Walter Leiss
Walter Leiss: „Es wird zunehmend schwieriger, Entscheidungen auf die Expertise von Fachkräften zu stützen.“
© Philipp Monihart

Der Einfluss der Experten auf die Politik

Es ist notwendig, den Gemeinden durch ein Bündel von Maßnahmen die Möglichkeit zu eröffnen, den Bodenverbrauch einzudämmen und mit der Ressource Boden sorgsam umzugehen. Was es nicht braucht, ist ein 2,5-Hektar-Ziel, das seit 2002 besteht, aber bis heute offensichtlich nicht erreicht wurde.

Seit jeher haben Experten aus den verschiedensten Fachbereichen wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung der Politik. Die Expertise kommt aus dem jeweiligen Fachbereich für diesen Fachbereich.

Wesentliche Aufgabe in der Politik ist es dann, die verschiedenen Expertisen in eine Gesamtschau zu bringen, die jeweiligen Auswirkungen zu prüfen und letztlich daraus umsetzbare Maßnahmen abzuleiten.

Expertisen oft fehlerhaft

Anders als die Experten sind Politiker in ihren jeweiligen Funktionen demokratisch legitimiert und damit auch den Wählern verantwortlich. Das soll jetzt nicht heißen, dass sich politische Entscheidungen nicht auf Fachwissen der Experten berufen sollen.

Zunehmend wird es aber schwieriger, Entscheidungen auf die Expertise von Fachkräften zu stützen. Und das nicht erst seit der COVID-19-Pandemie. Nicht nur, dass es eine Unzahl an Expertisen gab, haben sich im Nachhinein viele davon als fehlerhaft erwiesen. Im Profil Nr. 8 vom 24. Februar 2024 wurde in einem Artikel darüber berichtet, dass im Vorjahr weltweit mehr als 10.000 fehlerhafte Studien zurückgezogen wurden. Dabei handle es sich ausschließlich um als echte Forschungsarbeiten ausgewiesene Arbeiten. Vor zehn Jahren seien noch nicht einmal 2.000 Fachartikel zurückgezogen worden.

Expertisen werden zurückgezogen – was bleibt, sind die Entscheidungen der Politik, die sich darauf gestützt haben. Und dafür sind dann die jeweils im Amt befindlichen Politiker verantwortlich.

Beispiele Gewässerbegradigung und Straßenbau

Dabei sind es oftmals gar nicht ­fehlerhafte Studien, die getroffene Entscheidungen aus heutiger Sicht als fehlerhaft erscheinen lassen, sondern einfach der Umstand, dass gewisse Dinge heute anders gesehen werden als vor 40 oder 50 Jahren.

Die heutige Generation der Experten sieht natürlich viele Dinge anders als die vorangegangene Generation. Nicht anders ist es zu erklären, dass im Rahmen des Gewässer- und Hochwasserschutzes Flussläufe begradigt und kanalisiert wurden und heute genau gegenteilige Maßnahmen gesetzt werden.

Nicht anders ist es auch im Straßenbau gewesen. Straßen in den Gemeinden wurden möglichst breit, gerade und mehrspurig für den Fahrzeugverkehr ausgerichtet. Mittlerweile wird schon seit längerer Zeit wieder ein Rückbau vorgenommen, mehr Platz für den Fußgängerverkehr geschaffen und der Fahrzeugverkehr entschleunigt. In den urbanen Räumen wird der Fahrzeugverkehr durch öffentlichen Verkehr, Fahrradverkehr oder Fußgängerverkehr ersetzt und dementsprechend werden die baulichen Maßnahmen gesetzt. Ebenfalls eine Kehrtwendung um 180 Grad in den für die gesetzten Maßnahmen zugrunde liegenden Expertisen. 

Raumordnung hat heute andere Prioritäten als früher

Am augenscheinlichsten sind die Entwicklungen jedoch in der Raumordnung. Die heute im Amt befindlichen Bürgermeister werden fälschlich dafür verantwortlich gemacht, was ihre Vor- oder Vorvorgänger – gestützt auf Expertenmeinungen – den Gemeinderäten zur Beschlussfassung vorgelegt haben.

Jede Änderung von Raumordnungsprogrammen oder Flächenwidmungsplänen wird vor der Beschlussfassung durch örtliche Raumplaner begutachtet und in weiterer Folge durch Experten bei der Aufsichtsbehörde im Land geprüft. Entscheidungen ohne Expertenbegutachtung waren und sind daher gerade in der Raumordnung kaum denkbar.

Die Expertenmeinung hat sich offenbar geändert, weil es ansonsten viele Dinge nicht geben dürfte, mit denen die Bürgermeister heute konfrontiert sind. Dabei maße ich mir nicht an, den Inhalt verschiedenster Expertisen zu hinterfragen. Es kommt in vielen Fällen darauf an, vor welchem Hintergrund und mit welchem Ziel bestimmte Expertisen erstellt werden. 

Wenn seitens der Ziviltechnikerkammer Obergrenzen für den Bodenverbrauch gefordert werden und sich die Innungsmeister für das Baugewerbe in Oberösterreich und der stellvertretende Innungsmeister auf Bundesebene dagegen aussprechen, zeigt das nur, dass zwei Expertisen mit unterschiedlichen Aspekten erstellt wurden.

Verlangt die Architektenkammer ein radikales Umdenken in der Bodenpolitik und der Baubranche im Sinne des Klimaschutzes, der biologischen Vielfalt und der Lebensmittelversorgung, so verweist die Bauinnung auf die Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft und auf die Schaffung von leistbarem Wohnraum.

Unterschiedliche Ziele

Dies zeigt deutlich, dass die Experten – und als solche kann man die in den verschiedenen Kammern vertretenen Personen wohl bezeichnen – mit ihren Expertisen durchaus unterschiedliche Ziele verfolgen. Die einen verfolgen das Ziel, leistbaren Wohnraum zu schaffen, die anderen jenes, die Ernährungssicherheit im eigenen Land sicherzustellen.

Manche Experten verfolgen das Ziel, den Artenschutz aufrechtzuerhalten, und anderen geht es darum, die Biodiversität zu gewährleisten. Wiederum andere wollen die Energieautarkie und die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern herbeiführen und andere die Natur und das Landschaftsbild erhalten.

Die Notwendigkeit der Erreichung des jeweiligen Zieles lässt sich durch Expertisen natürlich belegen. Die Frage ist nur, wie sich die einzelnen Ziele zueinander verhalten und welchem Ziel bei einander widersprechenden Zielen von der Politik der Vorrang gegeben werden soll.

Auf EU-Ebene gibt es oft andere Prioritäten

In einigen Fällen wird der nationalen Politik die Entscheidung allerdings abgenommen. So ist beispielsweise in der Renaturierungs-Verordnung der EU vorgesehen, dass vier Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen stillzulegen sind. Offensichtlich hat das Thema der Ernährungssicherheit auf EU-Ebene eine andere Bedeutung als auf nationaler Ebene.

Wie man überhaupt den Eindruck erlangen könnte, dass die auf Expertenmeinung gestützten Zielvorgaben durchaus zu hinterfragen sind. So fordert beispielsweise der Klimaforscher Mojib Latif eine Abkehr vom bisherigen 1,5-Grad-Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung. Der Professor am Kieler Helmholtz–Zentrum übt deutliche Kritik an der kommenden Weltklimakonferenz in Dubai.

Während Experten im Jahr 2023 von der Nicht-Erreichung des 1,5-Grad-Zieles gesprochen haben, ließen niederländische Forschende an der Universität Utrecht mit folgender Meldung aufhorchen: „Super-Computer errechnet Eiszeit für Europa.“ Durch die deutliche Veränderung im Golfstrom, der enormen Einfluss auf unser Klima hat, steuert Europa möglicherweise auf eine Eiszeit zu - und zwar sehr schnell (so die „Frankfurter Rundschau“).

Skepsis an gewissen Zielformulierungen

Was ich damit zum Ausdruck bringen will, ist keine Wissenschaftsskepsis, sondern die Skepsis an gewissen Zielformulierungen, die an bestimmen Parametern festgemacht sind. Unbestritten ist, dass durch viele von Menschen gesetzte Maßnahmen der Klimawandel beeinflusst wird. Ob dies nun zu einer Klimaerwärmung oder zu einer neuen Eiszeit führt, bleibt unbenommen. Daher kommt es weniger auf die Zielvorgabe an als auf die notwendigen Maßnahmen, die zu setzen sind. 

Genauso ist es notwendig, den Gemeinden durch ein Bündel von Maßnahmen die Möglichkeit zu eröffnen, den Bodenverbrauch einzudämmen und mit der Ressource Boden ­sorgsam umzugehen. Was es nicht braucht, ist ein 2,5-Hektar-Ziel, das seit 2002 besteht, aber bis heute offensichtlich nicht erreicht wurde. Realistische Ziele und Abwägung sämtlicher Interessen erscheinen sinnvoller als bloße Zielvorgaben. Die Experten werden dazu aufgerufen, dabei behilflich zu sein.