Vielfalt statt Einfalt

In unserer globalisierten Welt werden viele Lebensbereiche vereinheitlicht. Standards und Normen sind das beherrschende Thema. Nicht nur europa- sondern weltweit. Dies bringt auf der einen Seite Vorteile, aber auch oftmals Nachteile mit sich.

Für die Produktion von Industriegütern und die gesamte Exportwirtschaft wären fehlende einheitliche Standards sicher von Nachteil. Auch die Wirtschaft in der Europäischen Union würde ohne diese einheitlichen Regelungen nur erschwert funktionieren. Durch diesen Trend zur Vereinheitlichung geht allerdings viel verloren.



Durch die Vielfalt wird nämlich letztlich unser Überleben gesichert. Artenvielfalt und Biodiversität ermöglichen eine Anpassung an verschiedene Lebensräume und Entwicklungen, die für unsere Zukunft unabdingbar ist.



Was für die Natur gilt, gilt auch für die Menschheit. Unterschiedliche Umgebungen, Räume, Kulturen und daraus resultierende Lebensgewohnheiten verlangen auch unterschiedliche Rahmenbedingungen und Regelungen für unser Zusammenleben.

Zurück zum Subsidiaritätsprinzip



Das haben auch schon die Gründungsväter der Europäischen Union erkannt und das Subsidiaritätsprinzip verankert. Es ist auch innerstaatlich anerkannt und sollte Handlungsmaxime für die Politik sein. Das Subsidiaritätsprinzip ist ein wichtiges Konzept und bewährte Praxis für föderal organisierte Staaten oder Staatengemeinschaften wie die Europäische Union. Es bedeutet, dass die jeweils größere gesellschaftliche oder staatliche Einheit nur dann aktiv werden und regulierend, kontrollierend oder helfend eingreifen soll, wenn die kleinere Einheit dazu nicht in der Lage ist.



Die praktische Umsetzung schaut allerdings anders aus. Fast naturgemäß entwickeln die größeren Einheiten die Tendenz, durch Normen und Regelungen eine Vereinheitlichung herbeizuführen.



Als Argument dafür wird oft höhere Transparenz, bessere Vergleichbarkeit oder schlichtweg der Drang zu einheitlichen Regelungen angeführt. Unbestritten wäre, dass auf europäischer Ebene in manchen Politikfeldern wie der Außen-, Verteidigungs- oder Fiskalpolitik einheitliches oder gemeinsames Vorgehen notwendig wäre. Aber dort scheitert oftmals die Union. Auch die Flüchtlingspolitik ist ein viel zitiertes und noch heftig zu diskutierendes Beispiel dafür. Dafür gibt es ein einheitliches Rechnungswesen, Vergabewesen und zuletzt eine Datenschutzrichtlinie, die einheitlich umzusetzen ist.

Räumliche Unterschiede erfordern unterschiedliche Regelungen



Obwohl sich Staaten oft gegen derartige Vorgangsweisen durch die EU (wo sie selbst mitgestaltend am Tisch sitzen) beschweren, legen sie selbiges Verhalten innerstaatlich an den Tag. Es wird danach getrachtet, möglichst viele Lebenssachverhalte einheitlich zu regeln. Während es nicht gelingt, schon jetzt bundeseinheitliche Regelungen, wie zum Beispiel das Sozialversicherungsrecht oder das Einkommensteuerrecht zu vereinfachen, widmet man sich lieber jenen Materien, die in der Landeskompetenz liegen.



Argumentiert wird, Vereinheitlichung bedeute Vereinfachung. Unterschiedliche Regelungen bei Raumordnungsgesetzen, Bauordnungen, Naturschutz, Jugendschutz oder zuletzt bei der Mindestsicherung sind vielen ein Dorn im Auge.



Dabei wird übersehen, dass die räumlichen Unterschiede unterschiedliche Regelungen erfordern. Flächenbundesländer brauchen ein anderes Regulativ als die westlichen Bundesländer, wo Boden knapp ist. Die Anknüpfung für die Zulässigkeit einer Widmung an die öffentliche Verkehrserschließung erfolgt dann aus einem Wiener Blickwinkel, wo offensichtlich nicht vorstellbar ist, dass es immer mehr Regionen ohne öffentlichen Verkehr gibt. Also keine neuen Widmungen mehr und auf in die Ballungsräume!



Die Bauordnungen werden ebenfalls oft genannt. Vergessend, dass eigentlich die Bautechnik gemeint ist und diese schon seit Jahren durch die Übernahme von OIB-Richtlinien vereinheitlicht ist. Nicht zum Vorteil übrigens. Das neue Regelwerk ist so komplex und kompliziert, dass es nur mehr wenigen Fachleuten verständlich ist. Das aber dafür bundeseinheitlich.



Dass es den unterschiedlichen Bedürfnissen angepasste Regelungen auch in der Kleinkindbetreuung und im Bildungsbereich gibt, wird ebenfalls nicht gern gesehen. Daher sollen dann gemeinsame Standards für die Kleinkindbetreuung, vom Flächenbedarf über den Betreuungsschlüssel bis zu den Öffnungszeiten, normiert werden. Was für den Zentralraum gut ist, muss auch für die anderen gut sein, meint man.

Auch im Bildungsbereich: „Wir wissen was für euch gut ist“



Im Bildungsbereich erleben wir eine ähnliche Diskussion. Vom Postulat der ganztägigen Schulform bis zur Gesamtschule. Dass es regional unterschiedliche Angebote und Ausformungen gibt, wird verdrängt.



Jetzt bestehende Angebote von beispielsweise Musikschulen oder vielen Vereinen sollen sich einfach integrieren und anpassen, denn „wir wissen schon, was für euch gut ist“.



Vielleicht sollten wir uns auch auf nationaler Ebene wieder vermehrt den Gedanken von Leopold Kohr, dem Salzburger Philosophen und Nationalökonomen, zuwenden. „Small is beautiful“. Vielfalt zulassen und dem Einheitsbrei entgegenwirken.



Die Gemeinden sind die bürgernächste Organisationseinheit. Sie gehören daher in Zukunft gestärkt, brauchen aber auch die nötigen Spielräume, um sich zu entwickeln, aber keine einheitlichen Regelungen für sämtliche Lebensbereiche vom Neusiedler See bis zum Bodensee.