Elementarpädagogikpaket: Aus dem Subjekt Kind wird ein Objekt für Wissenschaft und Forschung.
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Gemeinden müssen sich warm anziehen

18. Dezember 2015
Die am 17. November präsentierten Vorschläge der Bildungsreformkommission lassen einen beträchtlichen Interpretationsspielraum offen. Eine wirkungsorientierte Folgenabschätzung für die Gemeinden als Erhalter der Kindergärten und Pflichtschulen.


Elementarpädagogikpaket als Teil der Bildungsreform



Nachdem der Kindergarten seit geraumer Zeit als Bildungseinrichtung verstanden wird, wird auch in diesem Bereich an vielen Stellschrauben gedreht: Bildungskompass, Sprachstandfeststellung, Entwicklungsscreening, Potentialanalyse, Pflichtkindergarten mit Opt-out-Möglichkeit, Dokumentation, bundesweit einheitliche Qualitätsstandards. Nicht zu vergessen ist, dass sich derzeit zahlreiche Maßnahmen in Umsetzung befinden, deren Ergebnisse und Wirkungen es abzuwarten gilt, bevor darüberhinausgehende Schritte gesetzt werden. So werden bis 2018 Mittel im Ausmaß von 90 Millionen Euro allein in die sprachliche Frühförderung investiert. Bis 2017 werden 305 Millionen Euro für den Ausbau des institutionellen Kinderbetreuungsangebots sowie für Qualitätsverbesserungen bereitgestellt. Zudem sind Mittel, die aus der Vereinbarung über das kostenlose letzte Kindergartenjahr nicht ausgeschöpft werden, für Maßnahmen zur Qualitätssicherung einzusetzen (Reduzierung der Gruppengröße, Verbesserung des Betreuungsschlüssels etc.).

Zweites verpflichtendes Kindergartenjahr



Ganz gleich, ob es sich um eine Gedächtnislücke handelt oder nicht: Erst Mitte Oktober wurde im Nationalrat und Ende Oktober im Bundesrat die Art. 15a B-VG-Vereinbarung beschlossen, in der lediglich verpflichtende Elterngespräche mit Empfehlungen für einen Kindergartenbesuch im vorletzten Kindergartenjahr vereinbart wurden. Dazu muss man wissen, dass die Betreuungsquote der Vierjährigen österreichweit bereits bei über 95 Prozent liegt, in Burgenland bei 99,7 Prozent, in Vorarlberg gar bei 99,8 Prozent, nur in Wien, Kärnten und der Steiermark ist die Betreuungsquote niedriger, aber immer noch über 90 Prozent. Es gibt daher wenig gute Gründe, um ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr zu beschließen, das dann ja auch – weil verpflichtend – kostenfrei angeboten werden müsste.



Bemerkenswert ist die Opt-out-Möglichkeit nach dreimonatigem Pflichtkindergartenbesuch. So sollen Vierjährige zumindest drei Monate lang den Kindergarten besuchen. In dieser Zeit werden die Kinder beobachtet und neben ihrem Sprachstand auch ihr Entwicklungsstand eingehend geprüft. Je nach Ergebnis wird nach dieser Zeitspanne eine weitere Besuchspflicht oder aber eine Abmeldemöglichkeit ausgelöst. Für die Träger der Einrichtungen bedeutet das zweite kostenlose Kindergartenjahr einen weiteren Wegfall von Elternbeiträgen. Außerdem werden zusätzliche Mittel nötig sein, um der mit der neuen Entwicklungsstandfeststellung und der Opt-out-Möglichkeit verbundenen Bürokratie Herr zu werden.

Bildungskompass für alle Kinder ab 3,5 Jahren



Pädagogen werden künftig angehalten, bei allen Kindern den Sprach- und Entwicklungsstand bis zum Ende der Schullaufbahn zu dokumentieren. Den Anfang der Dokumentation macht die sogenannte Potenzialanalyse bei  Kindern mit dreieinhalb Jahren. Die erhobenen Daten (Sprachstand, Entwicklungsstand, Fördermaßnahmen, etc.) werden in einem eigenen Bildungskompass dokumentiert, analog zum Mutter-Kind-Pass. Auch diesbezüglich werden Gemeinden als Hauptträger der Kindergarteninfrastruktur die zusätzlichen Aufwände zu tragen haben.

Bundesweit einheitlicher Qualitätsrahmen



Bereits vor fünf Jahren gab es einen ersten Anstoß zu einer Vereinheitlichung der Qualitätskriterien. Zahlreiche Experten arbeiteten damals Mindeststandards aus, die gar nicht so minder waren. Teilweise gingen die vorgeschlagenen Maßnahmen weit über die höchsten bestehenden Standards in den Bundesländern. Außerdem wurde in der Unterlage weder die derzeitige Situation abgebildet, Mängel am bestehenden System aufgezeigt, noch angeführt, wie dieser Stufenplan in der Praxis (und nicht nur in der Theorie) umgesetzt werden soll. Beispielsweise sollte die jedem Kind zur Verfügung stehende bespielbare Fläche stufenweise erhöht werden, sodass ab 2015 jedem Kind eine bespielbare Fläche von 2,5 m², ab 2017 eine Fläche von 3 m² und ab 2020 eine Fläche von 4 m² zur Verfügung steht. Welche Kostenfolgen die Gemeinden dabei zu erwarten haben, hängt letztlich davon ab, ob Qualitätsstandards höchster Güte festgelegt werden oder es doch bei Mindeststandards bleibt. Für die Träger von Kindergärten bedeutet das in jedem Fall: Kostensteigerungen.

Schulreformpaket – Bürokratie par excellence



Viel „pädagogischer Freiraum“ als Teil der Stärkung der Schulautonomie, wie es in den Maßnahmenvorschlägen heißt, wird dem Lehrpersonal und den Schulleitern zukünftig nicht bleiben. Begriffe wie standortspezifische Entwicklungspläne, Förderpläne, Zielvereinbarungsgespräche, standortspezifischer Qualitätsbericht, mehrjähriges Schulkonzept, Selbstevaluation und Peer-Evaluation, Definition von Indikatoren zwecks Evaluierung der Zielerreichung, zentrale Leistungsmessungen usw. eröffnen zwar Betätigungsfelder für die neue Schulaufsicht, lassen sonst aber ganz und gar nichts Gutes erahnen.

Verwaltungseinheit Neu



Worum es sich bei der neuen Verwaltungseinheit konkret handelt, ist dem Reformpapier nicht eindeutig zu entnehmen. Es scheint aber, dass all jene Schulstandorte, die weniger als 200 Schüler umfassen, mit anderen Standorten zu einer Verwaltungseinheit namens Schulcluster zusammengelegt werden sollen. Betroffen von diesen Zusammenlegungen wäre eine große Zahl an Volks- und Mittelschulen. Zukünftig sollen nur noch Standorte mit mehr als 200 Schülern eine eigene Leitung haben, alle anderen unterstehen dann der Leitung des jeweiligen Clusters. Als Trostpflaster erhalten Verwaltungseinheiten, die bestimmte Größenkriterien erreichen, neben dem Direktor und einem Stellvertreter auch ein mittleres Management. Wie sich diese sogenannten Schul- oder Bildungscluster mit den bestehenden Schulsprengeln vereinbaren lassen, ist ebenso ungeklärt wie die Frage, wer für die Kosten des zusätzlichen Administrativpersonals aufkommen soll.

Finanzielle Autonomie?



Dem eigenständigen Schulstandort oder dem neuen Schulcluster soll eine direkte Verfügbarkeit über bestimmte finanzielle Ressourcen eingeräumt werden (Sachaufwand, Schulbuch, Ausstattung). Was auf den ersten Blick erfreulich klingt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als mögliches (Druck-) Mittel zum Zweck der Einsparung oder gleich Schließung des Schulstandortes. Da künftig der Bund regelmäßig standortbezogen Erhebungen auch über den Ressourceneinsatz anhand von Indikatoren (etwa Schülerzahl, Personalkosten) durchführt, wird eine - so gesehen bereits offensichtlich überflüssige - Analyse sehr rasch feststellen, dass die Pro-Kopf-Kosten kleinerer Schulstandorte höher sind.



Dass eine Drittmittelaufbringung im Rahmen der „gesetzlichen Möglichkeiten“ gestattet ist, bedürfte zwar der Selbstverständlichkeit wegen in dem Reformpapier keiner Erwähnung. In diesem Zusammenhang ist aber darauf hinzuweisen, dass das Bildungsministerium im Juni dieses Jahres mittels Erlass jegliche Werbung und Sponsoring in Schulen und bei Schulveranstaltungen zu unterbinden versucht hat. Damit wurde den Schulleitern, ja sogar dem Schulgemeinschaftsausschuss das Verantwortungsbewusstsein im sorgsamen Umgang mit Werbung und Sponsoring in Schulen abgesprochen. Gelebte Schulautonomie schaut anders aus.

Gemeinsame Schule der 6- bis 14-Jährigen



Zwar steht an anderer Stelle des Reformpapiers, dass die Anzahl der Schulversuche drastisch reduziert werden soll, mit der Einführung der Gesamtschule in homöopathischen Dosen startet man aber sogleich den nächsten Versuch. Gleiche Bildungschancen für alle, lautet das Motto. Was als Imageproblem der Hauptschule im städtischen Bereich begann, mündete zunächst in die bundesweite Überführung aller Hauptschulen in Neue Mittelschulen. Dem nicht genug, soll es zukünftig nur mehr eine Schule für alle ohne Differenzierung und Zugangsbarrieren geben. Damit alle Menschen gleich sind, müssen sie erst gleich werden. Da aber die Gesellschaft doch von ihrer Vielfalt lebt, soll es statt der institutionellen Differenzierung eine innerschulische Differenzierung und Individualisierung geben. Aus Sicht der Gemeinden als Pflichtschulerhalter stellt sich freilich die Frage, wer die Kosten für die Bürokratie und für das zusätzlich erforderliche Unterstützungspersonal tragen wird.

Bildungsinnovation



Bis 2020 soll eine flächendeckende Verfügbarkeit von ultraschnellem Breitbandinternet an allen Schulstandorten angestrebt werden. Damit deckt sich der Zeitpunkt der Umsetzung mit jenem der Breitbandstrategie 2020 des BMVIT. Viel wird davon abhängen, inwieweit der Breitbandausbau auch unter Berücksichtigung der Breitbandmilliarde vonstatten geht. Bislang sind zahlreiche Projekte zum Breitbandausbau vor allem im ländlichen Raum an Stolperfallen in den Förderrichtlinien und der Förderabwicklung gescheitert. Wer die Kosten für die schulinterne Ausstattung trägt, ist ebenso noch unklar.