Wie die Umstellung auf die neue VRV läuft
„Österreichs Gemeinden haben zur Vorbereitung auf den Start der neuen doppelten kommunalen Buchführung viel Zeit mit der Erfassung und Bewertung des bestehenden Gemeindevermögens sowie der dafür erhaltenen Investitionszuschüsse aufgewendet. „Dabei werden sie mit den verschiedensten Fragen konfrontiert – beginnend von verschiedenen Möglichkeiten der erstmaligen Bewertung über die Verwendung bereits vorhandener Werte aus den bestehenden Rechenwerken bis hin zu den zu ermittelten Daten für Rückstellungen oder Beteiligungen.“
So trocken begann Anfang Oktober 2018 ein Beitrag des Gemeindebund-Finanzexperten Christian Schleritzko über die Besonderheiten der neuen Buchführung der Gemeinden.
Rechtliche Vorgaben in Hülle und Fülle
Die Vorgaben, die die Ortschefs und ihre Leute in den Gemeinden zu beachten haben, haben es auch in sich. Einer der größten Haken liegt in der Bewertung von Gemeindevermögen, wie das Beispiel „Gemeindestraßen“ zeigt. Es stellte sich heraus, dass die Erhebung des Zustands der Straßen für die Gemeindemitarbeiter besonders aufwändig ist. Noch dazu sind die Vorgaben der Bewertung, wie beispielsweise die Nutzungsdauer, nicht üpberall gleich.
Wie bewertet man eine Straße?
So genau wie möglich sollen die Straßen, am besten in kurzen Abschnitten, nach ihrem baulichen Zustand kategorisiert werden. Diese Kategorien sind in weiter Folge entscheidend dafür, wie hoch die prognostizierte Restnutzungsdauer der Straße liegt und mit welchen prozentualen Abschlagsraten ihr Wert zu ermitteln ist. Die Nutzungsdauer einer nagelneuen befestigten Straße wird entsprechend der „Anlage 7 zur VRV, Nutzungsdauertabelle, bundesweit mit 33 Jahren angenommen.
Und da beginnt es: Ein Bundesland hat sich auf eine „tatsächliche wirtschaftliche Nutzungsdauer“ von 50 Jahren festgelegt und beruft sich dabei auf Straßenbauexperten. Unbefestigte Straßen, da sind sich wiederum alle einig, haben eine Nutzungsdauer von zehn Jahren.“ Schon allein diese Diskrepanz zeigt auf, wo die Probleme liegen.
Friedrich Klug, Leiter des Instituts für Kommunalwissenschaften und einer der profundesten Kritiker der VRV für Gemeinden, formulierte es so: „Eine Bewertung öffentlich gewidmeten Gemeindevermögens ist mit vielfältigen Problemen verbunden, beruht auf vielen Annahmen, ist eigentlich gar nicht möglich, kostet viel, stiftet kaum Nutzen, divergiert von Bundesland zu Bundesland und Gemeinde zu Gemeinde, sodass keine Vergleichbarkeit gegeben ist.“
Die Stimmung in den Gemeinden
Die Stimmung in Sachen VRV ist unter den Kommunalpolitikern, den Amtsleitern und Mitarbeitern sehr unterschiedlich. Die Frage nach der Stimmungslage reicht von „einigermaßen gut“ über „mit gemischten Gefühlten“ bis hin zu „sehr schlecht“.
Während einige Verständnis für die Installation der VRV zeigen, halten andere dieses Instrument der Buchhaltung für einen „Versuch des Zentralismus, den Gemeinden die Eigenständigkeit zu nehmen“. Auch wird der Verdacht geäußert, dass durch die VRV mehr Zentralismus Einzug halten und den Gemeinden die Eigenständigkeit genommen wird. Soweit die Kurzfassung.
Ein Blick auf die Praxis
Herbert Schober, Bürgermeister und Leiter der Finanzverwaltung in Grödig (Salzburg), hat den Eindruck, „dass die Umstellung bei uns in Salzburg recht gut funktioniert, weil von den Gemeinden eine einheitliche Vermögensbewertung erarbeitet wurde.“
In Salzburg haben sich fünf Gemeinden sich zusammengeschlossen und gemeinsam ein EDV-Tool erarbeitet. „Damit konnte die Erstbewertung sehr einfach und praxisnah gemacht werden. Über 80 Gemeinden haben das Tool genutzt und die Bewertung nach dem gleichen Schema gemacht. Als positiv habe ich empfunden, dass die Gemeinden einander dabei auch gegenseitig unterstützt haben und es einen reichen Erfahrungsaustausch gab“, so Schober.
Josef Liendl, Bürgermeister im Kärntner Köttmannsdorf, meint hingegen: „Es ist ein enormer und dauerhafter Mehraufwand für die Gemeinden – vor allem auch personell. Meine Kontakte mit den anderen Gemeinden sagen, dass alle überbelastet sind. Die finanzielle Darstellung ist ja vollkommen unwichtig und unlogisch, weil die Gemeinde ja kein Betrieb ist, sondern Dienstleister. Wenn ich als Gemeinde einen Betrieb habe, muss ich ja sowieso eine Bilanz legen. Aber die VRV auf die Gemeinden anzuwenden, ist widersinnig und widerspricht der Praxis, wie wir arbeiten.“
Andreas Kozar, Bürgermeister und Amtsleiter in niederöstereichischen Reingers, geht mit gemischten Gefühlen in den Voranschlag hinein, „weil wir Neuland betreten. Vor allem für Gemeinderatsmitglieder, die sich weniger mit buchhalterischen Themen auseinandersetzen, wird es in der Übergangsphase noch schwieriger, die wesentlichen Informationen herauszulesen. Selbst für einen gelernten Buchhalter, der in der Doppik zuhause ist, wird es schwierig.“
Michael Leitner, Chef der Gemeinde Schwarzenberg in Oberösterreich, meint zur Umstellung: „Die Vorarbeiten dazu haben grundsätzlich gut funktioniert. Es gab Schulungen für die Leute, die operativ damit zu tun hatten, also die Gemeindebuchhalter. Bei uns hat es sehr gut funktioniert, aber ich kann nur für meine Gemeinde sprechen. Änderungen sind manchmal schwierig, und der Wechsel von der Kameralistik zu einer Drei-Komponenten-Buchhaltung ist schwer. Und es ist grundsätzlich eine Materie, die sehr von den Personen abhängt.“
Nicht nur von Personen, auch von Schulungen hängt viel ab. „Ich selbst bin gut zurecht gekommen, weil ich auch Leiter der Finanzverwaltung bin, aber für die Gemeindevertreter ist es sehr schwer, das System zu verstehen. Hier gibt es sicher noch großen Schulungsbedarf“, meinte Herbert Schober auf Nachfrage. Michael Leitner bestätigt seien Kollegen: „Schulungen bei uns sind durchwegs von oberösterreichischen Gemeindebund und dem Rechenzentrum ausgegangen und waren sehr gut organisiert.“
Renate Gräf, Amtsleiterin in der Gemeinde Ottensheim bestätigt diese Sicht. „Die angebotenen Schulungen und auch der Leitfaden für die Bewertungen waren extrem gut und hilfreich, es gibt auch laufend Schulungen – wir sind mit der Aufgabe nicht allein gelassen worden. Dieses Drei-Komponenten-System für die Gemeinden ist teilweise recht kompliziert, und wenn man nicht dauern damit zu tun hat, ist es schwer, den Überblick zu behalten.“
Das das aber nicht in allen Ländern so ist, dass teilweise sogar die Vortragenden überfordert waren, bestätigt unter anderem Josef Liendl: „Schulung? Für die Finanzverwalter hat es von der Verwaltungsakademie Seminare und Vorträge gegeben, aber auch da hat es keine konkreten Antworten gegeben, weil es die Vortragenden selber nicht gewusst haben.“
Was dieses Thema betrifft, hat es aber auch Stimmen gegeben wie „Ich fühl‘ mich vom Land im Stich gelassen.“ oder „Bei Schulungen kam die Aussage: Die Umstellung auf die Kameralistik hat 20 Jahre gedauert, bis es funktioniert hat. Also rechnet man ja sowieso mit so einer Umstellungsdauer. Aber so kann man keine Buchhaltung führen!“ (Name der Redaktion bekannt*).
Probleme mit Bewertungen
Und was sagen diejenigen, die tatsächlich damit arbeiten müssen? Die Mandatare müssen sich auskennen, keine Frage. Aber wirklich damit arbeiten und vor allem die Bewertungen müssen die Amtsleiter und die Mitarbeiter der Gemeinden machen. Wie sieht es also aus mit den Bewertungen des Gemeindevermögens und der Vergleichbarkeit der Gemeinden (eines der Hauptargumente für die VRV)?
„Eine Vergleichbarkeit der Darstellung der Gemeinden? Ich glaube, dass das überhaupt nicht funktioniert. Wir haben uns mit anderen Gemeinden und unserem EDV-Betreuern abgestimmt und diesbezüglich gewisse Dinge hinterfragt. Das erste Feedback, das wir erhalten haben, ging dahin, dass ‚andere Gemeinden das ja ganz anders machen‘. Die Vergleichbarkeit hängt primär an der Genauigkeit der Darstellung – und da gibt es sicher Unterschiede zwischen den Gemeinden. Die einen machen es auf Punkt und Beistrich genau nach dem Leitfaden, andere „Daumen mal Pi“ und schätzen – und dann stimmen die Werte einfach nicht zusammen“, meint Amtsleiterin Renate Gräf.
Andere formulieren es bissiger: „Vergleichbarkeit der Darstellung? Nie und nimmer! Schon bei den Schulungen hat sich gezeigt, dass es zu einem einzigen Beispiel fünf verschiedene Ansätze und Meinungen ergeben haben. Die Vergleichbarkeit ist nie und nimmer gegeben. Es kommt ja immer darauf an, wie es derjenige sieht, wie es „die Politik“ sieht und wieweit sich die Politik dabei mitredet.“ (Namen der Redaktion bekannt).
Bürgermeister Josef Liendl meint dazu: „Bewertungen? Das ist so eine Sache. Bei einer neuen Schule oder einem neuen Kindergarten hat man ja eine Bewertung, aber wie will man einen 30 Jahre alten Kindergarten bewerten. So zirka Daumen mal Pi? Oder man bestellt einen Sachverständigen, der Projekte mit Gutachten bewertet. Und dann: Es gab für die Straßen- und Wegebeurteilung vom Land Schablonen, aber es ist ja ein Wahnsinn. Die Wege meiner Gemeinde sind sieben Millionen Euro wert, wenn ich das aber durch 30 oder 50 Jahre dividiere, muss ich eine Abschreibung machen – das ist ja verrückt und entspricht überhaupt nicht der Wahrheit. Und wofür?“
Nicht alle sehen es nur negativ
Es gibt aber auch positive Stimmen. Herbert Schober: „Bei allen Bewertungen gab es Referenzwerte, etwa einen Kubikmeterpreis für Gebäude. Die Straßen haben wir nach einem Laufmeterpreis in verschiedenen Kategorien bewertet. Je nach Alter der Straße wurde der Wiederbeschaffungswert nach dem Baupreisindex berechnet, sodass wir einen fiktiven Anschaffungspreis ermitteln konnten.“
Was als Fazit stehenbleiben kann? „Ich persönlich messe dem Voranschlag 2020 nicht allzu große Bedeutung bei. Schon alleine deswegen, weil man Überschüsse bzw. Fehlbeträge EDV-technisch gar nicht einarbeiten kann. Daher wird das größere Augenmerk auf dem Rechnungsabschluss und dem daraus folgendem Nachtragsvoranschlag liegen“, meint Andreas Kozar, Bürgermeister und Amtsleiter in niederösterreichischen Reingers.