LKW in der Verladestation
Aktionen wie „Alles im Blick! Spiegeleinstellung im Betrieb“ von AUVA und KFV bieten Lkw-Fahrern die Möglichkeit, die Spiegeleinstellungen ihres Fahrzeugs mit Hilfe eines „Spiegeleinstellteppichs“ zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren.
© Gregor Nesvadba 2017

Wann stirbt der „Tote Winkel“?

30. März 2021
Jeder fünfte getötete Fußgänger und jeder sechste getötete Radfahrer verstarb in den vergangenen Jahren bei Unfällen mit Lkw-Beteiligung. Eine Vielzahl an Maßnahmen – vom Abbiegeassistenten bis hin zu infrastrukturellen Adaptierungen und Bewusstseinsbildung – soll dazu beitragen, dass der „tote Winkel“ künftig der Vergangenheit angehört.

Auch wenn Unfälle im sogenannten „toten Winkel“ nicht sehr häufig vorkommen, handelt es sich dabei überdurchschnittlich oft um besonders schwere Unfälle. So verstarben 21 Prozent aller getöteten Fußgänger und 16 Prozent aller getöteten Radfahrer in den vergangenen Jahren bei Unfällen mit Lkw-Beteiligung.

Tiefenuntersuchungen zeigen: Unfälle von Lkw mit dem Radverkehr ereignen sich häufig beim Rechtsabbiegen: 29 Prozent aller Unfälle, bei denen der Radfahrer schwer verletzt oder getötet wurde, waren Kollisionen mit einem rechtsabbiegenden Lkw. Unfälle mit Fußgängern hingegen ereignen sich vor allem dann, wenn der Lkw aus dem Stand anfährt und der Fußgänger unmittelbar vor dem Lkw steht oder quert. Rechtsabbiegeunfälle sind hier mit 18 Prozent zwar auch häufig, werden aber von Unfällen beim Queren (41 Prozent) weit übertroffen. 

Die Unfallforschung setzt sich daher aus gutem Grunde bereits seit vielen Jahren mit der Frage auseinander, wie Unfälle zwischen ungeschützten Verkehrsteilnehmern und Lkw bestmöglich vermieden werden können. Maßnahmen wie der Unterfahrschutz, der die Gefahr minimiert, dass schwächere Verkehrsteilnehmer unter die Hinterräder des Fahrzeugs geraten, sind längst Standard. Und doch gibt es in diesem Bereich nach wie vor großes Potenzial zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. 

Sehen und gesehen werden

Tatsächlich verfügt ein Lkw über weitaus mehr schwer einsehbare Bereiche als andere Fahrzeuge. Das europäische Recht schreibt daher insgesamt mindestens sechs Rückspiegel an schweren Lkw vor: Neben den beiden Hauptaußenspiegeln ist auf beiden Seiten ein Weitwinkelspiegel vorgeschrieben, ein „Anfahrspiegel“ zeigt den Bereich um die Beifahrertür, der „Frontspiegel“ jenen vor dem Fahrzeug.

Unfälle können jedoch nur dann vermieden werden, wenn die Spiegel auch korrekt eingestellt sind und dies zudem in regelmäßigen Abständen überprüft wird. Hier können „Spiegeleinstellplätze“ helfen. Aktionen wie „Alles im Blick! Spiegeleinstellung im Betrieb“ von AUVA und KFV bieten Lkw-Fahrern die Möglichkeit, die Spiegeleinstellungen ihres Lkws mit Hilfe eines „Spiegeleinstellteppichs“ zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. 

Unterstützung durch smarte Assistenten

Selbst mit korrekt eingestellten Spiegeln ist bei Abbiegemanövern höchste Aufmerksamkeit geboten, denn der Lkw-Fahrer muss dabei viele Dinge gleichzeitig im Blick behalten. Zudem drehen sich die Spiegel beim Abbiegen mit dem Fahrzeug, Verkehrsteilnehmer können so wieder aus dem Sichtfeld geraten.

Eine mögliche Lösung für dieses Problem sind Abbiegeassistenten – technische Systeme, die die Lenker zeitgerecht auf Gefahrensituationen hinweisen. Die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten reichen dabei von Kameras über Radar und Ultraschall bis hin zu Systemen, die im Notfall automatisch ein Bremsmanöver einleiten oder das Losfahren verweigern. Spätestens ab 2024 sollen keine Neufahrzeuge mehr ohne diese Technik in Betrieb gehen – es wird allerdings noch einige Jahre dauern, bis alle Lkw diese elektronischen Helfer haben werden. 

Infrastruktur

Es gibt zahlreiche Infrastrukturmaßnahmen, damit Lkw-Unfälle aufgrund des toten Winkels verhindert werden, darunter getrennte Grünphasen für Kfz-Verkehr und ungeschützte Verkehrsteilnehmer, vorgezogene Haltelinien (Aufstellflächen) an Kreuzungen (BikeBox) oder frühere (vorauseilende) Grünphasen für Fußgänger und Radfahrer. Diese Maßnahmen spielen jedoch meist nicht nur im Hinblick auf Toter-Winkel-Unfälle eine Rolle, sondern haben auch viele andere positive Auswirkungen auf die Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer (z. B. bessere Sichtweiten).

Bewusstsein schaffen bei allen Verkehrsteilnehmern

Neben technischen Hilfsmitteln wie dem Abbiegeassistenten und zielgerichteten Infrastrukturmaßnahmen spielt zur Vermeidung von Toter-Winkel-Unfällen auch das Thema Bewusstseinsbildung eine große Rolle. „Fallanalysen verdeutlichen, dass den schwächeren Verkehrsteilnehmern oftmals wesentliche Informationen darüber fehlen, was Lkw-Lenker sehen können und was nicht. Ihnen ist häufig gar nicht bewusst, dass Lkw-Fahrer sie in vielen Fällen nur schwer oder gar nicht erkennen können“, erläutert Klaus Robatsch, Leiter der Verkehrssicherheitsforschung im KFV, die Bedeutung bewusstseinsbildender Maßnahmen. Zweifelsohne wird es ein Bündel an Maßnahmen benötigen, um zu erreichen, dass Unfälle im sogenannten „toten Winkel“ schon bald der Vergangenheit angehören. 

Einen Beitrag dazu kann jeder leisten: Gemeinden durch entsprechende Infrastrukturplanung, Betriebe durch Spiegeleinstellaktionen und die technische Aufrüstung von Fahrzeugen – und jeder einzelne Verkehrsteilnehmer durch das entsprechende Bewusstsein und gegenseitige Rücksichtnahme.