Eine Stadt, wo „Gemeinde“ mit Freude gelebt wird
Stefan Schmid ist sowohl mit seinem Alter von 41 Jahren ein junger Bürgermeister als auch nach seinem Dienstalter. Im Jänner 2019 übernahm der damalige Vizebürgermeister den „Chefsessel“ von Österreichs kleinster Weinstadt (zur Stadt erhoben wurde Schrattenthal 1472 von Kaiser Friedrich III.) und wurde 2020 bei den Wahlen nicht nur bestätigt, sondern legte sogar zu. Mit 11:4 hat der hauptberuflich als stellvertretender Kabinettschef von Bildungsminister Martin Polaschek tätige Schmid eine bequeme Mehrheit im Gemeinderat.
Das Gemeindegebiet nahe der tschechischen Grenze umfasst die drei Katastralgemeinden Obermarkersdorf mit Breitenmühle und Rosenau, Schrattenthal und Waitzendorf, in Summe gibt es rund 900 Hauptwohnsitzer.
Freiwilliger Zusammenschluss vor 50 Jahren
Vor rund 50 Jahren wurden die drei Gemeinden im Zuge der großen niederösterreichischen Strukturreform zusammengelegt, aber „nicht auf Befehl von oben“, wie Schmid betont. „Unsere damaligen Gemeindevertreter sind pragmatisch an die Sache herangegangenen und haben nicht gewartet, bis von oben entschieden wurde, welche Gemeinde wohin kommt, sondern sind zum Land und haben gesagt: ,Wir drei wollen zusammen.‘ Im Grunde wollte keiner zu Retz gehören, glaube ich.“ Retz ist mit knapp 4.300 Einwohnern ein Hauptort im Bezirk nahe der tschechischen Grenze – die kleinen Gemeinden fürchteten den Verlust des Mitspracherechts gegen die „übermächtige“ Stadt.
Des Bürgermeisters Vorteil beim Zusammenwachsen: Rund 50 Jahre nach der Zusammenlegung der drei Ortschaften wächst das Ganze jetzt gut zusammen, wie Schmid berichtet. Er habe den Vorteil, dass seine Mutter aus Schrattenthal stammt, der Vater aus Obermarkersdorf und „ich in Waitzendorf jede Menge Verwandtschaft habe“. Mittlerweile funktioniert die Zusammenführung und vor allem die Zusammenarbeit der drei Gemeinden wirklich gut, nachdem es anfangs schwierig war.
„Die drei Katastralgemeinden haben nie ganz zusammengefunden – schon der Schulsprengel teilt die Stadt: Es gab einen Kindergarten für die Obermarkersdorfer und einen für die Waitzendorfer und Schrattenthaler Kinder in Schrattenthal. Und danach geht man als Obermarkersdorfer nach Retz in die Schule, als Schrattenthaler oder Waitzendorfer aber nach Pulkau.“
Gemeinsamer Kindergarten als Symbol für den Zusammenschluss
Symbol für das Zusammenwachsen war der Beschluss vor drei Jahren, den Kindergarten neu zu bauen und die beiden eigenständigen Einrichtungen zusammenzulegen. „An der Frage, wo der neue Kindergarten sein soll, ist das nämlich praktisch jahrzehntelang gescheitert“, wie Schmid erzählt.
„Vor allem der Reibungsverlust, den wir uns ersparen, ist bemerkenswert. Und was wir an Effizienz hereinholen, können wir wieder in die oder für die Stadt investieren“, so Schmid. „Der zentrale neue Kindergarten ist in Schrattenthal: Dadurch ist das Personal gepoolt, wir können den Kindern viel mehr anbieten, auch die Öffnungszeiten sind angepasst. Viele Eltern pendeln ja mit dem Zug nach Wien, der nächste Bahnhof ist aber rund fünf Kilometer weg, daher müssen die Öffnungszeiten abgestimmt werden.“
Betreut werden rund 40 Kinder ab zwei Jahren in zwei Gruppen. Für die Kinder unter zwei Jahren gibt es Tagesbetreuungeinheiten in Pulkau und Retz, die Kosten dafür übernimmt die Gemeinde.
In Niederösterreich zahlt ja die Gemeinde nur die Helferinnen und Helfer und erhält den Kindergarten, das pädagogische Personal ist beim Land angestellt. Schmid: „Bei uns ist das Personal ein echtes Glück, die sind alle total engagiert. Ich kann da auch als Papa mitreden. Dieses Engagement ist fast so, als ob die das für ihr eigenes Unternehmen machen. Für mich als Bürgermeister toll, aber auch mit einem weinenden Auge, weil Verhandlungen viel härter sind. Wenn die was wollen, lassen sie nicht locker. Aber sie geben auch mehr als üblich dafür.“
Jedenfalls ist Schmid überzeugt, dass der Kindergarten ein Faktor ist, warum Familien nicht nur dableiben, sondern (wieder) herziehen. Den Turnaround hat Schrattenthal vor rund fünf Jahren geschafft. Davor war die Bevölkerungszahl immer geschrumpft, seit fünf Jahren „oder so“ ist sie von rund 850 auf rund 900 gestiegen.
Und die Besonderheiten gehen weiter: Das Gemeindeamt – eigentlich Stadtamt – von Schrattenthal ist für eine kleine Stadt sehr groß, „eigentlich überdimensioniert. Und es liegt nicht in Schrattenthal, sondern in Obermarkersdorf.“
Gemeinde kümmerte sich ums Wirtshaus
Aus dem alten Kindergarten, der an dieses große Rathaus angebaut war, wurde – „das wurde vor zwei Jahren gleich mitbeschlossen“ – das „Franz Joseph Wirtshaus“ gemacht. Der Name kommt daher, dass das Rathaus, eigentlich der Garten des Kindergartens, direkt an den zentralen Platz in Obermarkersdorf grenzt – den Kaiserplatz mit Kaiserbüste.
„Wie in vielen Gemeinden gab es in Obermarkersdorf kein Wirtshaus mehr, und daher haben wir einen Wirt/Pächter schon vor dem Umbau ausgeschrieben. Es gab ein Konzept und eine Vorstudie, erst dann wurde ausgeschrieben mit den Spezifikationen, was wir uns vorstellen. Also ein eher traditionelles Wirtshaus, der Rathaussaal soll mitbespielt werden bei Veranstaltungen. „Wir hatten dann noch mal Massel, denn bei den Bewerbungen hat sich ein Obermarkersdorfer, der im ,Rassmushof‘ in Kitzbühel war, beworben. Mittlerweile hat der Wirt ein junges Team, der Chef selbst ist ja erst 27, praktisch alle sind unter 30 Jahre alt.“
Damit hat das Ganze, so Schmid, eine eigene Dynamik bekommen: So ist jeden Donnerstag ein Damen-Stammtisch, wo sich Frauen von 20 bis 70 treffen – und zwar aus Eigeninitiative. Auch nach jeder Gemeinderats- und nach jeder Ausschusssitzung trifft man sich im Wirtshaus – „mittlerweile müssen wir aber anrufen, ob zu Mittag überhaupt noch ein Platzerl frei ist“, lacht Schmid. Zudem kommt das meiste aus der Region, „darauf wird sehr geachtet“.
Wichtig ist, sofort einen Nachnutzer zu finden, denn wenn ein Lokal einmal eine Zeit leer steht, wird es nichts mehr. Das Lokal hat nun seit mehr als einem Jahr offen und ist auf dem besten Weg, sich zu einem Flagship-Store zu entwickeln, der bald viele Filialen bekommt.
Feuerwehren sind auch so ein Thema. Natürlich gibt es in jeder Katastralgemeinde eine. „In den vergangenen zwei Jahren hat die Gemeinde je ein neues Auto für die FF Schrattenthal und die FF Waitzendorf mitfinanziert und „alle drei Feuerwehrhäuser wurden vornehmlich durch die Feuerwehren selbst renoviert. Die arbeiten auch stark zusammen, haben sogar eine gemeinsame Wettkampfgruppe, wo die Erlöse an die Kinderkrebshilfe oder sonst eine karitative Einrichtung gehen.“ Feuerwehrfeste gebe es dreimal und kein Problem mit dem Wirt, da gebe es ein gutes Nebeneinander. „Voriges Jahr hat sich der Musikerkirtag der Feuerwehrmusikkapelle Obermarkersdorf Mitte August am Kaiserplatz mit dem Betriebsurlaub vom Wirtshaus überschnitten. Das hat für beide Seiten gut gepasst“, erzählt Schmid.
Im Retzer Land setzt man aufs Rad
Bermudadreieck, Radwege, Weinstöcke, Kürbisfest und die „längste private Stadtmauer“ Österreichs.
„Obermarkersdorf, Waitzendorf und Schrattenthal ist ein Bermudadreieck mit rund einem Kilometer Seitenlänge, bei uns ist alles bequem mit dem Rad erreichbar. Und das Retzer Land liegt gleich an mehreren großen Radrouten, die größte ist die DAC-Wein-Radroute.“
Überhaupt sei das Retzer Land bei Weinliebhabern in den letzten Jahren als Weißweinregion enorm im Ansehen gestiegen, die Stadtgemeinde Schrattenthal zähle zu den Hotspots. Heuer gab es sogar einen Salonsieger für den Veltliner. Aber der Klimawandel ist zunehmend spürbar, was für den Wein herausfordernd ist, wie Schmid berichtet.
Auch dass die Radrouten oft bei den Winzern vorbeiführen, wird genutzt. „Es gibt die Aktion ‚Rent a Rebstock‘, wo man Rebstöcke auf ein Jahr mieten kann, der fertige Wein kann mit personalisierten Etiketten genossen werden.“
Einer der größten Events im Retzer Land ist das Kürbisfest mit rund 25.000 bis 30.000 Besuchern. „In Schrattenthal sind viele Künstler beheimatet, die haben sich voll ins Zeug gelegt und mit ihrer Kreativität das Fest so richtig bekannt gemacht. Wir haben sogar Kürbis-Emojis.“
Und Schrattenthal hat die längste Stadtmauer Österreichs in Privatbesitz. Die Dachfläche des Schlosses ist fast so groß wie die von Stift Göttweig. Das alles gehört einer Familie, die das Anwesen vor Jahrzehnten gekauft hat und ständig liebevoll restaurieren. Dort sind auch häufig Veranstaltungen, wie 2024 die „Garten Lust“ mit mehr als 10.000 Besuchern. Die alte Mauer geht mitten durch die Stadt, wobei Gebäude teils in die Mauer integriert sind, ebenso wie die Weinkeller. „Dadurch ist das bei uns alles fußläufig erreichbar.“
Beleuchtet wird direkt auf LED-Basis. „Das haben wir schon seit 2018, da war ich gerade ein Jahr Vizebürgermeister. Auch die PV-Anlagen auf den Gemeindedächern wurden damals gemacht. Seit einem Jahr wird praktisch die ganze Stadtgemeinde mit Glasfaser versorgt“, so Schmid.
Zudem macht die Gemeinde als eine der ganz wenigen noch die Wasserversorgung selbst. Drei Quellen und ein Jungbrunnen befinden sich auf dem Gemeindegebiet.
„Das alles ist natürlich auch mit viel Arbeit verbunden. Allein die Glasfaserverrohrung hat uns rund 1.000 Arbeitsstunden gekostet. Aber bei uns wird ,Gemeinde‘ mit Freude gelebt.“ Dennoch, so der Bürgermeister, „weiß ich heute noch nicht, ob ich 2030 nochmals kandidieren werde“.
Zur Person
Stefan Schmied
Alter: 41
Gemeinde: Schrattenthal
Einwohnerzahl: 888 (1. Jänner 2024)
Bürgermeister seit: 16. Oktober 2019
Partei: ÖVP