Symbolbild Proporz
Von sämtlichen Parteien gibt es immer wieder Kritik am Proporz. Meistens aber nur solange man durch diesen keinen Vorteil hat.
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Bundesländer

Warum nur, warum? Der Proporz auf österreichisch

Alle paar Jahre wieder. 2021 und 2023 ist es zuletzt passiert. Was denn? Die Landtagswahlen und Regierungsbildung in Nieder- und Oberösterreich werden für die politische Bildungsarbeit zu einer Herausforderung. Weil es bei der Regierungsbildung ein vor allem für die jüngere Wählerschaft kaum verständliches Proporzsystem gibt. Alle Parteien mit einem Mindestanteil an Wählerstimmen erhalten automatisch Sitze in der Landesregierung zugesprochen.

Koalitionen zwischen zwei Parteien gibt es formal nicht, doch gleichen Arbeitsübereinkommen im Regelfall einer Koalitionsvereinbarung.

Auch die Kompetenzverteilung vulgo Zuständigkeit der einzelnen Regierungsmitglieder kann von den de facto-Koalitionsparteien nach deren Willen mehrheitlich beschlossen werden. Genauso kann diese sozusagen inoffizielle „Koalitionsmehrheit“ bei den wöchentlichen Regierungssitzungen gemeinsam jeden Beschluss durchsetzen, auch wenn „Proporzlandesräte“ anderer Parteien dagegen sind. Warum ist das so?

Begriffsklärung

Der Begriff Proporz wird alltagssprachlich gerne als negative Bezeichnung für Parteibuchwirtschaft oder Postenschacher verwendet. Im politikwissenschaftlichen Sinn bedeutet jedoch ein Proporzsystem als völlig neutrale Bezeichnung die anteilsmäßige Beteiligung politischer Parteien an der Regierung je nach Wahlergebnis. Das ist in der Landesverfassung so vorgeschrieben. Oder eben nicht bzw. nicht mehr, weil der Proporz in der jüngeren Vergangenheit mittels Verfassungsänderung – durch eine Zweidrittelmehrheit im Landtag – beendet wurde.

Nur in Vorarlberg gab es nie eine Proporzregelung, und Wien ist ein Sonderfall. In Salzburg und Tirol wurde der Regierungsproporz 1999 abgeschafft, in der Steiermark 2011, im Burgenland 2014 und in Kärnten im Jahr 2017. Überall dort findet seitdem auch formal eine freie Koalitionsbildung statt. Welche Parteien auch immer eine Mehrheit haben und sich einigen, bilden die Regierung.

Der Rest ist in Opposition. So wie es ja auch nach einer Nationalratswahl keinen automatischen Anspruch auf Ministerposten gibt. So oder so, ob Proporz oder nicht, ist aber die Anzahl der Regierungsmitglieder in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich.

Proporzregierungen

Pro und contra

Aus geschichtlicher Sicht hatten Proporzregierungen in Österreich einen guten Grund: 1934 haben die politischen Lager bei uns aufeinander geschossen. Daher wollte man die größeren Parteien durch die Verankerung des Proporzes in der Verfassung an einen gemeinsamen Regierungstisch zwingen. Wer da miteinander sitzt, spricht hoffentlich miteinander, anstatt sich mit Maschinengewehren gegenseitig abzuknallen.

Dieses Argument war früher richtig, doch müssen wir im Jahr 2023 hoffentlich keine Waffengewalt der Parteien befürchten. Was den Streit mit Worten betrifft, so ist die Politik in den Proporzländern aber oft um nichts weniger untergriffig als anderswo. Zudem sollte man auf die politischen Haken beim Proporz hinweisen.

In Oberösterreich etwa waren aufgrund des Wahlergebnisses von 2009 bis 2021 alle Landtagsparteien zugleich Regierungsparteien. Weil das dem Resultat der Wahl entsprach. Eine echte Opposition gab es nicht. Der Landtag soll aber die Regierung kontrollieren. Wie soll das glaubhaft funktionieren, wenn jede Partei mindestens einen Landesrat stellt und man sich da zum Teil bloß selber überwacht?

In Niederösterreich wiederum stellen seit der Landtagswahl 2023 ÖVP, GRÜNE und NEOS gemeinsam 30 von 56 Landtagsabgeordneten. Also mehr als die Hälfte, was theoretisch - wie in Salzburg 2018 geschehen - für eine gemeinsame Regierungsbildung reichen würde. Trotzdem kann es keine Koalition dieser drei Parteien und keine grüne oder pinkfarbene Regierungsbeteiligung geben. Obwohl die Regierung im Landtag gewählt wird, und man dort eine demokratische Mehrheit hätte. Doch dürfen erst Parteien ab knapp zehn Prozent der Stimmen Landesräte haben, also sind kleinere Parteien von vornherein raus.

Zur Kuriosität wird infolge des Proporzsystems zudem der Wahlvorgang der Landesregierung. Dieser geschieht wie in allen Bundesländern auch in Nieder- und Oberösterreich durch den Landtag. Allerdings haben alle Parteien für ihnen zustehende Proporzlandesräte ein Vorschlagsrecht und Gegenstimmen sind nicht zulässig, Enthaltungen werden nicht gezählt. Was so eine Abstimmung mit einer demokratischen (Aus-)Wahl zu tun haben soll, das versteht Otto Normalverbraucher kaum.

Wer als Partei dann in einer Proporzregierung sitzt, jedoch dort eine de facto-Koalition anderer Parteien gegen sich hat, wird geradezu in eine fragwürdige Zwitterrolle gedrängt.

Die FPÖ etwa war trotz bis dahin absoluter (Landtags- und Regierungs-)Mehrheit der ÖVP in der Sankt Pöltner Landesregierung vertreten und hat dort die meisten Beschlüsse mitgetragen, aber 2023 einen Oppositionswahlkampf „gegen die Regierung“ geführt.

Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit der ÖVP kann sich diese mit der SPÖ mehrheitlich verständigen, um die Zuständigkeiten von Landesräten der FPÖ auf die Beobachtung des blauen Himmels, Autotankstellen und Männerchöre zu beschränken. Da wäre es logischer, dass die FPÖ entweder Regierungspartner oder in Opposition ist. Aber nicht „irgendwie beides“.

Das Wiener Kuriositätenkabinett

Wien wiederum ist anders und noch kurioser. Zwei Koalitionsparteien – momentan sind das SPÖ und NEOS – machen sich ein Regierungsprogramm sowie Stadtratsposten und deren Aufgabenbereiche aus. Zugleich gibt es von ÖVP, FPÖ und GRÜNE als „Opposition“ fünf nicht amtsführende Stadträte. Diese sind für genau gar nichts zuständig außer für ihr Türschild, den eigenen Schreibtisch und die Visitenkarten.  

Dafür bekommen sie als Nichtstuer – was nicht persönlich gemeint ist, weil sie dafür mangels Zuständigkeiten nichts können, auch wenn sie liebend gerne als Mitregierende arbeiten wollen - ein Monatsgehalt von über 9.000 Euro brutto. Weil verfassungsgemäß Gemeinden alle Parteien anteilig im Gemeindevorstand vulgo Stadtregierung vertreten sein müssen. Und Wien ist eben nicht nur Bundesland, sondern auch eine Gemeinde.

Kein Land in Sicht

Auch Landes- und Bundesverfassungen kann man ändern. Warum das in zwei Bundesländern nicht geschieht? Von sämtlichen Parteien gibt es immer wieder Kritik am Proporz. Meistens aber nur solange man durch diesen keinen Vorteil hat.

Die Chance der eigenen Partei auf einen Proporzposten will sich meistens keiner entgehen lassen. Beispielsweise haben weder die Grünen in Wien noch die FPÖ in Niederösterreich jemals auf eine Proporzstelle verzichtet. Auch die SPÖ in Oberösterreich, welche aktuell für die Abschaffung des Proporzes in Oberösterreich ist, tut das nicht. Obwohl es natürlich möglich wäre, weil ja keine Partei gezwungen werden kann, den Posten zu besetzen. Doch da bleibt einstweilen lieber typisch österreichisch alles beim Alten.

Quellen:

Peter Filzmaier, Proporz auf österreichisch, Kronenzeitung, 5. Feber 2023

Peter Filzmaier/Flooh Perlot, Wahlrecht, in Katrin Praprotnik/Flooh Perlot (Hg.), Das politische System Österreichs: Basiswissen und Forschungseinblicke, Wien 2023, S. 357-390.

Martin Dolezal/Franz Fallend, Die Länder: Landtage und Landesregierungen, in Praprotnik/Perlot 2023, S. 213-242.