Symbolbild "schweigende Mehrheit"
Nicht nur auf Bundes- oder Landesebene ist immer häufiger eine Distanz zwischen den gewählten Repräsentanten und den Repräsentierten zu bemerken. Auch auf Gemeindeebene trauen sich viele Menschen nicht, ihren Ortschef anzusprechen.
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Das Schweigen der Mehrheit überwinden

Während eine kleine Minderheit oft lautstark auf penetrante Weise auf ihre Anliegen aufmerksam macht, bleibt eine große Gruppe oft still und ist für die Politik kaum erreichbar.

Umfragen zeigen immer wieder: Das Vertrauen in die Politik nimmt ständig ab, und vor allem junge Menschen sind immer weniger bereit, sich parteipolitisch zu engagieren. 

Das Positive aus kommunaler Sicht: Alle Umfragen zeigen, dass die Gemeinde jene politische Ebene ist, mit der die Menschen am zufriedensten sind und der sie das größte Vertrauen entgegenbringen.

Das hat sehr viel damit zu tun, dass die Arbeit der Gemeinden leichter nachvollziehbar ist als das Tun höherer Ebenen. Wenn beispielsweise eine Straße, die kaputt war, saniert wurde, dann ist das überprüfbar. Aber ob etwa die Lieferkettenproblematik gelöst wurde, lässt sich nur von Experten nachvollziehen. Die kommunale Ebene hat auch den Vorteil, dass sie die pragmatischste und die am wenigsten ideologische ist: Wenn die Straße Löcher hat, dann ist das keine Frage rechter oder linker Politik. Die Gemeinde wird eher als Errichterin von Infrastruktur wahrgenommen, denn als Umsetzerin ideologischer Konzepte.

Distanz wird größer

Dort, wo Nähe gelebt wird, ist die Zufriedenheit höher, und es ist auch leichter, Menschen zu finden, die sich in der Gemeinde engagieren. Dieser positive Befund ist aber für Kommunalpolitikerinnen und -politiker kein Grund, sich zufrieden zurückzulehnen. Denn auch wenn die Gemeinde jene Ebene ist, der noch am ehesten vertraut wird, gibt es in einigen Bundesländern bereits Gemeinden, die Schwierigkeiten haben, eine Person zu finden, die das Bürgermeisteramt übernehmen möchte.

Nicht nur auf Bundes- oder Landesebene ist immer häufiger eine Distanz zwischen den gewählten Repräsentanten und den Repräsentierten zu bemerken. Auch auf Gemeindeebene trauen sich viele Menschen nicht, ihren Ortschef anzusprechen. „Der Bürgermeister hat so viel Anderes zu tun, da will ich ihn nicht belästigen“, meint dazu etwa eine nicht genannt werden wollende Bürgerin einer Gemeinde im südlichen Waldviertel. 

Diese Distanz macht es beiden Seiten schwer, in Dialog zu treten. Oft sind es nur einige wenige, die laut auf ihre Anliegen aufmerksam machen, während die schweigende Mehrheit still ist. Das sah man etwa im Großen während der Pandemie, wo Maßnahmenkritiker sich oft aggressiv äußerten und damit medial präsent waren, aber auch im Kleinen: „Ich will es mir mit dem Bürgermeister nicht verscherzen, weil ich sicher wieder einmal was von ihm brauche“, so die erwähnte Bürgerin auf die Frage, warum sie selbst berechtigte Kritik nicht artikuliert. 

Vielen ist es egal

Distanz entsteht auch dadurch, dass viele Menschen nicht bereit sind, sich damit auseinanderzusetzen, wie demokratische Prozesse funktionieren. Das betrifft natürlich vor allem die Bundes- und Landesebene, aber auch auf kommunaler Ebene herrscht oft Unwissen über die Abläufe, die zu einer Entscheidung führen. 

„Vieles wird ja einfach im Hinterzimmer entschieden. Da hat man als normaler Bürger gar keinen Einblick, wie das wirklich läuft“, glaubt ein Bewohner einer Gemeinde südlich von Wien zu wissen. Dass es klar vorgegebene Regeln gibt, an die sich Politik und Verwaltung zu halten haben, ist oft unbekannt oder wird verdrängt. Man will sich einfach nicht mit Politik beschäftigen. „Ich habe echt genug um die Ohren, als dass ich mich darum auch noch kümmern könnte. An der Politik kann man ja eh nichts ändern“, so der Mann aus dem Industrieviertel. 

Funktionärinnen und Funktionäre nehmen aber oft gar nicht wahr, dass die Menschen mit Gemeinde Distanz verbinden. Aber selbst, wenn man bei einer Gemeinderatswahl eine Wahlbeteiligung von 70 Prozent hat, dann bedeutet das, dass 30 Prozent offenbar egal ist, wer sie vertritt. Und zwar wirklich egal, denn wenn diese Menschen lediglich mit dem politischen Angebot unzufrieden wären, stünde es ja jedem frei, sich selbst zu engagieren. 

Kommunikation verbessern

Thomas Hofer
Politikberater Thomas Hofer: „Es ist enorm wichtig, dass nicht nur die lautstarke Minderheit, sondern auch die stille Mehrheit wahrgenommen wird.“

Für die Parteien bedeutet dies, dass sie sich nicht nur um jene kümmern müssen, die sich am politischen Prozess beteiligen, sondern dass sie auch diejenigen im Auge haben müssen, die sich ansonsten verweigern und unbeteiligt in der Ecke stehen. 

„Es ist enorm wichtig, dass nicht nur die lautstarke Minderheit, sondern auch die stille Mehrheit wahrgenommen wird“, meint der Politikberater Thomas Hofer. „Wenn man den Eindruck hat, dass viele Leute zwar Anliegen haben, aber nicht unbedingt sprechen wollen, dann sollte man versuchen, andere Kommunikationsschienen aufzubauen. Das kann man etwa mit regelmäßigen Meinungsumfragen machen, die durchaus auch anonym sein können. Auch Social Media bieten viele Möglichkeiten“, empfiehlt Hofer. 
Natürlich werde man auch damit nur einen Teil der Menschen erreichen, aber es sei schon alleine wichtig, dass es das Angebot einer Infoschiene gibt.

„Man muss Räume schaffen, in denen auch die leisen Stimmen Gehör finden. Wir müssen Wege finden, wie sich die schweigende Mehrheit sicher fühlt, ihre Meinungen und Anliegen zu teilen. Nur so können wir sicherstellen, dass die Entscheidungen, die für die jeweilige Gemeinde getroffen werden, ein möglichst umfassendes Bild der Bedürfnisse und Wünsche aller Bewohner widerspiegeln.“
Viele Beispiele zeigen, so Hofer, dass Bürgermeister durch Dialog, Bürgerbeteiligung und persönliche Präsenz Nähe schaffen können. Aber: „Distanz zu überwinden, ist nicht einfach, sondern beinharte, oft unbedankte Arbeit“, stellt der Politikberater klar.

Es braucht mehr Wissen

Ein weiteres Problem ist die mangelnde Informiertheit vieler Bürgerinnen und Bürger. Man kann nicht erwarten, dass sich Menschen engagieren, wenn sie nicht wissen, wie Gemeindepolitik überhaupt läuft. Denn obwohl diese sehr unmittelbar funktioniert, klaffen oft große Wissenslücken: In der Schule stehen, wenn überhaupt, Bundes- und Landespolitik im Fokus, Kommunalpolitik wird so gut wie nie thematisiert. Woher sollen Menschen das Wissen nehmen, das sie brauchen, um ein Engagement in der den örtlichen Parteien überhaupt in Betracht zu ziehen?

Von der persönlichen Betroffenheit in die Parteipolitik

Gerade junge Menschen sehen oft nicht, dass die Arbeit der Gemeinde sich auf ihre Lebensrealität auswirkt. Viele kommen erst dann in Kontakt mit der Gemeinde, wenn sie ein Haus bauen oder wenn sie ein Kind für den Kindergarten anmelden.

„Erst muss man hungrig werden. Dann greift man nach dem Brote“, sagte der Physiker Gustav Theodor Fechner (1801 – 1887) und meinte damit, dass man erst dann handelt oder nach etwas strebt, wenn man einen inneren Drang oder ein Bedürfnis verspürt. 

Bei der Politik ist das nicht anders: Menschen sind am ehesten bereit, sich für etwas zu engagieren, wenn ihre Interessen betroffen sind. Das funktioniert am ehesten auf Gemeindeebene. Denn hier gibt es die unmittelbarsten Möglichkeiten zur Mitgestaltung. Sei es in der Dorferneuerung, bei Umweltschutzaktivitäten, im Sozialbereich oder bei der Flüchtlingshilfe. Das lässt sich auch durch Umfragen belegen, die zeigen, dass Menschen sich zwar nicht unbedingt parteipolitisch engagieren wollen, aber durchaus bereit sind, bei konkreten Projekten mitzuarbeiten. 

Die Parteien haben aber durch diesen Trend zu wenig Nachwuchs. Denn – auch wenn Kommunalpolitik wie erwähnt nicht in erster Linie ideologiegetrieben ist – wer in einer Partei ist, bekennt sich letztlich immer auch zu bestimmten Werten und Ideologien. Das wollen heute viele Menschen nicht mehr. 

Schon immer war es aber so, dass Leute eher über den Umweg eines Engagements für ein Anliegen, das ihnen wichtig war, zur Mitarbeit in der Gemeinde gekommen sind. Bei Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl war es etwa das Interesse für Dorferneuerung, bei anderen waren es oft persönliche Betroffenheiten, die dazu geführt haben, sich für das Abenteuer Politik zu begeistern, wie die Kurzporträts auf den nächsten Seiten zeigen. 

Der Beitrag erschien in der NÖ Gemeinde 3/2024.