Der unsichtbare Leerstand im Einfamilienhaus
Was ist problematisch an Einfamilienhäusern? Oftmals wird die Typologie des Einfamilienhauses grundsätzlich in Frage gestellt. Die Kritik am Einfamilienhaus begleitet schon seine gesamte Geschichte, doch die Beliebtheit der Wohnform lässt sich nicht leugnen.
Der akute Handlungsdruck entsteht vielmehr dadurch, dass die bestehenden Häuser nicht ausreichend genutzt werden. Das führt dazu, dass immer weiter unversiegelte Flächen als Bauland ausgewiesen werden, obwohl die Einwohner:innenzahlen vielerorts eigentlich stagnieren. Während junge Familien nach Wohnraum suchen, leben in den bestehenden Einfamilienhäusern meist ältere Paare oder Einzelpersonen.
Doch dieser Leerstand bzw. diese Unternutzung ist versteckt und die emotionale Bindung zum Eigenheim verdeckt die tatsächlichen Probleme. Es lohnt sich, sich dem Thema aus den drei Nachhaltigkeitsperspektiven zu nähern, um zu verstehen, auf welcher Ebene Lösungen ansetzen müssen.
Deutschland wie auch Österreich sind durch ländliche Räume geprägt
Rund 70 Prozent der Fläche und etwa 60 Prozent der Einwohner:innen sind bzw. leben in ruralen Gebieten, wo in den letzten Jahrzehnten Siedlungsentwicklung vorwiegend in Form von Einfamilienhäusern am Ortsrand stattfand, während gleichzeitig die Ortskerne ausbluteten.
Es kann also von einer flächendeckenden Problematik gesprochen werden, denn es geschieht überall: Das Lebenswerk des eigenen Hauses wird im Alter zur Belastung ohne Ausweg. Einfamilienhäuser werden meist mit mehreren Kinderzimmern für junge Familien gebaut. Nach dem Auszug der Kinder stehen die Kinderzimmer leer. Häufig werden sie nicht einmal neu möbliert und umgenutzt, sondern warten als persönliches Gästezimmer auf den nächsten Besuch.
Für die Eltern, denen dann im besten Alter das gesamte Haus zur Verfügung steht, fühlt es sich selbstverständlich an, doch im höheren Alter ändert sich die Situation: Die Treppe ins Obergeschoß wird zum Hindernis, der Staub zentimeterhoch. Es wird immer schwieriger, den Garten zu bewirtschaften oder das Haus sauber zu halten. Der Bewegungsradius und der wirklich genutzte Raum im Haus werden immer kleiner. Angesichts der demografischen Entwicklung und des anstehenden Renteneintritts der geburtenstarken Jahrgänge besteht hier dringender Handlungsbedarf.
In fast jeder Familie kann jemand von Eltern, Großeltern oder Bekannten berichten, deren Haus ihnen eigentlich zu groß ist. Dabei stehen größere Sanierungen meist dann an, wenn die Rente kaum zum Heizen des großen Hauses reicht und das Ersparte in die Ausbildung der Kinder gesteckt wurde, die sich wiederum weit weg rund um ihre Studien- oder Arbeitsorte sesshaft gemacht haben.
Die Probleme sind immer sehr individuell, aber das Phänomen ist strukturell: Noch immer wird das Einfamilienhaus als Lebenstraum vermarktet und nicht als Wohnlösung für einen Lebensabschnitt für Familien. Hierum hat sich ein Markt etabliert, der den Menschen noch immer suggeriert, dass sie sich mit dem eigenen Haus ein Lebenswerk schaffen können, während die Jahrzehnte später in Erscheinung tretenden Nachteile verschwiegen werden.
Durch den hohen Erschließungsaufwand sind Einfamilienhäuser besonders flächenintensiv und die kleinteiligen Bauvolumen energetisch nur aufwendig zu heizen, was durch dicke Dämmpakete nur kaschiert werden kann. Zudem führt es dazu, dass gleichwertige Lebensverhältnisse im ländlichen Raum nur durch das Auto gewährleistet werden können. Jahrzehntelang wurde die Strategie verfolgt, den Raumwiderstand durch mehr individuelle Mobilität zu reduzieren.
Wenn alle mit ihrem Auto mobil sind, müssen nur noch wenige Versorgungsknoten erhalten werden. Im Ergebnis haben Dörfer und kleinere Kommunen praktisch keine Versorgungsaufgaben mehr und ihre Identität verloren, weil sie zu Schlaf- und Ruhestätten wurden. Mehr als 85 Prozent der Menschen fahren mit Autos in Städte und Ballungsräume, um dort zu arbeiten, einzukaufen und die kulturellen Angebote zu nutzen. Zurück bleiben Ältere und Immobile: Nur wer sich permanent bewegt, kann noch am Leben teilhaben.
Die Folgen sind zu viel Verkehr, zu hoher Flächen- und Ressourcenverbrauch und zu wenig Lebensqualität unmittelbar vor Ort. Zwar hat sich durch die Digitalisierung und Corona das Arbeiten im Homeoffice verbreitet und eine Reduktion des Pendelns mit sich gebracht, das ändert aber noch nichts an der generellen Problematik.
Die immer weiter fortschreitende Zersiedlung, zum großen Teil getrieben von der stetigen Nachfrage nach Bauland, stellt eine enorme Gefahr für die Biodiversität dar. Viele Studien weisen darauf hin, dass Insekten, Vögel und Amphibien unter den Auswirkungen leiden, die die geringere Wasseraufnahmefähigkeit der Böden nach sich zieht.
Hinzu kommt der stetig wachsende Bedarf der Baubranche an Rohstoffen. Das Bauwesen erschließt immer neue Materiallagerstätten, deren Transport und Weiterverarbeitung einen Großteil der CO₂-Emissionen verursachen. Innovationen wie zirkuläres Bauen und nachwachsende Materialien setzen sich nur langsam durch und werden in großen Bauvorhaben getestet. Der Einfamilienhausbau ist von konventionellen Bautechniken geprägt, die zumeist allein schon aus finanziellen Gründen weiterhin den Vorzug erhalten.
Soziale Nachhaltigkeit
Die Siedlungsstruktur des Einfamilienhauses wird der Diversität unserer Gesellschaft nicht mehr gerecht. Das Wohnraumangebot ist im ländlichen Raum vorrangig an Mehrpersonenhaushalte in Form von Familien gerichtet. So ist eine Art Monokultur des Wohnens entstanden.
Dies entspricht jedoch auch im ländlichen Raum nicht mehr den heutigen hochindividualisierten Lebensstilen der Bevölkerung, die in ihrer Vielschichtigkeit der urbanen Diversität kaum nachsteht. Langfristig angelegte Arbeits- und Lebensläufe mit linearen Biografien sind in Deutschland längst nicht mehr die Normalität.
In der Bau- und Immobilienbranche ist diese Differenzierung jedoch noch nicht wirklich angekommen: Der Wohnungsmarkt passt sich diesen Entwicklungen nur dann an, wenn Aussicht auf rentable Vermarktungsmodelle besteht. Dabei wird jedoch keine Verbesserung der Wohntypologien für die veränderten Bedürfnisse der Bewohner:innen angestrebt.
Während die Typologie des Einfamilienhauses für ältere Paare oder Alleinstehende mit der Zeit zur Belastung wird, fehlen Angebote für ein altengerechtes Wohnen außerhalb des Pflegeheims. Diese sollten im bekannten Umfeld liegen, sodass die sozialen Beziehungen erhalten bleiben können, während kurze Wege und barrierefreie Gebäude wieder mehr Mobilität ermöglichen.
Darüber hinaus gibt es aber noch viele andere Lebenssituationen, in denen temporärer und flexibler Wohnraum gebraucht wird. Für immer mehr junge Menschen ist der ländliche Raum nach der Ausbildung oder dem Studium attraktiv, ohne sich direkt auf den Erwerb eines Eigenheims festlegen zu wollen.
Vor einer Familiengründung ist der Platzbedarf meist geringer und die ökonomische Situation angespannter. Hinzu kommen Singles, Paare in Trennung, Paare ohne Kinder und ortsflexibel Arbeitende, die vielleicht einen kompakten, kostengünstigen Zweitwohnraum benötigen. Ohne Alternativangebote bleiben die älteren Bewohner:innen in den großen Häusern und so steigt der Druck, neues Bauland für Familien auszuweisen, ohne dass dabei bezahlbarer oder barrierefreier Wohnraum entsteht.
Warum wollen dann trotzdem so viele ein Einfamilienhaus?
Im Zuge der Klimakrise wird über dringend notwendige Änderungen unserer Gewohnheiten gesprochen. Dabei geht es in der Debatte meist darum, kein Flugzeug mehr zu nutzen, öfter den Stand-by-Modus abzuschalten oder mehr mit der Bahn zu fahren, statt das eigene Auto zu nehmen – lediglich schlechte Gewohnheiten also. Wenn wir das Thema Wohnen im Kontext der Klimaveränderung aber ernst nehmen, geht es jedoch um weit mehr und es betrifft im Grunde das Privateste und Intimste, was wir haben: das eigene Wohnen!
Es geht dabei um den Traum, wie ein gelungenes Leben aussieht. Dieser Traum ist tief verankert und wird immer wieder von Neuem geträumt. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu beschrieb schon 1998 in seinem Buch „Der Einzige und sein Eigenheim“ ausführlich, wie solche kulturellen Phänomene über Jahrhunderte heranwachsen, bis sie ganz natürlich und selbstverständlich erscheinen.
Mit einem Einfamilienhaus im Eigentum „hat man es geschafft“! Doch was steckt hinter dieser Status-Anzeige? Wie können die Kinder behütet aufwachsen? Wie kann man nach der Lohnarbeit wirklich entspannen? Wie kann man etwas Bleibendes schaffen?
Der Soziologe Marcus Menzl sieht die Bedürfnisse Selbstwirksamkeit, Selbstverwirklichung, Status, Sinnstiftung, Freiheit, Sicherheit und Altersvorsorge hinter diesem Traum stehen.
Doch diese Bedürfnisse sind nicht ausschließlich im allein stehenden Einfamilienhaus umsetzbar, sondern können auch in alternativen Wohnmodellen bedient werden. Es sind andere Antworten vorstellbar und es gibt dafür viele praktische Beispiele. Doch im ländlichen Raum ist das Einfamilienhaus meist die einzige Antwort. Wenn sich das Angebot nur an den Träumen und nicht an den Herausforderungen orientiert, können auch keine alternativen Träume wachsen und so enden die individuellen Träume in einem kollektiven Albtraum.
Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit sind zentrale Säulen des Einfamilienhauses. Die vollständige Autonomie des Individuums kann sich hier in absoluter Privatheit frei entfalten. Gleichzeitig verschanzen sich die Bewohner:innen – und ihre Häuser gleich mit – hinter meterhohen Thujen-Schutzwällen vor der Nachbarschaft. Die Sicherheit besteht in einem privaten, geschützten Bereich, in dem man selbst entscheiden darf, wer ihn betreten darf, wer ihn einsehen darf und auch was darauf passieren kann. Das ist auch eine Sicherheit vor gesellschaftlichen Problemen, die vor dem Gartenzaun warten müssen. Es ist die Sicherheit, hier seine wohlverdiente Ruhe zu haben.
Daneben ist das Konzept des Einfamilienhauses eng mit der Sicherheit in der Zukunft, der Altersvorsorge verknüpft. In unserer Gesellschaft ist die private Absicherung eine wichtige Säule, die in den letzten Jahrzehnten immer weiter gestärkt wurde.
Im Alter keine Miete mehr zahlen zu müssen und zukünftige Abhängigkeiten zu vermeiden, ist ein verständlicher, vielfach propagierter Ansatz. Daher ist es nur naheliegend, dass die größte Investition des Lebens häufig in einen exklusiven Besitz an Grund und Boden geht. Doch wie schon erwähnt fällt der Renteneintritt häufig mit den ersten größeren Sanierungsbedarfen der Gebäude zusammen. Diese Zusammenhänge machen das Versprechen finanzieller Sicherheit im Alter zu einem trügerischen.
Wo können wir ansetzen? Drei Handlungsebenen
Ein derart großflächiges Problem, das so stark mit den individuellen Vorstellungen vom privaten Wohnen verknüpft ist, kann nicht mit der einen großen Maßnahme angepackt werden. Vielmehr eröffnet sich bei genauerer Betrachtung ein breites Handlungsspektrum für eine Transformation. Das Thema ist eine umfassende Gesellschaftsaufgabe, bei der man drei Handlungsebenen herausarbeiten kann: staatliche Rahmensetzungen, regionale und quartiersmaßstäbliche Strategien und individuelle Angebote.
Erstens: Es braucht großen politischen Willen
Da die Ausweisung von Bauland auf der kommunalen Ebene eng mit der Einnahme von Gewerbe- und Grundsteuer verknüpft ist, gibt es für die lokalen Entscheidungsgremien immer wieder Gründe, im Sinne der Kassenlage zu entscheiden und neue Flächen umzuwidmen.
Die Verantwortung für das Erreichen des gesetzten Ziels zur Begrenzung der Neuversiegelung auf deutschlandweit 30 Hektar, österreichweit 2,5 Hektar pro Tag kann daher nicht den Kommunen allein überantwortet werden. Diese Ziele erfordern klare überregionale Rahmensetzungen auf Staatsebene. Dass dies nicht heißen muss, dass die Gemeinden fremdbestimmt werden und keine eigenen Handlungsspielräume mehr haben, zeigt das Modell des Flächenzertifikatehandels.
Hierbei wird die Gesamtmenge der versiegelbaren Fläche deutschlandweit auf 30 Hektar pro Tag festgesetzt, wobei jede Kommune Zertifikate entsprechend ihrer Einwohner:innenzahl erhält. Diese können für Bauprojekte im Ort eingesetzt oder anderen Kommunen angeboten werden. Kongruent zum CO₂-Zertifikatehandel erhalten Flächen somit einen Wert auf einem Markt. Hierzu wurden in einem bundesweiten Planspiel des Bundesumweltamtes bereits wichtige Erkenntnisse gewonnen.
Auf jede Bürger:in in Deutschland kommen rund 490 Tonnen Baustoffe und die meisten sind in Wohngebäuden verbaut. Der gesamte Gebäudebestand ist ein riesiges Rohstofflager mit rund 15 Milliarden Tonnen Material und wir verbauen jährlich weitere 500 Millionen Tonnen Baustoffe. Es braucht ein radikales Umdenken: Wir müssen mehr Altes bewahren und mit Neuem kombinieren, um Ressourcen einzusparen. Dem einfachen Umbau mit geringen Mitteln steht jedoch oft die Baugesetzgebung im Weg, die im Grunde fordert, dass jedes Gebäude, das für eine Sanierung „angefasst“ wird, am Ende die Standards für Neubauten erfüllt.
Es gibt bereits Bestrebungen, die auf eine Aufweichung der Anforderungen für den Bestand abzielen. So wird eine Umbauordnung als neue gesetzliche Grundlage gefordert, die Bauen im Bestand fördert statt erschwert oder die Einführung einer Gebäudeklasse E für experimentelles Bauen abweichend von strengen DIN-Normen, die mehr auf Komfort als auf notwendige Mindestanforderungen abzielen. Doch diese Maßnahmen sind nur auf der großen politischen Ebene der Länder oder des Bundes möglich. Umso größer wäre das Signal an die Baubranche, dass die Bauwende politisch gewollt ist.
Solche Konzepte erfordern ein klares politisches Bekenntnis zur Umsetzung des 30-Hektar-Ziels und zur Stärkung des Gebäudebestandes. Dies hat eher indirekt mit der Problematik des Einfamilienhauses zu tun, setzt aber Anreize für eine nachhaltigere Nutzung von Bestandsflächen und -gebäuden. So liegt der Fokus automatisch auf der Innenentwicklung, also der Reduzierung der Bautätigkeit auf die bereits erschlossenen Siedlungsgebiete. Gesetzesgrundlagen, die beim Neubau stärker die gesellschaftlichen Kosten mit einpreisen und im Gegenzug eine Nach- und Umnutzung von Bestandsgebäuden erleichtern, sind bisher nur sehr zaghaft und kaum mit Sanktionsmechanismen belegt. Demgegenüber stehen immer noch neue Förderprogramme zur Eigentumsstärkung, ohne an Nachhaltigkeitskriterien gebunden zu sein.
Zweitens: Wir brauchen mehr Baukultur, Bürgerbeteiligung und Co-Kreation in der Zwischenstadt
Die Politik muss zudem darauf abzielen, dass Bestandsflächen integrierter gedacht werden. Durch die städtebauliche Funktionstrennung liegen viele Raumpotenziale, nicht nur in den Obergeschoßen der Einfamilienhäuser, brach. Der Architekt Jörg Heiler sieht ein enormes Potenzial in der bestehenden Zwischenstadt, also dem Raum außerhalb der Dorfkerne und Innenstädte, der weitgehend marktwirtschaftlichen Mechanismen überlassen ist.
Alles, was wir landläufig mit der Zersiedelung in Verbindung bringen, also die Orte der Industrie, der reinen Wohngebiete und der Gewerbestandorte für Discounter und Großhandel. In diesen Räumen leben weltweit zwei Milliarden Menschen – allein in Deutschland geht es um 600.000 Hektar. Heiler zufolge könnten viele Raumansprüche hier untergebracht werden, wenn klassische Paradigmen hinterfragt und so Funktionen überlagert werden: „Ziel einer neuen – einer urbanen – Epoche muss deswegen sein, Getrenntes wieder zu durchmischen und vermeintlich nicht Zusammenpassendes zu verknüpfen“, so Heiler.
Drittens: Es braucht mehr Kommunikation und auf der individuellen Ebene
Das Einfamilienhaus ist das Ergebnis einer Bedürfnisbefriedigung, die ohne Aushandlungsprozesse auskommt. Die Grenzen des eigenen Einflussbereiches sind klar umrissen und die Zuständigkeiten sind vermeintlich definiert. Doch spätestens die populären Sendungen zu Nachbarschaftsstreitigkeiten in den 1990er-Jahren machten deutlich, wie trügerisch diese Erwartungen sein können.
Wohnen ist immer ein Miteinander, wo Erwartungen artikuliert und gegebenenfalls Lösungen ausgehandelt werden müssen. Doch die Vermeidung von nachbarschaftlicher Nähe wird immer problematischer, wenn der Wohnraum nicht mehr passt, aber die gefühlte Abhängigkeit vom privaten Schutzraum so groß ist, dass eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus wie ein Schreckensszenario erscheint.
Daniel Fuhrhop, Autor des Bestsellers „Verbietet das Bauen“, formuliert in seiner gerade erscheinenden Dissertation die Formel „3U&VW“ zur Aktivierung des unsichtbaren Leerstands in genutzten Wohneinheiten.
- Zunächst die Untermiete bzw. das Homesharing, wo vorwiegend junge Menschen mit älteren zusammenziehen und sich gegenseitig unterstützen.
- Alternativ wäre der Umzug in kleinere Wohnungen und damit einhergehend die Übergabe des größeren Hauses an Menschen, die den Platz dringender benötigen.
- Oder schließlich der Umbau, um das Haus mit mehreren Parteien nebeneinander, aber mit getrennten Zugängen bewohnen zu können. Dies könnte Fuhrhop zufolge mit einer sozialen und gemeinnützigen Wohnraumvermittlung organisiert werden.
Die durch Vermietung eingenommenen Gelder finanzieren dieses System aus Beratung, Vermittlung und Verwaltung, sodass sich ein sich selbst tragender Markt etablieren kann. So können für einzelne Eigentümer:innen die Risiken minimiert und Ängste genommen werden, in dem etwa Mieteinnahmen garantiert werden. In Belgien und Großbritannien funktionieren solch kostendeckenden Verwaltungs- und Beratungsstrukturen bereits gut. Dazu braucht es laut Fuhrhop mehr Projekte für gemeinschaftliches Wohnen, bei denen zum Beispiel Esszimmer und Küche geteilt werden.
Ein Beispiel für dieses Ausziehen und Umsiedeln ist das Projekt Bremer Punkt. Dort wurde in einem Quartier ein sogenanntes Auszugshaus errichtet, wo Umzugswillige einziehen können, ohne die gewohnte Umgebung verlassen zu müssen. Sie bleiben in der Nachbarschaft und ihre alten Wohnungen können nachgenutzt werden.
Diese Strategie fördert ein Umdenken in der Gesellschaft: Ich kann mein Haus loslassen, wenn ich es nicht mehr selbst bewirtschaften kann. Das SauRiassl-Syndikat aus Altötting zeigt, welche neuen Wohnformen und Nachbarschaften auch auf dem Land entstehen können, wenn von vornherein die Aushandlung im Zentrum des gemeinsamen Zusammenlebens steht. Dabei liegt es nicht an der Gebäudetypologie, denn hier werden sowohl große Gebäudekomplexe mit mehreren Wohneinheiten als auch ehemalige Einfamilienhäuser erhalten, geteilt und ganz nebenbei dauerhaft der Spekulation mit Wohnraum entzogen.
Doch ebenso unpopulär wie der Auszug aus dem eigenen Haus ist der Einzug in ein bestehendes Einfamilienhaus für junge Familien. Im ostwestfälischen Hiddenhausen wurde mit dem Programm „Jung kauft alt“ ein Programm ins Leben gerufen, das mit Beratung und gezielter Förderung bei der Entscheidung hilft.
All diesen Ansätzen ist gemein, dass sie mehr gezielte und individuelle Beratung erfordern. Es braucht Unterstützung bei den einzelnen Schritten, um vermeintliche Hürden überwinden zu können.
Fuhrhop beklagt, dass Wohnraumberatung zu oft als Aufgabe der Sozialarbeit betrachtet wird, obwohl viele Betroffene eine qualifizierte Beratung auch bezahlen würden. Hier müssen Immobilienfachkräfte und soziale Träger kooperieren, um die Nachfrage und das Angebot zusammenzubringen. Dabei ist der Maßstab keinesfalls darauf angelegt, dass alle älteren Single-Haushalte zum Auszug bewegt werden.
Das Ziel muss sein, dass zunächst die Interessierten erreicht werden, die offen für neue Wohnformen sind, jedoch aufgrund des fehlenden Angebots im alten Haus verbleiben. Die Beispiele in Weyern und Burgrieden zeigen, dass diese Gruppe bereits groß genug ist, um die Nachfrage nach Bauland zu befriedigen. Etablieren sich solche Wohnformen dann zunehmend, wird es auch für die Zweifelnden immer selbstverständlicher, über ihre Wohnsituation nachzudenken. Sollen Menschen tatsächlich überzeugt werden, ihren zu groß gewordenen Wohnraum zu verlassen und in passendere Räume zu ziehen, müssen sie durch gute Argumente und attraktive Alternativen überzeugt werden.
Fazit
Das Einfamilienhaus ist als Wohnform fest verankert in unserer Gesellschaft. Es steht im Zentrum vieler Biografien und stellt in unzähligen Familien den räumlichen Mittelpunkt dar. Es ist das Sinnbild für ein gelungenes Leben und Wohnen in Sicherheit.
Aus Sicht der Nachhaltigkeit ist diese Wohnform jedoch hochproblematisch. Das gilt sowohl für die ökologischen Kosten der Versiegelung, den Materialverbrauch und den Energiebedarf als auch für die ökonomische Nachhaltigkeit. Oft wird die größte Investition des Lebens beim Eintritt ins wohlverdiente Rentenalter zur Kostenfalle. Nicht zuletzt müssen auch die sozialen Folgen kritisch betrachtet werden, denn vielerorts hat sich das Einfamilienhaus als einzige Wohnform auf dem Wohnungsmarkt durchgesetzt, sodass diverse Bevölkerungsgruppen kein passendes Angebot für ihre Bedürfnisse finden.
Es geht nicht darum, das Wohnen im Einfamilienhaus in Frage zu stellen, zu verteufeln oder zu verhindern. Dafür ist es zu fest im Verständnis von Wohnen und Leben in Deutschland, Österreich und darüber hinaus verankert. Sondern es geht darum, dem unermüdlichen Hunger nach neuen Häusern durch die Transformation bestehender und untergenutzter Einfamilienhäuser entgegenzuwirken. Dieses riesige Raumpotenzial im Bestand ist für die Wohnungsfrage zu wichtig, als dass man es ignorieren könnte.
Wir schlagen sechs grundlegende Lösungsansätze vor, wie es gelingen kann, im Kontext der Einfamilienhausentwicklung den Umbau im Bestand vor den Neubau zu stellen und dadurch den Traum vom Einfamilienhaus in eine nachhaltige Wohnraumstrategie zu integrieren.
6 Lösungsansätze, wie es gelingen kann, die riesigen Flächenpotenziale von bestehenden Einfamilienhäusern besser zu nutzen.
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Es braucht kein neues Bauland für Einfamilienhäuser. Viele Kommunen, die Bauland ausweisen oder unter Druck stehen, dies zu tun, haben stagnierende Bevölkerungszahlen. Neues Bauland auszuweisen, ohne vorher versucht zu haben, die Ausnutzung im Bestand zu erhöhen, führt nur zu einer Potenzierung des Problems und noch mehr ungenutztem Wohnraum in der Zukunft.
- Es gibt genug Einfamilienhäuser! Wenn nahezu die gesamte Bevölkerung Deutschlands oder Österreichs im derzeitigen Bestand an Einfamilienhäusern unterkommen könnte, so bedeutet dies auch, dass wir keine zusätzlichen Einfamilienhäuser mehr brauchen, um den Bedarf an ihnen zu befriedigen. Es muss gelingen, durch Umbau die Nachfrage mit dem derzeitigen Bestand an Einfamilienhäusern zu decken.
- Wir müssen attraktive Alternativen schaffen. Das Wohnen im eigenen Haus mit Garten hat seine größte Attraktivität für Familienhaushalte, die einen großen Raumbedarf haben. Die Eigentumsform, oft in Verbindung mit der Altersvorsorge, macht es organisatorisch und emotional schwierig, nach dem Auszug der Kinder in eine angemessenere Wohnung umzuziehen. Das liegt nicht zuletzt auch am fehlenden Angebot an schönem und barrierefreiem Wohnraum mit Gartenzugang im gleichen Ort. Wir müssen attraktive Wohnangebote für all diejenigen schaffen, die gar kein Einfamilienhaus brauchen.
- Wir müssen den Bestand nutzen. Das Vorhandene ist das Neue! Wenn wir den Bestand als Arbeitsgrundlage akzeptieren, können sich darin ebenso viele Träume entfalten wie im Neubau. Umbauen statt neu bauen ist nicht nur günstiger und schneller zu realisieren, sondern es ist vor allem im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch das Gebot der Zeit. Durch das stete Weiter-, Um- und Nachnutzen des Bestandes werden zudem auch aus Siedlungen, die einstmals in kurzer Zeit und monoton entstanden sind, bunte und durchmischte Quartiere.
- Umziehen ist das Neue Bauen. Der Traum vom Einfamilienhaus ist auch der Traum vom Wohnen im perfekten Maßanzug. Ein altes Einfamilienhaus verstellt da schon zu Beginn der Planungen viele Möglichkeiten. Dabei ist auch der Neubau mit großen Kompromissen bezüglich des Bauplatzes, der Anbindung oder des sozialen Netzwerkes verbunden, die erst später deutlich werden.
Häufig sind es aber nur kleine Hürden oder Zweifel, die ein Bestandsgebäude gegen den Neubauplatz ausscheiden lassen. Oft fällt die Entscheidung zugunsten der vermeintlich sauberen Neubaulösung ohne geerbte Probleme wegen Unwissenheit oder fehlendem Fachwissen.
- Wir müssen Strukturen für Umbauberatung aufbauen. Ein Bestandsgebäude ist eine Herausforderung, die Unterstützung bei vielen Schritten erfordert, die vielfach größer wirken, als sie tatsächlich sind.
Es bedarf einer Bewusstseinsbildung und einer Beratung, die die Vorteile eines bestehenden (Einfamilien-)Hauses sichtbar und das Risiko überschaubar macht. Dabei ist es nötig, mit den Bauwilligen in einen anerkennenden, aber kritischen Dialog über ihre Bedürfnisse im Zusammenhang mit den Herausforderungen des ökologischen Orts-, Siedlungs- und Stadtumbaus zu treten.
Wenn es uns gelingt, den unsichtbaren Leerstand in halb leeren Einfamilienhäusern wieder zu nutzen, wäre dies nicht nur für den vorherrschenden Wohnungsdruck und somit in der Wohnungsfrage ein Durchbruch, sondern es würde Menschen auch näher zusammenbringen, Gemeinschaft fördern und die Lebensqualität erhöhen.