Jung sein auf dem Lande

Viele ländliche Regionen Österreichs leiden unter der Abwanderung gerade der jungen Menschen. Eine Studie der BOKU Wien macht die Zusammenhänge zwischen dem demographischen Wandel und dem Bleibeverhalten junger Menschen sichtbar. Sie versucht Antwort zu geben auf Fragen wie „Warum leben Junge in ländlichen Regionen?“

Junge Menschen werden von Entscheidungsträgern dann als Zielgruppe im Rahmen der kommunalen Weiterentwicklung identifiziert, sobald sich durch Abwanderung sicht- und spürbare Veränderungen in den Grundgesamtheiten zeigen und Fragen der Sicherung der Vitalität der Landgemeinden aufwerfen.


Die statistisch begründete Differenzierung der Zielgruppe in Haupt- und NebenwohnsitzerInnen allein gibt weder hinreichend Aufschluss über die bisherigen Wohnstationen der 20- bis 29-Jährigen und die diese bestimmenden Faktoren, noch über die Frage, wie viel Zeit man in der Herkunfts- bzw. Wohngemeinde verbringt, noch erlaubt sie eine Ableitung von Anspruchs-profilen und emotionaler Zugehörigkeit zu den ländlichen Herkunftsgemeinden.




Junge Menschen auf dem Land: heterogen – differenziert – heimatverbunden


Unter den Hauptwohnsitzern der dritten Lebensdekade finden sich Zugehörige folgender drei Wanderungstypen:





  •  Die sogenannten Ortstreuen, die (noch) nie woanders als in der ländlichen Herkunftsgemeinde gewohnt haben. Sie machen mit 70 Prozent anteilsmäßig die größte Gruppe aus. Zu den Ortstreuen zählen Personen, denen bislang keine Entscheidungskompetenz in Bezug auf die Wohnstandortwahl zugekommen ist (unter 25-Jährige), sowie Personen, die sich bewusst für das Landleben entschieden haben.

  • Die Zugezogenen, die vor allem aus privaten Gründen – sie folgten dem (Ehe-)Partner in dessen Wohngemeinde nach – ihren Wohnstandort in die Beispielsgemeinden verlegt haben. 21 Prozent der HauptwohnsitzerInnen zählen zu dieser Gruppe. In diesem Zusammenhang fällt die Kleinräumigkeit bzw. Regionalität des Wanderungsverhaltens (Land-Land-Wanderungen) auf. Quantitativ sind internationale Wanderungen nicht von Bedeutung.

  • Die Rückkehrerinnen und Rückkehrer: Hausbau, das Vereinsleben und die Herkunftsfamilie sind die drei Beweggründe der anteilsmäßig kleinsten Gruppe (neun Prozent), ihren (bislang in den Städten determinierten) Lebensmittelpunkt in die ländlichen Herkunftsgemeinden zurückzuverlegen.



Rund ein Viertel der Hauptwohnsitzer lebt multilokal, das heißt wechselweise auf dem Land und in der Stadt. Die infrastrukturbezogenen Ansprüche der Hauptwohnsitzer an deren ländliche Wohngemeinden sind mit finanziellen Aufwänden für die Gemeinden verbunden und beziehen sich auf den Ausbau der Grundversorgung und die Bereitstellung adäquater (leistbarer) Wohnangebote. Darüber hinaus wäre aus Sicht der 20- bis 29Jährigen Investitionen in die „Modernisierung des Landlebens" wünschenswert.

Sowohl die Ortstreuen, Zugezogenen und Rückkehrer kennzeichnet eine große emotionale Verbundenheit mit Bezugspersonen in den Beispielsgemeinden: Dazu zählen neben Angehörigen und dem (Ehe-)Partner bzw. der (Ehe-)Partnerin auch Freunden. Darüber hinaus ist die Inklusion in das örtliche Vereinsleben ausgeprägt.


Die Nebenwohnsitzer wiederum setzen sich aus zwei Anspruchsgruppen zusammen:





  1. den „klassischen" Ferienwohnsitzern mit Lebensmittelpunkt in der Stadt und

  2. Personen, die aus den Beispielsgemeinden stammen, aus Ausbildungs-, beruflichen oder privaten Gründen ihren Lebensmittelpunkt in die Stadt verlegt haben.



Die Ansprüche der Nebenwohnsitzer an die Beispielsgemeinden sind homogen: Das Land wird als Ort der Erholung und des Ausgleichs geschätzt. Die emotionale Zugehörigkeit bzw. die Identifikation mit den Beispielsgemeinden ist vor allem bei jenen ausgeprägt, die hier auch geboren bzw. aufgewachsen sind.

„Weggehen. Zurückkommen. Verbunden bleiben": Rückehrabsichten und Bleibewünsche


Für die 20- bis 29-Jährigen, die ihren Lebensmittelpunkt am Land begründet haben, gilt: „Harte Standortfaktoren bestimmen die Wohnstandortwahl, weiche Standortfaktoren das Bleibeverhalten."


Das Vorhandensein eines (stabilen) Arbeitsplatzes in zumutbarer Pendeldistanz vom Wohnort ist neben dem „leistbaren Wohnen" eine weitere zentrale Grundbedingung, in den Beispielsgemeinden weiterhin bzw. wieder wohnen zu wollen bzw. zu können. Die zur Alltagsorganisation erforderliche Außenorientierung wird fallweise als herausfordernd empfunden, dennoch ist sie allein nicht Grund genug, abzuwandern. Die den Beispielsgemeinden inhärenten Vorzüge wie etwa die Schönheit der Landschaft, das Vereinswesen und das „gute Miteinander im Dorf" bestimmen die subjektive Lebensqualität vieler 20- bis 29-Jähriger maßgebend mit. Gleichzeitig werden Veränderungen betreffend die infrastrukturbezogene Ausstattung – und hier im Besonderen die Investitionen der Gemeinden in Reaktion auf die Zunahme des Anteils der älteren Menschen – genau beobachtet.


Die (möglichen) Konsequenzen der anhaltenden Ausdünnung der zielgruppenspezifischen Infrastruktur und der fehlenden Passung von beruflichem Qualifikationsprofil und Arbeitsplatzangebot werden vor dem Hintergrund persönlicher – von Einstellungen und Haltungen beeinflussten – Toleranzgrenzen und (innerfamiliärer und monetärer) Kompensationsmöglichkeiten reflektiert. Unterschiede in der zum Zeitpunkt der Befragung latenten Abwanderungsneigung sind die Folge: Trotz ausgeprägter „Grundzufriedenheit" können sich 54 Prozent der Befragten vorstellen, aus den Beispielsgemeinden abzuwandern. Es sind vor allem multilokal lebende Personen und noch in Ausbildung Stehende, die eine Verlegung des Hauptwohnsitzes in Betracht ziehen (78 bzw. 76 Prozent). Die bisher demonstrierte räumliche Flexibilität – gemessen an den bisherigen Wohnstandortwechseln – beeinflusst die latente Abwanderungsneigung nicht: Während sich 60 Prozent der sogenannten „Ortstreuen" vorstellen können, ihren Hauptwohnsitz woanders hin zu verlegen, sind es unter den Zugezogenen und RückkehrerInnen jeweils 48 Prozent.


Die 20- bis 29-Jährigen, deren Lebensmittelpunkt in der Stadt begründet und – fallweise – gefestigt ist, zeigen sich in Bezug auf eine potenzielle Rückkehr in die ländlichen Heimatgemeinden unentschlossen. Die Bedingungen, zu denen sie bereit sind, zurückkehren, sind einerseits an kostenintensive Maßnahmen der Gemeinden selbst geknüpft (wie beispielsweise „gute Wohnangebote" und „günstige Baugründe", aber auch Investitionen in die Freizeitinfrastruktur), andererseits betreffen sie auch Modifikationen in den Gesinnungen bzw. mehr Offenheit seitens der Angestammten.


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Wünsche und eigene Beiträge zur Gemeindeentwicklung


Aus Sicht der 20- bis 29-Jährigen müssen sich die (zukünftigen) Bemühungen der politischen Entscheidungsträger in den ländlichen Regionen auf folgende Themenbereiche konzentrieren: die Behebung des Mangels an Arbeitsplätzen, die Schaffung eines leistbaren Wohnangebots, die Sicherung bzw. Verbesserung der infrastrukturellen Basisversorgung und der Freizeitinfrastruktur.


Die seitens der 20- bis 29-jährigen Haupt- und Nebenwohnsitzern geäußerten Wünsche betreffen dieselben Themen, unterscheiden sich lediglich in Bezug auf die Prioritätenreihung in Abhängigkeit davon, ob die ländliche Gemeinde auch räumlicher Lebensmittelpunkt ist.


Des Weiteren decken sich die Anliegen mit den Einschätzungen der Bürgermeister in Bezug auf die Handlungserfordernisse zur Attraktivitätssteigerung ihrer Gemeinden. So ist beispielsweise die kostenintensive Behebung der identifizierten infrastrukturellen Defizite zugleich die Voraussetzung für eine potenzielle Rückverlegung des Hauptwohnsitzes in die ländliche Herkunftsgemeinde.


Welche Bedeutung eigenen Beiträgen der jungen Leute selbst in Bezug auf die Hebung der Lebensqualität zukommt, zeigen folgende Befunde: Rund jeder vierte Hauptwohnsitzer und knapp jeder dritte Nebenwohnsitzer äußert Ideen für potenzielle eigene Beiträge zur Steigerung der Attraktivität der Beispielsgemeinden, darunter beispielsweise die Unterstützung des Gemeinde- bzw. des Vereinslebens, das Sich-aktive-Beteiligen, sofern hierfür die Rahmenbedingungen in den Gemeinden geschaffen werden, die Absicht, selbst ein Unternehmen zu gründen und die Gemeinde wirtschaftlich zu beleben, aber auch der Aufruf zu mehr Bescheidenheit und Werbung für die Landgemeinden.


Das „Nicht-Tätig-Sein" begründen v. a. die Hauptwohnsitzer mit der subjektiv empfundenen Handlungsohnmacht und der entwickelten resignativen Grundhaltung angesichts der Verschiebung der demographischen Gewichte. Dies kommt beispielsweise in folgendem Zitat zum Ausdruck: „Für die Älteren wird alles getan". Zudem wird den Gemeindepolitikern die Hauptverantwortung für eine generationengerechte und damit zukunftsfähige Gemeindeentwicklung zugeschrieben.




Schlussfolgerungen für die Gemeinde- und Regionalentwicklung


Die empirischen Befunde der Studie „Weggehen. Zurückkommen. Verbunden bleiben. Wanderungs- und Bleibeverhalten junger Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren in peripheren ländlichen Regionen" machen deutlich, dass auf lokaler Ebene Maßnahmen „im Atmosphärischen", wie etwa die Beförderung bzw. Festigung der sozialen Kohäsion oder die Stärkung der politischen Beteiligung junger Erwachsener im Rahmen der generationengerechten Gemeindeentwicklung wichtig sind und unterstützt werden müssen, parallel dazu investive Maßnahmen im Sinne der Sicherung bzw. des Aufbaus von Infrastruktur auf (klein-)regionaler Ebene unter Ausschöpfung des Potenzials interkommunaler Zusammenarbeit unerlässlich sind. Letztere beziehen sich vor allem auf die Sicherung der Basisinfra-struktur bezogen auf Güter und Dienste des täglichen Bedarfs und die Regionalisierung der Freizeitinfrastruktur. Vor allem in den beiden Handlungsfeldern „Arbeitsmarkt" und „leistbares Wohnen" ist die Unterstützung seitens des Bundeslandes erforderlich.


Zwecks Treffsicherheit der vor allem auf die lokale Handlungsebene bezogenen Maßnahmen muss eines im Auge behalten werden: Die Formulierung von Maßnahmen verlangt vor dem Hintergrund der restriktiver werdender Budgets neben einer Defizitorientierung (= raumtypeninhärente Schwächen) und Potenzialorientierung (= Inventur der endogenen Ressourcen) vor allem nach einer quantitativen Anspruchsgruppenorientierung innerhalb der Zielgruppe der 20 bis 29-Jährigen. Am Beispiel der vorgestellten Befunde resultieren daraus folgende Erfordernisse:





  1. Fokussierung auf die Gruppe der sog. Orts-treuen – die Zugehörigen anderer Wanderungstypen mitdenken,

  2. Vorsicht beim Ausloten der Zumutbarkeitsgrenzen der Zielgruppe (hohe latente Abwanderungsneigung!),

  3. Mehr Sensibilität in Bezug auf die Abschätzung des Volumens an (potenziellen) Rückkehrer und das Wanderungsverhalten der multilokal Lebenden,

  4. Generationengerechtigkeit der Investitionstätigkeit im Blick behalten.