Bild von Gemeindebundpräsident Alfred Riedl
Alfred Riedl: „Die EU sollte sich der großen europäischen Fragen annehmen und sich nicht in Angelegenheiten der regionalen und lokalen Einheiten einmischen. Wir müssen aber auch auf nationaler Ebene wachsam sein und ge-gen Zentralisierungstendenzen auftreten.“

„Subsidiarität“ neu denken?

Der sperrige Begriff "Subsidiarität" für dieses wesentliche Lebensprinzip erleichtert die breitere Diskussion in der Zivilgesellschaft nicht unbedingt, sie bleibt oft in einer politischen Blase zwischen Brüssel, Wien und den Bundesländern hängen und findet den Weg zur Basis, wo sie eigentlich hingehört, nur schwer.

Das ist bedauerlich, da wir als Gemeindevertreter tagtäglich unsere Aufgaben im Sinne der Subsidiarität wahrnehmen. Auch im engsten Kreis der Familie kann Verantwortung in der Gemeinschaft von klein auf übernommen werden. Nachbarschaftshilfe, Initiativen in unserem Dorf, in unserer Gemeinde, leben von Eigenverantwortung und Solidarität, das macht unser Gemeinwesen aus. Gemeinschaftlicher Rückhalt und die Gestaltung unseres Lebensumfeldes können schon den jüngsten Mitgliedern unserer Gesellschaft und den kleinsten Einheiten unseres Staates zugetraut werden. All das und noch viel mehr ist Subsidiarität.

Lebensprinzip der österreichischen Gemeinden

Seit dem  „Provisorischen Gemeindegesetz 1849“ ist der Grundsatz der Selbstverwaltung ein Lebensprinzip der österreichischen Landgemeinden. Mit der Selbstständigkeit der Gemeinden wuchs auch deren Selbstbewusstsein. Es waren auch die Gemeinden, die lokalen Strukturen, die nach Umbrüchen und Kriegen für eine Rückkehr zum normalen Leben gesorgt haben. Es war eine praktische Notwendigkeit, ein funktionierendes Gemeinwesen zu erhalten, Sicherheit und Lebensmittelversorgung zu gewährleisten. Die Gemeinden waren dabei auf sich gestellt.
Gerade auf der lokalen Ebene, wo die Not unmittelbar erfahrbar war, setzten sich Menschen an einen gemeinsamen Tisch und planten, wie das Leben wieder weiter gehen soll. Die Gemeinden waren schon längst Schulen der Eigenverantwortung und der Demokratie, aber in der Notzeit nach dem Krieg wurden sie auch Baumeister der Republik. Der Wille, an Ort und Stelle Verantwortung zu übernehmen, das Leben selbst in die Hand zu nehmen und nicht zu warten, bis eine Hilfe von außen kommt, hat unsere Gemeinden, und unsere Demokratie stark gemacht, es war gelebte Subsidiarität.

Die starke Rolle der Gemeinden in unserem Land hat auch dazu geführt, dass wir – im Vergleich mit anderen EU-Staaten – eine ganz wichtige Rolle im gesamtstaatlichen Gefüge spielen. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die fast 40.000 Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, haben eine wichtige politische und gesellschaftliche Aufgabe. Der direkte Kontakt zu den Bürgern, die Mitsprache bei lokalen Bauvorhaben und den lokalen Bedürfnissen bei Kinderbetreuung und Co. machen die Kommunalpolitiker für die Menschen zu den wichtigsten politischen Ansprechpartnern – auch bei Themen, die über die kommunale Ebene hinausgehen. Einfach deswegen, weil die Gemeindevertreter bei Gesprächen und Diskussionen am Stammtisch oder am Fußballplatz stets präsent sind.

Im Grunde lebt die Subsidiarität vom Grundsatz der Nähe. Alles was von einer niedrigen Einheit erledigt werden kann, soll nicht von einer höheren Ebene übernommen werden. Erst wenn die Aufgaben auf einer unteren Ebene nicht mehr bewältig werden können, soll die nächsthöhere Einheit einspringen - mithelfen (subsidium). Mit diesem Zugang hat sich in den letzten Jahrzehnten eine bewährte politische Praxis entwickelt. Dennoch gibt es in einigen Bereichen Doppelgleisigkeiten bzw. vermischte Aufgabenbereiche, die es – im Sinne der Vereinfachung und Abgrenzung – zu entwirren gilt. Die Bundesregierung will jetzt etwa den Artikel 12 der Bundesverfassung neu regeln, bei dem der Bund Grundsatzgesetze verabschiedet und die Länder jeweils Ausführungsgesetze beschließen müssen und dann für die Vollziehung zuständig sind. Ziel ist es, hier zu einer klareren Aufgabenverteilung zu kommen. Aus Sicht des Gemeindebundes ist dieses Vorhaben grundsätzlich zu begrüßen. Wir erwarten uns aber mehr!

Österreich braucht eine Aufgabenreform

Es muss klar geregelt werden, wer wofür zuständig ist. Wir brauchen uns nur das Beispiel Schule ansehen: Bis zu fünf verschiedene Dienstgeber sind für das Personal in den Schulen zuständig, vom Hauswart, über Lehrerinnen und Lehrer, bis hin zu den Freizeitpädagogen und weiteren Stützkräften. Die Gemeinden sind dann als Schulerhalter auch für die Infrastruktur zuständig. Es wird Zeit, endlich Mut zu fassen und alles Personal in eine Hand zu geben! Die Gemeinden sollen ihren Aufgaben als Schulerhalter nachkommen, aber nicht in Personalfragen im Schulbetrieb eingebunden werden. Eine Vereinfachung dieses System kann leicht mehr Transparenz bringen.

Gemeinden müsse 15A-Verträge abschließen können

Außerdem muss klar sein, dass die Gemeinden Vereinbarungen mit dem Bund und den Ländern schließen können müssen, wenn es um ihre Angelegenheiten geht. Die Gemeinden sollen nicht länger außen vor gelassen werden, wenn der Bund mit den Ländern in 15a-Vereinbarungen vereinbart, was die Gemeinden dann zu tun haben. Wir müssen mit am Tisch sitzen und mitverhandeln, wenn es um Rahmenbedingungen für die Arbeit der Gemeinden geht. Jede Gemeinde hat individuelle Herausforderungen und die Menschen haben verschiedene Bedürfnisse, die es zu berücksichtigen gilt. Eine 15a-Vertragsfähigkeit der Gemeinden, die sich übrigens auch im Regierungsprogramm findet, kann auch verhindern, dass die Gemeindeautonomie durch eine überschießende Gängelung ausgehebelt wird. Ein System, dass der Bund nur Mindeststandards festlegt, wäre ein richtiger Schritt, die Gemeinden vor Ort könnten freier im Sinne der Bürger arbeiten.

Die geforderte Vertragsfähigkeit würde auch der Position der österreichischen Gemeinden in der Finanz-Verfassung entsprechen. Bei den Finanzausgleichsverhandlungen sind die Gemeinden – im Unterschied etwa zu Deutschland ein gleichberechtigter Partner von Bund und Ländern. Darüber hinaus haben die Gemeinden mit dem Konsultationsmechanismus seit 1999 ein Instrument in der Hand, mit dem sie vor dem Verfassungsgerichtshof übergebührliche Kosten, die Bund und Länder den Gemeinden durch Gesetze aufbürden, einklagen können. Bei der Eisenbahnkreuzungsverordnung haben wir zum ersten Mal von dieser verfassungsrechtlichen Möglichkeit mit Erfolg Gebrauch gemacht.

Die FAG-Partner haben sich in Österreich vor Jahrzehnten darauf verständigt, den größten Teil der Steuern gemeinschaftlich einzuheben und dann nach den gemeinsam vereinbarten Kriterien auf die einzelnen Gebietskörperschaften zu verteilen. Die Gemeinden übernehmen vor Ort auch die Aufgaben, die Bundes- und Landespolitiker gerne in ihren Wahlkampfauftritten verkaufen. Wenn man im Bund über Kinderbetreuung spricht, sind es dann wir vor Ort, die mehr als 1,3 Milliarden Euro im Jahr, oder 6.000 Euro pro Kindergartenkind, in die Hand nehmen.

Subsidiarität neu denken heißt für uns, Aufgaben und Verantwortung in Österreich und in Europa neu zu regeln und neu zu verteilen. Einmischungen von europäischer Seite in lokale Themen können und dürfen wir nicht akzeptieren, denken wir etwa an die leidige Debatte um die EU-Trinkwasserverordnung. Die EU sollte sich der großen europäischen Fragen annehmen (Migration, Binnenmarkt, Brexit etc.) und im Gesetzgebungsprozess regionale und lokale Expertisen viel stärker berücksichtigen als bisher bzw. von EU-Seite einen Minimalrahmen vorgeben, den Nationalstaaten schärfer regeln können, wenn sie wollen. Gleichzeitig müssen wir auch auf nationaler Ebene wachsam sein und gegen Zentralisierungstendenzen auftreten. Wenn die Kommunen mehr Verantwortung übernehmen sollen, dann müssen sie auch finanziell dementsprechend ausgestattet werden. Eine fehlende oder ungenaue Folgekostenberechnung gefährdet die kommunale Selbstverwaltung.

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