Gelbwesten-Proteste
Es stellt sich die Frage, wann dem französischen Staat seine Bürger abhandengekommen sind.
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Revolution 2.0 – oder wieso jetzt Bürgermeister helfen sollen

Frankreich kommt nicht zur Ruhe. Die Proteste der sogenannten „Gelbwesten“ bzw. Gilets Jaunes gehen auch im neuen Jahr weiter; zweifelhafte verbale Unterstützung erhalten sie u. a. von der italienischen Fünfsterne-Bewegung.

Aber so legitim der Zorn und der Ursprung der Bewegung sein mögen, so sehr stellt sich mittlerweile auch die Frage, warum es eine solche Lust an der Zerstörung öffentlicher Infrastruktur, an brutalen Attacken gegenüber Polizei und Gendarmerie und an Angriffen auf Mandatsträger gibt. Angesichts der Bilder muss man sich durchaus fragen, wann dem Staat seine Bürger abhandengekommen sind. 

Unkenntnis der Hauptstadt über das Leben im weiten Land

Entzündet hat sich der Protest bekanntlich an der von Präsident Macron geplanten Erhöhung der Mineralölsteuer.

Dieses Vorhaben steht sinnbildlich für die Unkenntnis der Hauptstadt über das Leben im weiten Land. Während man davon in Paris mit seinem öffentlichen Verkehrsnetz und innovativen Alternativangeboten zum Privat-Pkw kaum betroffen ist bzw. ohnehin genug verdient, um den erhöhten Spritpreis zu verkraften, sieht es im Großteil Frankreichs anders aus. Ohne Auto läuft auf dem Land nichts. Der Weg zur Arbeit wird unmöglich, die Bewältigung des Alltags wäre in vielen Regionen mit enormem Zeitaufwand verbunden, müsste man sich auf den öffentlichen Verkehr verlassen.

Hinzu kommt das im Vergleich zu den Metropolen weitaus geringere Einkommensniveau, da in den letzten Jahren tausende Industriearbeitsplätze verlorengegangen sind.

Regierung hat keine dezentralen Parteistrukturen

Und während Vorgängerregierungen dezentrale Parteistrukturen besaßen und sich Bürgermeister vor Ort gezwungen sahen, unpopuläre Maßnahmen zu diskutieren (es ist ja nicht so, dass in Frankreich nicht jedes Jahr einmal groß gestreikt wird …), fehlt der Regierung Philippe diese Basis vollkommen.

Noch schlimmer: Es wird nicht einmal versucht, Bürgermeister oder Gewerkschaften ins Boot zu holen bzw. Maßnahmen vor Erlass zu diskutieren. Diese Arroganz kreidete auch der französische Bürgermeisterverband AMF der Regierung während seines 101. Kongresses stark an.

Gemeinden werden ausgehungert

Die Bürgermeister beklagen die zunehmende Zentralisierung, Aufgabenreformen ohne Mitsprache der Betroffenen und das finanzielle Aushungern der Gemeinden. In ländlichen Gebieten kann es schon vorkommen, dass öffentliche Dienstleistungen wie Schulen oder Krankenhäuser per Dekret geschlossenen werden und Kommunen die Auswirkungen zentral gefällter Entscheidungen abfedern müssen.

Der Zorn ist so groß, dass sich Regionen, Departements und Bürgermeisterverband unter dem Motto #TerritoiresUnis aus der unter Leitung des Premierministers stehenden nationalen Gebietskonferenz zurückgezogen haben. Auch das ist ein Zeichen der tiefen Spaltung zwischen Paris und dem Rest des Landes. 

 

In seiner Rede von Anfang Dezember kündigte Präsident Macron nicht nur sozialpolitische Maßnahmen zur Beruhigung der Gelbwesten-Proteste an, sondern stellte in Aussicht, die Bürgermeister aller Regionen zu treffen und mit ihnen gemeinsam eine große nationale Debatte zur Neuordnung der Republik vorzubereiten.

Dabei wird er aber zuerst in einen echten Dialog mit den Kommunen treten müssen, denn diese sind angesichts seiner bisherigen Bilanz keineswegs natürliche Verbündete der Zentralregierung.

Ohne politische Zugeständnisse an die Gemeinden und ein echtes und ehrliches Miteinander wird Macron auf lokaler Ebene wenig Unterstützer finden, dafür sind die Gräben mittlerweile zu tief.