Menschen auf einer Straße
Ziel der Planung sollte es sein, in bebauten Gebieten eine möglichst hohe Lebensqualität und eine Verträglichkeit der Nutzungen sicherzustellen.
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Alles zwischen den Häusern ist „Straße“

Gleich vorweg: In diesem Beitrag geht es nicht so sehr darum, was an Sensoren, Drähten oder Leitungen alles unter dem Straßenbelag oder darüber in Laternen verlegt werden müsste. Es geht vielmehr darum, die „Straße“ neu zu denken. Eine der Erfahrungen des „Corona-Zeitalters“ ist ja die, dass sowohl der private Auto- als auch der öffentliche Busverkehr in Summe abgenommen haben. Dafür sind sehr viele Leute wieder auf das Fahrrad gestiegen, nutzen Lastenräder oder gehen zu Fuß. Wenn man so will, hat eine Gegenbewegung zur Motorisierung unseres Lebens – und damit unserer Kommunen – eingesetzt oder ist verstärkt worden. Die Frage ist allerdings, ob unsere Straßen diesen geänderten Anforderungen noch gerecht werden.

Als erster Punkt ist die Frage zu klären, um welche Straßen es sich überhaupt handelt. Hier interessieren uns die Straßen im Ortsgebiet und die Erschließungsstraßen, also im Wesentlichen alles, was innerhalb der Ortstafeln liegt. Freilandstraßen oder das komplette kommunale Wegenetz mit Rad- und Güterwegen – und wir reden hier immerhin von rund 150.000 Kilometern – sind hier nicht Thema.

Vor allem innerorts gilt: Straße ist öffentlicher Raum und Ort des sozialen Lebens. Die funktionalen und technischen Aspekte von Straßen müssen soziales Leben zulassen und auch mit raumbildenden und gestalterischen Ansprüchen verbunden werden. Daher sollten Straßenplanungen grundsätzlich einen integrierten städtebaulichen Ansatz verfolgen. 

Durch integriertes Denken und Handeln können sich stufenweise Planungskonzepte ergeben, die den Straßenraum in einem größeren Zusammenhang betrachten.

Autoverkehr ist nicht mehr das Um und Auf

Chancengleichheit ist das Credo der Zeit auch für die Straße der Zukunft. Prof. Josef Michael Schopf, Leiter des Ausschusses „Verkehrsplanung und Raumnutzung im städtischen Bereich“ und stellvertretender Leiter der Arbeitsgruppe „Stadtverkehr“ in der Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr (FSV), weist im Gespräch mit KOMMUNAL darauf hin, dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat: „Früher war der Grundsatz der Motorisierung schlagend. Alles, was danach übrig blieb, war für den Fußgänger“, sagt er.

Josef Michael Schopf
Josef Michael Schopf, Leiter des Ausschusses „Verkehrsplanung und Raumnutzung im städtischen Bereich“ in der FSV: „Früher war der Grundsatz der Motorisierung schlagend. Alles, was danach übrig blieb, war für den Fußgänger.“

Zusätzlich kommen neben Fußgängern immer mehr „neue“ Benutzer ins Spiel: Waren Lastenräder früher kein Thema, sind sie derzeit stark im Kommen. Auch darauf müssen sich Ortsstraßen einstellen. „Es handelt sich“, so Professor Schopf, „um die Frage der Chancengleichheit für alle Verkehrsteilnehmer, die die Verkehrsplaner bedenken sollten.“

Es geht also primär darum, welche Nutzer sich künftig im Ort bewegen sollen. Die Frage ist, ob man den Schwerpunkt auf einen geteilten Straßenraum legt, wo sich viele verschiedene Nutzer bewegen - etwa in einer Begegnungszone -, oder ob man eine „Hochleistungsstraße“ haben will, um möglichst viele (oft bis zu 10.000) Fahrzeuge durch den Ort zu schleusen? 

Aber selbst solche Ortsdurchfahrten sind in dieser Form zu gestalten, wenn man beispielsweise nach Thalgau in Salzburg schaut. 

Im ersten Schritt sollte die Frage geklärt werden: „Was will die Gemeinde?“ Dann können gemeinsam mit Verkehrsplanern die Optionen aufgezeigt werden. Erst danach sollten die Bürgerinnen und Bürger eingebunden werden.

Verkehrssicherheit „für alle“

Das reine Verordnen von Verkehrsmaßnahmen ohne Einbeziehen der betroffenen Bürger führt meist zu viel Kritik und Unzufriedenheit. Ziel der Planung sollte es sein, in bebauten Gebieten eine möglichst hohe Lebensqualität und eine Verträglichkeit der Nutzungen sicherzustellen. Der städtebauliche Raum sowie die Umfeldnutzungen sind bei der Gestaltung des Straßenraums zu beachten. Und wichtig: Bei der Planung sind auch die Bedürfnisse von mobilitäts- und sinneseingeschränkten Personen zu berücksichtigen.

Verkehrssicherheit „für alle“ sollte oberste Prämisse sein. Dies bedeutet, dass alle Nutzer von Straßenräumen zu berücksichtigen sind. Die Ausbildung der Straße muss, unter Beachtung ihrer jeweiligen Funktion, klare Orientierung bieten und eindeutige Verhaltensregeln ermöglichen. Je nach Straßentyp und Verkehrsmenge stellt sich hierbei die Frage, ob Trennprinzip oder Mischprinzip der richtige Lösungsansatz für den Straßenraum ist.

Im Sinne integrierter Straßenraumkonzepte haben die Straßen – neben der Sicherung der Versorgungs- und Transportfunktion – große Bedeutung für den Erhalt oder die Rückgewinnung von Aufenthalts- und Lebensqualität. Sie sind Orte der Begegnung, des gemeinschaftlichen Lebens und des alltäglichen Treffens.

Der motorisierte Verkehr mit seinem Platzbedarf, insbesondere für den ruhenden Verkehr, stellt in den engen Orten häufig eine Konkurrenznutzung dar. Es sind Lösungen zu suchen, die für ausgewogenere Flächenanteile und für ein verträgliches Nebeneinander von Auto-, Rad- und Fußverkehr sorgen.

Die Straße ist für alle da! Dieser oberste Grundsatz ist in 50 Jahren Straßenverkehrsordnung (StVO) etwas in den Hintergrund getreten. „Straße ist“, so Schopf, „alles, was zwischen den Häuserfronten ist.“ Es gehe eben heute darum, wie man diesen Raum auf die einzelnen Verkehrsarten aufteilt. Wer Informationen dazu braucht, findet (beispielsweise auf den Seiten der FSV) Broschüren und Richtlinien für Fußgänger- und Radfahrverkehr ebenso wie für den Kfz-Verkehr.

Wie Straßen barrierefrei werden

Was aber wichtig sein wird, um die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen und öffentlichen Leben zu gewährleisten, ist der barrierefreie Ausbau der öffentlichen Räume. 

An vielen Stellen genügen vermutlich Bordsteinabsenkungen und ähnliche „kleinere“ Eingriffe, um dem Anspruch der Barrierefreiheit gerecht zu werden. Diese bedingt aber auch, dass Bushaltestellen so angefahren werden können, dass zwischen Bustüren und Einstiegskante nur ein sehr kleiner Spalt entsteht. Darüber hinaus darf die Einstiegshöhe zwischen Buseinstieg und Busbordstein ebenfalls nur sehr gering sein und ist durch entsprechende Bodenindikatoren zu kennzeichnen. Diese Forderungen können aber wiederum nur mit modernen Niederflurbussen mit „Kneeling-Funktion“ erreicht werden.

Bäume fassen den Straßenraum ein

Auch Grünstrukturen sind Bestandteil der Straßen. Im Bereich der Infrastrukturen sind Bäume die wichtigsten raumbildenden Grünstrukturen. Als Reihen unterstreichen sie ­beispielsweise die Verkehrsführung. Sie verdeutlichen die räumliche Zonierung und können eine optische Fassung des Straßenraums darstellen. Dadurch haben sie sowohl eine Leit- als auch eine Trennwirkung und können als optische Einengung der Fahrbahn zur Geschwindigkeitsreduzierung beitragen. 

Durch entsprechende Baumartenwahl und Anordnung im Straßenraum können Bäume die Straßenhierarchie verdeutlichen, von den Landesstraßen über die innerörtlichen Straßen bis hin zu Wohnstraßen oder -gassen.

Innerorts sind Bäume und Gehölze zudem als Schattenspender, als Klimaverbesserer und als Lebensraum wichtig. Neben diesen ökologischen Funktionen tragen sie wesentlich zum Wohlbefinden der Menschen und zur Aufenthaltsqualität im Freien bei. Schatten im Sommer und Licht im Winter ermöglichen zudem auch das Wahrnehmen des Jahreszeitenwechsels.

Aber egal, was ansteht, ausschlaggebend ist die Frage, was die Gemeinde und deren Bürgerinnen und Bürger wollen. Diese Entscheidung muss im Vordergrund sehen, ob man einen Schwerpunkt auf Lastenräder, Fußgänger oder Autos oder eine Mischung aus allen machen will. Kommen wird eine Änderung, auch wenn sie vielleicht noch eine Generation entfernt ist. Aber, wie Josef Schopf meint: „Diese Generation hat schon begonnen.“  

Straßen einst und jetzt

Straßen der 1. Generation. Die Geschichte der Straßen in Europa begann mit den ersten Saumpfaden vor etwa 3000 Jahren. Die Wege hatten eine Breite, die der des Packguts entsprach, das auf Lasttieren meist über Gebirgspässe transportiert wurde. Beispiele sind etwa der Sölkpass in den Schladminger Tauern oder das Hochjoch in den Ötztaler Alpen. 

Straßen der 2. Generation. Der systematische Straßenbau der Römer begann ab ca. 300 v. Chr. und basierte auf ihren Eroberungszügen und später auf der Verwaltung ihres Reiches. Die typische Römerstraße war mit Steinen aus Basalt oder Lava gepflastert und hat definierte Breiten und Kurvenradien. Später rückte der Reisekomfort in den Mittelpunkt: Neben den gepflasterten Straßen wurden auch Kiesstraßen gepflegt, die stoßärmeres Befahren ermöglichten.

Straßen der 3. Generation. Im Mittelalter war die Weiterentwicklung von Straßen eher bedeutungslos, erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts erfuhren die Straßen im politisch stabileren Europa eine neue Bauweise: ein Steinbett, darüber kleinere Steine und schließlich die Kiesschicht, eingefasst mit Tiefbordsteinen. Auch die Makadam-Bauweise aus Großbritannien setzte auf einen dreischichtigen Schotteraufbau.

Straßen der 4. Generation. Erst durch die Erfindung des Automobils stieg der Anspruch an das Straßennetz. Der steigende Motorisierungsgrad verhalf im 20. Jahrhundert Asphalt- und Betondecken zum Durchbruch. Seitdem hat sich der Straßenaufbau vom Prinzip her nicht geändert: Mehrere Schichten von gebrochenen Steinen werden durch ein Bindemittel (früher Teer, heute Bitumen) zusammengehalten. Die oberste Schicht wird besonders verdichtet und geglättet.

Straßen der 5. Generation. Um die Zukunftsfähigkeit von Straßen sicherzustellen, wird zunehmend daran geforscht, sie mit neuen Features auszustatten, um den geänderten Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht zu werden. Die Straßen der Zukunft sind nicht nur sichere Verkehrswege, sondern auch ressourcen- und energiesparend, digital vernetzt und informativ und werden manchmal auch zur Energiegewinnung genutzt.

Straßen planen und gestalten

Hilfreiche Leitfäden für Gemeinden sind die Broschüren „Gestaltung öffentlicher Räume in Siedlungsgebieten“ und (frisch überarbeitet) „Planung und Entwurf von Innerortsstraßen“ der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr (FSV). Vor allem bei der zweiten Broschüre wird der Berücksichtigung von nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern bei meist gleichbleibendem Platzangebot für den Straßenraum mehr Raum geboten.