Walter Leiss
Walter Leiss: „Der Wirtschaft ist zu entgegnen, warum nicht mehr in Betriebskindergärten investiert wurde. Diese beschäftigungsnahe Betreuungsmöglichkeit hätte für viele Arbeitnehmer große Vorteile.“
© Philipp Monihart

Kinderbetreuung im Wandel der Zeit

Die heute als Kindergärten bezeichneten Einrichtungen öffentlicher Kleinkinderziehung gehen auf Entwicklungen im 19. Jahrhundert zurück. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Kindergärten gegründet und sollten positive Impulse in die Familie ausstrahlen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich Kindergärten als vorschulische Institution zu einer wichtigen Bildungseinrichtung. Unterschiedliche pädagogische Konzepte wurden in die Kindergärten hineingetragen. Damit fand die Entwicklung von „Aufbewahrungsanstalten“ zu Bildungseinrichtungen statt. Die Träger der Kindergärten sind überwiegend die Gemeinden. Daneben gibt es Kindergärten von Vereinen oder Kirchen. Die maßgeblichen gesetzlichen Grundlagen für die Errichtung und den Betrieb von Kindergärten finden sich in den landesgesetzlichen Regelungen. 

In den letzten 20 bis 30 Jahren haben sich die Bedeutung und die Aufgabe des Kindergartens enorm gewandelt. War das Eintrittsalter in den Kindergarten ursprünglich mit vier Jahren vorgesehen, ist es mit der Zeit sukzessive herabgesetzt worden.

Heute diskutieren wir ein Eintrittsalter von zwei Jahren oder ab dem ersten Lebensjahr, manche auch schon früher. Dies hat die Ursache in den geänderten familiären und gesellschaftlichen Verhältnissen, letztlich aber auch in Empfehlungen des Rates und der Europäischen Kommission, ausgedrückt in den Barcelona-Zielen für frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung.

Ziel dieser Empfehlung ist es, die Mitgliedsstaaten dazu anzuhalten, die Teilnahme an zugänglicher, bezahlbarer und hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Bedarfs an Dienstleistungen und im Einklang mit nationalen Modellen zu ihrer Bereitstellung zu erhöhen, die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erleichtern und die sozialen und kognitiven Entwicklungen aller Kinder zu fördern -  insbesondere von besonders schutzbedürftigen oder benachteiligten Kindern. 

Ausgaben der Gemeinden für Kinderbetreuung steigen jährlich

45 Prozent der Kinder unter drei Jahren sollen 2030 an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung teilnehmen, so die aktuelle Empfehlung. Für Österreich wurde ein niedrigeres Ziel von 31,9 Prozent festgelegt.

Laut Statistik Austria lag die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren im Jahr 2021/22 österreichweit bei 29,1 Prozent. Daran wurde viel Kritik geübt und viele ideologische Argumente fanden Eingang in die Diskussion. Von vielen Interessensvertretungen wurde ein Rechtsanspruch auf kostenlose Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr gefordert.

Die Gemeinden haben in den letzten Jahrzehnten das Bildungs- und Betreuungsangebot in Kindergärten und Kinderkrippen enorm ausgebaut und erweitert. Als Beleg dafür können die Ausgaben und Investitionen in Kinderbetreuungseinrichtungen nachgelesen werden. Jährlich steigen die Ausgaben, die die Gemeinden dafür tätigen, enorm an. Gleichzeitig stehen die Gemeinden vor der Herausforderung, genügend Personal zu finden. 

Es mangelt an Personal

In den letzten Jahren mussten Gruppen geschlossen werden, weil kein Personal gefunden werden konnte. Allein aus diesem Grund, aber auch aus dem Vergleich mit Deutschland, wo ein derartiger Rechtsanspruch gesetzlich verankert wurde, der aber nicht erfüllt werden kann, hat der Österreichische Gemeindebund die Forderung nach einem Rechtsanspruch stets begründet abgelehnt.

So verständlich der Wunsch der Wirtschaft ist, das Arbeitspotenzial der Frauen in Zeiten des Arbeitskräftemangels auszuschöpfen oder die Beschäftigungsquote der Frauen zu erhöhen, um sozialpolitische Wirkungen bis hin zu höheren Pensionen für Frauen zu erreichen, ist dem doch entgegenzuhalten, dass die nicht ausreichende Beschäftigung von Frauen vielerlei Ursachen hat.

Zum einen ist die heutige Zeit davon gekennzeichnet, dass viele junge potenzielle Arbeitnehmer nur Teilzeit-, jedenfalls keine Vollbeschäftigungsverhältnisse anstreben. So zeigen die Daten, dass trotz Ausbaus der Kinderbetreuungseinrichtungen die Teilzeitquote der Frauen gestiegen ist. Das fehlende Angebot allein kann also nicht die Ursache sein. 

Warum keine Betriebskindergärten?

Der Wirtschaft ist zu entgegnen, warum nicht mehr in Betriebskindergärten investiert wurde. Diese beschäftigungsnahe Betreuungsmöglichkeit hätte für viele Arbeitnehmer große Vorteile. Auch spezielle Förderungen sind dafür vorgesehen, die jedoch nicht ausgeschöpft wurden. Zu berücksichtigen im europäischen Vergleich ist auch, dass es in Österreich einen langen Mutterschutz und lange Karenzzeiten gibt.

Auch ein Anspruch auf Teilzeitarbeit bis zum Erreichen eines bestimmten Lebensalters des Kindes ist gesetzlich für viele Einrichtungen vorgesehen. Diese sozialpolitischen Errungenschaften wird man doch wohl nicht infrage stellen. Daher darf es nicht verwundern, wenn die Situation in Österreich eine andere ist als in Frankreich, Belgien oder den nordischen Staaten.

Es bleibt viel zu tun

Unabhängig davon soll hier keine Henne-Ei-­Diskussion geführt werden. Dass das Angebot beständig zu verbessern ist, dessen sind sich auch die Gemeinden bewusst. Früheres Eintrittsalter, kleinere Gruppengrößen, weniger Schließtage und eine Attraktivierung des Berufsbildes im Bereich der Elementarpädagogik sind erforderlich, um den Bedürfnissen gerecht zu werden.

Das alles kostet natürlich viel Geld. Daher ist der Vorstoß, 4,5 Milliarden zur Verfügung zu stellen, um den Ausbau zu beschleunigen und die Attraktivität zu erhöhen, sehr zu begrüßen. 

Große Anstrengungen sind dessen ungeachtet aber erforderlich, um die Ziele bis 2030 zu erreichen. Dann allerdings sollte es möglich sein, ein den Bedürfnissen der Eltern entsprechendes Modell zu entwickeln, ohne dabei das Wohl des Kindes außer Acht zu lassen.