Benedikt Singer
„Ich habe relativ schnell gelernt, dass es zusammen leichter geht als alleine.“ Benedikt Singer über seine Kindheitserfahrungen beim Mithelfen in der elterlichen Landwirtschaft.
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Vom Bauernbub zum Bürgermeister

Der Nachfolger von Georg Dornauer als Bürgermeister von Sellrain heißt Benedikt Singer. Im Gespräch mit KOMMUNAL erzählt der neue Ortschef von seinem Werdegang und den Plänen für sein Heimatdorf.

Der Landesparteichef der Tiroler SPÖ, Georg Dornauer, war auch Bürgermeister der Gemeinde Sellrain. Mit seinem Wechsel in die Landesregierung als stellvertretender Landeshauptmann unter Anton Mattle musste er das Amt abgeben.

Bei der Wahl zum neuen Bürgermeister entschied sich die Sellrainer Bevölkerung mit 56,4 Prozent für den 35-jährigen Benedikt Singer von der Liste „Gemeinsam für Sellrain.“ Das ist insofern bemerkenswert, da eine andere, nämlich die SPÖ-nahe Liste „WIR Sellrainer“ die klare Mandatsmehrheit hat. Wer also ist dieser Benedikt Singer, der die Einheimischen entgegen ihres sonstigen Wahlverhaltens derart von sich überzeugen konnte?  

Nicht nur ein Mann der Zahlen

Ein Blick in seinen Lebenslauf verrät, dass Singer nach der HAK in Telfs an der Universität in Innsbruck Wirtschaftswissenschaften, Management und Economics studiert hat und heute in der Landesbuchhaltung arbeitet. Nach einem charismatischen Politiker, der das Volk begeistern kann, klingt das nicht gerade. Das ist eindeutig ein Mann der Zahlen, möchte man meinen.

Doch mit dieser Einschätzung tut man Singer unrecht. Zwar kennt er sich wirklich gut mit Zahlen aus – seine Stelle in der Buchhaltung entpuppt sich als Vorstand der Landesbuchhaltung im Amt der Tiroler Landesregierung. Doch Singer ist mindestens ebenso ein Praktiker und hemdsärmeliger Mann der Tat. Die Ursprünge dazu finden sich schon in seiner Kindheit. Aufgewachsen ist er in einer großen Familie als ältestes von vier Geschwistern. Als einziger Bub mit drei jüngeren Schwestern, hat er früh gelernt Verantwortung zu übernehmen. Seine Eltern hatten damals wie heute einen landwirtschaftlichen Betrieb, in dem Singer tatkräftig mithalf.

„Da habe ich relativ schnell gelernt, dass es zusammen leichter geht als alleine.“ Auch wenn sich diese Erkenntnis damals noch auf das familiäre Umfeld bezog, merkte Singer bald, dass das auch in gesellschaftlicher Hinsicht gilt.

Als Beispiel nennt er den verheerenden Murenabgang im Jahr 2015, der damals bundesweit die Nachrichten beherrschte. Viele Häuser waren davon betroffen, darunter auch sein Elternhaus.  

Sellrain
Sellrain ist der Hauptort des gleichnamigen Tals, das vom Inntal abzweigt. Links geht es nach Elmau und weiter ins Fotschertal, rechts nach Gries im Sellrain. Dazischen thront (im Hintergrund rechts) das Fotscher Windegg (2577m). 

„Der Zusammenhalt, dieses gemeinsame Helfen, und die Unterstützung, die man als Betroffener erfahren hat, war ein sehr, sehr prägendes Erlebnis in meinem Leben. Was die Gesellschaft damals geleistet hat, war unglaublich solidarisch, tief beeindruckend und hat vieles leichter gemacht. Es hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass es eine funktionierende Gesellschaft gibt, und dass wir in einem Land leben, in dem es uns gut geht, weil man aufeinander schaut. Und darum sollten wir darauf achten, dass es auch in Zukunft weiterhin so bleibt“, erinnert sich Singer zurück. 

Den Wert einer funktionierenden Gemeinschaft zu schätzen war sicherlich einer der Aspekte, die Singer dazu bewogen haben in die Politik zu gehen. Er kommt aber grundsätzlich schon aus einer Familie, die politisch immer sehr interessiert war und diese Einstellung dem kleinen Benedikt bereits als Kind mitgegeben hat.

Neben der Feuerwehr und verschiedenen Vereinen engagiert sich Singer schon früh ehrenamtlich bei der Landjugend. Relativ schnell wird er Ersatzgemeinderat, damals noch unter Alt-Bürgermeister Norbert Jordan, der mit 38 Dienstjahren übrigens einer der längstdienenden Ortschefs Österreich gewesen ist.

Mitgestalten fasziniert

„Es hat mich fasziniert, dass man seine unmittelbare Umgebung ein bisschen mitgestalten kann und mitentscheidet, was passiert. Auch in meinem Beruf im Landesdienst kam ich zwangsweise mit der Politik in Kontakt. Mein Interesse und Feuer an der Politik ist eigentlich nie erloschen und hat sich in den letzten Jahren wieder verstärkt.“ 

Singer war schon in der letzten Gemeinderatsperiode Gemeindevorstand und Vizebürgermeister. Erahnen konnte er also schon, was als Bürgermeister auf ihn zukommen würde, „doch es ist etwas ganz anderes, wenn man das Amt tatsächlich innehat“, bekennt er, wobei er das nicht negativ meint.

„Die Bandbreite der Themen, die man als Bürgermeister auf den Tisch bekommt, ist unglaublich interessant und spannend. Es vergeht kein Tag an dem nicht ein neues Thema aufpoppt und es gibt eigentlich keinen Lebensbereich, bei dem der Bürgermeister nicht das ein oder andere Mal mit den Menschen in Berührung kommt. Von der Kinderbetreuung über die Errichtung von Urnengräbern bis hin zur Käferplage im Wald. Das ist es, was mir an der Politik so irrsinnig gefällt, dass man absolute Abwechslung hat und in viele verschiedene Bereiche eintauchen kann. Natürlich kann man nicht in allem Experte sein, sondern ist auf gute Mitarbeiter angewiesen. Wobei sich einmal mehr zeigt: es geht nur gemeinsam.“

Wallfahrtskirche St. Quirin
Die topografischen Bedingungen sind für die Gemeinde eine echte Herausforderung, was den Erhalt und Ausbau der Infratruktur betrifft. Im Bild die in Wallfahrtskirche von St. Quirin.

Dazu passt auch Singers Credo, nämlich das Verbindende vor das Trennende zu stellen. Nicht etwa aus Kalkül, weil er im Gemeinderat auf die Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen angewiesen ist, sondern aus Überzeugung. Tatsächlich läuft es im Gemeinderat sehr gut: „Wir haben ein gutes und konstruktives Diskussionsklima und seit meinem Amtsantritt alle Beschlüsse einstimmig gefasst. Ich versuche möglichst viele Mandatare einzubinden und bis dato funktioniert das gut. Ich glaube, es ist uns allen bewusst, dass wir gewählt sind, um im Sinne der Sellrainer für unser Dorf zu arbeiten und zu entscheiden. Das stellen wir in den Mittelpunkt unseres Handelns, nicht die politische Coleur.“

Gegenseitiger Respekt

Das gilt auch für Dornauer, der weiterhin im Gemeinderat vertreten ist: „Das Verhältnis zwischen dem Georg und mir war immer schon von gegenseitigem Respekt geprägt und wir sind immer gut miteinander auskommen, egal ob er Bürgermeister und ich Vize war, oder auch jetzt mit ihm als Landeshauptmannstellvertreter und mir als Bürgermeister.“

Klar ist auch, dass Singer nicht langweilig wird. Erst im Jänner wurde er Vater und über die Pfingstfeiertage, unmittelbar vor dem Interview, war er wieder einmal drei Tage am Feld um im elterlichen Betrieb mitzuhelfen. Unter der Woche widmet er seine Zeit in etwa zu gleichen Teilen dem Amt in der Gemeinde und dem Job beim Land. Weitere Tätigkeiten, wie etwa seine Funktion im Aufsichtsrat vom Maschinenring Tirol beanspruchen die übrige Zeit. Die Wochenenden gehören eigentlich der Familie, wobei rund ein Drittel der Zeit letztendlich doch wieder mit Bürgermeisteraktivitäten belegt ist.  

Was die Vorhaben in der Gemeinde angeht, läuft es den Umständen entsprechend gut. Sellrain ist nämlich eine Ausgleichsgemeinde. Das ist der Topografie geschuldet. Der Ort ist ein Streudorf im V-förmigen Sellraintal. Ein Gutteil des Gemeindegebietes nimmt das kaum besiedelte, 15 Kilometer lange Fotschertal ein. Industrie, die Kommunalsteuer brächte, ist zudem nicht wirklich vorhanden.

Es tut sich was im Ort

Dennoch haben die Sellrainer nach langen Jahren des Werdens nun endlich einen Mehrzwecksaal erhalten und unlängst wurden zwei Wasserkraftwerke in Betrieb genommen – eines im alleinigen Gemeindebesitz, und ein weiteres seit März in einer Gemeinschaft mit fünf weiteren Gemeinden. Aktuell beschäftigt Singer die Erneuerung bzw. Erweiterung des Sportplatzareals. Der Schutz vor Naturgefahren ist ohnehin immer Thema, und der Nahverkehr schreit wie in vielen anderen Streusiedlungen nach innovativen Lösungskonzepten.       
   
„Politik ist immer ein Ringen um Lösungen und ein Finden von guten Kompromissen“, weiß Singer. Darin sieht er auch die Stärke seiner Arbeit. Er legt starkes Augenmerk auf das Vereinsleben, auf Kinderbetreuung und auf ältere Menschen. „Diese gesellschaftlichen Themen liegen mir sehr am Herzen. Und mir ist wichtig, dass unser Dorf jenen Charakter bewahrt, den es jetzt hat. Dass wir nicht zu einer reinen Pendlergemeinde werden, sondern dass man den Nachbarn weiterhin kennt“, stellt Singer klar und meint damit die Entwicklungen am Immobiliensektor. 

Kinder streicheln Pferd
Sellrain setzt auf sanften Tourismus.

Zwar ist Sellrain noch ländlich geprägt, doch gerät es zunehmend in den Speckgürtel der Landeshauptstadt und das macht sich bemerkbar. Mit dem Auto sind es jeweils zwanzig Minuten nach Innsbruck sowie ins nächstgelegene Schigebiet Kühtai – eine attraktive Lage, die den Druck auf Wohnungen und Grundstücke steigen lässt. Wohnbauträger zeigen immer wieder Interesse in Sellrain größere Anlagen zu errichten.

„Das ist nicht zu verteufeln, aber mit Maß und Ziel zu beobachten. In gewisser Weise ist es ja gut, aber es sollte nicht zu viel in diese Richtung gehen“, meint Singer, der darauf hinweist, dass sich der Quadratmeterpreis in Sellrain binnen fünfzehn Jahren zum Teil mehr als verdreifacht hat.

Dabei spielt der Tourismus in der Gemeinde eine vergleichsweise geringe Rolle. „Ich finde, das zeichnet uns aus. Wir sind nicht dieses klassische Tourismustal, wie man es andernorts aus Tirol kennt, sondern haben vielmehr den ruhigen, sanften Tourismus. Natürlich brächte der Ballermann-Tourismus viel Geld, aber der hat in unserem Tal nicht wirklich Einzug gehalten und angesichts der jetzigen Entwicklungen im Tourismus dürfte sich das für die Zukunft als sehr positiv herausstellen“, meint Singer und sieht Chancen für eine zeitgemäße, nachhaltige Entwicklung.

Mit seiner Einstellung und mit dem gemeinschaftlichen Zusammenhalt der Einheimischen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Sellrainer und Sellrainerinnen diese Chancen auch wahrnehmen werden können. 

Zur Person

Benedikt Singer

Alter: 35
Gemeinde: Sellrain 
Einwohnerzahl: 1.350 (2022)
Bürgermeister seit: 26. Februar 2023
Partei: Liste - Gemeinsam für Sellrain