Symbolbild Proporz
Die Gemeinden haben. anders als die Länder, keine Möglichkeit, den Proporz eigenständig abzuschaffen, weil die Zusammensetzung des Gemeindevorstands im Bundesverfassungsgesetz geregelt ist.
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Proporz als Auslaufmodell – nur nicht in den Gemeinden

Die Steiermark hat es 2011 getan, das Burgenland 2014 ebenso und zuletzt auch Kärnten im Jahr 2017. Nach und nach schaffen die Bundesländer das Proporzsystem ab und ermöglichen somit die Bildung freier Koalitionsregierungen. Doch was auf Länderebene als Auslaufmodell gelten kann, ist auf kommunaler Ebene weiterhin die Regel: alle Parteien sind ab einer gewissen Stärke automatisch im Gemeindevorstand vertreten. Dabei erschwert der Proporz – einst in den Nachkriegsjahrzehnten eingeführt um verfeindete Lager zu versöhnen – auch auf Gemeindeebene die Zuordnung politischer Verantwortlichkeit.

Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) regelt in seinem sechsten Hauptstück die Struktur und die Aufgaben der Gemeinden. In puncto Proporz relevant ist der Artikel 117: Hier werden zunächst die Organe definiert, die jede Gemeinde aufweisen muss. Es sind dies der Gemeinderat, der Gemeindevorstand (bzw. in Stadtgemeinden der Stadtrat und in Städten mit eigenem Statut der Stadtsenat) und der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin.

Danach wird explizit festgeschrieben, dass alle Wahlparteien „nach Maßgabe ihrer Stärke“ im Gemeinderat (der nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gewählt wird) auch einen Anspruch auf einen Sitz im Gemeindevorstand haben. Somit ist der Proporz auf kommunaler Ebene bereits als Verfassungsgesetz auf Bundesebene verankert.

Wer ist politisch verantwortlich? Ein Blick in die Landeshauptstädte

Die aktuelle Zusammensetzung der Stadtsenate in den Landeshauptstädten sowie die Zusammensetzung der Gemeinderäte sind in Tabelle ersichtlich. Zwei Dinge fallen bei der Betrachtung der Tabelle auf: Erstens, sind die Gemeinderäte in der Regel deutlich bunter als die Landtage oder der Nationalrat. Unabhängige Listen, Klein(st)parteien, Parteispaltungen sind in den Gemeinderäten vertreten. Da aber auch im Proporzsystem eine gewisse Größe Voraussetzung für einen Sitz im Stadtsenat ist, sind regelmäßig nicht alle im Gemeinderat vertretenen Parteien auch Teil des Stadtsenats.

Damit ergeben sich drei Gruppen von politischen Akteuren:

  1. Parteien, die nur im Gemeinderat vertreten sind,
  2. Parteien, die im Gemeinderat und im Stadtsenat sind, aber nicht relevant für einen Mehrheitsbeschluss im Stadtsenat sind und
  3. Parteien, die für einen Mehrheitsbeschluss im Stadtsenat relevant sind.

Da somit de facto „Oppositionsparteien“ in der „Regierung“ vertreten sind, wird die Zuordnung politischer Verantwortlichkeit für den Bürger beziehungsweise die Bürgerin erschwert. Das wiederum erschwert die Wahlentscheidung, die nicht nur mit Blick in die Zukunft, sondern auch mit Blick auf die bisherige Arbeit getroffen wird.

Zudem wird die Wahl eines Koalitionspartners eingeschränkt, da Parteien, die aufgrund ihrer zu geringen Stärke keinen Anspruch auf einen Sitz im Stadtsenat haben, auch als potentieller Partner in diesem Gremium nicht in Frage kommen (bzw. wie in Graz sich die SPÖ dem Arbeitsübereinkommen anschließt, aber nicht im Stadtsenat vertreten ist).

Zusammensetzung des Stadtsenats in den neun Landeshauptstädten

Zusammensetzung des Stadtsenats in den neun Landeshauptstädten
Quelle: Die Angaben wurden den Websites der jeweiligen Städte entnommen.[1]
Anmerkung: *ohne Klubzugehörigkeit. Bregenz ist keine Statutarstadt und besitzt somit einen Stadtrat. Alle anderen Landeshauptstädte sind Statutarstädte und verfügen über einen Stadtsenat. Innsbruck und Wien unterscheiden zwischen Stadträt:innen mit und ohne Amtsführung.

[1] BregenzEisenstadt, GrazInnsbruckKlagenfurt, Salzburg, St. Pölten, Wien 

Zweitens, hat die Rolle des politischen Akteurs Auswirkung auf die Aufgabenverteilung. In manchen Stadtsenaten (vor allem in den größeren) werden die Aufgabengebiete zwischen den Mitgliedern des Stadtsenats aufgeteilt.

Da mit der Verteilung der inhaltlichen Zuständigkeit auch politische Macht geteilt wird, gehen jene Mitglieder, die einer Partei zugehörig sind, die nicht für die Mehrheitsbildung relevant ist, regelmäßig leer aus. Sie sind sogenannte Stadträte ohne Amtsführung. Ihre Stimme ist also nicht nur irrelevant für einen Mehrheitsbeschluss, sie haben auch rein formal keinen eigenen Wirkungsbereich.

Beispiele Innsbruck und Wien

Schauen wir beispielsweise nach Innsbruck: Die Sitze im Stadtsenat werden nach Mandatsstärke vergeben und so stellen die Grünen und die FPÖ je zwei Mitglieder, die Liste für Innsbruck, die ÖVP und die SPÖ je ein Mitglied der Stadtregierung. Die Mitglieder der FPÖ sind jedoch nicht amtsführende Stadträte und haben somit keinen Wirkungsbereich.

Ähnlich ist es, wenn wir nach Wien schauen[1]: Auch in Wien schließen sich die Parteien innerhalb des Stadtsenates zu de facto Koalitionen zusammen und nur Stadträt:innen von diesen Parteien bekommen auch einen Aufgabenbereich zugeteilt. Derzeit bilden SPÖ und NEOS eine de facto Koalition. Stadträt:innen von der ÖVP, den GRÜNEN und der FPÖ haben keine inhaltlichen Wirkungsbereiche.

Nicht-städtische Gemeinden

In kleineren Gemeinden unter 2.000 EinwohnerInnen werden die Aufgabenbereiche nicht vergeben und der Proporz ist gegenstandslos (bzw. ist man sich durch mündliche Kommunikation der Zuständigkeiten bewusst). In größeren, nicht-städtischen Gemeinden mit oft klar über 10.000 EinwohnerInnen stellt sich durchaus die Frage der Proporzzuständigkeit und des entsprechenden Bewusstseins der Bevölkerung.

Ein weiterer Sonderfall im Bereich der nicht-städtischen Gemeinden ergibt sich durch die erhöhte Häufigkeit von Namenslisten, die in enger Verbindung mit einer „Mutterpartei“ agieren, oft jedoch eigenständig und rein lokale Akteure sind. Das ist insofern von Bedeutung, da das historische Argument für den Proporz – zur Versöhnung beitragen, denn die klassischen Parteien standen sich ja sogar einmal bewaffnet gegenüber – naturgemäß für neue Parteien und aktuelle Namenslisten keinen schlüssigen Sinn ergibt.

Machtlose Gemeinden

Die Gemeinden haben, anders als die Länder, keine Möglichkeit, den Proporz eigenständig abzuschaffen. Eben weil die Zusammensetzung des Gemeindevorstands bereits im Bundesverfassungsgesetz geregelt ist, braucht es auch den Bundesgesetzgeber um diese Vorgabe abzuändern. Da es sich um ein Verfassungsgesetz handelt braucht es im Nationalrat sogar die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Abgeordneten und von diesen müssen sich zwei Drittel für die Reform aussprechen.

[1] Wien ist zugleich Gemeinde und Land. Der Wiener Gemeinderat ist auch der Wiener Landtag und Wiens Bürgermeister (es waren bislang ausschließlich Männer) auch gleichzeitig Wiens Landeshauptmann.

Quellen:

Peter Filzmaier/Katrin Praprotnik, Warum nur, warum? Der Proporz auf österreichisch, kommunal.at, 20. März 2023.

Kathrin Stainer-Hämmerle, Die Gemeinden, in Katrin Praprotnik/Flooh Perlot (Hg.), Das politische System Österreichs: Basiswissen und Forschungseinblicke, Wien 2023, S. 243-270.

Manin, Bernhard/Przeworski, Adam/ Stokes, Susan C., Elections and representation, in Adam

Przeworski/Susan C. Stokes/Bernhard Manin (Hg.), Democracy, accountability, and representation, Cambridge 1999, S. 29-54.