Friedrichstadt
Der norddeutsche Kreis Nordfriesland im Bundesland Schleswig-Holstein ist eine der ländlichsten Regionen des Landes. Der „Förderdschungel“ macht besonders kleinen, ländlichen Gemeinden zu schaffen.
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Ungleiches Paar

Friesische Kommunen arbeiten mit Softwareentwicklern aus Irakisch-Kurdistan zusammen

20. Januar 2023
Der Kreis Nordfriesland im Bundesland Schleswig-Holstein ist eine der ländlichsten Regionen Deutschlands. Er umfasst elf kleine Bezirke, von denen die meisten nur aus einer Handvoll Kleinstädte, Dörfer und kleinen Ortschaften bestehen. Angesichts ihrer geringen Größe sind die ländlichen nordfriesischen Gemeinden gezwungen, die meisten öffentlichen Projekte mit Fremdmitteln zu finanzieren. Der jährliche Gemeindehaushalt reicht schlichtweg nicht aus, um alle Bedarfe und Wünsche an neuen Einrichtungen wie Spielplätze und Radwege zu finanzieren. Die meisten kommunalen Ämter, darunter auch dasjenige des Bürgermeisters, werden von ehrenamtlichen Helfern neben ihrem eigentlichen Beruf ausgeübt.

Wie Melanie Boieck von der Stabsstelle Förderscouting der nordfriesischen Gemeinden erklärt, muss sich eine Gemeinde in den „Förderdschungel“ begeben, wenn sie solche Projekte finanzieren will.

Theoretisch gibt es eine Vielzahl von staatlichen, nationalen, EU- und anderen Förderprogrammen, die für die Finanzierung von Gemeinschaftsprojekten in Anspruch genommen werden können. Sie alle unterscheiden sich jedoch in der Art und dem Umfang der förderfähigen Projekte sowie durch variierende, oftmals sehr komplexe Einschränkungen und Auflagen. Auch das Antragsverfahren ist nicht immer eindeutig.

Boieck beklagt etwa die Tatsache, dass diese Programme bis zu 20 Seiten Rechtssprache umfassen können, durch die sich ehrenamtliche Kommunalvertreter und hauptamtlich Beschäftigte hindurcharbeiten müssen, um herauszufinden, ob sie eine Fördermöglichkeit für ein bestimmtes Projekt akquirieren können.

Ein digitaler Weg durch den Förderdschungel

Eine digitale Wissensplattform soll nun helfen, den passenden Weg durch den Förderdschungel zu bahnen, durch den sich die 133 nordfriesischen Gemeinden mit Unterstützung ihres Amts bzw. der Stadtverwaltungen regelmäßig schlagen müssen.

Auf der Online-Plattform werden Kurzbeschreibungen mit den wichtigsten Details der verschiedenen Förderprogramme zu finden sein. Auf diese Weise soll es den Gemeindevertretern erleichtert werden, sich einen schnellen Überblick über die für ihre Projekte infrage kommenden Förderprogramme zu verschaffen.

Außerdem soll die Plattform die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch zwischen den einzelnen Gemeinden erleichtern. Jeder, der das Antragsverfahren für ein bestimmtes Programm bereits durchlaufen hat, kann Notizen, Ratschläge und detaillierte Checklisten für die Nachfolger hinterlegen. Gemeinden mit ähnlichen Projekten haben auch die Möglichkeit zu kooperieren und sich die Vorarbeit für ihre individuellen Anträge zu teilen oder Ratschläge auszutauschen. Gegebenenfalls könnten sogar gemeinsame Anträge gestellt werden, z. B. für einen Radweg, der Dörfer miteinander verbindet.

Gelder für Förderscouting-Plattform mussten beschafft werden

Wie bei jeder digitalen Plattform bestand das Ziel der Stabsstelle Förderscouting darin, komplexe Verfahren zu vereinfachen, den Zeitaufwand zu verringern und das Gesamtergebnis zu verbessern – und letztendlich mehr erfolgreiche Förderanträge für Projekte der lokalen Infrastruktur zu ermöglichen. Allerdings ging es zunächst darum, die Mittel für die Förderscouting-Plattform selbst zu beschaffen, damit sie überhaupt in die Praxis umgesetzt werden konnte.

Unter der Leitung von Hauke Klünder konnte die Finanzierung schließlich durch ein Programm der Bundesregierung gesichert werden. Diese Gelder ermöglichten es dann, Melanie Boieck als Projektleiterin für das Förderscouting-Projekt einzustellen.

Die nächste Hürde war die Auswahl eines geeigneten Softwareentwicklungsunternehmens, dem man nicht nur zutraute, ein hochwertiges Endprodukt zu liefern, sondern das auch in der Lage war, dies innerhalb des begrenzten Budgets zu tun.

Die positive Seite der Globalisierung

Dieser Prozess führte Melanie Boieck schließlich zu Krusche & Company (K&C), einem in München ansässigen IT-Outsourcing-Unternehmen mit neu eröffnetem Büro und Team in der irakisch-kurdischen Universitätsstadt Sulaimaniyya.

Dank der kostengünstigen Konditionen dieses neuen Standorts konnte die Förderscouting-Plattform innerhalb des ohnehin knappen Budgets erfolgreich umgesetzt werden.

Trotz der großen Entfernung von mehr als 4.500 Kilometer betrug die Zeitverschiebung nur zwei Stunden, was die Kommunikation tagsüber sehr angenehm machte.

Hatte Melanie Boieck Bedenken, ein Team von Softwareentwicklern an einem so ungewöhnlichen Ort unter Vertrag zu nehmen?

Da sie bereits in der Vergangenheit mit internationalen Teams an IT-Projekten gearbeitet hatte, bestand ihre einzige Sorge darin, ob die Englischkenntnisse des Teams eine ausreichende Kommunikation zulassen würden. Aber ihr wurde versichert, dass jemand aus Deutschland einspringen würde, um bei eventuellen Kommunikationsproblemen oder anderen Schwierigkeiten zu vermitteln. Also beschloss sie, den Schritt zu wagen.

Letztendlich traten keinerlei derartige Probleme auf. Die Kommunikation wurde während des gesamten Projekts von Dima geleitet, einem ukrainischen Delivery Manager mit indischem Wohnsitz, und war nicht nur effektiv, sondern bereitete laut Melanie Boieck auch großen Spaß.

Persönliche Kontakte bereichern

Neben den regelmäßig stattfindenden organisatorischen und technischen Besprechungen, die per Videokonferenz abgehalten wurden, lernten einander die beiden Seiten des Teams in Viöl und Sulaimaniyya auch persönlich kennen.

Die Deutschen waren fasziniert davon, mehr über die Geschichte, Politik und Kultur des irakischen Kurdistans sowie über die Lebensweise in Sulaimaniyya zu erfahren. Genauso interessant war es, die Hintergründe und Ambitionen des jungen Teams kennenzulernen, das die Förderscouting-Plattform mit den neuesten technischen Möglichkeiten entwickelte.

Moschee in Sulaimaniyya
Mit mehr als 1,6 Millionen Einwohnern ist Sulaimaniyya nach der Hauptstadt Erbil die zweitgrößte Stadt des Autonomen Kurdistan im Irak. Foto: ali hussein/Pixabay 

Dabei handelte es sich um Technologien, die sie sich zu eigen machten, obwohl die meisten von ihnen erst als Jugendliche zum ersten Mal mit dem Internet in Berührung kamen. Und das auch nicht zu Hause, wie es in Westeuropa auch schon vor einem Jahrzehnt selbstverständlich war, sondern in kleinen LAN-Clubs, in denen sich junge Menschen zum Spielen von Videogames auf alten Computern treffen und so ihre ersten Erfahrungen in der Online-Welt sammeln.

Die jungen irakischen Kurden ihrerseits waren begeistert davon, mit internationalen Partnern zusammenzuarbeiten und die Gründe sowie Ziele der Plattform kennenzulernen. Sie legten Wert darauf, genau zu verstehen, was das Förderscouting erreichen sollte, um das bestmögliche Produkt entwerfen und realisieren zu können. Gleichzeitig erhielten sie einen Einblick in die bisweilen frustrierend komplexe Bürokratiewelt Deutschlands. Sie waren besonders überrascht von der Länge und Häufigkeit der deutschen Feiertage, die bei der Planung von Online-Konferenzen während des gesamten Entwicklungsprozesses berücksichtigt werden mussten!

Ein Endprodukt, von dem zwei tausende Kilometer entfernte Gemeinden profitieren

Das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Nordfriesland und dem weit entfernten Sulaimaniyya in den Bergen des irakischen Kurdistans war schließlich der Launch der Förderscouting-Plattform. Diese erleichtert nun den Vertretern aller Gemeinden die Beantragung von Fördermitteln.

Darüber hinaus prüft Melanie Boieck bereits, wie der Zugang zur Plattform auf regionaler, landesweiter und möglicherweise sogar auf nationaler Ebene erweitert werden kann.

Screenshot für Förderscouting-Plattform
Auf der Online-Plattform werden Kurzbeschreibungen mit den wichtigsten Details der verschiedenen Förderprogramme zu finden sein. Bild: www.foerderscouting-plattform.de

Die notwendigen Fördermittel zu sichern, um die Förderscouting-Plattform und all ihre Vorteile einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, sollte nun zumindest einfacher sein! Das Team in Sulaimaniyya unterstützt die Plattform auch weiterhin und sorgt für einen reibungslosen Betrieb. Voraussichtlich wird es auch bald dafür verantwortlich sein, das Förderscouting zum Nutzen vieler weiterer Kommunen und Ämter zu erweitern, die mit dem gleichen Förderdschungel konfrontiert sind wie zuvor Viöl und seine Nachbarn.