Walter Leiss
Walter Leiss: „Zu erwähnen ist, dass durch legistische Vorgaben den Gemeinden die Möglichkeit genommen wurde, für den Besuch von Kinderbetreuungseinrichtungen entsprechende Entgelte bzw. Gebühren einzuheben.“
© Philipp Monihart

Wer anschafft, muss auch zahlen

Die Kinderbetreuung ist seit jeher eine Kernkompetenz der Gemeinden. Das Angebot erfolgt in allen Bundesländern nach den Regeln des Bundes und der Länder und nach den Bedürfnissen der Kinder und Eltern. Kindergartenbauordnungen regeln die baulichen Anforderungen und Kindergartengesetze die inhaltlichen. Die Aufgabe und das Angebot haben sich in den letzten Jahrzehnten sukzessive verändert und verbessert. War früher das Eintrittsalter vier Jahre, kommen Kinder heute oft mit zwei oder sogar schon ab dem ersten Lebensjahr in Kindergärten oder Kinderkrippen.

Die Gemeinden wissen um die Bedeutung von Kinderbetreuungseinrichtungen als Standortfaktor für die Gemeinde und bemühen sich, bedarfsgerechte Öffnungszeiten und entsprechende Angebote bereitzustellen. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten die sich ändernden Bedürfnisse junger Familien, die sich ändernden Lebenswelten und damit die Erfordernisse einer verbesserten Kinderbetreuung erkannt und das Angebot erweitert. Das Ziel, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf herbeizuführen bzw. junge Eltern zu unterstützen, wird auch von den Gemeinden mitgetragen. 

Die Finanzierung der Kinderbetreuungseinrichtungen obliegt den Gemeinden. Natürlich muss darauf verwiesen werden, dass es sowohl von Länder- als auch von Bundesebene im Wege von §15a-Vereinbarungen zusätzliche Mittel für den Ausbau und die Verbesserung des Angebotes gegeben hat und gibt.

Diese decken aber nicht den gestiegenen Mehraufwand. Zu erwähnen ist auch, dass durch legistische Vorgaben den Gemeinden die Möglichkeit genommen wurde, für den Besuch von Kinderbetreuungseinrichtungen entsprechende Entgelte bzw. Gebühren einzuheben, denn Kinderbetreuung soll kostenlos sein. 

Junge Mütter als potenzielle Arbeitskräfte entdeckt

Forderungen nach einer Ausweitung des Kinderbetreuungsangebotes und einer Verbesserung der Qualität hat es immer gegeben. Das Ziel, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen, ist nicht neu. Gab es früher noch das Ziel, den Eltern und Müttern eine Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung zu ermöglichen, ist dies in der letzten Zeit in den Hintergrund getreten. Ein Blick auf den Arbeitsmarkt zeigt, dass sich dieser seit dem Ausbruch der Pandemie fundamental verändert hat.

Gab es vor der Pandemie noch höhere Arbeitslosenraten, kämpfen wir derzeit um Arbeitskräfte in vielen Branchen. Das hat nun offenbar die Sozialpartner und die Industriellenvereinigung inspiriert und junge Mütter wurden als potenzielle Arbeitskräfte, die diese Lücke schließen könnten, entdeckt. Um diese in den Arbeitsprozess integrieren zu können, wird eine flächendeckende Möglichkeit der Kinderbetreuung für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert.

Forderung nach Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr

Die Forderungen gipfeln in einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr sowie bundesweit einheitlichen Qualitätskriterien. Und natürlich müsse dieses Angebot kostenlos sein.

Vor dem Hintergrund des akuten Arbeits- und Fachkräftemangels sei der „Ausbau der qualitätsvollen Kinderbetreuung mit einer Ausweitung der Öffnungszeiten, die mit einer Vollzeitbeschäftigung vereinbar sind, ein Muss – wichtig für Frauen, Familien und den gesamten Wirtschaftsstandort Österreich“, sagt Martha Schulz, Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer und Bundesvorsitzende von „Frau in der Wirtschaft“. Jetzt vor dem Beginn der Finanzausgleichsverhandlungen sei da eine große Chance, etwas zu verändern. 

„Dass acht von zehn Teilzeitbeschäftigten laut Rechnungshofbericht Frauen sind, liegt auch am mangelnden Angebot an ganztägigen Kinderbetreuungsplätzen“, so SPÖ-Frauen-Vorsitzende Eva-Maria Holzleitner. Die hohe Teilzeitquote sei auch eine Ursache für die hohen Einkommensunterschiede in Österreich. Hunderttausend Kinderbetreuungsplätze müssten geschaffen werden. 

Verbessertes Kinderbetreuungsangebot als Turbo für den Arbeitsmarkt, so unisono die Sozialpartner. Nur der Familienbund erklärt, dass der Fokus auf dem Kindeswohl liegen müsse und nicht darauf, wie viel Eltern arbeiten können, wenn Kinder in Vollzeitbetreuung sind.

Auch Bildungsminister Martin Polaschek spricht in seinem Dank an die Elementarpädagoginnen und -pädagogen davon, dass diese trotz aller Herausforderungen dafür sorgen, dass der Kindergarten als erste Bildungseinrichtung einen soliden Grundstein für die Bildungslaufbahn eines Kindes legt. Er überlegt auch, wie schon in der Vergangenheit im Zusammenhang mit §15a-Förderungen gemeinsame Qualitätskriterien für alle Bundesländer vorzusehen. Eine von vielen geforderte Bundesrahmenkompetenz für Kindergärten würde zwar einiges erleichtern, sieht er aber nicht als prioritär an.

Pädagogisches Personal fehlt

Was ist von diesen Forderungen zum jetzigen Zeitpunkt zu halten? Die Notwendigkeit der stetigen Verbesserung des Betreuungsangebotes kann nicht bezweifelt werden. Das wird von den Gemeinden laufend gemacht. Die Sozialpartner verschweigen aber, dass der Arbeitskräftemangel auch bei den Elementarpädagoginnen und –pädagogen stark zu spüren ist.

In einigen Bundesländern mussten Gruppen geschlossen werden, weil pädagogisches Fachpersonal fehlt. Von einer Erweiterung des Angebotes in einer solchen Situation zu reden, darf wohl hinterfragt werden, denn für ein erweitertes Angebot fehlt schlichtweg das Personal.

Dass alle jungen Mütter auch tatsächlich Vollzeit in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen, ist wohl auch nicht richtig. Ein Blick auf die Erwerbsquote von Müttern zeigt, dass diese von 2004 bis 2018 von 53,2 auf 50,9 Prozent zurückgegangen und die Teilzeitquote um 8,5 Prozent gestiegen ist. Und das, obwohl in allen Bundesländern das Betreuungsangebot gestiegen ist.

Am fehlenden Betreuungsangebot allein kann es daher nicht liegen. Wie generell festzustellen ist, dass auch viele Frauen ohne Kinder lieber Teilzeit als Vollzeit arbeiten – Stichwort „Work-Life-Balance“. Zum Beispiel wollen immer mehr Lehrerinnen und Lehrer in Teilzeit arbeiten. In den vergangenen fünf Jahren stieg der Anteil derer, die Lehrersein nicht (mehr) als Vollzeitbeschäftigung ausüben wollen – oder können –, im Pflichtschulbereich um fast 25 Prozent. Und dieser Trend gilt auch für andere Berufsgruppen. Dass dies für unsere Wirtschaft kein erfreulicher Zustand ist, ist ein anderes Thema.

Stichwort Wirtschaft. Warum von den Vertretern der Industrie und Wirtschaft nur die Forderung kommt, die Gemeinden sollten etwas tun, ist auch nicht nachzuvollziehen. Warum gibt es so wenige Betriebskindergärten, die die gleichen Förderungen erhalten würden und für die Beschäftigten wesentliche Vorteile hätten? Kurze Wege und angepasste Öffnungszeiten für die Eltern wären ein gutes Signal an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Dauerhafte Lösung statt Anschubfinanzierung gefordert

Mehr Angebot und bessere Qualität erfordern einfach auch mehr finanzielle Mittel. Ob es nun die eine Milliarde pro Jahr ist – von manchen wurde eine Milliarde pro Jahr und Bundesland verlangt –, sei dahingestellt. Die Forderung wird bei den Verhandlungen zum Finanzausgleich auch gestellt werden.

Ziel muss eine bedarfsgerechte und dauerhafte Finanzierungslösung und keine Anschubfinanzierung sein. Und um die ständigen Debatten über Qualitätsanforderungen zu lösen, wäre es überlegenswert, sämtliches Personal der Bildungseinrichtung „Kindergarten“ an den Bund zu übertragen, der es wie im Pflichtschulbereich auch zu finanzieren hätte. 

Die Gemeinde als Kindergartenerhalter, die für Errichtung und Betreuung des Objekts zuständig ist, und die Finanzierung und Bereitstellung des Personals durch den Bund im Wege der Länder: Zwar würden sich dadurch auch nicht alle Wünsche erfüllen lassen, aber zumindest wären dann die Aufgaben und die Finanzierungsverantwortung in einer Hand.