Landvermesser
Der Ist-Zustand in der Natur und Planunterlagen können voneinander abweichen.
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Bauordnung braucht Spielräume

In den Tiroler Gemeinden gibt es eine Reihe von Bestandsbauten, bei denen dringend eine Harmonisierung zwischen Vermessungsnormen und Tiroler Bauordnung notwendig wäre.

Immer wieder ist in Tirol von Schwarzbauten die Rede. Für diese wurde nie eine Baubewilligung erteilt. Sie sind also illegal errichtet worden.

Anders verhält es sich bei Bauten, die zwar eine Baugenehmigung erhielten, bereits bei Bezug aber von den eingereichten Bauplänen abwichen. Oder bei Bauten, die im Laufe der Zeit Zu- oder Umbauten erfuhren und deren Ist-Zustand nicht mehr mit den vorhandenen Bauplänen übereinstimmt. Ob hier von Schwarzbauten gesprochen werden kann, ist die Frage. Jedenfalls bewegen sie sich in einer rechtlichen Grauzone – und von ihnen ist selten die Rede.

Dabei stellen sie das Gros der Gebäude dar, die in der Vergangenheit errichtet wurden. Politische Entscheidungsträger wie Private sind gefordert, sich der Problematik anzunehmen. Denn ein Grund für die Abweichungen zwischen Natur und Planunterlagen liegt in der Genauigkeit heutiger Messinstrumente und in den Differenzen zwischen so genannten Vermessungstoleranzen und den rechtlich strikten Rahmenbedingungen der Bauordnung.

Übers Ziel

Bundesländer wie Kärnten, Wien, Oberösterreich und die Steiermark haben auf Unterschiede zwischen Realität und Planunterlagen reagiert. In deren Bauordnungen ist in diesem Zusammenhang von „bewilligten Bauten” beziehungsweise von „rechtmäßigem Bestand“ die Rede.

Solche Bauten eint: Die Abweichungen sind nicht mutwillig herbeigeführt. ­Viele Hausbesitzer wissen nicht einmal davon. Die Differenzen betreffen etwa Gebäude, die durch Katastrophen oder im Krieg zerstört und wiederaufgebaut wurden, bei denen Planunterlagen infolge von Bränden, Überschwemmungen oder dergleichen abhandenkamen.

Besonders virulent ist das Dilemma bei Gebäuden aus den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Mittlerweile sanierungsbedürftig werden die Differenzen offenkundig. Dazu kommt ein weiterer Sachverhalt. Landläufig herrscht die Meinung, Umbauten im Inneren seien Privatsache, dem ist aber nicht so. Sobald es um tragende Strukturen geht, muss eine Bauanzeige gemacht werden oder braucht es eine Baubewilligung. In der Tiroler Bauordnung (TBO) ist der Sachverhalt genau geregelt.

Darüber hinaus haben sich rechtliche Rahmenbedingungen durch Novellierungen der TBO in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder geändert. Was vor 50 Jahren noch im Rahmen war, ist heute möglicher­weise verboten.

Dank modernster Messtechnik ist es mittlerweile möglich, Baubestand extrem genau zu erfassen. „Was früher auf Millimeterpapier eingezeichnet wurde, in der Natur schon einmal einen Unterschied von mehreren Zentimetern bis Metern ausmachen konnte, wird heute punktgenau festgehalten“, erklärt Georg Kofler, Sektionsvorsitzender der Zivilinge­nieurInnen der ZT-Kammer Tirol und Vorarlberg.

Mehr Toleranz

Wie seine Kollegen ist der Ingenieurkonsulent für Vermessungswesen und Geodäsie immer wieder damit konfrontiert, dass Plan und Natur voneinander abweichen, sich die Toleranzen im Kataster und die Tiroler Bauordnung spießen.

Kofler nennt ein Beispiel: „Schon die Bauausführung hat Toleranzen und sollte dann beispielsweise noch anderes Isoliermaterial verwendet werden, kann es bei der Gebäudekontur zu Abweichungen gegenüber dem Plan kommen.“

So kann es passieren, dass der Eigen­tümer zwar eine Genehmigung für das Gebäude in Händen hält, das Gericht in einem zivilrechtlichen Verfahren aber, fußend auf der Gesetzeslage, zu einem anderen Schluss kommen könnte.

Gemeinden fordern Schlussvermessung

Um sich abzusichern, fordern viele Gemeinden mittlerweile eine Schlussvermessung – oder lagern das Feld des Amtssachverständigen an ein Ziviltechnikerbüro aus.

„In dieser Situation ist das für eine Gemeinde sicher der richtige Weg“, so Kofler. Das Grundproblem jedoch ist nicht gelöst. Es bräuchte nämlich in der Bauordnung gewisse Spielräume, die die natürlichen Verhältnisse, die Toleranzen im Kataster und jene der Bauausführung berücksichtigen – oder die konsequente Umsetzung der jetzigen Normen. Oft sind sich Planende und Bauherren der Toleranzen, die den Grenzen innewohnen, nicht bewusst.

Sinnvoll wäre zudem, die von der Kammer der ZiviltechnikerInnen seit Jahren geforderte digitale Baueinreichung grundsätzlich einzuführen. Mit digitalen Bauverfahren entsteht für Gemeinden, für Grundeigentümer und für Ziviltechniker ein Archiv von Planunterlagen, auf das sie mit wenigen Klicks zugreifen und den bewilligten bzw. rechtmäßigen Bestand überprüfen können. Zumindest für die Zukunft wären damit Daten ­gesichert, jederzeit vergleich- und abrufbar.