Die Bürgermeister wünschen sich mehr Anerkennung für ihre Arbeit.
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Wie unsere Bürgermeister die Zukunft sehen

Eine Umfrage im Auftrag des Gemeindebundes zeigte zweierlei: Die Verantwortung und damit einhergehend der Druck auf die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister steigt, eine soziale Absicherung fehlt. Der Gemeindebund fühlt sich in seiner Arbeit bestätigt und fordert eine Reform der Grundsteuer sowie Planungs- und Finanzierungssicherheit für Kinderbetreuung, Schule und Pflege.

Zwei großen Themenblöcken widmete sich eine vom Gemeindebund beauftragte Umfrage, um die Herausforderungen der Gemeinden und der BürgermeisterInnen zu durchleuchten und den Ausblick auf die Zukunft der Arbeit in den Gemeinden zu skizzieren: Wo sehen unsere Bürgermeister selbst die großen Themen der nächsten fünf Jahre? Und welchen Rahmenbedingungen sehen sie sich dabei ausgesetzt? 

Die Zukunftsfragen für Gemeinden

Zentrales Thema der vergangenen Jahrzehnte waren die Gemeindefinanzen, und das dürfte auch so bleiben: Auf die Frage nach den größten Herausforderungen der Gemeinden in den nächsten fünf Jahren machen sich

  • 76 Prozent der befragten Bürgermeister die größten Sorgen über die Finanzen, dicht gefolgt vom
  • Thema Kinderbetreuung (66 Prozent),
  • der Infrastruktur (64 Prozent) oder
  • der Pflege (62 Prozent).
  • Für 56 Prozent der Ortschefs wird das Thema Raumordnung und für
  • 54 Prozent das Thema Schule künftig verstärkt eine Rolle spielen.
  • Weniger als die Hälfte der Befragten (49 Prozent) sehen das Thema öffentlicher Verkehr als Schwerpunkt der kommunalen Herausforderungen.
  • Am wenigsten wichtig erscheint den Kommunalpolitikern das Thema Sozialkosten bzw. Ausgaben im Bereich der Mindestsicherung (34 Prozent). 

Bei Ausbau der Kleinkinderbetreuung Luft nach oben

„Das Thema Kinderbetreuung steht für unsere Dorfbevölkerung ganz oben auf der Prioritätenliste.“ Das zeige nicht zuletzt auch die Einschätzung der meisten Bürgermeister/innen. „Wir sind bei den Betreuungsmöglichkeiten für zweieinhalb bis sechsjährige Kinder sehr gut aufgestellt. Bei der Kleinkinderbetreuung hingegen haben wir da und dort noch Ausbaubedarf“, so Gemeindebund-Präsident Riedl. Hier unternehmen inzwischen viele Gemeinden große Anstrengungen, um ein adäquates Angebot zu schaffen. Der Investitionsbedarf wird in den nächsten Jahren in diesem Bereich allerdings sehr hoch sein. Schon jetzt wendet eine Gemeinde durchschnittlich 6000 Euro pro Jahr und betreutem Kind auf. 

Schule – alles Personal muss in eine Hand

„Neben dem Kindergarten spielen auch die Schulen für die Bevölkerung eine immer wichtigere Rolle – nicht zuletzt auch bei der Wohnortauswahl“, so Riedl. Da sei es nicht verwunderlich, dass die Bürgermeister dem Thema Schule eine enorme Bedeutung in der Umfrage beimessen.

Klar sei, so Riedl, dass die Gemeinden seit Jahren Aufgaben in der Schule übernehmen, für die sie gar nicht zuständig sind. „Ich spreche da von Stützkräften, Sozialarbeitern, Freizeitpädagogen, administrativen Kräften. Dabei sind wir als Gemeinden nur für die Schulerhaltung zuständig. Deshalb ist unsere Forderung ganz klar: Wir brauchen dringend eine Neuorganisation des Bildungsbereichs, in der alles Personal in eine Hand gehört und nicht drei verschiedene Dienstgeber zuständig sind. Darüber hinaus brauchen wir eine langfristige Planungs- und Finanzierungssicherheit anstelle von kurzfristigen Anschubfinanzierungen.“

Brauchen Finanzierungssicherheit in der Pflege

Auch eine bestmögliche Pflegeversorgung liegt den Bürgermeistern in den Gemeinden am Herzen.

Riedl: „Die Gemeinden sind die ersten Ansprechpartner für alle Sorgen und Anliegen der Bürger – so auch in der Pflege. Der Großteil der Pflegebedürftigen wird dabei von den Angehörigen zuhause betreut. Einen beträchtlichen Teil der Pflegekosten von 4,5 Milliarden Euro finanzieren die Gemeinden mit einer knappen Milliarde Euro. Deswegen müssen die Gemeinden nicht nur in die Reformpläne der Pflege eingebunden werden. Wir brauchen auch dringend eine Finanzierungssicherheit in dieser Frage.“

Digitalisierung als zentrale Herausforderung der Infrastruktur

„Der Ausbau von Breitband in den Gemeinden ist DIE zentrale Herausforderung im Bereich der kommunalen Infrastruktur. Während Wasser, Kanal und Müllentsorgung in den Gemeinden  gut funktionieren, ist der Druck für den Ausbau eines leistungsstarken Internets enorm. Deswegen ist es nicht nur notwendig, einen Glasfaserfonds zu schaffen, sondern vielmehr die digitale Infrastruktur endlich als Teil der Daseinsvorsorge wie Wasser, Kanal und Strom anzuerkennen.“ Schnelles Internet ist schließlich eine Schlüsselinfrastruktur und Standortfrage für Gemeinden. Es ermöglicht Arbeitsplätze, verhindert Abwanderung und wird damit zunehmend zur Frage der Existenz, so der Gemeindebundchef.

Haftung und soziale Absicherung

Riedl: „Wir spüren, dass der Druck auf die Bürgermeister in Haftungsfragen enorm steigt. Das spiegelt auch die Umfrage wider. Immer öfter müssen die Ortschefs die Haftung übernehmen und sind dabei mit einem hohen Klagsrisiko konfrontiert – von den persönlichen und psychischen Belastungen ganz abgesehen. Hier muss der Druck von den Bürgermeistern genommen werden, weil sich in letzter Konsequenz die Bürgermeister diese Arbeit in Zukunft nicht mehr antun werden“, fürchtet Riedl.

„Auf der persönlichen Ebene der Bürgermeister stellt das strukturelle Defizit in der sozialen Absicherung der Bürgermeister nach wie vor ein großes Problem dar. Es kann nicht sein, dass ein Bürgermeister, der sein Amt engagiert ausführt, nach seiner Abwahl keine Versorgungssicherheit hat“, moniert Riedl. Hier brauchen wir endlich eine sozialrechtliche Absicherung!

Wie können die Herausforderungen bewältigt werden?

Wie und von wem sollen diese Themen und Herausforderungen nun bewältigt werden? Der zweite Teil der Umfrage versuchte ein Bild über die Arbeitsbedingungen, Verantwortlichkeiten in den gegebenen Rahmenbedingungen herauszuarbeiten. Und deckte dabei einige Punkte auf, die auf Handlungsbedarf hinweisen. 

Belastungen durch den Bürgermeisterjob bei Frauen höher

Neben den „hard facts“ werden zunehmend auch die „soft facts“ zu einer immer größeren Herausforderung für die Bürgermeister. So sehen sich 56 Prozent der Ortschefs hinsichtlich des Berufsbilds des Bürgermeisters und den Herausforderungen, die damit im Alltag verknüpft sind, einer sehr großen Belastung ausgesetzt. Interessant sind dabei die geschlechtsspezifischen Unterschiede: Bei den Bürgermeisterinnen empfinden 65 Prozent eine höhere durch die mit dem Bürgermeisterjob in Zusammenhang stehende Belastung im Alltag, während es bei den männlichen Amtskollegen nur 55 Prozent sind.

Als Gründe für die steigenden Belastungen werden die allgemein wachsende Bürokratie (88 Prozent), der generelle Zeitaufwand für die Gemeinde (80 Prozent), gefolgt von einem hohen Anspruch der Bürger (76 Prozent) genannt.

Verantwortung der Bürgermeister enorm

Auch das Thema Verantwortung nimmt nicht zuletzt durch die starke mediale Präsenz – Urteil gegen den ehemaligen Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden, Haftungsfälle, Drohungen gegen Bürgermeister –  für die Gemeindeoberhäupter eine immer größere und schwierigere Rolle ein.

Das zeigen auch die Ergebnisse der Bürgermeisterumfrage:

  • 87 Prozent der Bürgermeister fühlen sich demnach für alle Anliegen in der Gemeinde verantwortlich,
  • 78 Prozent sehen sich hauptverantwortlich für die Gemeindefinanzen,
  • 69 Prozent geben an, über besondere Kenntnisse verfügen zu müssen, um den Anforderungen des Bürgermeisters gerecht zu werden.
  • 67 Prozent der Ortschefs sehen ihre Verantwortung in der Raumplanung,
  • 63 Prozent geben an, ein ausgleichender Faktor bei Emotionen in der Bevölkerung zu sein (Wutbürger, Spaßgesellschaft etc.),
  • 52 Prozent sehen sich als Hauptansprechpartner bei sozialen Härtefällen.

Die kommunalen Herausforderungen der kommenden Jahre
Die kommunalen Herausforderungen der kommenden Jahre

Zunahme der Veränderungen auf emotionaler Ebene

Dass die Hemmschwelle für Anfeindungen und Angriffe im täglichen Leben immer geringer wird, spiegelt sich auch auf kommunaler Ebene wider:

60 Prozent der Befragten meinen, dass die Notwendigkeit zum Kommunizieren und Erklären zwischen Gruppen in der Bevölkerung (z. B. bei Interessenskonflikten, Generationen etc.) im Vergleich zu den vergangenen Jahren zugenommen hat.

Auch hier sind wieder geschlechtsspezifische Unterschiede auffallend: Bürgermeisterinnen (78 Prozent) empfinden die Veränderung im Verhältnis zu ihren männlichen Kollegen (58 Prozent) stärker.

Als Gründe für die Zunahme nennen 68 Prozent den Autoritätsverlust bzw. mangelnden Respekt, 65 Prozent sehen eine zunehmende Aggressivität im Umgang miteinander, 64 Prozent empfinden ein generell kühleres gesellschaftliches Klima.

Es fehlt an sozialer Absicherung für ausscheidende Bürgermeister

Die Berichterstattung der vergangenen Wochen und Monate hat es gezeigt: Immer öfter sieht man sich in der Zwangslage, als Bürgermeister Rede und Antwort zu stehen für politische Entscheidungen, die auf Gemeindeebene nicht beeinflussbar sind – hier stimmen auch in der Umfrage 48 Prozent zu.

Die Leistungen der Bürgermeister werden von den anderen politischen Instanzen und Institutionen zu wenig anerkannt, findet die Mehrheit der Bürgermeister. Besonders auffallend sind die Rückmeldungen hinsichtlich der zunehmenden Verantwortung der Bürgermeister – 73 Prozent der Ortschefs stimmen hier sehr zu. Auch die Frage der fehlenden sozialen Absicherung ist eindeutig: 58 Prozent geben an, dass es an einer sozialen Absicherung für ausscheidende Bürgermeister mangelt.

Belastung der Bürgermeister

Gründe für die Belastung

Verantwortung der Bürgermeister

Bürgermeister in der Zwangslage

Bürgermeister werden häufiger in sozialen Medien an den „Pranger“ gestellt

Im Zusammenhang mit Fehlverhalten der Gemeindeverwaltung bewertet eine überwiegende Mehrheit der Bürgermeister – 35 Prozent stimmen sehr zu, 41 Prozent stimmen eher zu –, dass es immer häufiger zu einem unverhältnismäßigem „Pranger“ in den sozialen Medien kommt.

Eine Mehrheit der Befragten findet die Entschädigung für den Bürgermeisterjob als nicht angemessen und wünscht sich einen Ausbau von Weiterbildungsangeboten.

Die Folgerungen aus der Umfrage für den Gemeindebund

„Die Umfrage zeigt ganz deutlich, dass wir die richtigen Maßnahmen hinsichtlich der künftigen Herausforderungen in den Gemeinden setzen, die richtigen Themen ansprechen und die Sorgen der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ernst nehmen“, sagt Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl. 

Tatsache ist, dass die Bürgermeister das Thema Finanzen nach wie vor als das größte kommunale Sorgenthema betrachten. Jahr für Jahr drängt der Gemeindebund zu einem Belastungsstopp sowie einer langfristigen und nachhaltigen Abgeltung der Kosten für die immer höher werdenden Ausgaben in den Gemeinden.

„Die Finanzen sind zu einer endlosen Debatte für die Gemeinden geworden. Hier haben wir dringenden Handlungsbedarf und werden auch nicht lockerlassen. Es kann nicht sein, dass die Gemeinden ständig neue Aufgaben und Kosten übernehmen müssen, für die wir eigentlich nicht zuständig sind. Gleichzeitig wird bei der Reform der Grundsteuer – einer reinen Gemeindeabgabe – gebremst“, ärgert sich Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl.