundsätzlich barrierefrei sein. In Bayern – ein durchaus vergleichbares Land in Europa – gilt eine ähnliche Bestimmung nur für ein Drittel der neuen Wohnungen, beziehungsweise nur für die Wohnungen im Erdgeschoss. Herwig Pernsteiner, Geschäftsführer der Innviertler Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, meinte im Rahmen einer Pressekonferenz Anfang Juni, dass durch diese Norm der Wohnungsbau unnotwendigerweise verteuert würde. Und das bei der herrschenden Wohnungsnot in Österreich.



Noch ein Beispiel zur Normungswut in Österreich gefällig? Wie wäre es mit der Önorm S 1009? Die regelt die „Haltung von Chinchillas in privater Obhut“!



Ein schneller Blick auf die Website des Österreichischen Normungsinstituts, den „Austrian Standards“, klärt uns auf, dass es unter Punkt Normensuche derzeit 62.299 Treffer gibt. In Worten: Zweiundsechzigtausendzweihundertneunundneunzig! Darunter ist eine erkleckliche Menge an Normen, die seit Jahren zurückgezogen sind. Sie sind allerdings immer noch im Verzeichnis und ausgepreist. So kostet die „Sicherheitsanforderungen für Elektrogeräte für den Hausgebrauch und ähnliche Zwecke - T 2(2600): Uhren“ 71,20 Euro, zurückgezogen 1994. Die Norm wird aber immer noch angeboten, auch wenn es sie aber nur auf Papier gibt.



Auch wenn man, wie Herwig Pernsteiner bei besagter Pressekonferenz meint, das „Kind nicht mit dem Bad ausschütten soll“ (ob es dazu eine Norm gibt, konnte nicht verifiziert werden) und es eine gewisse Anzahl von Normen braucht: Es geht „ein bisschen zu weit“. Und es drängt sich die Frage nach den cui bono förmlich auf!



Themenwechsel: Der bekannte amerikanische Dokumentarfilmer Michael Moore hat sich schon im Jahr 2000 in einer seiner provokanten Dokumentationen die Frage gestellt, warum das finnische Bildungssystem es in knapp drei Jahrzehnten an die Spitze aller Bildungs-Rankings geschafft hat. Die Antwort: Die Finnen legten – und legen – großen Wert darauf, dass ihre Kinder in der Grundschule vor allem ihre sozialen Kompetenzen trainieren. Im Klartext: Die Kinder dürfen miteinander spielen und bekommen nicht zuviel Druck. Die Lehrerinnen und Lehrer legen großen Wert darauf, dass die Kinder auch während des Unterrichts spielen. Tags darauf wird besprochen, was die Kinder beim Spielen gelernt haben. Die Begründung für diesen Freiraum muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: „Wer zuviel und konstant nur arbeitet, hat keine Zeit mehr zu lernen!“, sagt die Direktorin einer Schule. Und was ist passiert? Die Kinder Finnlands gehören dank des „spielerisch Lernens“ zu den besten Schülern weltweit! KOMMUNAL hat einen Video-Clip aus der Doku auf seine Facebook-Seite gestellt, falls Sie es nicht glauben wollen.



Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn wir mit unserem System nur Bürokraten heranziehen. Was machen diese Kinder später? So wie sie „verwaltet“ wurden, verwalten sie dann auch ihren Nachwuchs. Der muss auch wieder Normen erfüllen. Später, wenn er arbeiten gehen, und entweder in Kanzleien oder Ministerien Gesetze vorbereiten soll, was kommt heraus? Genormtes Denken.



Um wieder zur Dachsicherungsanlage zu kommen: Dass man/frau auf Dächern Vorsicht walten lassen und die Augen aufmachen und mitdenken muss, sollte eigentlich Jedem und Jeder klar sein. Arbeiter und Arbeiterinnen sind nicht so unmündig, dass man sie bei jedem Schritt „anhängen“ muss.



Und die beste Norm hilft nichts, auch wenn man eine Bahnkreuzung mit Schranken und Licht und Lärm sichert – und dann schlüpfen die Leute erst unten durch oder sehen und hören auf ihren Mountainbikes nichts mehr wegen der Musik via Kopfhörer aus den Smartphones  und werden erst von einem Zug erwischt.