Der Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung Gabriel Felbermayr, der Vorarlberger Landtagspräsident Harald Sonderegger, Univ.-Prof. Sybilla Zech von der TU Wien, der Professor für Volkswirtschaftslehre und Regionalmanagement an der Hochschule für angewandtes Management, Markus Lemberger, die Rektorin der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz, Brigitte Hütter, Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP), Bundesratspräsidentin Christine Schwarz-Fuchs (ÖVP), Klimaministerin Leonore Gewessler (GRÜNE) und EU-Kommissar a. D. Franz Fischler.
© Parlamentsdirektion / Johannes Zinner

Regionalpolitik

Starke Länder als Voraussetzung für ein starkes Österreich

2. Juni 2022
Im Rahmen der parlamentarischen Enquete des Bundesrats zum Thema „Zukunft dezentraler Lebensräume“ gaben Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft Einblicke in Problemstellungen und Lösungsvorschläge zur Wohlstandssicherung abseits der Ballungszentren.

„Vorarlberg – die progressive Provinz“ betitelte der Vorarlberger Landtagspräsident Harald Sonderegger sein Statement. Starke Länder seien eine notwendige Voraussetzung für ein starkes Österreich, hielt Sonderegger fest. Vorarlberg habe sich zu einer der wohlhabendsten Regionen Europas entwickelt. Ausschlaggebend dafür sei ein Erfolgsfaktor, der auch in Zukunft entscheidend bleiben werde, und zwar, dass jene Regionen resilienter seien, die einen starken produzierenden Sektor aufweisen.

Dabei spreche er nicht nur von den „Flaggschiffen“, sondern sehr wohl auch vom Mittelstand und von den Handwerks- und Familienbetrieben. Wichtig seien auch eine gesunde Branchenvielfalt und das Entwickeln mehrerer Standbeine. So könne Vorarlberg heute als ein hoch diversifizierter Wirtschaftsstandort mit einem hohen Industrialisierungsgrad bezeichnet werden.

Effizienter mit Ressourcen umgehen

Neben den Chancen der Digitalisierung gelte es, hinsichtlich Energie in Zukunft noch nachhaltiger zu werden und mit Ressourcen noch effizienter umzugehen, so Sonderegger. Vorarlberg habe sich das Ziel der Energieautonomie bis 2050 gesetzt.

Als Standortfaktoren nannte der Sondereggen neben dem Bildungssystem und fundierter Berufsausbildung auch die Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine Weiterentwicklung der Rot-Weiß-Rot-Karte. Was die europäische Ebene betrifft, müssen aus seiner Sicht die Regionen die Antriebsmotoren für eine engere Zusammenarbeit mit der EU und den Mitgliedstaaten bilden.

Wird Subsidiarität gelebt?

Unter dem Titel „Unsere Initiativen für eine starke Region“ führte Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil seine Positionen aus. Kritisch hinterfragte er, ob in Österreich das Grundprinzip der Subsidiarität gelebt werde und erinnerte an Diskussionen zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Er sprach sich dafür aus, Entscheidungen vor Ort zu treffen, bei denen die Bedürfnisse dort auch am besten wahrgenommen werden. Dafür Rahmenbedingungen herbeizuführen, gestalte sich oft schwierig. Auch die Finanzierung stelle einen wesentlichen Faktor dar. Beim Konsultationsmechanismus habe er den Eindruck, dass er zu totem Recht geworden sei, so Doskozil.

Länder können Zweiklassenmedizin nicht ändern

An praktischen Beispielen, vor welchen Herausforderungen man im Burgenland stehe, nannte Doskozil etwa die Strukturen der Spitalsfinanzierung bzw. das Modell zur Bezahlung von Spitalsärztinnen und -ärzten. Zu Letzterem müsse die Antwort sein, Spitalsärzte insofern ordentlich zu bezahlen, dass es keine Notwendigkeit mehr gibt, dass sie auf die Sonderklasse spezielle Rücksicht nehmen.

Hans Peter Doskozil
Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil: „Spitalsärzte sollten ordentlich bezahlt werden, sodass es keine Notwendigkeit mehr gibt, dass sie auf die Sonderklasse spezielle Rücksicht nehmen.“

Die Behandlung von Sonderklassepatienten macht Doskozil zufolge einen hohen Gehaltsanteil bei den Ärztinnen und Ärzten aus - und das befördere wiederum eine Zweiklassenmedizin. Dieses Modell zu verändern, sei aber nur möglich, wenn die Kompetenz und Verantwortlichkeit bei den Ländern liege, was im Burgenland nicht der Fall sei.

Für den Pflegebereich kritisierte Doskozil unter anderem, dass die Effektivität der mobilen Hauskrankenpflege laut Rechnungshof nur etwas über 50 Prozent liege. Er führte das auf die Finanzierungssystematik zurück, die auf Stundenbasis basiere. Im Burgenland werde nun ein Modell mit 68 Pflegestützpunkten entstehen und die Verrechnung auf Vollzeitäquivalente umgestellt, wodurch man pro Stützpunkt zehn Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter beschäftigen könne. Was die steigenden Grundstückspreise betrifft, kündigte Doskozil an, im Burgenland dafür Höchstpreise festsetzen zu wollen.

Lebensräume oft über mehrere administrative Einheiten hinweg

Gabriel Felbermayr vom WIFO ging auf die Stärken und Schwächen der österreichischen Regionen ein.

Lebensräume seien oft nicht deckungsgleich mit administrativen Einheiten und würden auch mit Teilgebieten in anderen Staaten überlappen, warf Felbermayr auf. Gerade in diesen Grenzbereichen würden oft Unterinvestitionen stattfinden, sprach er sich für eine bessere Koordination in diesen Räumen aus. Mit dem Föderalismus gebe es in Österreich wichtige Instrumente. Es stelle sich allerdings die Frage, ob diese modern genug und den Dingen gewachsen seien.

Die Stärken und Schwächen stellen sich dem WIFO-Experten zufolge je nach Rahmenbedingungen unterschiedlich dar. So sei es den Industrieregionen in der Corona-Krise gut gegangen, das ändere sich aber in Zeiten von Lieferengpässen und hohen Energiepreisen.

Was Energieproduktionsstandorte betrifft, gelte es, auch die Wertschöpfung dorthin zu bringen, wo der Strom günstig hergestellt werden kann, um so auch teure Transportkosten zu vermeiden.

Ausbau der digitalen Infrastruktur als Mittel gegen Abwanderung

Um einer Abwanderung der Jungen, insbesondere der Frauen, gegenzusteuern, brauche es unter anderem einen starken Ausbau der digitalen Infrastruktur. Zur Verkehrsanbindung meinte Felbermayr, der öffentliche Verkehr sei nicht alles, auch die Straßenanbindung müsse passen. Insgesamt hob er die Diversifizierung der Branchen je nach Region in Österreich positiv hervor, von Industrie über Landwirtschaft bis Tourismus, zu der es aber Ausgleichsmaßnahmen brauche. Im Bereich des Ausbaus erneuerbarer Energien gelte es für ihn, jetzt alle Schleusen zu öffnen.

Ländlicher Raum braucht Breitband

In der anschließenden Debatte zu diesem Panel meldeten sich seitens der ÖVP die Bundesräte Martin Preineder und Bernhard Hirczy, die Nationalratsabgeordneten Martina Diesner-Wais und Joachim Schnabel sowie die Landtagsabgeordneten Silvia Karelly und Christoph Thoma zu Wort. Mehrfach wurde der Bedarf an Breitbandverbindungen im ländlichen Raum angesprochen, aber auch auf die Themen Verkehr, Energie, Bildung und Frauenförderung Bezug genommen.

Der Europaabgeordneter Georg Mayer von der FPÖ kritisierte, dass die Politik auf EU-Ebene in eine völlig falsche Richtung gehe. Die Unterschiedlichkeit sei die Kraft Europas und Österreichs, die Infrastruktur der Schlüssel für die Regionen.

Die Rolle der EU

Ein Vertreter der Europäischen Kommission, Hatto Käfer, verwies demgegenüber auf konkrete Projekte der EU. Seit ihrer Gründung sei der Europäischen Union Regionalität und Agrarpolitik ein wichtiges Anliegen. Auch Europaabgeordneter Hannes Heide (SPÖ) betonte, die EU lege Wert auf die Entwicklung des ländlichen Raums. Über die Verwendung der Mittel brauche es aber aus seiner Sicht mehr Transparenz. Bundesrätin Andrea Kahofer (SPÖ) sprach sich im Sinne des WIFO-Experten dafür aus, Regionen auch unabhängig von den administrativen Grenzen zu betrachten.

Quelle: Parlamentskorrespondenz

Nachlesen

Die Enquete wurde live in der Mediathek des Parlaments übertragen und ist dort als Video-on-Demand abrufbar. 

Der Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftliche Dienst der Parlamentsdirektion hat zum Thema der Enquete ein Fachdossier erstellt.