Walter Leiss
Walter Leiss: „Von der Pädagogen- und Pädagoginnen-Ausbildung bis zur Attraktivierung dieses Berufes gibt es viel zu tun. Aber auch die Eltern und die gesamte Gesellschaft haben ihren Beitrag zu leisten.“
© Philipp Monihart

Bildungspolitik richtig gemacht

Kaum ein Thema ist ideologisch so umstritten wie die Bildungspolitik. Mit unzähligen Reformen in den letzten Jahrzehnten wurden im Bildungsbereich Änderungen vorgenommen. Gab es früher den Kindergarten ab dem vierten Lebensjahr, die Volksschule und die Hauptschule mit den verschiedenen Zweigen, und daran anschließend Berufsschulen oder Gymnasien, sprechen wir heute von Bildung ab der Geburt. Spätestens ab dem ersten Lebensjahr sollen unsere Kleinsten in elementarpädagogische Bildungseinrichtungen mit einem Rechtsanspruch für die Eltern gesteckt werden. Nach dem Kindergarten kommt die Volksschule und danach die Neue Mittelschule (NMS), die nun nicht mehr neu ist, sondern nur mehr Mittelschule (MS) genannt wird. Danach berufsbildende Schulen oder man wählt gleich die AHS.

Alle wissen um die Bedeutung der Bildung. In der Bildung unserer Kinder liegt unsere Zukunft. Die Anforderungen, die an die Bildungseinrichtungen gestellt werden, werden daher laufend höher und umfassender. Da die Bildungseinrichtungen auch ganztägig zur Verfügung stehen sollen, sollen sie auch das leisten, was man früher oftmals von zu Hause mitbekommen hat. Und nicht nur Fachleute wissen darüber Bescheid, was die Schule leisten soll, sondern zumindest auch alle Eltern fühlen sich als Experten. Schließlich waren wir doch alle selbst in der Schule – ob dort auch alle etwas gelernt haben, sei dahingestellt.

Die bloße Wissensvermittlung ist nicht mehr nötig. Es steht ja alles im Internet zum Nachlesen. Wichtiger ist es, soziales Verhalten zu lernen, zu lernen, wie man sich richtig ernährt und auch die richtige Bewegung gehört dazu. Der bloße Turnunterricht oder Leibesübungen reichen dafür nicht mehr aus. Hier sind eigene Bewegungs-Coaches erforderlich. „Mens sana in corpore sano“, wie schon die alten Römer sagten.

Und weil unseren Kindern auch der richtige Zugang zu und Umgang mit dem Geld fehlt, sollen unsere Bildungseinrichtungen auch entsprechende Wirtschaftskompetenzen vermitteln. Der heutigen Zeit geschuldet, sollen die Bildungseinrichtungen den Kindern auch digitale Kompetenzen beibringen. Dafür braucht es Schulpsychologen, Sozialarbeiter, Logopäden und viele andere Spezialisten, wie die NEOS meinen. 

Rundum-Sorglos-Paket für Eltern?

Manchmal hat man den Eindruck, dass die Eltern hier außen vor stehen. Sie stellen Forderungen und die Schulen haben zu liefern. Ein Rundum-Sorglos-Paket, wofür die Pädagogen und Pädagoginnen in den Bildungseinrichtungen sachlich und der Bildungsminister politisch verantwortlich sind.

Dass unsere Bildungseinrichtungen dies nicht leisten können, liegt auf der Hand. Zu widersprüchlich sind die Anforderungen, wie sich auch anhand der ständigen Diskussion um die Maskenpflicht an Schulen zeigte. Den einen gingen die Maßnahmen zu weit und den anderen waren sie zu wenig. Genauso ist es mit dem Erwerb digitaler Kompetenzen: Der einen Gruppe geht es zu langsam und die andere Gruppe vermeint, dass die Kinder und Jugendlichen ohnehin schon zu viel Zeit mit Handys, Tablets, Laptops und Computern verbringen. 

Skurrile Vorschläge

Dass ein so wichtiges Thema wie Bildung natürlich auch in der Politik – auch hier gibt es ja eine Reihe von Experten – seinen Niederschlag findet, bleibt nicht unerwartet. Verschiedenste Vorschläge muten jedoch – der Ausdruck sei gestattet – etwas skurril an.

Obwohl die Universitäten über das teilweise schlechte Ausbildungsniveau der Maturanten klagen und es in diversen Studienrichtungen deshalb eigene Aufnahmeprüfungen gibt, wird – nicht nur pandemiebedingt – vorgeschlagen, die Matura weiterhin zu vereinfachen, wie durch den Entfall der mündlichen Prüfung, sondern die Matura in ihrer Gesamtheit abzuschaffen.

Man nimmt also die nach zwei Jahren Pandemie als „verlorene Generation“ bezeichneten zwei Jahrgänge zum Anlass, das System in seiner Gesamtheit abzuschaffen. Wie dadurch das Ausbildungsniveau gehoben werden soll, bleibt ein Rätsel. ­Andere – wie zuletzt die NEOS – können überhaupt nicht verstehen, was an der Bildungspolitik so komplex sein sollte. Ein Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Bildungsplatz ab dem ersten Lebensjahr, eine gemeinsame Schule bis zwölf oder vierzehn und ein gesundes Mittagessen wäre doch die banale Antwort auf die vielen offenen Fragen. 

Die Probleme eines Rechtsanspruchs auf ein ganztägiges Bildungsangebot

Mit dem Verlangen nach einem kostenlosen Rechtsanspruch auf ein ganztägiges Bildungsangebot ab dem ersten Lebensjahr stehen sie allerdings nicht alleine da. Von manchen Gemeinde­vertreterinnen und -vertretern im Nationalrat wird wenigstens erkannt, dass die Finanzierung dieses Vorhabens den Gemeinden zukommt, weshalb auch sofort die Forderung nach mehr Mitteln an den Bund gestellt wird. Da hat es doch ein Gespräch über Mittel in der Höhe von einer Milliarde Euro gegeben, die zwar für ganztägige Schulformen mit dem Bildungsinvestitionsgesetz zur Verfügung gestellt wurden, aber doch sogleich für die Elementarpädagogik umgewidmet werden könnten. Und zwar nicht als Einmalbetrag, sondern gleich in der Höhe von 1,7 Milliarden jährlich, samt einem Investitionszuschuss von zwei Milliarden in den Jahren 2023 und 2024 für bauliche Maßnahmen. Mit diesem Geld wären alle Probleme gelöst.

Deswegen wird von anderen auch gleich ein Bundesrahmengesetz gefordert, das gleiche Bedingungen vom Bodensee bis zum Neusiedler See vorsieht. Der bestehende Kompetenzrahmen wird dabei ignoriert. Dass derzeit Kindergartengruppen in den Bundesländern schließen müssen, weil schlichtweg das pädagogische Personal fehlt, wird nicht einmal erwähnt. Hauptsache, der Rechtsanspruch wird geschaffen, dann sind die Probleme gelöst. 

Problematische Vorschläge

Natürlich besteht Handlungsbedarf in der Bildungspolitik. Die Experten und Expertinnen sind dazu berufen, die entsprechenden Vorschläge zu machen.

Viele Vorschläge sind aber – die Pandemie hat das gezeigt – mit Vorsicht zu behandeln. Wenn Hanno Lorenz von der Agenda Austria etwa ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr verlangt, hat er offenbar die aktuellen Daten nicht vor sich.

Betrachtet man nämlich die Entwicklung der Betreuungsquoten der drei-, vier- und fünfjährigen Kinder (den Anteil der in Kindertagesheimen betreuten Kinder, bezogen auf die gleichaltrige Wohnbevölkerung) in den letzten zehn Jahren, zeigt sich, dass bei allen drei Alterskategorien beträchtliche Anstiege zu erkennen sind. So erhöhte sich die Betreuungsquote der Dreijährigen von 77,6 Prozent im Jahr 2009 auf mittlerweile 86,6 Prozent. Bei den Vierjährigen wurde in den letzten zehn Jahren eine Steigerung von 93,8 auf 94,0 Prozent verzeichnet und bei den Fünfjährigen von 93,9 auf 97,4 Prozent. Es wird wohl nicht gelingen, jedes Kind extern betreuen zu lassen, wenn manche Eltern dies nicht wollen.

Von der Pädagogen- und Pädagoginnen-Ausbildung bis zur Attraktivierung dieses Berufes gibt es viel zu tun. Aber auch die Eltern und die gesamte Gesellschaft haben ihren Beitrag zu leisten. Es sollte gelingen, unsere Kinder darauf vorzubereiten, die Fragen zu lösen, die wir heute noch nicht kennen, wie dies Prof. Hengstschläger formuliert hat. Mit dem Vermitteln von sinnerfassendem Lesen, Schreiben und Rechnen wäre schon ein guter Anfang gemacht.