Düsseldorf
Für Städte und Gemeinden schlägt die Verordnung Nettogrünflächenverlustverbote vor, Doch die Definition der betroffenen Städte, Kleinstädte und Vororte führt zu äußerst unterschiedlichen Ergebnissen.
© shokokoart - stock.adobe.com

Umweltpolitik

Was ist eine Stadt, was ein städtisches Ökosystem?

Die Europäische Union steht vor der Herausforderung, den Spagat zwischen Wettbewerb im Binnenmarkt und einem ambitionierten Klima- und Umweltschutz zu schaffen. Die Gesetzesvorschläge der Kommission sind aber oft legistisch schlecht und widersprechen bereits in Kraft befindlichen Richtlinien. So geht die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, die ein Grünflächenverlustverbot vorschlägt, zu weit, da sie nicht auf die Vielfalt europäischer Gemeinden eingeht. Die Kommission vergisst auf Flächenwidmungspläne, Raumordnungskonzepte und Eigentumsrechte und schlägt vor, dass Bautätigkeit und wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen Kommunen nur stattfinden können, wenn bei Verlust von Grünfläche ebenso viel Ausgleichsfläche geschaffen wird.

Die Europäische Union wird mit vielem verbunden und viel wird von ihr erwartet: Friedenssicherung, Wohlstand, Schutz der Demokratie, Umwelt- und zunehmend Klimaschutz. Böse Zungen könnten ätzen, dass die Politik der Union für den Zustand von Umwelt und Klima mitverantwortlich sei und man jetzt mit neuen Gesetzen Entwicklungen einzufangen versuche, die erst vor zehn oder zwanzig Jahren angestoßen wurden.

Aber kann der Spagat zwischen Wettbewerb im globalisierten Binnenmarkt und einem ambitionierten Klima- und Umweltschutz gelingen? Schaffen die Europäer den Umstieg auf „Weniger ist mehr“, weg von Einwegverpackungen, Coffee to go und scheinbar unbegrenzter Mobilität? Und ist die Strahlkraft der EU so groß, dass andere Kontinente folgen und auf nachhaltigeren Konsum und geringeren Ressourcenverbrauch umstellen?

Hohes Tempo, aber legistisch schlechte Vorschläge

Der Grüne Deal ist natürlich eine gute Sache und bitter notwendig. Ohne Regulative ändert sich zu wenig zu langsam. Doch auch hier ist festzustellen, dass der Turbo erst bei entsprechend hohem Leidensdruck gezündet wird – in Sachen erneuerbare Energie oder Energieeffizienz etwa durch den enormen Anstieg der Energiepreise und Verknappung auf den Märkten. 

Die Kommission, die noch ein knappes Jahr im Amt bleibt, muss jetzt liefern und veröffentlicht Vorschlag um Vorschlag. Sie folgt dem Auftrag der Staats- und Regierungschefs, die Pariser Klimaziele mithilfe von EU-Gesetzen zu erreichen.

Das Tempo ist dennoch schwindelerregend und die Gesetzesvorschläge – so sinnvoll der Gedanke hinter jedem einzelnen sein mag – sind mitunter legistisch einfach schlecht. Neue Vorschläge widersprechen bereits in Kraft befindlichen Richtlinien und machen schon einmal deutlich, wie gering das Wissen über Kompetenz- und Aufgabenverteilung in den Mitgliedstaaten ist. 

Grünflächenverlustverbot bei 76 Prozent Waldanteil?

Ein solches Negativbeispiel ist die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Grundsätzlich eine gute Idee, Europa kann im Naturschutz sicher besser werden. Aber dass eine EU-Verordnung vorschreibt, wie viel landwirtschaftliche Fläche wieder Moor werden soll oder wie ein den Biodiversitätszielen entsprechender Wald aussehen muss, geht zu weit. 

Für Städte und Gemeinden schlägt die Verordnung Nettogrünflächenverlustverbote vor – nicht beschränkt auf dicht bebaute ­Stadtzentren und Ortskerne, sondern über das gesamte Gemeindegebiet gerechnet. Allein dies zeugt von einer ziemlichen Unkenntnis des Status quo, aber auch von mangelnder Abstimmung innerhalb der Kommission selbst. 

Denn die gewählte Definition der betroffenen Städte, Kleinstädte und Vororte (in Österreich rund zehn Prozent aller Gemeinden) führt zu äußerst unterschiedlichen Ergebnissen. Während sie für französische Städte Bebauungsquoten ab 70 Prozent ergibt, sieht es in österreichischen oder skandinavischen Kommunen ganz anders aus. Selbst Wien hat „nur“ 57 Prozent bebaute Fläche, viele Bezirksstädte oder unter die Vorort-Definition fallenden Gemeinden haben Bebauungsquoten von 20 Prozent und weniger. 

Eurostat-Karte mit Städten und Kleinstädten
Die Eurostat-Karte mit Städten und Kleinstädten
Blau: Städte (dicht besiedelte Gebiete; rund 50 Prozent der europäischen Bevölkerung lebt in Städten bzw. urbanen Zentren)
Orange: Klein- und Vorstädte (Gebiete mit mittlerer Dichte; weniger als 50 Prozent der Bevölkerung lebt in ländlichen Rasterzellen und weniger als 50 Prozent der Bevölkerung in städtischen Zentren)
Grün: Ländliche Gebiete (dünn besiedelte Regionen; mehr als 50 Prozent der Bevölkerung lebt in ländlichen Regionen)
Grau: Keine Daten verfügbar.

Dennoch gilt für alle das gleiche Ziel, nämlich bis 2030 netto keinen Grünflächenverlust zu erleiden. Hinzu kommt ein gesamtstaatliches Ziel, wonach städtisches Grün bis 2050 um fünf Prozent zunehmen muss und in allen Städten mindestens zehn Prozent Baumüberschirmung zu schaffen ist. Kontrolliert werden soll das Ganze mithilfe von Satellitenbildern, die auch für die Bestandsaufnahme herangezogen werden. 

Wie bereits dargestellt, hat dieser Vorschlag für dicht bebaute Städte durchaus seine Berechtigung. Die Kommission vergisst aber auf die Vielfalt europäischer Städte, Kleinstädte und Vororte, auf Flächenwidmungspläne, Raumordnungskonzepte, Eigentumsrechte. All das wird ausgespart und dennoch ein One-size-fits-all-Vorschlag vorgelegt.

Streng genommen könnten Bautätigkeit und wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen Kommunen nur mehr stattfinden, wenn bei Verlust von Grünfläche ebenso viel Ausgleichsfläche geschaffen wird – auch in einer Stadt wie Bruck an der Mur mit 76 Prozent Waldanteil.

Wenig Bebauung in kleinen Städten

Befremdlich ist zudem, dass die Kommission in ihrem Rural Observatory selbst Daten zum Bodenverbrauch aller europäischen ­Gemeinden aufbereitet und somit besten Einblick in die unterschiedlichen Raumordnungskonzepte hat. Sie könnte Bruck/Mur mit Valletta vergleichen und würde erkennen, dass hier nicht der gleiche Maßstab angesetzt werden kann.

Ein stichprobenartiger Blick auf österreichische Kleinstädte und Vororte zeigt, dass diese in den seltensten Fällen mehr als 40 Prozent bebaute Fläche aufweisen, oft gibt es Grünflächenanteile (Wald und Landwirtschaft) von 70 bis 80 Prozent. Wobei landwirtschaftliche Flächen, die vielerorts das Gemeindegebiet dominieren, bei der Definition städtischer Ökosysteme nicht vorkommen – ein Indiz, dass die Verfasser des Vorschlags tatsächlich an Großstädte und Ortskerne dachten. 

Das ändert aber nichts mehr daran, dass der Gesetzgeber jetzt mit einem Text arbeiten muss, der städtisches Grün mithilfe von Satellitenbildern erfasst und wo Waidhofen an der Ybbs die gleichen Ziele erreichen muss wie Berlin. 

Stolpersteine auf dem Weg zum EU-Gesetz

Es zeigt sich: Am Ende ist alles nicht so einfach. Am Reißbrett mag eine Idee klug erscheinen, bei genauerer Betrachtung offenbaren sich die Stolpersteine. 

Für die kommunale Familie ist dieses Dossier derzeit eines der wichtigsten. Den Gemeinden Ziele vorzugeben, die auf falschen Annahmen beruhen, ist kein gangbarer Weg. So sinnvoll mehr Grün in dicht bebauten Stadtzentren und Ortskernen ist, so dumm ist ein Grünflächenverlustverbot ohne Rücksicht auf die Raumordnung und den Status quo. 

Es gibt also noch viel zu tun. Zuständig ist jetzt der europäische Gesetzgeber, aber die Gemeinden wollen definitiv ein Wort mitreden.