Studie
Ökonomische Effekte der Digitalisierung – Herausforderungen für den ländlichen Raum
von Klaus Weyerstraß und Liliana Mateeva
Die rasante und tiefgreifende Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in Wirtschaft und Gesellschaft führt zu Veränderungen bei industriellen Produktionsprozessen und der Bereitstellung von Dienstleistungen. Mit der digitalen Transformation entstehen neue Herausforderungen hinsichtlich Ungleichheiten in der regionalen Entwicklung und der sozialen Teilhabe. Die Verbreitung von IKT in der Gesellschaft und deren Nutzung durch Unternehmen hat positive Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Produktivität, wie die Studie „Ökonomische Effekte der Digitalisierung“[i] auf Basis einer Auswertung der wissenschaftlichen Literatur und eigener ökonometrischer Analysen zeigt. Österreich liegt über dem EU-Durchschnitt in drei der vier Hauptbereiche des Index für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI)[ii]. Allerdings gibt es Aufholbedarf bei der Vernetzung speziell durch festnetzbasierte Technologien mit hoher Geschwindigkeit vor allem im ländlichen Raum[iii].
Digitale Technologien beeinflussen die Wirtschaft über mehrere Kanäle
Durch Investitionen in den Ausbau digitaler Infrastruktur sowie durch Netzwerkeffekte, Wissensdiffusion und die Einführung effizienter Produktionsprozesse fördern digitale Technologien die Produktivität und damit das Wirtschaftswachstum[iv]. Diese Wirkungszusammenhänge werden in der endogenen Wachstumstheorie erklärt.[v] Eine Eigenschaft der digitalen Technologien ist, dass sie die Schaffung neuer Produkte und Dienstleistungen ermöglichen[vi], was Netzwerkeffekte in weiteren Sektoren und in der Wirtschaft insgesamt auslöst. Die Auswirkungen der IKT auf das Wirtschaftswachstum sind höher, wenn eine „kritische Masse“ erreicht wird. Klarerweise macht etwa die Nutzung von E-Mails umso mehr Sinn, je mehr andere Personen sie auch nutzen. Ab einem „Sättigungspunkt“ des Marktes werden die Effekte dagegen niedriger.[vii] Digitale Technologien, wie elektronische Handels- und Finanzdienstleistungen erhöhen die Effizienz von wirtschaftlichen Aktivitäten[viii]. Der Einsatz der IKT trägt außerdem zur Diversifizierung der Geschäftstätigkeit der Unternehmen, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und effizienterer Allokation knapper Ressourcen bei, was weitere positive ökonomische Effekte hervorruft.[ix] Der Einsatz digitaler Technologien hat auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt:
Mit Produktivitätssteigerungen ist in einigen Wirtschaftsbereichen ein Verlust von Arbeitsplätzen verbunden, etwa durch die Nutzung von Robotern anstelle von Personen oder den Einsatz elektronischer Supermarktkassen ohne Personal. Gleichzeitig entstehen in anderen Bereichen neue Arbeitsplätze.[x] Dabei handelt es sich oft um höherqualifizierte Tätigkeiten.
Die Entwicklung der Digitalisierung verläuft nach Technologien und regional ungleich
Für die Beurteilung des Stands der Digitalisierung existieren mehrere Indikatoren. So stellt der Digital Economy und Society Index (DESI) der Europäischen Kommission das zentrale Messinstrument für den Digitalisierungsgrad und -fortschritt der EU-Mitgliedstaaten dar. Laut einem aktuellen Bericht zum Stand der Digitalisierung schneidet Österreich in den Hauptbereichen des DESI
- „Humankapital“
- „digitale Verwaltungsdienstleistungen“
- „Integration digitaler Technik“
in Unternehmen im EU-Vergleich überdurchschnittlich gut ab[xi]. Im Bereich „Konnektivität“ liegt Österreich hingegen unter dem EU-Durchschnitt. Grund dafür ist die vergleichsweise niedrige Abdeckung mit „Festnetz mit sehr hoher Kapazität“, gemessen am Anteil der inländischen Haushalte sowie die entsprechende Nutzung dieser Technologien. Bei der Abdeckung mit festnetzbasiertem Breitband insgesamt, inklusive Technologien mit mittelhohen Übertragungsgeschwindigkeiten[xii] sowie mit mobilen Technologien liegt Österreich dagegen über den EU-Durchschnittswerten. Das festnetzbasierte Breitband mit höheren Geschwindigkeiten ist insbesondere im ländlichen Raum Österreichs sowie im Vergleich zum EU-Durchschnitt nicht genügend verbreitet (Abbildung 1). Ländliche Gebiete sind als Regionen definiert, die Haushalte mit weniger als hundert Einwohner:innen pro Quadratkilometer umfassen.[xiii]
Abbildung 1 zeigt, dass die Abdeckung mit Glasfaser-Festnetz in ländlichen Gebieten im Jahr 2023 um zwölf Prozentpunkte niedriger war als in Gesamtösterreich. Die Abdeckung mit „Festnetzen mit sehr hoher Kapazität“, die zusätzlich zu den Glasfasernetzen auch Technologien für Internet basierend auf Kabel-TV („Cable DOCSIS 3.1“) umfassen, ist im ländlichen Raum sogar um 32 Prozentpunkte niedriger als in Österreich insgesamt. Der Vergleich zwischen 2019 und 2023 zeigt, dass sich die Disparitäten zwischen den ländlichen und den städtischen Regionen in Österreich vergrößert haben (Abbildung 2).
Innerhalb der OECD-Länder[xv] liegt Österreich beim Festnetz-Breitband am unteren Ende und bei mobilen Internet-Verträgen im Mittelfeld. Bei der Nutzung von Breitband-Internet in Unternehmen befindet sich Österreich im oberen Mittelfeld. Breitbandnutzung hat in Österreich in den letzten Jahren deutlich zugenommen (Abbildung 3). Dieser Anstieg konzentrierte sich fast vollständig auf mobiles Breitbandinternet, während die Nutzung festnetzbasierten Internets deutlich langsamer und auf niedrigem Niveau expandierte.
Die Digitalisierung hat positive Wirkungen auf das Wirtschaftswachstum
Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von Digitalisierung wurden mit einem panelökonometrischen Ansatz für die OECD-Länder abgeschätzt[xvi]. Bei einem Panel-Modell werden die Querschnitts- und die Längsschnittdimension verknüpft. Es werden also die Variablen für mehrere Länder über einen längeren Zeitraum betrachtet. Die geschätzten Koeffizienten geben die durchschnittlichen Einflüsse der erklärenden Variablen auf die abhängige Variable im betrachteten Länderkreis während des Schätzzeitraums wieder. Länderspezifische Unterschiede werden durch feste Effekte berücksichtigt. In den Modellen werden verschiedene Digitalisierungsindikatoren und Kontrollvariablen verwendet, um das Wirtschaftswachstum, das Pro-Kopf-Einkommen und die totale Faktorproduktivität (TFP) zu erklären. Die Kontrollvariablen sind wichtig, um den Einfluss der Digitalisierung zu isolieren. Bei der TFP handelt es sich um ein Maß für jenen Teil von Änderungen des Bruttoinlandsprodukts, der nicht auf Änderungen des Einsatzes der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital zurückzuführen ist. Die TFP wird oft als Maß für den technischen Fortschritt verwendet.
Die Schätzergebnisse zeigen, dass die Digitalisierung das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts, das Pro-Kopf-Einkommen und die totale Faktorproduktivität signifikant beeinflusst. Konkret wurde ein positiver Einfluss des Anteils der Unternehmen mit Breitbandinternetanschluss, des Anteils der Beschäftigten, die einen PC mit Internetanschluss nutzen, des Unternehmensanteils mit Website und des Anteils der Unternehmen, die Bestellungen über Computernetze abwickeln, gefunden.
Mit den Modellen wurden Simulationen durgeführt. So könnte das Pro-Kopf-Einkommen um rund 6,5 Prozent höher sein, wenn Österreich denselben, um etwa 22 Prozentpunkte höheren Anteil der Beschäftigten, die einen PC mit Internetanschluss nutzen, wie Finnland hätte. Die Ausstattung des Arbeitsplatzes allein entfaltet selbstverständlich keine positiven ökonomischen Wirkungen, sondern nur im Zusammenwirken mit einer Anpassung der Prozesse und einer entsprechenden Schulung der Beschäftigten. Wenn 50 Prozent und damit etwa doppelt so viele Unternehmen wie bisher Bestellungen über Computernetzwerke abwickeln würden, könnte die totale Faktorproduktivität in Österreich um rund 4 Prozent höher sein.
Die Digitalisierung im ländlichen Raum wird durch öffentliche Maßnahmen unterstützt
Da die Verbreitung digitaler Technologien positive Wirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Produktivität aufweist, ist eine flächendeckende Infrastruktur notwendig, um wirtschaftliche Disparitäten auf regionaler Ebene zu vermeiden. Daher ist es wichtig, den Ausbau insbesondere in den Regionen im ländlichen Raum, in denen private Investitionen nicht betriebswirtschaftlich rentabel sind, zu unterstützen. Generell ist bei Vorliegen von Marktversagen der Staat gefordert, dieses auszugleichen. Im Fall der Versorgung mit Breitband-Internet liegt Marktversagen vor, wenn die volkswirtschaftlichen Erträge größer als die betriebswirtschaftlichen sind. Da Unternehmen die positiven externen Effekte, also die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen, nicht in ihr betriebswirtschaftliches Investitionskalkül einbeziehen, ist das Angebot, im vorliegenden Fall die Versorgung mit Breitband-Internet, als volkswirtschaftlicher Sicht zu niedrig. Um die Digitalisierung landesweit voranzutreiben, werden daher in Österreich Maßnahmen zum Ausbau festnetzbasierten Breitbands innerhalb der Strategie „Breitband Austria 2030“ geplant[xvii]. Darunter sind öffentliche Investitionen in „Gebieten mit bergiger Topografie“ und geringer Bevölkerungsdichte vorgesehen. Geplant sind öffentliche Investitionen in „gigabitfähige“ Glasfasernetze, die Zugang zu Internet mit sehr hoher Geschwindigkeit flächendeckend in Österreich und speziell in „unterversorgten Gebieten“ bis 2030 gewährleisten sollen. Diese Investitionen werden durch nationale und EU-Fördermittel im Rahmen der „Aufbau- und Resilienzfazilität 2020─2026“ unterstützt.
Da die Nutzung von Breitband-Internet nicht nur die entsprechende Infrastruktur, sondern auch qualifizierte Beschäftigte erfordert, müssen sowohl die Unternehmen als auch der Staat in Bildung und Ausbildung investieren. Der Staat ist hier eher im Grundlagenbereich (etwa an Schulen, Fachhochschulden und Universitäten), die Unternehmen sind vor allem in der konkreten betrieblichen Anwendung gefordert. Staatliche Maßnahmen sind darüber hinaus in der Organisation des Forschungsumfelds und des Datenschutzes gefordert. Vorgesehen sind auch nationale Maßnahmen zum Schutz der Infrastruktur der Telekommunikationsdienstleistungen ─ als Teil der kritischen Infrastruktur in Österreich ─ um deren Versorgungssicherheit zu gewährleisten[xviii].
Über die Autoren:
Klaus Weyerstraß
Klaus Weyerstraß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe „Makroökonomik und Konjunktur“ sowie Sprecher für internationale Konjunktur und Außenwirtschaft am Institut für Höhere Studien (IHS) Wien. Er beschäftigt sich unter anderem mit Analysen der Produktivität, makroökonomischer Modellierung sowie Konjunkturanalysen und ‑prognosen.
Liliana Mateeva
Liliana Mateeva ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe „Energie, Umwelt und nachhaltige Wirtschaftsstrukturen“ am Institut für Höhere Studien (IHS) Wien. Sie beschäftigt sich unter anderem mit den Themen: ökonomische Effekte der Energiewende, Nachhaltigkeit, Arbeitsmarkt und sektorale Analysen.
Anhang:
[i] Weyerstraß, K. & Mateeva, L. (2024). Ökonomische Effekte von Digitalisierung. Studie mit finanzieller Unterstützung durch das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW), https://irihs.ihs.ac.at/id/eprint/6889/
[ii] Digital Österreich (2023). Digitales Österreich im europäischen Vergleich, https://www.digitalaustria.gv.at/Themen/DESI.html#desi
[iii] Europäische Kommission (2022). Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) 2022. Länderbericht Österreich.
[iv] Appiah-Otoo, I. & Song, N. (2021). The impact of ICT on economic growth-Comparing rich and poor countries. Telecommunications Policy, 45; Choi, C. & Yi Hoon, M. (2009). The effect of the Internet on economic growth: Evidence from cross-country. Economics Letters, 105, 39–41.
[v] Romer, P. (1986). Increasing Returns and Long Run Growth. Journal of Political Economy, 94 (5); Romer, P. (1990). Endogenous technical change. Journal of Political Economy, 98 (5); Lucas, R. E. (1988). On the Mechanics of Economic Development. Journal of Monetary Economics, 22.
[vi] Atkinson, R. et al. (2009). The Digital Road to Recovery: A Stimulus Plan to Create Jobs, Boost Productivity and Revitalize America, The Information Technology & Innovation Foundation.
[vii] Katz, R. & Callorda, F. (2018). The economic contribution of broadband, digitization and ICT regulation. International Telecommunications Union.
[viii] Albiman, M. & Sulong, Z. (2017). The linear and non-linear impacts of ICT on economic growth, of disaggregate income groups within SSA region. Telecommunication Policy, 41, 555-572; Fernandez-Portillo, A. et al. (2020). Impact of ICT development on economic growth. A study of OECD European union countries, Technology in Society, 63.
[ix] Pradhan, R. P. et al. (2014). Economic growth and the development of telecommunications infrastructure in the G-20 countries: A panel-VAR approach. Telecommunication Policy, 38 (7), 634-649; Vu, K. M. (2011). ICT as a source of economic growth in the information age: Empirical evidence from the 1996-2005 period. Telecommunication Policy, 35 (4).
[x] Arntz, M. et al. (2018). Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit: Makroökonomische Auswirkungen auf Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Löhne von morgen, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.
[xi] Europäische Kommission (2022), ebenda.
[xii] Technologien basierend auf Kupfertelefonnetze, Glasfasernetze, TV-Kabel oder deren Kombination (VDSL(2), FTTP, Cable DOCSIS 3.0/3.1): European Union (2024). Broadband Coverage in Europe 2023. Mapping progress towards the coverage objectives of the Digital Decade. A study for the European Commission DG Communications Networks, Content & Technology by Omdia and Point Topic, the UK.
[xiii] European Union (2024), ebenda.
[xiv] Europäische Kommission. DESI-Indikatoren, https://digital-decade-desi.digital-strategy.ec.europa.eu/datasets/desi/charts/desi-indicators?period=desi_2024&indicator=desi_vhcn&breakdown=hh_deg3&unit=pc_hh_all&country=AT,BE,BG,HR,CY,CZ,DK,EE,EU,FI,FR,DE,EL,HU,IE,IT,LV,LT,LU,MT,NL,PL,PT,RO,SK,SI,ES,SE
[xv] OECD data, www.oecd.org.
[xvi] Weyerstraß, K. & Mateeva, L. (2024), ebenda.
[xvii] Europäische Kommission (2022), ebenda; Bundesministerium für Finanzen (2024). Breitband (bmf.gv.at).
[xviii] BKA (2023). Österreichisches Programm zum Schutz kritischer Infrastrukturen (APCIP). https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/sicherheitspolitik/schutz-kritischer-infrastrukturen.html