Bildschirm mit Wald darauf
Die Teilnehmer an der Rural Vision Week waren alle der Meinung, dass es großen Aufholbedarf bei digitaler und physischer Infrastruktur gibt. Nicht nur flächendeckende Breitbandverbindungen jenseits von 30Mbit, sondern auch Schiene und Straße zählen zu den drängendsten Notwendigkeiten für einen Lebensraum der Gegenwart und Zukunft.
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Visionen für den ländlichen Raum

Fünf Tage, 850 Teilnehmer, acht interaktive Workshops, drei hochrangige Plenardebatten, unzählige Praxisbeispiele und ein virtueller Marktplatz – das ist die zahlenmäßige Bilanz der ersten Rural Vision Week, einer Diskussionswoche ganz im Zeichen des ländlichen Raums.

Während Green Week, Sustainable Energy Week oder European Week of Cities and Regions seit Jahren Tradition sind, ist die Rural Vision Week eine Premiere. „Ländliche Visionenwoche“ klingt zugegeben etwas holprig, deshalb wollen wir es beim Anglizismus belassen. In Corona-Zeiten musste diese Premiere zu 100 Prozent online stattfinden, das heißt, nahezu 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Ecken Europas stellten ihre Breitbandverbindungen auf die Probe, und es gab tatsächlich nur wenige offensichtliche Ausfälle. 

Die Veranstaltung war perfekt durchorchestriert, in überschaubaren Break-out-Runden sorgten die Moderatoren für tatsächliche Diskussionen – bloßer Austausch von Chatnachrichten kam nicht in Frage.

Infrastruktur, Infrastruktur, Infrastruktur! Wie bereits berichtet, wird die EU-Kommission im Juni eine europäische Langzeitvision für den ländlichen Raum vorlegen. Die Rural Vision Week, die vom Europäischen Netzwerk für ländliche Entwicklung (ENRD) organisiert wurde hatte den Anspruch, Akteure des ländlichen Raums zusammenzubringen, um diese Langzeitvision inhaltlich zu beeinflussen. 

Tatsächlich kamen 80 Prozent der Teilnehmer aus den Mitgliedstaaten. In den Workshops, an denen sich der Gemeindebund beteiligte, waren Junglandwirte, LEADER-Verantwortliche, Wissenschaftler und zivilgesellschaftliche Akteure anzutreffen – ein bunter Mix an Sektoren und Regionen. Nichtsdestotrotz teilten alle die Meinung, dass es großen Aufholbedarf bei digitaler und physischer Infrastruktur gibt. Nicht nur flächendeckende Breitbandverbindungen jenseits von 30Mbit, sondern auch Schiene und Straße zählen zu den drängendsten Notwendigkeiten für einen Lebensraum der Gegenwart und Zukunft. 

Präzisionslandwirtschaft und Direktvermarktung funktionieren nicht ohne Daten und Internet

Neben den bereits bekannten Forderungen nach einer flächendeckenden Breitbandversorgung wurde das Thema auch aus einem wirtschaftlichen Blickwinkel betrachtet: Weder Präzisionslandwirtschaft noch Direktvermarktung funktionieren ohne Daten und das Internet.

Ländliche Akteure scheinen jedoch besonders zurückhaltend, wenn es um das Teilen von Daten geht – hier wurde auf die Gefahr eines weiteren Auseinanderdriftens zwischen Datennutzern und anderen aufmerksam gemacht.

Ein Beispiel aus den USA zeigte, dass landwirtschaftliche Daten innerhalb von Genossenschaften geteilt werden und somit allen Genossenschaftern zugutekommen. Dennoch, Herausforderung Nummer eins ist und bleibt die Infrastruktur. Auch spezielle Anwendungen für kleine und mittlere Betriebe sind nicht überall leicht zu haben. Nicht nur in diversen Wordclouds standen Breitband und Infrastruktur jeweils fett in der Mitte, auch die Konsultation zur Langzeitvision hat Infrastruktur und die Garantie von Basisdienstleistungen wie Wasser, Strom, Bank- oder Postdiensten als wichtigste Voraussetzungen für den ländlichen Raum identifiziert.

Folgenabschätzung aller Legislativvorschläge für den ländlichen Raum?

Somit dürfte eine Priorität der Langzeitvision klar sein. Die nächste Frage ist, wie die EU-Politik darauf reagieren kann. Der Österreichische Gemeindebund erinnerte an die Idee des Rural Proofing, wonach alle Legislativvorschläge der EU eine besondere Folgenabschätzung für den ländlichen Raum durchlaufen sollten. Dies könnte zu einer holistischeren Betrachtungsweise über den agrarpolitischen Tellerrand hinaus beitragen.

Denn die Feststellung eines spanischen Teilnehmers, dass im ländlichen Raum höhere Steuern und Gebühren anfallen und kleinen Betrieben das Know-how fehlt, sich im EU-Förderdschungel zurechtzufinden, hat natürlich auch damit zu tun, wie Fiskal- oder Beihilfenpolitik umgesetzt werden und dass Förderprogramme derart komplex sind, dass eine erfolgreiche Antragstellung kaum ohne Expertenwissen oder externe Hilfe möglich ist.  

Oft wurde die wesentliche Rolle der Gemeinden, lokaler Akteure sowie der Zivilgesellschaft betont: nicht nur bei der Erbringung der wichtigsten Dienste von allgemeinem Interesse, sondern auch bei der Suche nach flexiblen und lokal umsetzbaren Lösungen. Hier könnte die EU-Politik mit Schwellenwerten reagieren, die eine gezielte Unterstützung der vor Ort tätigen Wirtschaft, Vereine und Freiwilligenorganisationen erleichtern. 

Alles in allem zeichnete die Rural Vision Week ein sehr positives Bild des ländlichen Raums. Die Verleihung der Rural Inspiration Awards machte noch einmal deutlich, wie viel kreatives Potenzial hier vorhanden ist. In der Kategorie „Soziale Inklusion“ ging das österreichische Projekt „Green Care – Wo Menschen aufblühen“ als Sieger hervor. 

Die Woche kann sicher als Erfolg gewertet werden – das virtuelle Format war ein Glücksgriff. Denn so beteiligten sich tatsächlich Alt und Jung aus ganz Europa, die Brüsseler Blase bildete nur die Außenhülle der Veranstaltung. Und eines ist sicher: Keiner der Teilnehmer sollte ob seiner Visionen zum Arzt geschickt werden.

Infos 

https://www.rural-vision-week.eu