Gemeindestraße zur VRV 2015 Bewertung
Bewertungsrichtlinien des Bundes und der Länder sind für die Gemeinden unverbindlich und haben lediglich Empfehlungscharakter. Detaillierte Vorschreibungen würden nämlich in die Gemeindeautonomie eingreifen.
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Probleme bei der Bewertung von Straßen

Friedrich Klug, Leiter des Instituts für Kommunalwissenschaften – IKW, macht sich Gedanken zur verwaltungsökonomischen Bewertung öffentlichen Vermögens nach den Bestimmungen der VRV 2015. Im Besonderen: Was ist eine Gemeindestraße wirklich wert?

KOMMUNAL beschreibt in dankenswerter Weise ein Dilemma, auf das Experten anlässlich der Novellierung der VRV immer wieder hingewiesen haben.

Eine Bewertung öffentlich gewidmeten Gemeindevermögens ist mit vielfältigen Problemen verbunden, beruht auf vielen Annahmen, ist eigentlich gar nicht möglich, kostet viel, stiftet kaum Nutzen, divergiert von Bundesland zu Bundesland und Gemeinde zu Gemeinde, sodass keine Vergleichbarkeit gegeben ist.

Manche Länder, wie z.B. Oberösterreich verhalten sich wie „vorauseilend gehorsame Musterschüler“, andere wie Salzburg oder Kärnten erwägen eine Null-Bewertung, sodass sich die Frage stellt, ob die Schätzwerte überhaupt seriös und ernst zu nehmen sind.

Bewertungsprobleme entstehen nicht nur in Bezug auf öffentliches Gut, sondern auch bei Dotierung von Rückstellungen, von Wertberichtigungen und auf dem Gebiet der aktiven und derivativen Finanzinstrumente. 

Öffentlich gewidmetes Vermögen stellt etwas Besonderes dar 

Es stellt sich die grundsätzlich zu klärende Frage: Welche dem öffentlichen Interesse dienenden Vermögenswerte sind überhaupt bilanzierungsfähig? 

Das dem Gemeingebrauch dienende öffentliche Gut, mit vielen Straßen, Gehsteigen, Wegen, Brücken, Parkanlagen, Sportanlagen, Feuerwehren, Schulen, Kindergärten, Seniorenheimen, Museen, Volkshäusern, etc. stiftet eigentlich weder einen gegenwärtigen, noch einen zukünftigen erwerbs- und betriebswirtschaftlichen Nutzen, sondern dient öffentlichen, sozialen und kulturellen Zwecken zu Gunsten der Allgemeinheit.

Aus rein betriebs- und finanzwirtschaftlicher Sicht hat öffentliches Vermögen eigentlich „keinen Wert“, stiftet aber aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sehr wohl sozialen Nutzen. Das Vermögen ist wegen der speziellen öffentlichen Widmung de facto am Markt unverkäuflich. 

Öffentliches Vermögen ist nicht bilanzierungsfähig, weshalb die Aktivierung dieses Vermögens eine Wertillusion erweckt, die nicht realisierbar ist. Der Stand des Gemeindevermögens und damit des Eigenkapitals wird auf diese Weise anders dargestellt als dies der Realität entspricht.

Vorschläge im Sinne der Verwaltungsökonomie

Keine Aktivierung öffentlichen Guts,

denn dieses ist öffentlich über den Haushalt zu finanzieren - die eindeutigste Lösung!

Aktivierung von Neuzugängen des Anlagevermögens erst ab 1.1.2020

Bei Wahl dieser Methode ergeben sich keine Bewertungsprobleme, weil die Anschaffungs- und Herstellungskosten ohnedies vorliegen. Im Laufe der Jahre wird immer mehr Anlagevermögen aktiviert und abgeschrieben, womit der Vollständigkeitsgrad steigt und nur die jeweils aktuelle Werte erfasst werden.

Die aufwändige Erfassung und Bewertung längst ausfinanzierten, historischen Vermögens ist dann nicht mehr erforderlich. Die Transparenz ist durch den Blick nach vorwärts in die Zukunft gegeben. Diese Darstellungsweise entspräche auch den Bestimmungen des § 35 Punkt 2 der VRV. Sollte aus welchem Grund auch immer eine Bewertung öffentlichen Guts verlangt werden, so kann diese jederzeit nachgeholt werden.

Beibehaltung der Bewertung

Hilfreich im verwaltungsökonomischen Sinn ist auch die Bestimmung im § 38 Abs. 2, der zufolge bereits erfasste Vermögenswerte mit einer Nutzungsdauer von bis zu zehn Jahren beibehalten werden können. 

Vermögensbewertung nur für marktbestimmte Betriebe

Die Vorschriften über die Vermögensbewertung gelten grundsätzlich nur für marktbestimmte Betriebe und Betriebe gewerblicher Art. Öffentliches Vermögen wäre zu separieren, ist weder ein Aktivum noch ein Passivum, daher stellt es einen Posten sui generis dar. Seine Bewertung und Aufnahme in die Vermögensrechnung ist nicht nur problematisch, sondern wirkt vor allem Bilanz verzerrend und verlängernd, was zu Missverständnissen, Fehlinterpretationen, politischen Kontroversen und Fehlentscheidungen führen kann. 

Weitestgehende Vermeidung von Derivaten und Swaps

Mit öffentlichen Geldern darf nicht spekuliert werden. Das Hauptziel ist eine ausgeglichene Finanzgebarung. Die Notwendigkeit der Bewertung von finanziell wenig ins Gewicht fallenden Rückstellungen wird angesichts der Tatsache, dass gerade die betragsmäßig bedeutendsten Pensions-Rückstellungen gar nicht dotiert werden, relativiert.

Unverbindliche Bewertungsrichtlinien

Bewertungsrichtlinien des Bundes und der Länder sind für die Gemeinden unverbindlich und haben lediglich Empfehlungscharakter. Detaillierte Vorschreibungen würden nämlich in die Gemeindeautonomie eingreifen.

Für das öffentliche Vermögen besteht „Ewigkeitsvermutung“. Die Anschaffungskosten sind der maximale Wertansatz, von dem abgewichen werden kann. Die Bewertung ist letztlich eine demokratiepolitische Entscheidung. 

Hohe Umstellungskosten

Obige Empfehlungen sind vom jeweils verwendeten Buchhaltungs- und IT-System unabhängig. Die zu erwartenden Umstellungskosten in Höhe von 140 bis 360 Millionen Euro und Folgekosten von ca. 10 Prozent pro Jahr könnten reduziert werden, ohne den erhofften Nutzen des neuen Systems zu schmälern. 

Nach Schätzungen der Europäischen Kommission soll die Einführung von EPSAS und damit der doppelten Buchführung allein in Deutschland insgesamt bis zu 3,1 Milliarden Euro kosten.

Aus Sicht des deutschen Bundesrechnungshofes dürften die tatsächlichen finanziellen Belastungen höher ausfallen. In die Entscheidungsprozesse bindet die Kommission Wirtschaftsprüfungsgesellschaften intensiv ein, sodass diese erheblichen Einfluss auf die Buchhaltungssysteme nehmen können. Damit eröffnet sich ein bedeutendes Aufgabenfeld für Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, denen sich ein milliardenschwerer und absatzsicherer Markt eröffnet. 

Von erwerbswirtschaftlichem Interesse dürfte die Anzahl von rund 100.000 Gemeinden aller Größenklassen in Europa sein, die allerdings wegen ihrer finanziellen und strukturellen Unterschiedlichkeit nicht vergleichbar sind.

Die Einführung der Doppik führt nicht nur zur Abhängigkeit von Anbietern, sondern auch zu einer Kommerzialisierung und damit einer Sinntransformation von den öffentlichen Zielen in Richtung Privatisierung. Den hohen Einführungskosten steht faktisch kein Nutzen gegenüber, weshalb der deutsche Haushaltsgesetzgeber sein verfassungsrechtliches Budgetrecht auch künftig auf der kameralen Rechnung auszuüben beabsichtigt. (https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/sonderberichte/epsas).

Die Anwendung der kameralen oder doppelten Buchhaltung ist übrigens laut VRV 2015 den Gemeinden freigestellt.

Nutzen und Kosten müssen jedenfalls in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Während die Kosten kurz-, mittel- und langfristig von den Gemeinden zu tragen sind, liegt der Nutzen vorerst einmal bei den Beratern, IT-Firmen und Schulungseinrichtungen und lässt sich der mittel- und langfristige Nutzen durch Wirkungs- und Effizienzsteigerungen nicht exakt beweisen und ursachengerecht zuordnen.

Stark steigender Buchungsaufwand

Der Buchungsaufwand wird stark ansteigen, was auf die Erhöhung von bisher acht Anlagen (46 Seiten) auf 35 Anlagen (120 Seiten) mit umfangreicher und arbeitsintensiver Ausweispflicht zurückzuführen ist.

Die starke Steigerung ist auf die doppelte Verbuchung eines jeden Geschäftsfalles in SOLL und HABEN zurückzuführen. In der Kameralistik erfolgt in der Regel eine einzige SOLL-IST-Buchung. Der Buchungsaufwand steigt vor allem durch die Einbindung der Vermögensrechnung mit den damit verbundenen vielen und komplizierten Bewertungsfragen.

Hinzu kommen Abschreibungs-, Rückstellungs- und Rücklagenbuchungen sowie aktive und passive Rechnungsabgrenzungen, welche die Eröffnung vieler neuer Konten erfordern und den Buchungsaufwand vervielfachen.

Näheres ist dem IKW-Band 133 - Einführung in das Kommunale Haushalts- und Rechnungswesen, Linz 2018, zu entnehmen.