Natur im Garten-Geschäftsführerin Christa Lackner und Bürgermeister Peter Eisenschenk
Natur im Garten-Geschäftsführerin Christa Lackner und Bürgermeister Peter Eisenschenk machen Tulln zur „Schwammstadt“.

Städtebau

Tulln entsiegelt Flächen

Im Frühjahr 2021 startete in Tulln, was Expertinnen und Experten seit Jahren mantraartig einfordern: Die Stadtregierung plante, die Betonwüste rund um das Rathaus und das historische Minoritenkloster, die ca. 200 Autos als Parkplatz diente, zu entsiegeln und holte dabei auch die Bürgerinnen und Bürger ins Boot. Bürgermeister Peter Eisenschenk und Natur im Garten-Geschäftsführerin Christa Lackner über den Grünen Platz und das immer mehr in Mode kommende „Schwammstadt-Prinzip“.

Herr Bürgermeister, die Betonwüste vor dem Nibelungendenkmal war Ihnen schon lange ein Dorn im Auge. Für die Umsetzung zur grünen Oase sind Sie jedoch nicht über den einfachen Gemeinderatsbeschluss gegangen … Wieso eigentlich nicht?

Peter Eisenschenk: Der öffentliche Raum ist allgemeines Gut, was bei Eingriffen in großen und zentralen Räumen besonders beachtet werden muss. Daher wurden in einem eineinhalbjährigen, breit angelegten Beteiligungsprozess Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern aller Generationen miteinbezogen und eine Volksbefragung durchgeführt. 

In den 60er-Jahren wurden städtebauliche Projekte allerorts an die Bedürfnisse des motorisierten Individualverkehrs angepasst und das Prinzip „autogerechte Stadt“ verfolgt. Was damals wichtig erschien, ist heute nicht mehr zeitgemäß. Heute geht es um Klimawandelanpassung, Stadt der kurzen Wege, attraktive und beschattete Aufenthalts- und Begegnungszonen und um Reduktion und Entsiegelung von Parkplätzen. Das bestätigte auch das Ergebnis der Volksbefragung im Dezember 2021, in dem die Mehrheit der Tullner Bevölkerung für eine großzügige Umgestaltung des Nibelungenplatzes votierte. Park statt Parkplatz! 

Frau Lackner, Tulln wird mit dem neuen Park nun noch grüner. Welche Besonderheiten sehen Sie als Garten- und Grünraumexpertin darin?

Christa Lackner: Gerade in Zeiten des Klimawandels ist eine nachhaltige und ökologische Gestaltung der öffentlichen Grünflächen unumgänglich. Entsiegelung und Versickerung stehen hier im Fokus.

Gleichzeitig wird durch die Neugestaltung des Nibelungenplatzes nicht nur ein Pionierprojekt in Richtung zukunftsfitter Stadtplanung und Klimaanpassung von Gemeinden umgesetzt, sondern es wird auch eine Begegnungszone geschaffen, die die Lebensqualität in der Stadt steigert. So wird dieser Platz eine Work und Workout Zone, lädt zum Verweilen ein und soll auch Schauplatz für Ausstellungen und Feste werden. Ein Platz für Bäume und damit auch ein Wohlfühlplatz für Menschen. Die Umsetzung erfolgt in diesem Fall mit dem Schwammstadtprinzip. 

Wie darf man sich den Untergrund einer Schwammstadt vorstellen? Als saugfähigen, gelben Schwamm, der das Wasser für die Bäume in der Umgebung speichert?

Lackner: Die Schwammstadtsysteme, die derzeit eingesetzt werden, bestehen aus unterschiedlichen, sehr strukturstabilen, großteils mineralischen Komponenten in unterschiedlichen Körnungen, die auf den Flächen eingebracht werden. Dadurch entsteht ein gut durchwurzelbares Porensystem, das das Niederschlagswasser speichert. Diese Hohlräume sorgen gleichzeitig für einen ausgeglichen Wasser-Lufthaushalt im Boden, der für das gesunde Wachstum von Pflanzen notwendig ist. 

Einige Systeme haben gleichzeitig eine Filterfunktion – so können auch verschmutzte Straßenwässer direkt ohne weiteres Filtersystem eingeleitet werden. Durch dieses durchwurzelbare Porensystem ergeben sich Vorteile wie ein ausgeglichener und langfristig guter Wasser-Lufthaushalt im Boden, eine optimale Nährstoffversorgung.

Es ergibt sich aber auch ein zusätzlicher Effekt, nämlich die Schaffung von Retentionsraum für Niederschlagswässer. Das wiederum entlastet das Kanalsystem und versorgt die Bäume auch in Trockenperioden. Und nicht zuletzt: Stadtbäume, denen ein optimaler Wurzelraum gegeben wird, können dann auch langfristig den so wichtigen Kühlungseffekt erbringen.

Es gibt aber auch Bürgerinnen und Bürger, die dem Projekt noch immer skeptisch gegenüberstehen, neben des Wegfalls von Parkplätzen wird auch der finanzielle Aspekt beklagt. Was entgegnen Sie diesen Menschen?

Eisenschenk: Das Parkplatz-Thema haben wir im Zuge der Planung genau geprüft. Während der Bauphase sind die Parkplätze naturgemäß knapper, aber mit ca. 1.800 verbleibenden Parkplätzen im Stadtzentrum ist die Gartenstadt Tulln weiterhin gut aufgestellt. 

Jeder Mensch, der sich dazu entschließt, vermehrt öffentliche Verkehrsmittel, Fahrräder oder Fußwege zu nutzen, entlastet den Verkehr, verbessert die Luftqualität und leistet einen Beitrag zu einer ökologischen Stadt. Die Kosten für die Stadt liegen bei 3,3 Millionen Euro, der Rest von rund 1,4 Millionen wird dankenswerterweise vom Land NÖ gefördert. 

Zurück zur Schwammstadt: kann dieses Prinzip eigentlich in der Form wie in Tulln auch auf andere Bereiche und Städte/Dörfer umgemünzt werden?

Lackner: Wichtig ist, dass eine professionelle Planung im Vorhinein stattfindet und das richtige System für die jeweiligen Gegebenheiten gefunden wird. Da es unterschiedliche Systeme zur Versickerung und zur Wasserspeicherung gibt, ist die Planung umso wichtiger. Es ist zu klären, ob die Gemeinde eine Lösung zum Regenwassermanagement oder einen zukunftssicheren Baumstandort in dicht verbauten Gebieten braucht. 

Für die Zukunft ist es unbedingt notwendig, viele Versickerungsflächen in der Gemeinde zu schaffen, dafür sind beispielsweise die Draingarden-Systeme eine ideale Möglichkeit. Weiters ist es wichtig, dass Bäume den nötigen Wurzelraum bekommen, auch im Straßenbereich, genau für diese Fälle ist das Schwammstadtprinzip für Bäume (=Stockholmer System) das richtige. Damit können Bäume die größte Kühlwirkung und den größten ökologischen Wert entwickeln.

Frau Lackner sprach von einer Abmilderung der Temperaturen. Ist das auf Flächen, die an die Donau anschließen, die ohnehin für kühlere Temperaturen sorgt, überhaupt nötig?

Eisenschenk: Die Donau sorgt für Kleinklima im unmittelbaren Bereich, das stimmt. Dagegen sind allerdings 8.000 m² versiegelte Asphaltflächen gestanden und an die 200 abgestellte Fahrzeuge, die sich zusätzlich aufheizten und zu einer sogenannten „Urban Heat Island“ führten. In heißen Sommern wurden am Nibelungenplatz wiederholt mehr als 40 Grad gemessen. Das kann auch das Kleinklima der Donau nicht kompensieren.

Es ist somit sinnvoll, Planungen und Gestaltungen an die häufiger werdenden heißen Sommertage anzupassen und mittels Grünflächen und Beschattung die Temperaturen vor Ort erträglicher zu machen. Daran arbeiten wir mit unserem gesamten Begrünungskonzept. Über die Reduktion der städtischen Wärmebelastung und der „Urban Heat Islands“ hinaus wollen wir dadurch auch die Diversität fördern. 

Der Beitrag erschien in der Ausgabe 7/2023 der NÖ Gemeinde.