Das Parlament ist eine Baustelle. Der Zustand der Demokratie nach Meinung vieler Österreicher und Österreicherinnen auch.
© Parlamentsdirektion/Michael Buchner

Umfrage

Vertrauen in die Demokratie am Tiefpunkt

15. Dezember 2021
Der vom Institut SORA verantwortete „Demokratie Monitor" sieht das Vertrauen in das politische System Österreichs auf dem niedrigsten Stand seit Erhebungsbeginn 2018.

Zum vierten Mal berichtet der Österreichische Demokratie Monitor, wie es mit Blick auf die Bevölkerung um die Demokratie in Österreich bestellt ist. Die diesjährige repräsentative Befragung von 2.003 Menschen fand zwischen dem 13. August und dem 5. Oktober mittels Telefon- und Online-Interviews statt. Um auch die Auswirkungen der Inseraten-Affäre und der sich wieder zugespitzten Pandemie auf das Systemvertrauen einschätzen zu können, wurden vom 22. November bis 3. Dezember 500 dieser Befragten erneut interviewt.

Systemvertrauen auf tiefstem Punkt seit Erhebungsbeginn

Derzeit sind beinahe sechs von zehn Menschen (58 %) davon überzeugt, dass das politische System in Österreich weniger oder gar nicht gut funktioniert.

Gesunken ist das Vertrauen in allen Bevölkerungsgruppen, der Vertrauensverlust fällt im oberen und mittleren Drittel der Gesellschaft jedoch stärker aus als im unteren Drittel. Das Systemvertrauen lag dabei bereits Anfang Oktober deutlich unter dem Wert des Vorjahres. Die dann erst so richtig ins Rollen gekommene Inseraten-Affäre und der erneute Lockdown haben die Entwicklung dann noch einmal verschärft.

Vertrauen in das politische System

Ökonomische Unsicherheit schwächt das Vertrauen nachhaltig

Im unteren Drittel der Gesellschaft ist das Vertrauen in das politische System seit Erhebungsbeginn 2018 geringer und weniger von aktuellen Ereignissen abhängig. Aktuell (2021 Nov-Dez) denkt nur knapp ein Drittel (31 %) der Menschen im unteren Drittel, dass das politische System gut funktioniert – im Vergleich zu 42 % in der Mitte und 54 % im oberen Drittel.

Mit der ökonomischen Unsicherheit gehen Erfahrungen von Ungleichwertigkeit und fehlender Repräsentation einher, die dem demokratischen Prinzip der politischen Gleichheit widersprechen und mit dem geringen Vertrauen in Zusammenhang stehen:

  • Die überwiegende Mehrzahl der Menschen im unteren Drittel fühlt sich als Menschen zweiter Klasse behandelt (84%),
  • vier Fünftel (79 %) von ihnen sehen sich im Parlament nicht vertreten;
  • nur ein Fünftel (18 %) erlebt zumindest hin und wieder, dass politische Entscheidungen ihre Lebensumstände mit einbeziehen.

Vertrauensverlust

Zusammenhang zwischen Vertrauensverlust und der Erfahrung von politischer Ohnmacht während der Pandemie

Staatliche Eingriffe in die individuelle Lebensführung und der Ausschluss von politischen Entscheidungsprozessen sind für die Menschen im unteren Drittel nichts Neues. Anders in der Mitte und im oberen Drittel der Gesellschaft: In diesen beiden Gruppen haben zahlreiche Menschen nun im Zuge der Pandemie die Erfahrung gemacht, dass ihre Lebensumstände in der Politik weniger Beachtung finden.

  • So berichten für die Zeit vor der Pandemie 70 % der Menschen im oberen Drittel und 57 % der Menschen in der Mitte, dass bei politischen Entscheidungen auch ihre Lebensumstände berücksichtigt wurden.
  • Für die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung denken dies jedoch nur 51 % des oberen Drittels und 38 % der Mitte.

Studienautorin Martina Zandonella: „Hierbei geht es nicht um ein für oder gegen die Maßnahmen. Im Vordergrund steht ein Nicht-gesehen-werden bei deren Ausgestaltung, das allen voran junge Menschen, Eltern von Kindergarten- und Schulkindern, Menschen in systemrelevanten Berufen und arbeitslose Menschen ausdrücken. Diese Erfahrung steht in engem Zusammenhang mit dem Vertrauensverlust in der Mitte und im oberen Drittel der Gesellschaft.

Vertrauen infolge der „Inseraten-Affäre“ weiter eingebrochen

Gelitten hat das Systemvertrauen außerdem unter der Inseraten-Affäre: Derzeit (2021 Nov-Dez) sind rund 90 % der Menschen davon überzeugt, dass die österreichische Politik ein Korruptionsproblem hat. Dabei wird Korruption nicht nur mit einzelnen Personen oder Parteien verbunden: 41 % der Menschen gehen davon aus, dass das, was die Chats rund um Sebastian Kurz gezeigt haben, typisch für alle Parteien ist. Den Schaden derartiger Entgleisungen politischer Eliten tragen also nicht nur die direkt Beteiligten, sondern das gesamte politische System.

Dennoch sind neun von zehn Menschen von der Demokratie überzeugt

Nach wie vor denken 88 % der Menschen in Österreich, dass die Demokratie – trotz mancher Probleme – die beste Staatsform ist. Dieser Wert bleibt über die Erhebungsjahre hinweg auch weitgehend konstant. Das grundlegende demokratische Bewusstsein der Bevölkerung ist also nicht so leicht zu erschüttern.

Forderung nach Stärkung der Demokratie

Mit dem Vertrauensverlust in Bezug auf die aktuelle Ausgestaltung des politischen Systems einher geht daher in erster Linie die Forderung nach einer Stärkung unserer Demokratie:

  • Knapp zwei Drittel (64 %) verlangen mehr Transparenz im Regierungshandeln
  • Mehr als die Hälfte (56 %) fordert eine grundlegende Änderung der politischen Kultur von Politiker*innen. Unter dem Eindruck der Inseraten-Affäre verbinden die Menschen mit einer guten politischen Kulturen v. a. Ehrlichkeit, Respekt vor der Justiz und dem politischen Gegenüber, Arbeiten für das Land und nicht für den eigenen Freundeskreis, weniger Macht- und mehr Unrechtsbewusstsein.
  • Mit Blick auf die Checks & Balances einer Demokratie sprechen sich 58% der Menschen für eine unabhängigere Justiz und 40% für mehr Oppositionsrechte aus.

Entwicklungen, welche die Demokratie unter Druck setzen

  • Erstens wird die Distanz der Menschen zu den politischen Eliten größer: Derzeit (2021 Nov-Dez) findet jede*r Vierte (25 %) die eigenen Lebensumstände und politischen Anliegen in keiner Partei wieder – 2018 waren es noch halb so viele (13 %). Ausdruck zunehmender Distanz ist auch die weit verbreitete Vermutung, dass streng geheimen Organisationen Einfluss auf politische Entscheidungen haben könnten (40 %).
  • Zweitens machen sich bei einem Teil der Menschen mit geringem Systemvertrauen auch Zweifel an der Demokratie insgesamt bemerkbar: Felsenfest von der Demokratie als bester Staatsform überzeugt ist in dieser Gruppe nur noch knapp die Hälfte (47 % „stimme sehr zu“).

Eine generelle Zunahme an autoritären Einstellungen beobachtet der Demokratie Monitor im Jahresvergleich nicht. Die jeweils knapp 10 % der Bevölkerung, die sich über die Erhebungsjahre hinweg eindeutig für einen „starken Führer“ aussprechen, verfestigten im Verlauf der Pandemie jedoch ihr Gedankengut: Konnte 2018 bis 2020 noch rund die Hälfte von ihnen auch der Demokratie etwas abgewinnen, ist es inzwischen nur mehr jede*r Vierte. Dass die Pandemie hier konsolidierend wirkt, zeigen die Themen, die diese Gruppe antreiben: Als ihr dringendstes politisches Anliegen nennen praktisch alle eine Variante von Gegnerschaft zu den Pandemie-Maßnahmen bzw. zur Covid-Impfung.

Zwei offensichtliche Spaltungslinien

  • Die erste demokratiepolitisch relevante Spaltungslinie verläuft zwischen dem unteren Drittel und dem Rest der Gesellschaft – der Demokratie Monitor zeigt dies zum vierten Mal in Folge auf. Martina Zandonella: „Wird politische Gleichheit zu einem Privileg der Bessergestellten, widerspricht dies der grundlegenden Idee von Demokratie. Demokrat*innen können diesen Befund nicht länger ignorieren.“
  • Die zweite Spaltungslinie verläuft zwischen den knapp 10 % sich verfestigenden Autoritären und dem Rest der Gesellschaft. Erste weiterführende Analysen verweisen dabei auf weitere ca. 15 %, die mit der ersten Gruppe die Ablehnung der Pandemie- Maßnahmen teilen und deren Demokratievorstellung autoritäre Züge hat. Die verbleibenden ca. 75 % der Bevölkerung unterscheiden sich wiederum hinsichtlich ihrer Einstellung zu den Pandemie-Maßnahmen: Ca. 50% sprechen sich alles in allem eher dafür, ca. 25 % eher dagegen aus. Was diese beiden Gruppen jedoch verbindet, ist die Forderung nach einer Stärkung der Demokratie. Martina Zandonella: „Die Herausforderung besteht nun darin, hier das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, um eine sichtbare Mehrheit gegen antidemokratische Umtriebe auf die Beine zu stellen.“

Weitere Umfragen unter www.demokratiemonitor.at