Mehr Gehör für Gemeinden fördert EU-Akzeptanz
Der Österreichische Gemeindebund und der Deutsche Städte- und Gemeindebund vertreten mittelbar über 13.000 Kommunen in Deutschland und Österreich. Dabei handelt es sich sowohl um kleine Gemeinden im ländlichen Raum als auch um die für Europa typischen Klein- und Mittelstädte.
Österreichischer Gemeindebund und Deutscher Städte- und Gemeindebund arbeiten in europäischen Angelegenheiten seit über 20 Jahren eng zusammen. Bekräftigt wurde dieses Bekenntnis zur gemeinsamen Interessenswahrnehmung durch eine Partnerschaftsvereinbarung, unterzeichnet am 1. Oktober 2003 in Leipzig.
Beide Verbände sind anerkannte kommunale Stimmen in Brüssel und Straßburg. Wir suchen das Gespräch mit Brüsseler Entscheidungsträgern, pflegen den Austausch mit unseren gewählten Vertretern und bringen uns aktiv in den EU-Gesetzgebungsprozess ein. Obwohl wir an kleinen Schrauben drehen, können wir regelmäßig Erfolge verbuchen, indem kommunale Vorschläge und Praxistauglichkeit im Gesetzgebungsprozess berücksichtigt werden.
Dennoch zeigen die letzten Jahre, dass die kommunale Ebene in der Brüsseler Wahrnehmung, insbesondere bei Fit for 55 und Green Deal, einen schweren Stand hat. In den sehr emotional geführten Debatten, die von Nichtregierungsorganisationen getrieben werden, finden Bedenken aus Städten und Gemeinden und auf örtlichen best-practices oder kommunalen Benchmarks beruhende Vorschläge viel zu wenig Gehör.
Wie aktuell an den Medienberichten zur EU-Gebäuderichtlinie zu sehen, beginnt die eigentliche, gesamtgesellschaftliche Debatte jedoch erst nach Beschlussfassung in Brüssel und Straßburg. Wenn Systemänderungen weite Teile der Gesellschaft betreffen und Bürger diese finanziell mittragen müssen, muss mehr auf gewählte Vertreter aus den Kommunen gehört werden. Andernfalls riskiert die Europäische Union bei den nächsten Europawahlen ein Auseinanderdriften in zwei extreme Lager.
Politik mit Augenmaß
Der Wohlstand in der Europäischen Union beruht auf den Erfolgen des Binnenmarkts, auf einer funktionierenden Daseinsvorsorge und einem solidarischen Gesellschaftsmodell. Die Kommunen tragen viel zur Wahrung dieses Wohlstands bei und erkennen als Erste, wenn sich Risse auftun.
Eine Krise kann nicht gegen die andere aufgewogen werden. Den multiplen Herausforderungen der Gegenwart ist nur mit verantwortungsvoller und ganzheitlicher Politikgestaltung zu begegnen. Der Klimawandel muss zwar wirksam bekämpft werden, doch dürfen die beschlossenen Maßnahmen weder die Teuerungskrise verschärfen noch eine Versorgungskrise auslösen. Die bereits unter Druck befindlichen kommunalen Haushalte können nicht unter allen Umständen eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung von EU-Vorgaben einnehmen.
Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung und zu einer zukunftsorientierten Politik. Jedoch erwarten wir von den europäischen Institutionen, dass diese ihre Hausaufgaben machen und Gesetzgebung so gestalten, dass sie präzise und umsetzbar ist. Gerade bei der derzeit beliebten Rechtsform der Verordnung dürfen keine unklaren oder vagen Begriffe benutzt werden.
Die Gemeinden können sich nicht auf informelle Zusagen verlassen, wonach es bei der Umsetzung Spielräume gäbe, wenn dies aus dem Gesetzestext nicht deutlich hervorgeht. Die Europäische Union muss nicht nur ambitioniert, sondern auch realistisch sein, EntscheidungsträgerInnen müssen die Vielfalt vor Ort besser verstehen und berücksichtigen und auch selbst über den Tellerrand blicken.
In diesem Sinne fordert der Gemeinsame Europatag von der EU-Kommission bessere, politikbereichsübergreifende Folgenabschätzungen sowie regelmäßige Gespräche zwischen europäischen Institutionen und Kommunalverbänden.
Politik für Stadt und Land
Die kommunale Landschaft Europas ist so vielfältig wie Europa selbst. Was sie eint, ist die Zuständigkeit von Städten und Gemeinden für die Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse.
Diese Dienstleistungen werden in weiten Teilen durch EU-Gesetzgebung geprägt, etwa durch die Trinkwasserrichtlinie, die kommunale Abwasserrichtlinie, die Abfall- bzw. Kreislaufwirtschaftsrichtlinien, die Beihilfenordnungen uvm. Im Gesetzgebungsprozess ist darauf zu achten, auch kleinere Strukturen und örtliche Lösungen zu respektieren. Metropolen, Stadtwerke und Großbanken können als Referenz oder best-practice Modelle herangezogen werden, es muss jedoch immer ausreichend Flexibilität bestehen, um gut funktionierende kleine Strukturen zu schützen.
In diesem Sinne fordert der Gemeinsame Europatag, die Umsetzung der Vision für den ländlichen Raum, des darin verankerten Rural Proofings von EU-Gesetzesvorschlägen und eine Rückbesinnung auf das Instrument der Rahmenrichtlinie, welche zwar Ziele vorgibt, die konkrete Umsetzung aber den Mitgliedstaaten überlässt.
Politik für die Bürger
Die Kommunen sind die Orte, wo die Menschen leben. Wo es einen direkten Diskurs mit BürgermeisterInnen und GemeinderätInnen gibt und wo vieles ungefiltert ausgesprochen wird.
Der Gemeinsame Europatag stellt fest, dass die Europäische Union in unseren Städten und Gemeinden grundsätzlich positiv besetzt ist, auch wenn sie selten im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Insbesondere jüngere Mitbürger sehen sich als Europäer und nützen die Möglichkeiten, die sich ihnen im Rahmen der EU bieten. Viele Gemeinden pflegen Partnerschaften mit anderen europäischen Kommunen. Bürger lernen einander kennen, schließen Freundschaften und erhalten Einblick in das ganz normale Leben in anderen Gemeinden. Diese direkten Erfahrungen erweisen sich als wirksames Mittel gegen Europaskepsis.
Der Gemeinsame Europatag fordert daher einen Ausbau dieser niederschwelligen Begegnungsmöglichkeiten durch eine Aufstockung der Gemeindepartnerschaftsförderung im Rahmen von CERV. Überdies möchten wir anregen, dass jeder EU-Kommissar zumindest einmal an einer solchen Begegnung teilnimmt und dadurch ein bottom-up Programm jenseits der Metropolen erlebt.
Politik im Geiste der Solidarität
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs bekennen sich der Österreichische Gemeindebund und der Deutsche Städte- und Gemeindebund klar zu einer umfassenden Unterstützung der ukrainischen Kommunen.
In unseren Städten und Gemeinden gibt es große Hilfsbereitschaft bei der Organisation von Hilfsgütern und der Aufnahme von Vertriebenen. Gleichzeitig stehen die kommunalen Spitzenverbände der Ukraine mit Know-how und Wissensaustausch zur Verfügung, unterstützen bei der Suche nach Städtepartnerschaften und konnten eine Vielzahl an Sachspenden generieren.
Das kommunale Engagement für die Ukraine soll ungehindert fortgeführt werden, auch im Rahmen zukünftiger Maßnahmen des Wiederaufbaus. Der Fokus liegt auf den Bedürfnissen der Kommunen, der Sicherung der Daseinsvorsorge und der Reaktivierung wirtschaftlicher Tätigkeit. Um diese Bemühungen zu unterstützen, fordert der Gemeinsame Europatag die Einrichtung eines kommunalen Finanzierungsfonds der Europäischen Union. Mithilfe eines derartigen Fonds ließen sich Hilfs- und Aufbauprojekte im Rahmen von Städtepartnerschaften oder regionale Wirtschaftskooperationen kofinanzieren und die Union würde einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität in der gesamten Ukraine leisten.