Wolf schaut in die Kamera
Derzeit leben in Österreich 15 bis 20 Wölfe.
© Shutterstock/Bildagentur Zoonar GmbH

Wölfe: Angst ohne Grund?

Der Wolf ist nach rund 135 Jahren wieder zurück. Während die Mehrheit der Bevölkerung der Rückkehr positiv gegenübersteht, sind besonders Jäger und Landwirte beunruhigt. Wie wird das Leben mit dem Wolf aussehen? Kann ein Managementplan Abhilfe schaffen? Und was bedeutet das für die Städte und Gemeinden?

Zeichen für ein gut funktionierendes Ökosystem oder Bedrohung für viele Arten - der Wolf wird dieser Tage heiß diskutiert. War er in den letzten 135 Jahren in Österreich noch vollständig ausgerottet, findet nun sein Comeback ins Alpenland statt. Österreich ist das letzte europäische Land, das erneut vom Wolf besiedelt wird. Und spätestens seit sich das erste Rudel 2016 in Allentsteig entwickelt hat, beginnen die Debatten darüber, wie man mit dem neuen Mitbewohner umgehen soll.

Zustimmung in kleinen Gemeinden sogar höher als in großen

Insgesamt sind die Österreicher zufrieden mit der Rückkehr des Wolfs. Das ergibt eine repräsentative Umfrage, die der WWF im August 2017 beim Marktforschungsinstitut market in Auftrag gegeben hat. Von 1000 Befragten sehen 74 Prozent die Ansiedelung des Wolfs „sehr positiv" oder „eher positiv". Was viele überraschen könnte: Bei den Befragten, die in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern leben, ist die Zustimmung sogar geringfügig höher (76 Prozent).

„Angesichts der zahlreichen negativen Wortmeldungen einzelner Vertreter der Jagd und der Landwirtschaft in letzter Zeit wollten wir wissen, wie Österreich wirklich denkt", erklärt WWF-Wolfexperte Christian Pichler.

In ganz Westeuropa und Skandinavien war der Wolf ausgestorben, nachdem er im 19. Jahrhundert massiv verfolgt wurde. Vom Aussterben bedroht, wurde die Art im 20. Jahrhundert in den meisten Ländern Europas und auf EU-Ebene unter einen Schutzstatus gestellt. Der Artenschutz zusammen mit einer derzeit besonders guten Beutelage führt dazu, dass sich der Wolf in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern wieder ansiedeln konnte. Erst in den letzten 15 Jahren kehrt er nach Norddeutschland zurück. Und nun auch nach Österreich.

15 bis 20 Tiere in Österreich

Auf 15 bis 20 Wölfe wird die Population derzeit geschätzt. Das umfasst Wölfe, die nur durch das Land wandern und ansässige Tiere.

Bisher ist es sicher, dass es ein Rudel im niederösterreichischen Allentsteig gibt. Das besteht aus einem Elternpaar und vier bis sechs Jungen. Das Paar hat bereits drei Mal geworfen. Sobald die Jungwölfe mit spätestens 22 Monaten geschlechtsreif sind, verlassen sie das Rudel und suchen sich ein eigenes Revier. Dafür laufen sie zum Teil hunderte Kilometer weit. Die Veterinärmedizinische Universität Wien hat derzeit Hinweise darauf, dass sich ein zweites Rudel im Mühlviertel angesiedelt haben könnte.

Die Population wird weiter steigen. Und das wird in Österreich begrüßt: 84 Prozent der von WWF Befragten gaben an, dass sie den Wolf für einen wesentlichen Bestandteil der europäischen Natur halten und fast genauso viele halten eine erneute Koexistenz für möglich. Eines zeichnet sich jedoch in der Umfrage bereits ab: Bei den Bewohnern ländlicher Gebiete ist die Sorge um die Viehhaltung groß.

Keine Gefahr für Menschen, aber für Weidetiere

Denn während der Wolf für den Menschen nicht besonders gefährlich ist, sind ungeschützte Schafe und Ziegen leichte Beute für den Jäger. „Wölfe sind scheu und meiden die Nähe von Menschen", erklärt Walter Arnold, Professor an der Veterinärmedizinischen Universität Wien und Experte für Wölfe.

Falls einem doch einmal ein Wolf begegne, reiche es gewöhnlich sich groß zu machen und im Zweifel laut zu werden. Das schlage den Wolf in die Flucht. Anders ist es beim Weidevieh. Immer wieder finden Landwirte gerissene Schafe und Ziegen. Nicht immer muss ein Wolf der Täter sein, auch große Hunde reißen Schafe und Ziegen. Deshalb werden die Risse auch auf Wolfs-DNA überprüft.

„In den letzten zehn Jahren waren es jährlich zwischen 15 und 160 Risse", weiß Arnold. Dabei steigt die Zahl jedoch nicht linear an. Die meisten Risse gab es 2015. Im letzten Jahr waren es dagegen gerade einmal 28 Risse. Zur Einordnung: Auf Österreichs Weiden standen im letzten Jahr 260.000 Schafe. Insgesamt starben davon zwischen 8000 und 10.000 an Krankheiten, Lawinen und Unwettern.

Plan für "Problemwölfe"

2018 könnte ein Jahr mit deutlich mehr Rissen werden. In Salzburg fanden Landwirte im Mai fast täglich ein bis sieben tote Schafe und Ziegen. Bei einigen konnte durch DNA-Analysen bewiesen werden, dass ein Wolf die Tiere gerissen hatte. Das Land Salzburg begann zu handeln.

Ein Fünf-Punkte-Aktionsprogramm soll Landwirte unterstützen. Das Land wird in Zukunft Herdenschutzmaßnahmen finanziell und durch Beratung fördern. Im Fall von Rissen wird Salzburg Entschädigungen zahlen – die in vielen Bundesländern bereits üblich sind.

Das Programm umfasst auch einen Plan für sogenannte „Problemwölfe". Gemeint sind Wölfe, die regelmäßig ungewöhnlich nah an Menschen herankommen oder wiederholt Weidetiere reißen. Der Plan sieht vor, in einem ersten Schritt die Weidetiere zu schützen und den Wolf zu vergrämen. Falls das nicht helfen sollte, soll in einem zweiten Schritt der „Problemwolf" entnommen werden.

Darüber hinaus wurde der Biobauer und Berufsjäger Hubert Stock zum Wolfsbeauftragten ernannt. „Zur Zeit gibt es in dieser Sache nur Schwarz oder Weiß", sagt Stock. „Ich sehe meine Aufgabe darin, wieder zu einer sachlichen Debatte zurück zu kommen. Ich weiß, wie man sich als Betroffener fühlt und meine, dass keiner der Bauern aufgeben darf. Der Wolf ist vielleicht nicht der Hauptgrund, aber womöglich das Tüpfelchen auf dem ,i‘, dass ein Landwirt nicht mehr weitermachen will. Das müssen wir verhindern."

Informationsabende in Allensteig

Auch in Allentsteig macht man sich um die Weidetiere Sorgen, obwohl bisher noch keines gerissen wurde. Vizebürgermeister Georg Marksteiner ist selbst Landwirt in Bernschlag bei Allentsteig: „Es gibt zahlreiche Sichtungen von Fährten und auch Fotos von Wildkameras in Bernschlag mit bis zu sieben Wölfen. Hier streift der Wolf in der Nacht nur wenige hundert Meter vom Dorf vorbei."

Die Wölfe des Rudels reißen allerdings nur Wildtiere aus dem Wald. Die Jägerschaft führt rund um Allentsteig ein Monitoring durch und hält Politik und Landwirte auf dem Laufenden über die Situation. „Wir haben bereits mehrere gemeindeübergreifende Informationsabende veranstaltet, bei denen mit Experten diskutiert werden konnte", erzählt der Vizebürgermeister. „Wichtig ist, dass die Diskussion auf einer sachlichen Ebene bleibt." Im Alltag habe sich bisher durch die Ansiedelung des Rudels nichts verändert. Durch den Truppenübungsplatz haben die Wölfe einen idealen Rückzugsort, und Beute gibt es in den Wäldern genug. „Derzeit gibt es keinen akuten Grund zur Sorge bei uns", sagt auch Marksteiner.

Unter den Landwirten gibt es trotzdem die Angst, dass die Wölfe irgendwann die Weidetiere angreifen werden. „Hier habe auch ich selbst große Bedenken bei den Kälbern, die ich in den Freiluftiglus habe", sagt Marksteiner. „Wo ich ja weiß, dass 100 Meter davon entfernt der Wolf entlang zieht."

Für Schafe und Ziegen – und vielleicht auch sehr junge Kälber – ist Weideschutz deshalb essentiell. „In der Ebene ist das kein Problem, da reichen in der Regel Elektrozäune, um die Herden zu schützen", sagt Kurt Kotrschal vom Wolf Science Center. „Schwieriger ist es im Gebirge, da braucht man Herdenhunde und Hirten, um Schafe und Ziegen vor Wölfen zu schützen." Das habe viele weitere Vorteile, denn Hirten würden auch erkennen, wenn Tiere krank sind oder wenn Lawinen drohen.

Schweiz: Hirten haben sich bewährt

„Jedes Jahr fallen mehrere tausend Schafe Lawinen und ähnlichen Naturgewalten zum Opfer. Die sind verletzt, werden nicht gefunden und erfrieren", weiß Christian Pichler. In der Schweiz hat der Einsatz von Hirten großen Erfolg. Früher starben dort jährlich 10.000 Schafe vorzeitig. Seit der Wolf sich ausbreitet und in der Folge Hirten eingesetzt werden, hat sich die Zahl halbiert.

Doch ist der Einsatz von Herdenhunden und Hirten nicht so einfach. In Österreich werden derzeit weder Herdenhunde gezüchtet, noch gibt es den Ausbildungsberuf des Hirten. Außerdem würde beides hohe Kosten für die Landwirte bedeuten. „Zu den Kosten kann ich nur sagen: Das sind vermutlich nicht einmal 100 Meter Autobahn", gibt Pichler zu bedenken. „Ich schätze, der Herdenschutz wird in Österreich vielleicht eine Million Euro kosten. Das sollten uns unsere Bauern und besonders unsere kleinen Landwirte eigentlich wert sein. Landwirte, die unsere Almen erhalten, sollten gefördert werden. Das große Geld im Landwirtschaftssektor fließt in die Großbetriebe. Da kann man ruhig auch ein bisschen umschichten."

Landwirte sollen entschädigt werden

Wenn es dennoch zu Rissen kommt, sollten Landwirte entschädigt werden, sind sich die Experten einig. Das könne auch die Akzeptanz unter den Bauern deutlich erhöhen. Zuständig sind dafür die Bundesländer, die jedoch sehr unterschiedliche – teils gar keine – Regelungen für die Entschädigung von Wolfsrissen haben. In jedem Fall muss nachgewiesen werden, dass ein Wolf für die Risse verantwortlich ist. Dazu wird ein Sachverständiger gerufen, der DNA-Proben nimmt. Während früher meist die Landesjagdverbände eine Entschädigung an die Landwirte gezahlt haben, wenn es zu Wolfsrissen kam, haben die meisten ihre Unterstützung im letzten Jahr eingestellt – als Protest gegen die nicht regulierte Rückkehr des Wolfs. Die Entschädigungen wurden daraufhin jeweils von den Landesregierungen übernommen.

Bundes-Wolfsmanagementplans wird kaum angewandt

Die politischen Regelungen für den Umgang mit dem Wolf stammen weitestgehend aus einer Zeit, in der allenfalls zwei bis drei Wölfe jährlich durch Österreich wanderten. Jetzt, wo der Wolf wieder heimisch wird, bedarf es eines bundesweiten Wolfsmanagementplans – und den gibt es bereits seit 2012. Nur angewendet wird er noch kaum.

„Es wäre dringend geraten, dass die Bundesländer den Managementplan vollständig umsetzen", mahnt Arnold. Und auch Christian Pichler drängt zum Handeln: „Die Politik ist jetzt gefordert! Dass der Wolf kommt, wissen wir seit 30 Jahren. Seitdem breitet sich der Wolf aus und seit zehn Jahren sieht man immer wieder auch Wölfe in Österreich. Wir haben damals schon gesagt, wir müssen uns unbedingt vorbereiten. Dann wurde ein Managementplan geschrieben, bei dem alle zugestimmt haben. Da steht drin, dass man Herdenschutz braucht, dass man Öffentlichkeitsarbeit braucht. Aber passiert ist fast nichts. Wir haben immer noch ein bisschen Zeit, aber wenn nicht bald etwas passiert, ist es wirklich zu spät, und dann werden wir mehr Probleme haben als eigentlich nötig sind."

Der Wolfsmanagementplan, den alle Bundesländer (außer Wien und dem Burgenland), die Landwirtschaftskammer, Jagdvereine, der WWF, die Österreichischen Bundesforste und einige Grundbesitzer gemeinsam aufgestellt und beschlossen haben, gibt Empfehlungen für die Politik. Besonders gefordert sind die Bundesländer, die in ihren Jagd- und Naturschutzgesetzen die Rahmenbedingungen festlegen. Im Managementplan ist unter anderem festgehalten, dass Wolfsbeauftragte, Schadensbegutachter, eine nationale Beratungsstelle für Herdenschutz, Präventionsberater und ein Eingreifteam eingerichtet werden sollen. Auch Empfehlungen, wie Schadensprävention und -kompensation geregelt werden sollten, und solche für die Jägerschaft finden sich im 24-seitigen Managementplan.

Österreich kann von anderen Ländern lernen

„Wir sind eines der letzten Länder in Europa", erinnert Pichler. „Das heißt, wir brauchen nicht vorangehen, wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Wir müssen eigentlich nur schauen, was läuft gut in Deutschland, was läuft gut in der Schweiz, in Italien, in Slowenien oder auch in Tschechien, was läuft da schlecht, was kann man verhindern, was kann man verbessern."

Genau wie sich der Einsatz von Herdenschutzhunden und Hirten in anderen europäischen Ländern bereits bewährt hat, gibt es auch andere Maßnahmen, die man in Österreich übernehmen könnte. So ist Kurt Kotrschal überzeugt, dass einige deutsche Regelungen auch für Österreich sinnvoll wären. „In Deutschland bekommen Landwirte nur dann eine Entschädigung für Risse, wenn sie Herdenschutz betreiben, was einen wichtigen Anreiz schafft", berichtet der Verhaltensforscher für Wildtiere. „Und Wölfe, die dort wiederholt auf gefährliche Art verhaltensauffällig werden, können geschossen werden. Das schafft Sicherheit und ist mit den Schutzgesetzen der EU konform."

Die Schutzgesetze in der EU zu lockern, war in den letzten Jahren immer wieder das Anliegen einiger Mitgliedstaaten. Im Mai hat man auch von österreichischer Seite versucht, den Schutzstatus zu verringern. Derzeit dürfen Wölfe nicht geschossen, aus ihrer Umgebung entnommen oder gestört werden. Ausnahmen gibt es nur, falls ein Wolf wiederholt ein für Menschen gefährliches Verhalten zeigt. Und die EU rückt von diesem Status nicht ab. Es handele sich um den Schutz des europäischen Naturerbes. Wenn der Wolf an einzelnen Stellen Probleme bereitet, sei die Politik vor Ort gefordert, entsprechende Hilfen für die Bürger einzurichten.

Wird sich der Wolf weiter ausbreiten?

Fraglich bleibt, wie es mit dem Wolf in Europa weitergehen wird. Experten sind sich über die Ausbreitung nicht einig. Kurt Kotrschal ist sich sicher, dass eine gewisse Dichte nicht überschritten wird: „Wolfsrudel brauchen einen gewissen Abstand zueinander. Wölfe unterschiedlicher Rudel töten sich gegenseitig, um ihren Lebensraum zu schützen."

Walter Arnold hält diese Auffassung für „eine romantische Idee". Finde der Wolf weiterhin so gute Lebensbedingungen vor wie jetzt, werde die Population immer weiter ansteigen. Gewisse Lebensräume müsse man dann entweder verteidigen oder den Wölfen überlassen. „Es wird Aufgabe der Politik sein, zu verhandeln, wie viele Wölfe wir akzeptieren wollen und wo die Grenzen sind", sagt Arnold. „Das sollte aber nicht jedes Land für sich entscheiden, sondern auf EU-Ebene geschehen. Der Wolf interessiert sich nicht für Landesgrenzen."