Günther Pagitsch
Günther Pagitsch: „So wie ich aufgewachsen bin, würde ich das niemals mit einem Kinderleben in der Stadt tau-schen wollen.“

Gekommen, um zu bleiben

Günther Pagitsch hat schon als Kind davon geträumt, Bürgermeister zu sein. Um es zu werden, musste er ein uraltes Zeremoniell über sich ergehen lassen.

Marmor, Blei und Silber wich, die Ramingsteiner jedoch nicht. Zugegeben, der Reim holpert, aber er fasst die Geschichte der kleinen Lungauer Gemeinde kompakt zusammen. Über vier Jahrhunderte blühte hier der Bergbau und im Mittelalter zählte Ramingstein gar zu den größten Bergbaugebieten in den Alpenländern.

Im Lauf der Zeit wurde die Erzgewinnung eingestellt und hat heute keine Bedeutung mehr, doch die Ramingsteiner sind geblieben. Rund 1100 Einwohner zählt die Gemeinde in den drei Ortschaften Mignitz, Mitterberg und Ramingstein. Das Murtal ist hier besonders schmal und so liegen die Dörfer quasi nacheinander aufgefädelt am namensgebenden Fluss, der an der Gemeindegrenze Salzburg in Richtung Steiermark verlässt. Naturgemäß ist Ramingstein damit auch die tiefstgelegene Gemeinde des Lungaus, übrigens seine einzige unter 1.000 Meter Seehöhe. 

Mittelalter­ambiente für Kinder und Jugendliche

Bekannt ist die Gemeinde im äußersten Südosten des Bundeslandes vor allem durch das Freizeitgebiet Karneralm im Lungauer Biosphärenpark und natürlich für ihr Wahrzeichen, die mystische und ein bisschen versteckt liegende Burg Finstergrün.

Burg Finstergrün
Blick auf Ramingstein und das Murtal vom Bergfried der Burg Finstergrün aus. Im Bild sichtbar ist nur der älteste Teil der Burg, der heute eine Ruine ist.

Generationen von Kindern haben hier ihre Ritterfantasien ausgelebt, denn seit 70 Jahren finden auf der Festung Jugendfreizeiten statt. Übrigens ist die Burg im Besitz der Evangelischen Jugend Österreich gleichzeitig auch Jugendherberge und bietet somit jedermann die Möglichkeit, in authentischem Mittelalter­ambiente zu nächtigen. Vor dem Burggespenst, dem Finsterling, muss man sich allerdings nicht fürchten. Es ist ein freundlicher Geist, der die Besucher willkommen heißt.

Kindheitstraum Bürgermeisteramt

Mindestens ebenso freundlich, aber höchst ­lebendig heißt auch der Bürgermeister Gäste im Ort willkommen. Günther Pagitsch ist seit einem knappen Jahr das neue Gemeindeoberhaupt.

Der Versicherungskaufmann wuchs als Bergbauernsohn am Mitterberg auf. „Es war schon mein Kindheitstraum, einmal Bürgermeister in meiner Heimatgemeinde zu sein“, verrät der 42-jährige Familienvater.

Warum er es erst jetzt geworden ist?  „Weil ich den richtigen Zeitpunkt abgewartet habe, denn dazu mussten ein paar Grundvoraussetzungen gegeben sein. Zum einen die Familiensituation: Ich habe eine mittlerweile 17-jährige Tochter, die nun in Salzburg arbeitet. Ich hab immer gesagt: Solange sie noch klein ist und mich täglich braucht, mache ich es nicht. Zweite Voraussetzung war, mich mit meinem Arbeitgeber abzustimmen. Das O. K. auch von dieser Seite war mir sehr wichtig.“

Interessantes Detail: Pagitschs ehemaliger Arbeitskollege Franz Winkler, der 20 Jahre lang mit ihm im selben Büro gearbeitet hat, war der letzte SPÖ-Bürgermeister in Ramingstein. „Ich hab gesehen, wie sein Leben so ist. Das hat mir immer gefallen und ich hab gesagt, irgendwann  probier ich es auch. Nachdem der vorherige Bürgermeister in Pension gegangen ist, habe ich meine Chance gesehen.“

Geplanter Quereinstieg in die Politik

Pagitschs Kandidatur war quasi ein geplanter Quereinstieg. „Ich war weder Mandatar noch  sonst etwas und bin erst zwei Monate, bevor ich zur Wahl angetreten bin, überhaupt in die Politik eingestiegen.“

Mit nur 27 Stimmen Vorsprung gewann Pagitsch knapp, aber doch die Direktwahl. Und was darauf folgte, ist in Österreich einmalig.

Uraltes Zeremoniell wird immer noch gelebt

Der in Ramingstein gepflegte Brauch des Ladübertragens ist ein uraltes Zeremoniell aus der Zeit, als es noch kein Gemeindeamt gab, sondern nur eine Truhe mit wichtigen Schriften, Urkunden, Büchern sowie die Gemeindekassa, die beim Bürgermeister zu Hause stand.

Heute befinden sich in der Lade Anliegen von Vereinen und Brauchtumsgruppen, die zum Amtswechsel an das neue Gemeindeoberhaupt gerichtet werden. Beim Ladübertragen wird die Truhe vom Haus des alten zur Liegenschaft des neuen Bürgermeisters gebracht. Die Israeliten mit ihrer Bundeslade können sich im Vergleich dazu, was sich in Ramingstein abspielt, brausen gehen.

Ladübertragen
Einzigartig in Österreich: Das Ladübertragen ist ein Initiationsritus für den Bürgermeister mit Volksfest-Dimensionen. Ursprünglich beinhaltete die Truhe die Gemeindeunterlagen, heute sind Anliegen von Vereinen und Brauchtumsgruppen in der Lade.

19 Vereine und Organisationen, 15 Festwagen und über 600 aktiv Beteiligte am Umzug (Zuschauer nicht miteingerechnet) feierten den neuen Bürgermeister mit einer Reihe von Ritualen, unter anderem mit dem Nachstellen seiner Hochzeit durch Bauern, Trachtenfrauen und Jäger. Sketche wurden aufgeführt, die sein Leben thematisieren.

Vier Stunden lang wurde für Pagitsch Theater gespielt, bevor er „beschlagen“ wurde. Dabei wird ein Hufeisen mit drei Nägeln – sie repräsentieren die drei Katastralgemeinden – an der Schuhsohle befestigt. So soll das neue Oberhaupt einen guten Stand für seine Amtszeit haben – und den benötigt es auch, denn die Herausforderungen in Ramingstein sind zahlreich. 

Ladübertragen
Beim Ladübertragen wird der Bürgermeister mit einem Hufeisen beschlagen. Die drei Nägel stehen dabei für die drei Katastralgemeinden.

Verkehrsbelastung durch Mautflüchtlinge

Größtes Problem ist aktuell die steigende Verkehrsbelastung.

„Wir liegen an einer Route für Mautflüchtlinge, und durch die Sperre der Ennstal-Bundesstraße im Steirischen ist es momentan besonders spürbar. Wir leiden stark unter dem zunehmenden Verkehr, insbesondere dem Schwerverkehr“, erklärt Pagitsch.

„Übergeordnetes Thema im ländlichen Raum ist natürlich auch die Abwanderung. Wir entwi­ckeln uns sehr, sehr stark nach unten und müssen versuchen, dem entgegenzuwirken. Das ist schwierig, weil die Arbeitsplätze nicht vorhanden sind.“  

Pagitschs Herangehensweise: „Man muss die Lebensqualität in so einem ländlichen Raum hervorheben. Man hat im Prinzip angrenzend an die eigene Wohnung (oder das Haus) die Natur. So wie ich aufgewachsen bin, würde ich das niemals mit einem Kinderleben in einer Stadt tauschen wollen. Davon bin ich felsenfest überzeugt!“

Und Pagitsch sieht auch das Positive. „Bei uns kann man sich Wohnen noch leisten. Definitiv. Wir haben immer wieder Wohnungen und Eigenheime zu Preisen, um die kauf ich mir in Ballungszentren nicht einmal ein Grundstück.“ Ein Blick auf Pagitschs Facebook-Seite bestätigt das. Dort teilte er unlängst eine Anzeige für eine schmucke Eigentumswohnung (78 m²) um 89.000 Euro. „Kein Schnäppchen, sondern der Regelfall.“  

Der begeisterte Jung-Golfspieler Pagitsch (Handicap 18) ist noch in anderer Hinsicht mit dem Thema Wohnen konfrontiert. Ein Multifunktionshaus soll gebaut werden, mit einem Nahversorger, 24 Betten für Senioren und sieben Startwohnungen im obersten Stock.

Katastrophenschutz belastet das Gemeindebudget

Ein großes Vorhaben für die kleine Gemeinde, deren Budget in außerordentlichem Maße durch Schutzprojekte belastet wird: „Wir haben ein verhältnismäßig großes Gemeindegebiet (94 km2) und gerade, was den Katastrophenschutz und vorbeugende Maßnahmen betrifft, starken Handlungsbedarf. In meinem ersten Jahr ist es mir gelungen, eine Wildbachverbauung zu fixieren. Da reden wir allein schon von  1,7 Millionen Euro an Kosten.“

Die Katastrophenprävention ist auch notwendig. „Wir haben im vorigen November über eine Woche eine wirkliche Ausnahmesituation gehabt und waren nahe am Zivilschutz­alarm. Wir hatten große Schneemassen und dann binnen Tagen starke Regenfälle. Straßen  und die Gleise der steiermärkischen Landesbahn waren zwei Meter hoch vermurt. Die Karneralm war abgeschnitten, die Leute eingesperrt. Wir mussten Häuser evakuieren. Das war für mich als Bürgermeister und zeitgleich Feuerwehrmitglied sehr fordernd. Gerade was Kastastrophenschutz und vorbeugende Maßnahmen betrifft, haben wir starken Handlungsbedarf“, zeigt sich Pagitsch überzeugt. Für ihn ist klar, der Klimawandel ist längst da. 

Mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen wird er in Zukunft sicherlich noch häufiger befasst sein. Günther Pagitsch hat aber abseits dessen noch viel mehr vor – und er denkt langfristig. „Ich habe das Ziel, länger Bürgermeister zu sein. Ich bin jetzt 42 Jahre alt und wäre motiviert, die Gemeinde Ramingstein langfristig zu begleiten.“

Zur Person

Günther Pagitsch

Alter: 42

Gemeinde: Ramingstein 

Einwohnerzahl: 1.055  (1. Jänner 2019)

Bürgermeister seit: 10. März 2019

Partei: SPÖ