„Dann beginnt der Zores, dann steigt bei den Nachbarn die Zornesröte ins Gesicht.“ Gertrude Brinek über zu lange hinausgezögerte Bau-Entscheidungen und die Gefahren, wenn ohne Bewilligung gebaut wird.

„Wir sind das Gewissen der öffentlichen Verwaltung“

Die Volksanwaltschaft gehört seit ihrer Gründung vor 40 Jahren zu den obersten Behörden der Republik. Ein Teil ihrer Aufgabe ist es, öffentliche Verwaltungen bei Beschwerden unter die Lupe zu nehmen. Gertrude Brinek, Volksanwältin seit 2008, im KOMMUNAL-Gespräch.





Wie verstehen Sie Ihre Aufgabe als eine der obersten Behörden des Staates?



Gertrude Brinek: Vor 40 Jahren wurde die Volksanwaltschaft gegründet, weil man in unserem Demokratieverständnis wollte, dass die Menschen mit der Verwaltung auf Augenhöhe kommunizieren sollten. Was bis damals nicht der Fall war. In der Zwischenzeit hat sich vieles gebessert, aber immer noch suchen viele Menschen um Hilfe an. Man kann aber sagen, dass die Verwaltung sicher besser und bürgerfreundlicher geworden ist, andererseits sind 19.000 Beschwerden jährlich nicht gerade wenig. Und diese Zahl ist die letzten Jahre kontinuierlich annähernd gleich hoch.



Im Grund handelt die Volksanwaltschaft wie ein Mediator?



Stimmt insofern, als wir keine Gratis-Rechtsanwälte sind, sondern an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Unsere Einrichtung war als Anlaufstelle für das Volk, als „Anwalt für das Volk“ gedacht, ein Journalist ist damals auf die Bezeichnung „Volksanwalt“ gekommen. Die Beschwerden werden ja auch sozusagen lebensgeschichtlich dargestellt und nicht rechtlich verbindlich. Das klingt dann wie „Mein Nachbar hat …“ oder „Der Bürgermeister, der hat nicht …“, so in der Art. Wir destillieren dann heraus, was der Kern der Sache ist.



Also nicht nur Mediator, sondern auch sozusagen „Gewissen der Verwaltungen“ in Österreich?



So kann man das schon sagen, ja. Wir sind es, die den öffentlichen Verwaltungen sagen, dass sie sich „bessern sollen“. In etwa 14 bis 15 Prozent der rund 9000 Fälle im Jahr, die wir uns anschauen, kommt es zu Anstößen oder Anregungen durch uns. Und oft ist die betroffene Behörde froh, dass wir für sie diesen Spiegel darstellen und ihr die Stimmung oder eine Wahrnehmung aus der Bevölkerung widergeben. Im Umkehrschluss kann man sagen, dass in 85 Prozent der Fälle die Behörden völlig korrekt arbeiten.



In manchen Ländern gelten unsere Prüfungen fast schon so wie ein Prüfsiegel. Dort heißt es dann, die Volksanwaltschaft hat geprüft – und es passt alles.



Aber im ersten Schritt setzt sich die Volksanwaltschaft mit der Gemeinde oder der betroffenen BH in Verbindung?



Ja, das ist der erste Schritt. Dann nimmt die Behörde Stellung dazu. Manchmal kommen die Bürgermeister auch zu unseren Sprechtagen mit und meinen, dass sie dabei sein wollen, wenn ich „der Frau Maier erkläre, dass es da jetzt aus ist, dass er als Bürgermeister nichts mehr machen kann“. Die „Frau Maier“ akzeptiert unsere Entscheidung so auch eher, als wenn wir einen Brief schicken. Mit dem geht sie ja dann doch wieder zum Bürgermeister.



Schreiben der Volksanwaltschaft an Behörden lassen halt immer „die Glocken schrillen“, wenn ich das so sagen darf.



Das Gewissen meldet sich.



(lacht) … Ja, im Namen der Bürgerinnen und Bürger sind wir schon ein bisschen das Gewissen der Verwaltung, der Behörden.



Was sind denn so die meisten Themen, mit denen Sie zu tun haben?



Bei den Gemeinden dreht sich ein sehr großer Teil der Fälle um Bauangelegenheiten. Das hat den Grund, dass die Menschen komfortabler leben wollen, in größeren Häusern wohnen wollen. Ungebrochen ist auch der Wunsch der Menschen nach dem Eigenheim oder dem Häuschen im Grünen.



Spielen bei den Überlegungen der Volksanwaltschaft eigentlich auch Themen wie Bodenversiegelung oder Bodenverbrauch eine Rolle?



Massiv! Und zwar auch von Seiten der Beschwerden. Es geht da ja nicht nur um den Bodenverbrauch, sondern auch um die zugehörige Infrastruktur, die von den Menschen erwartet wird. Wenn dann aber „schon wieder eine Abgabe kommt“, führt das schnell zu Unfrieden.



Gibt’s die viel gerühmte Handschlagsqualität in der Verwaltung eigentlich noch?



Das weiß ich nicht, aber ich rate immer davon ab! Und zwar beiden Seiten. Es passiert so schnell, dass der Bürgermeister wechselt oder der Sohn als Erbe eine andere Meinung hat als der Vater, der in Treu und Glauben etwas ausgemacht hat. Eine schriftliche Vereinbarung bietet für beide Seiten Sicherheit. Ich sage das auch immer den Behörden oder den Gemeinden: Bitte antwortet am besten immer bescheidmäßig. Dann können die Leute berufen – oder auch nicht. Vor allem langfristige Zusagen halten meist nicht, weil sich das Gesetz ändert oder generell die Voraussetzungen – und da kann auch der Bürgermeister nichts machen! Vage Versprechungen bringen generell nichts.

Das ist ein bisschen auch Demokratieerziehung, solch wichtige behördliche Entscheidungen schriftlich zu machen. Darum nochmal: Alles schriftlich vereinbaren.



Sind da jetzt nur Gemeinden angesprochen?



Natürlich nicht, von den Gemeinden aufwärts die gesamte übergeordnete Hierarchie. Über die Bezirkshauptmannschaften bis zu Landesverwaltungen. Und eines muss klar sein: Wenn es einmal gerichtlich entschieden ist, ist es aus, dann kann niemand mehr helfen. Das ist für manche nur schwer einzusehen, für andere dafür ein Segen.



Das wurde mit Österreichs Beitritt zur EU immer wieder im Zusammenhang mit internationalen Gerichts- und Demokratiestandards kritisiert, dass in Österreich zu viele Entscheidungen nicht gerichtlich getroffen wurden, sondern nur behördlich. Da gab es einen gewissen Druck, dass Landes- und Bundesverwaltungsgerichtshöfe eingerichtet werden. Und das wurde zuerst auch gefeiert, auch wenn es jetzt Kritik an Entscheidungen wie die berühmte dritte Piste von Schwechat gibt.



Kann sich beispielsweise ein Bürgermeister, dem etwas vom Land oder einer BH versprochen wurde, beim Volksanwalt beschweren?



Natürlich kann er das. Aber da ist davon auszugehen, dass es sich um eine sogenannte „Verwendungszusage“ gehandelt hat, und keine „Erfolgszusage“. Dass sich der Landesbeamte „für etwas einsetzen“ wird. Mehr aber nicht.



So wie ich das verstehe, sind in Ihren Fällen die Gemeinden eher die Beschuldigten?



Ich würde lieber sagen, die Herausgeforderten. Wenn sich jemand beschwert, muss die Gemeinde Stellung nehmen. Oft kommen Beschwerden, dass bei einem Baubewilligungsverfahren, wo schon ein Ortsaugenschein stattgefunden hat, man monatelang nichts mehr hört. Da gibt es aber ganz klare gesetzliche Fristen, innerhalb derer entschieden werden muss. Die mangelnde Zügigkeit der Entscheidung wird oft beklagt.



Wenn das nämlich zu lange dauert, fangen die Leute zu bauen an – und oft genug nicht entsprechend dem Plan. Dann beginnt der Zores, dann steigt bei den Nachbarn die Zornesröte ins Gesicht. Und dann sitzen die Leute da und weinen, weil das fertige Haus zu hoch ist oder zu breit und wieder abgebrochen oder rückgebaut werden muss. Da gehen Existenzen verloren.

Und ich kann den Bürgermeister nicht mal um eine Nachsichtsbewilligung bitten, weil ich in 99 Prozent der Fällen sage: „Sei streng! Halte dich ans Gesetz!“ Gerade die Bürgermeister müssen da extrem aufpassen, weil sofort der Vorwurf der Freunderlwirtschaft im Raum steht.



Die Volksanwaltschaft ist seit dem 1. Juli 2012 auch für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in der Republik Österreich zuständig. Gibt es hier Fälle mit kommunalem Bezug?



Aber ja. Weil Gemeinden auch Pflegeheime, Altenheime und Jugendeinrichtungen führen. Österreich hat ein UN-Zusatzprotokoll unterschrieben, in dem wir uns verpflichten, die Menschenrechte und Menschenwürde in jenen Einrichtungen einzuhalten, wo Menschen sich nicht selbstständig bewegen können, wo sie angehalten werden oder werden können. Das ist klassischerweise im Gefängnis, bei der Polizei, aber auch in der Psychiatrie, in bestimmten Abteilungen der Krankenhäuser, in Pflegeheimen. Die Bewegungsfreiheit meint hier nicht nur die körperliche Verfassung, sondern diese Einrichtungen sind meistens mit einem Tor geschlossen.



Wie sieht es in dem Zusammenhang mit dem jüngst heftig diskutierten Rauchverbot in Gefängnissen aus? Ist das Recht auf eine Zigarette auch ein Menschenrecht?



Das stößt ein Recht an ein anderes. Ein Menschenrecht ist es jedenfalls nicht, weil Anliegen der Suchtprävention und Gesundheitsbedenken anderer mit hineinspielen. Aber unser Entscheidungsfindungsprozess läuft hier noch, wir haben zwei Psychiater, einen Rechtsanwalt, drei Jus-Professoren hinzugezogen, mit denen wir Volksanwälte entscheiden werden, wenn der Prozess soweit ist.



Letzte Frage: Hat die Volksanwaltschaft ihre TV-Sendung noch, in der Fälle besprochen werden?



Natürlich gibt’s die noch! Sie heißt jetzt Bürger-anwalt, Peter Resetarits leitet sie immer noch, und wir haben immer noch eine sehr hohe Zuseherzahl. Mein Appell speziell an Bürgermeisterinnen und Bürgermeister: Kommt in die Sendung! Meistens endet das in guten Nachrichten. Oft gibt es gute Gründe, zu sagen, warum Gemeinden einem Wunsch nicht nachkommen können oder etwas nicht gebaut werden kann. Die Bürgermeister können in der Sendung auch erklären, wer oder warum eine Entscheidung getroffen wurde und was mit ihrem Amt alles zusammenhängt.



In der Sendung können auch Erfolgsmeldungen präsentiert werden. Unlängst ist die neue Bürgermeisterin von Sieghartskirchen gekommen – da ging‘s um einen barrierefreien Zugang zum Gemeindeamt und zum Friedhof – und sie konnte ihre Erfolgsbilanz vorstellen. Das gehört auch dazu.

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