Das mit der 15a-Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern vom 1. Dezember 2010 beabsichtigte Ziel war eine verstärkte Armutsbekämpfung. Es wurden österreichweit Mindestsätze eingeführt, was eine bundesweite Harmonisierung der Mindestsicherung bezwecken sollte. Foto: ANURAK PONGPATIMET - shutterstock.com

Es geht in die Milliarden

Die zusätzlichen Belastungen bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bedrohen die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinden massiv.



Obwohl sich der politische Diskurs in den letzten Jahren wohl kaum vom Thema BMS lösen konnte und die laufenden in aller Munde waren, muss endlich aufgeräumt werden mit den falschen Vorstellungen über diese komplexe und vielschichtige Einrichtung.



Die BMS besteht im Wesentlichen aus drei Teilen, indem sie Fürsorge- und Unterstützungsmaßnahmen aus unterschiedlichen Kompetenzbereichen im Bereich Lebensunterhalt, Wohnbedarf und Krankenhilfe zusammenführte. Die Kosten für die beiden ersten Bereiche werden im Wesentlichen von Ländern und Gemeinden getragen, die Krankenhilfe vom Bund.



Das mit dieser Vereinbarung beabsichtigte Ziel war eine verstärkte Armutsbekämpfung; es wurden österreichweit Mindestsätze eingeführt, was eine bundesweite Harmonisierung der Mindestsicherung bezwecken sollte. Die gesetzliche Umsetzung musste wegen der komplexen Kompetenzlage zwischen dem Bund und den Ländern in einem 15a-Vertrag abgestimmt werden.



Einen wichtigen Teil der Mindestsicherung nahm und nimmt die Sozialhilfe ein, an der die Gemeinden auch schon vor dem Jahr 2010 einen wesentlichen Finanzierungsanteil zu tragen hatten.

Da diese Einrichtung nicht ohne die verschiedensten Zuwendungen des Bundes, der Länder und Gemeinden eingeführt werden konnte, wurde diese Maßnahme bereits mit dem FAG 2008 vorbereitet. Im Paktum des FAG vom 10. Oktober 2007 heißt es zum Thema Mindestsicherung: „Auf Basis der Punktation und der noch auszuformulierenden Artikel 15a-Vereinbarung kommen die FA-Partner überein, dass die jeweilige Gebietskörperschaft die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Finanzierungsanteile trägt. Die Nettozusatzkosten für Länder und Gemeinden werden mit zusammen 50 Millionen Euro gedeckelt.“



Es dauerte dann bis in den April 2010, als ein Konzept eines 15a-Vertrages zur BMS in Begutachtung geschickt wurde. In seiner Stellungnahme vom 28. April 2010 konstatierte der Gemeindebund, dass das Paktum in den zitierten Punkten vom vorliegenden Entwurf zwar berücksichtigt wird, jedoch wies man schon damals auf Dynamisierungen hin, die in den diversen Landesgesetzen zu erwarten waren und geeignet waren, Lasten in Form von Finanzierungsanteilen auf die Länder zu verschieben.



Es wurde weiters bemängelt, dass in den ausführenden Gesetzen keine Mechanismen enthalten sind, die wirksam zu einer tatsächlichen Einhaltung der im Finanzausgleich vereinbarten Deckelung beitragen können. Es gab das immer schon kritisierte Bild, dass Bund und Länder etwas vereinbaren und ein wesentlicher Mitzahler, nämlich die Gemeinden, kein gleichberechtigter Partner dieses 15a-Vertrages sein konnten. Auch wurde die Deckelung in den Erläuterungen zur 15a-Vereinbarung nicht so verstanden, dass die Leistungen nach Erreichen der Deckelsumme eingestellt oder neu verhandelt werden mussten. Die vom Gemeindebund verlangten Verhandlungen im Sinne des § 6 FAG waren kein geeignetes Instrument, um hier eine gleichberechtigte Teilnahme der Gemeinden an den Verhandlungen beim Zustandekommen des  15a-Vertrages zu bewirken.



Der Vertrag sah allerdings auch ein Verschlechterungsverbot vor. Angesichts der unterschiedlichen Länderregelungen wurde damit unter laufender Kritik des Rechnungshofes sogar das Gegenteil einer Harmonisierung erreicht. Und was besonders bitter ist, auch die Aufwendungen für den Gemeindeanteil stiegen weiter signifikant an. Dafür waren nicht nur die erhöhten Sätze schuld, sondern auch eine verstärkte Inanspruchnahme der Sozialleistungen. Es war daher ab 2011 ein sprunghafter Anstieg des Nettoaufwandes für die Gemeinden zu konstatieren.



Für 2015 wurden kürzlich Daten vom Sozialministerium bekanntgegeben. Diese beinhalten aber, wie im Vorjahr, nur die Geldleistungen der Länder und Gemeinden und konstatierten dort einen Anstieg von 13,7 Prozent. Eine detaillierte Aufstellung der Statistik wird erst in den Herbstmonaten erwartet. Die Länder haben bereits einen Kassasturz versucht. Dabei konnte schon bei einer Sozialreferentenkonferenz im April festgestellt werden, dass die Ausgaben von Ländern und Gemeinden von 2014 auf 2015 um weitere 117 Millionen Euro gestiegen sind, das entspricht einer Steigerung von etwa 15,7 Prozent. Die größten Zuwächse hatten Vorarlberg und Oberösterreich mit über 20 Prozent zu verzeichnen. In Oberösterreich wirkt sich dies besonders schwer auf die Gemeinden aus, da sie die Mindestsicherung praktisch alleine zahlen, lediglich in wenigen Ausnahmen ist das Land den Gemeinden entgegengekommen, dort hat es einen Anteil von 60 Prozent übernommen. Etwa bei den BMS-Kosten für Asylanten, dort aber auch nur für die ersten drei Jahre, danach wären die Gemeinden wieder allein die Zahler. Aber auch wenn die Gemeinden je nach Landesgesetzbebung einen unterschiedlichen Anteil der Lasten der BMS mitzutragen haben und manchmal „Eigenleistungen“ auch ganz allein finanzieren müssen, bietet die Dynamik in allen Gemeinden Österreichs das gleiche Bild.

Verdoppelung des Aufwandes innerhalb von fünf Jahren



Erst jüngst wurde eine Zahlenreihe aus Tirol von den Vertretern des Tiroler Gemeindebundes präsentiert, welche diese auf der ganzen Bundesebene feststellbare Tendenz untermauert. Seit 2011 gibt es bei den Tiroler Gemeinden eine jährliche Steigerung des Nettoaufwandes in der hoheitlichen Mindestsicherung zwischen zehn und 17 Prozent. Innerhalb dieser fünf Jahre hat dies zu einer Verdoppelung des Aufwandes geführt. Das beweist, dass man im Hinblick auf das Volumen der Kosten in den Statistiken nicht zu sicher sein darf. Zahlenreihen der Statistik Austria zur BMS weisen wie oben erwähnt oft nur die Kosten der BMS-Geldleistungen aus. Hier müssen aber auch noch die Sachleistungen, Investitionen und anderes hinzugerechnet werden. Aus dem Gemeindefinanzbericht der Gemeinden Tirols für das Haushaltsjahr 2015 sind daher die Sozialbeiträge der Gemeinden für die Mindestsicherung mit 56 Millionen Euro ausgewiesen, das ist ein Vielfaches des Anteils für die BMS-Geldleistungen. Auch wenn in den übrigen Bundesländern sehr unterschiedliche Finanzierungsmodelle umgesetzt worden sind, sind die Gemeinden als wesentlicher Zahler der Mindestsicherung in Österreich in diesem Sektor in eine enorme Kostenschere geraten. Man wird daher, wenn man nicht nur die Leistungen der hoheitlichen Mindestsicherung, sondern auch die Investitionen und Leistungen aus dem privatrechtlichen Sektor dazurechnet, ohne zu übertreiben oder auch ohne den Bundesanteil einzurechnen, im vorigen Jahr auf einen Milliardenbetrag kommen, den Länder und Gemeinden zu stemmen hatten.



Die BMS ist ein besonders markantes Beispiel jener Lasten, bei denen die Gemeinden weder auf der Ebene der Gesetzgebung, noch bei der Vollziehung maßgebliche Steuerungsinstrumente in der Hand haben, um die sich dafür anhäufenden Kosten zu dämpfen. Man muss sich zudem bewusst sein, dass sich die Asylkrise bei der Zahl der Anspruchsberechtigten erst im heurigen Jahr erkennbar auswirken wird. Das belegen Hochrechnungen des Landes NÖ, die eine Steigerung der Ausgaben für die Mindestsicherung von 2015 auf 2016 um die Hälfte und im Jahr 2017 um mehr als das Doppelte aufweisen. Auch eine Berechnung des Landes OÖ gemeinsam mit der Statistik Austria hat dies bestätigt: in OÖ geht man bei gleichbleibenden Voraussetzungen im Jahr 2019 von einem Wert aus, der fünfmal so hoch ist wie jetzt. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinden ist massiv bedroht.



Schon im März des Jahres haben der Gemeindebund und die politischen Gemeindereferenten der Länder mit Nachdruck vor einer Kostenexplosion gewarnt. Es war nicht das erste Mal, dass Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer einen Belastungsstopp für Länder und Gemeinden forderte. „Es kann nicht sein, dass der Bund Aufgabe für Aufgabe auf unserem Rücken ablädt, ohne sich darum zu kümmern, wie wir das finanzieren sollen“, so Mödlhammer.



Auch die einzelnen Landesverbände des Gemeindebundes wurden nicht müde, kostendämpfende Maßnahmen zu fordern, vor allem um ein weiteres Ausufern der Kostenlawine zu verhindern. Denn man kann ja auch ein funktionierendes System durch Überbeanspruchung zum Kippen bringen, sodass letztlich das allgemeine Ziel der Armutsbekämpfung nicht mehr verfolgt werden kann.



Als Maßnahmen wurden rigorosere Regeln gegen Missbrauch, verstärkter Zug zu Sachleistungen, aber auch niedrigere Sätze gefordert. Einzelne Länder haben diesbezügliche Vorschläge eingebracht und sogar schon gesetzlich umgesetzt. Die Medien haben darüber berichtet. Die Diskussion in Oberösterreich über die Kürzungen der Mindestsicherung für Asylberechtigte ist noch aus den Sommermonaten bekannt. Zuletzt ist die die Novelle des Steiermärkischen MSG betreffend rigorosere Maßnahmen gegen den Missbrauch von Sozialleistungen zu nennen, die am 1. September in Kraft getreten ist.



In diese Situation fällt die Diskussion auf der Bundesebene, wie die Mindestsicherung über das Jahr 2016 hinaus weitergeführt werden kann. Im April unterbreitete Sozialminister Alois Stöger den Ländern den Vorschlag einer neuen 15a-Vereinbarung. Bei der Diskussion darüber wurde erkennbar, dass die finanzielle Tragweite der bevorstehenden Probleme noch nicht ganz erfasst worden ist.



Die Gemeinden erwarten sich von allen Verhandlern Kostenbewusstsein und Bereitschaft zu rigorosen Sparmaßnahmen, denn es geht schon jetzt in die Milliarden. Bundesweite Vereinbarungen oder Harmonisierungswünsche dürfen nicht wieder zu einer Verteuerung oder Anhebung der Standards führen. Im Gegenteil muss diesmal eine Lösung angestrebt werden, die den Gemeinden und Ländern hilft, die jetzt schon offenkundige massive Ausweitung dieser Kosten unter Kontrolle zu bekommen.

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