Kurt Weinberger
Kurt Weinberger: „Die Kommunalsteuer steuert falsch und gehört auf Bundes- oder Landesebene.“

„Mit Boden sparsam umgehen“

Das Ausmaß des Flächenverbrauchs in Österreich ist seit Jahren ein Aufregerthema. Was geschehen soll, wird höchst kontroversiell diskutiert. Ein Pol dabei ist die Hagelversicherung, deren Chef Kurt Weinberger massiv gegen die Versiegelung auftritt und dabei den Gemeinden „auf die Füße“ steigt.

Herr Doktor Weinberger, Sie kämpfen seit Jahren gegen den Bodenverbrauch in Österreich, gegen die Versiegelung vor allem. Wie sieht denn die aktuelle Situation an der Versiegelungsfront aus?

Kurt Weinberger: Vielleicht vorweg, warum wir uns als Naturkatastrophenversicherer und ich als Finanzmanager mit diesen Themen beschäftigen. Die Versiegelung von Böden hat auch reale ökonomische Auswirkungen hat auf unsere Branche. Wir versichern ja heute über Hagel hinaus nicht nur Sturm, Frost, sondern auch beispielsweise Überschwemmung. Hochwasser und zubetonierter Boden kann kein Wasser speichern. Die Schäden nehmen zu. Zum anderen auch, zubetonierter Boden kann kein CO2 speichern, auch das hat eine Auswirkung auf die Schadenssituation. Das erklärt, warum wir uns als Versicherungsunternehmen mit dieser Fragestellung beschäftigen.

Das Zweite ist, man hat auch als Versicherungsunternehmen oder als Unternehmen generell neben der ökonomischen Aufgabe auch eine gesellschaftlich-politische Verantwortung. So ist es zu erklären, warum wir uns in dieser Frage einbringen und sagen, hier haben wir in Österreich eine Schieflage, denn ein Land mit immer weniger Böden ist wie ein Mensch mit immer weniger Haut. Da wird es schwer auf diesem Weg. Und wir sind in dieser Disziplin, was das Verbauen der Böden anbelangt, Europameister im negativen Sinne.

Und es gibt kein zweites Land in Europa, das in diesem Tempo die Böden zubetoniert. Jeden Tag wird Österreich durch die Verbauung um ein Stück ärmer und das nutzbare Land wird täglich weniger.

Was bedeutet „das nutzbare Land“?

Das nutzbare Land, also die Böden, die unsere Lebensgrundlage sind, die werden weniger, weil es für andere Zwecke genutzt wird. Das heißt, wenn wir uns anschauen, dass in den letzten 25 Jahren in Österreich 150.000 Hektar, das ist so groß wie die gesamte Agrarfläche des Burgenlandes, verbaut worden.

Und wir sind hier Europameister im Bereich der Supermarktfläche. Wir haben mit 9,7 m² die höchste Supermarktdichte pro Kopf. Und wir haben das dichteste Straßennetz mit 15 Meter pro Kopf. Gleichzeitig haben wir – als besondere Schieflage – einen Leerstand in Österreich von, laut Umweltbundesland, 40.000 Hektar. Leerstehende Immobilien in Form von Industriehallen, Gewerbeflächen, etc. Das entspricht einer Größe der Stadt Wien. Um diese Dimension handelt es sich. Und trotzdem werden täglich, das ist im Durchschnitt der letzten zehn Jahre, 20 Hektar verbaut. Tag für Tag.

Hektar oder Fußballfelder?

Auf das können wir gleich eingehen. Ein Fußballfeld hat ungefähr 1,4 Hektar. Das heißt, im Durchschnitt der letzten zehn Jahre waren das 20 Hektar täglich. Das entspricht 30 Fußballfelder in den letzten zehn Jahren. Tag für Tag. Wenn wir so weiter tun wie bislang in den letzten zehn Jahren, dann gäbe es hochgerechnet in Österreich in 200 Jahren keine Agrarflächen mehr. Und diese Entwicklung dürfen wir nicht zulassen.

Ein Land mit immer weniger Böden ist ein Mensch mit immer weniger Haut, nicht überlebensfähig.

Das ist mal die Faktenlage dieser Verbauung. Und vielleicht noch kurz skizziert, warum die Auswirkungen so dramatisch sind: Der Boden ist unsere Lebensgrundlage, der uns die Nahrung sichert. Und diese Nahrungssicherheit wird entsprechend gefährdet durch dieses Verbauen. Wir haben beim Brotgetreide einen Selbstversorgungsgrad von 85 Prozent.

Beispielhaft zweite Konsequenz ist, dass ein Land, das so zersiedelt ist und so verbaut ist, die Attraktivität als Tourismusland verliert. Wir sehen das beispielsweise in Bayern, da ist das viel geordneter. Oder auch in der Schweiz. Oder in Südtirol. Daher hat diese Verbauung auch Auswirkungen auf diesen wichtigen Sektor der Volkswirtschaft, auf die Tourismusbranche, das zeigen uns auch Untersuchungen, dass vier von fünf Österreicherinnen und Österreicher sind, wenn ich das auf Wienerisch sagen darf, angefressen, wie diese Räume entwickelt werden. Vier von fünf, laut Market Institut. Also 80 Prozent sind verärgert darüber und diese 80 Prozent fordern einen sofortigen Stopp dieser Fehlentwicklung. Hier ist wirklich entsprechend eine volkswirtschaftlich negative Entwicklung.

Und noch etwas darf man auch nicht vergessen: Am Boden hängen insgesamt rund 500.000 Arbeitsplätze. Wenn es keine Böden mehr gibt, sind in der Land- und Forstwirtschaft 500.000 Arbeitsplätze gefährdet. Und diese Arbeitsplätze sind nachhaltig, völlig unabhängig von jeglicher politischen Konjunkturlage.

Gibt es irgendwo eine Umweltdiskussion, stehen Arbeitsplätze zur Diskussion im Bereich der Automobilindustrie, ja, aber die Landwirtschaft ist der Sektor, der wirklich diese nachhaltigen Arbeitsplätze losgelöst von jeder Konjunkturlage absichern würde. Aber wenn es keinen Boden mehr gibt, gibt es diesen Sektor auch nicht. Das ist, glaube ich, ein Thema, das man bewusst machen muss.

Ich muss gestehen, dass ich Probleme habe zu verstehen, ab wann ein Grund als versiegelt gilt. Sie haben schon öfters gesagt, dass es zu viele Verkehrsflächen gibt. Schienenstränge gelten beispielsweise aber nur zu 40 Prozent als versiegelt. Wenn ich ein Haus oder einen Grund mit Haus habe, ist das Haus selbst zu 100 Prozent versiegelt, ist klar. Aber dazu gehört ein Garten.

Garten nicht mehr.

Gut, Garten nicht mehr. Ich habe Schwierigkeiten, das nachzuvollziehen, weil ich die Zahlen nicht nicht zur Verfügung gestellt bekomme.

Wenn wir von 20 Hektar oder 30 Fußballfeldern sprechen, betrifft das jene Fläche, die aus der landwirtschaftlichen Produktion genommen wird. Das ist eine Fläche, die nicht mehr für die landwirtschaftliche Produktion zur Verfügung steht und da wird Boden verbraucht.

Wenn ich jetzt hergehe und ein 1000 Quadratmeter Grundstück irgendwo in einer Gemeinde, die nicht im Siedlungskernraum ist, kaufe. Ist das die Fläche, die verloren geht?

Genau, auf den Punkt gebracht.

Es sind aber nicht die ganzen 1000 Quadratmeter versiegelt …

Aber es ist eine Fläche, die für die Produktion von Lebensmittel verloren ist. Das ist der Punkt. Es ist nicht alles versiegelt, aber die Konsequenz ist, dass dieser Anteil an Grund und Boden nicht mehr für die Landwirtschaft zur Verfügung steht, weil sie eben für andere Zwecke in Nutzung verbaut wurde und diese Fläche ist sozusagen jene Fläche, die die Landwirtschaft verliert. Und diese verlorene Fläche täglich macht diese 20 Hektar aus, respektive umgerechnet auf die Fußballfelder. Die Auswirkung ist, dass diese Grundeinheit nicht mehr für Lebensmittelproduktion zur Verfügung steht.

Aber der Bürgermeister, der mit einem Gemeindeentwicklungsplan konfrontiert ist – und die sind alle mit den Ländern abgesegnet – kann ja nicht frei walten, wie er will. Rückwirkend muss er eine rechtliche Handhabe haben. Und selbst dann kann er nicht sagen, das ist jetzt Bauland und das widme ich jetzt für Ackerland. Sondern ich kann sagen, als Grünland oder als Brachland. Er muss das aber mit dem Land und dem Bebauungsplan abstimmen.

Nein. In allen Ehren der Behörden und der Bürgermeister, der freie Flächenwidmungsplan, das ist das Thema des Gemeinderates. Der befindet darüber, ob eine Fläche, die jetzt Grünlandnutzung ist, umgewidmet wird in Bauland. Das ist Aufgabe des Gemeinderates.

Und diese Flächenumwidmungsabänderung ist genehmigungspflichtig von den jeweiligen Ämtern der Landesregierung. Da ist die sogenannte übergeordnete Raumordnung. Die Gemeinde kann das alleine nicht machen. Das erlangt dann erst Rechtskraft, wenn vom jeweiligen Amt das genehmigt wurde. Das heißt, wir hätten schon ein Instrument.

Die Realität ist allerdings die – und ich war selbst mal einige Wochen in der übergeordneten Verantwortung vor Jahrzehnten, als ich in der Agrarrechtsabteilung beim Land der oberösterreichischen Landesregierung war – die Realität ist die, das diese formellen Genehmigungsverfahren wirklich formelle Geschichten sind, das wird eher durch gewunken. Diese Genehmigung.

Es findet bei der übergeordneten Instanz Land keine Prüfung statt?

Schon, sie findet schon statt. Aber wenn man sich die Prozentfälle der Prüfungsfälle in Relation zur nicht Genehmigung anschaut, dann ist das bedeutungslos. In der Relation. Das heißt, zusammengefasst entscheidet die erste Instanz, das ist der Gemeinderat, die haben dort im Grunde eine entsprechende Souveränität, wenngleich rechtlich jeder Genehmigungspflichtig ist. Meine Meinung ist, dass wir hier eine Fehlentwicklung haben, auch im Vergleich zu anderen Ländern Europas oder auch im Vergleich zu Bayern, dass diese übergeordnete Raumordnung nicht die Schärfe und nicht die Wirkung hat, wie sie haben sollte, damit die Räume in der Zukunft geordnet entwickelt werden.

Und der Bürgermeister ist in einer Sandwich-Situation. Einerseits als Behörde mit dem Gemeinderat als Instanz, wo er die Wünsche der Grundeigentümer und auch andere Interessen erfüllen sollte. Und auf der anderen Seite muss er gewählt werden. Er muss schauen, dass sich die Räume für künftige Generationen verantwortungsvoll entwickeln. Auf der anderen Seite muss er gewählt werden. Dass ist ein Widerspruch und eine große Herausforderung für jeden Bürgermeister, für einen Gemeinderat. Und daher ist es ja sinnvoll, dass es eine übergeordnete Anordnung gibt, die dann die Bremse ziehen kann.

Ich würde noch mal gerne zurückkommen zu den Industriebrachen, weil das gerade Thema ist. Wenn der Besitzer einer Industriebrache sagt, er nimmt das Areal als Wertanlage. Was soll der Bürgermeister machen? Oder was soll das Land in so einem Fall machen?

Sehr gute Frage. Das sind Themen mit leer stehenden Immobilien. Wir haben beim IHS vor einigen Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, was kann die Politik tun könnte, um diesen Leerstand wieder zu revitalisieren. Es kann ja nicht sein, dass wir 40.000 Hektar leer stehende Immobilien haben und gleichzeitig verschwindet täglich Grund und Boden.

Alle Experten sagen, es braucht ein Maßnahmenbündel, damit es für einen institutionellen oder für einen privaten Eigentümer wirtschaftlich vertretbar ist, das er auf Altsubstanz greift. Was wären hier die Möglichkeiten? Ich glaube, eine wäre, ein Anreizsystem zu schaffen, all jenen Investoren, die auf Altsubstanz greifen eine Förderung zu geben. Also wenn jemand eine Immobilie saniert, bekommt er X Prozent Investitionszuschuss. Als nicht zurückzuzahlender Zuschuss, als. Steuerliche Attraktivität  

Ein Beispiel. Man hat heute bei Gebäuden einen Abschreibungssatz auf den Gebäudeanteil. Wenn du heute dein Gebäude bewertest, hast du 40 Prozent Grundanteil, wo keine  Auflage gibt. Beim Gebäude gibt es eine AfA von 1,5 Prozent. Das heißt, das wird auf 66,6 Jahren abgeschrieben. Dann habe ich Einnahmen und Ausgaben. Wenn ich Eigentümer eines Gebäudes bin, kann ich fünf Prozent des Wertes als Ausgabe von meinen Einnahmen abziehen. Das heißt, es ist Einkommensmindernd.

Die Experten sagen, man sollte statt den 1,5 Prozent AVA Satz für Altbau, wo investiert wird, eine Verdoppelung, eine Verdreifachung, oder was auch immer schaffen, ein Anreizsystem, weil damit sozusagen sich wirtschaftlich das schneller dreht und das wirtschaftlich interessant ist, das ich auf Altsubstanz greife. All diese Dinge gibt es nicht.

In meinen Gesprächen mit Industriellen ist diese Schieflage herausgekommen. Selbst wenn ich als Industrieller eine Möglichkeit gehabt hätte, eine alte Halle zu nutzen, ist das ist wirtschaftlich nicht darstellbar. Ich kann nicht, ich bin im Wettbewerb. Ich bin in der freien Wirtschaft. Ich kann mir das nicht leisten, wenn ich da mal eine oder zwei Millionen im Jahr hier investieren muss, für die Reparatur dieser Industriehalle. Das geht nicht. Das kann ich im Preis nicht abbilden. Und daher baue ich neu.

Das heißt, nochmals zusammengefasst: Wenn wir ernsthaft die Revitalisierung des Altbestandes erreichen wollen, dann braucht es ein Maßnahmenbündel in Form einer Förderung. In Form, beispielsweise einer steuerlichen Attraktivität durch erhöhte Abschreibungen. Damit man in die Lage versetzt wird, auch auf Altsubstanz zu greifen. Wenn wir das nicht tun, werden wir ein Land sein mit verfallenen Häusern, mit verfallenen Ortskernen, mit verfallenen Industriehallen.

Komme ich da nicht unweigerlich irgendwann zum Punkt der Enteignung?

Das glaube ich nicht.

Ich weiß auch nicht, ob wir überhaupt dahin wollen …

Das glaube ich auch nicht. Das wäre eine Fehlentwicklung. Darum frage ich, wie kann man einen privaten und einen institutionellen Investor motivieren, er auf Altsubstanz zu greifen. Mit Anreizsystemen. Und die haben wir nicht.

Weil Sie Maßnahmenbündel gesagt haben. Ende Dezember haben sie auf Ihrer Website eines veröffentlicht. Ist dieses Maßnahmenbündel gemeint?

Genau. Dieses Maßnahmenbündel brauchen wir. Wir haben ja schon in der Nachhaltigkeitsstrategie der alten Regierung 2002 festgehalten, dass 2,5 Hektar maximal täglich verbaut werden dürfen. Tatsache ist, dass wir aber 20 Hektar …

Die 2,5 Hektar stehen auch im neuen Regierungsprogramm ...

Ja, genau. Auf jeden Fall, wir haben tatsächlich 20 Hektar täglich in den letzten zehn Jahren verbaut. Es ist weniger geworden. Jetzt sind es nur mehr 12 Hektar. Es ist auch tatsächlich weniger geworden. Aber es ist viel zu viel noch immer. Noch immer das fünffache vom Zielwert.

Und da ist es wichtig, dass das auch mal festgehalten ist. Das Problem ist, das die Raumordnungskompetenz nicht in den Händen des Bundes liegt, sondern der Länder.

Ich bin auch nicht gegen das Bauen. Ich bin so weit Realist zu erkennen, dass die Bevölkerung wächst. Wir treten dafür ein, dass sich Räume vernünftig entwickeln und nicht, dass man kunterbunt baut. Wenn wir geordnete Räume entwickeln, dann muss das flächenschonender sein. Das heißt in die Tiefe und in die Höhe bauen.

Und wir haben natürlich andere Raumbedürfnisse heute. Die haben sich ja verdreifacht gegenüber vor fünf, sechs Jahrzehnten. Das hängt vielfach auch mit dem höheren Wohlstand ab, auch mit der familiären Situation. Da es heute viele Singles gibt, ist allein dadurch mehr Wohnraumbedarf gegeben.

Aber das, was zubetoniert ist, ist tot. Ich sage noch zwei Auswirkungen, die nicht immer so im Vordergrund stehen. Das eine ist, dass wir durch das Verbauen auch enorm an Biodiversität verlieren. Bei mir war kürzlich ein Neurologe und der hat gesagt, Herr Weinberger, ich verfolge Ihre Ausführungen mit dem Boden, ob ich nicht mal ein Referat halten könnte in einem Arbeitskreis von einem Neurologen. Der sagte, sie stellen fest, Kinder, die nur auf Beton aufwachsen in der Stadt, die werden psychisch anfälliger, es geht in Richtung Burn-out.

Das wird ein riesiges Problem für die Ballungsräume in Österreich, also nicht nur Wien. Graz, Linz haben genauso ein Thema. Aber ich würde gerne noch mal zurückkommen zur Biodiversität. Frei werdende Böden oder frei werdender Grund sollten automatisch Agrargrund werden oder eine Agrarwidmung bekommen?

Wie, frei werdender Grund?

Wenn Sie zum Beispiel sagen, es ist ein gewisses Areal in einer Gemeinde als Bauland gewidmet und das wird nicht bebaut oder verkauft, sondern rückgewidmet. Soll das automatisch jetzt Agrarland werden oder sollen wir schauen, das wir eben die Biodiversität steigern, indem man sagt, wir machen daraus Brachland, legen Blumenwiesen an, Wald wird angepflanzt?
Gleichzeitig wissen wir, dass die großen Felder, die Monokulturen, nicht viel Leben im Boden zulassen oder nicht viel Insektenwelt, die ja für die Pflanzen auch wichtig sind. Das alles mit einberechnet, frage ich mich, ob wir jetzt hergehen sollen und automatisch aus Böden Agrarland machen sollen, wo ich dann eine Monokultur habe, die mit Biodiversität und dem Wohlbefinden oder der Weiterentwicklung der Natur auch nicht viel tut. Wohl für die Ernährung, aber nicht für das …

Das ist eine gute Frage. Dadurch, dass ich selber Jäger bin, beobachte ich auch, dass da etwas in Bewegung ist, etwas schiefläuft. Aber die höchste Stufe der Zerstörung der Biodiversität liegt darin, einen Boden aus der Produktion zu nehmen. Ich betoniere das zu und asphaltiere das aus. Das ist mal die Hauptkausalität für den Rückgang auch der Biodiversität, weil da habe ich kein Reh mehr dort, da habe ich keinen Hasen oder Fasan mehr dort, keinen Regenwurm, aus. Es ist der massivste Eingriff. Was einmal tot ist, bleibt tot. Und jetzt Ihre Frage, was wird als Bauland gewidmet.

Aber auch, wenn das als Bauland gewidmet ist, kann ganz normal weiter gewirtschaftet werden. Mit Getreide zum Beispiel. Die Widmungsänderung verändert nichts an der Bewirtschaftungsform. Wenn ich es so formulieren darf, dann war das zwar als Bauland ausgewiesen, aber in der Praxis wird es als Grünland oder als Acker genutzt. Und jetzt ist die Frage, wie die Biodiversität erhöhen werden kann. Aber das hat, glaube ich, so sehr nicht was mit der Rückwidmung zu tun.

Hauptgrund dieses Rückgangs an Biodiversität ist, das wir heute auch Flächen mit Straßen zerschneiden und damit sozusagen für die Population, für die Vermehrung einzelner Arten von Tieren, Grenzen einziehen. Die sind gar nicht mehr in der Lage, sich zu vermehren, weil die brauchen einen bestimmten Raum, um leben zu können. Ein Hase braucht beispielsweise 600 oder 700 Hektar, damit er sich noch vermehren kann. Siedlungen oder Straßen, die das Zusammenleben dieser Tierarten nicht mehr ermöglichen, haben massive Auswirkungen.

Im Grunde genommen müsste man hergehen und sagen, das einzige Maßnahmenbündel, das geschnürt werden müsste, ist, dass es für Gemeinden, die mit Böden sparsam umgehen und ökologisch wichtige Schritte setzen, eine Belohnung gibt. Sprich, Baulandreserve wieder als Grünland widmen. Dass man die aus dem Finanzausgleich belohnt.

Das ist der Punkt. Den kann man nur voll und ganz unterstützen. Dieser Finanzausgleich steuert hier auch falsch mit der Kopfzahl.

Schlussendlich geht es ums Geld.

Natürlich, wenn ich Bürgermeister wäre, würde ich auch sagen, ich brauche Einnahmen. Ich brauche die Kommunalsteuer, was natürlich mit den dort Beschäftigten zusammenhängt. Und dieser Widerspruch gehört auf die Bundesebene, also wie die Einkommenssteuer verteilt wird. Das betrifft auch die Kommunalsteuer als Gemeindesteuer.

Aber die Kommunalsteuer ist ja auch nur ein Ausdruck der Verfassung, dass die Gemeinde ein freier Wirtschaftskörper auch ist.

Ja. Man sagt, als Körperschaft öffentlichen Rechts mögen die auch selbst eine Steuerhoheit haben. Und daher gibt es diese Kommunalsteuer. Aber in der Wirkung sehen wir, dass wir damit eine Raumfehlentwicklung haben oder eine Raumunordnung. Und die Ursachen müssten bekämpfen werden. So einfach, theoretisch gesagt, wäre es. Aber die Realpolitik ist eine andere.

Die Bürgermeister werden vermutlich auch auf die Barrikaden steigen, wenn man ihnen die Kommunalsteuer wegnimmt.

Von der Wirkung her, glaube ich, ist es eine Steuer, die falsch steuert. Sie ist richtig, aber sie steuert falsch und gehört auf Bundes- oder Landesebene.

Das heißt, Sie plädieren dafür, dass man das eigentlich dem Sinn nach die Kommunalsteuer den Gemeinden wegnimmt, aber die Erträge in dieser Höhe die Gemeinden sehr wohl zur Verfügung haben?

Mit bestimmten Kriterien. Ökologische Entwicklung einer Gemeinde. Das könnte man mit Punktesystemen heute machen. Damit der Bürgermeister nicht permanent wieder in dieser Sandwich-Situation ist, einerseits will aus seiner Verantwortung heraus die Natur schonen und die Umwelt schützen. Denn hier geht es um die Zukunft des Landes. Hier geht es um die künftigen Generationen. Es geht um die Zukunft Österreichs.

Und daher ist jeder Bürgermeister, denke ich, interessiert, ordentliche Räume zu haben. Aber er hat auf der anderen Seite einen wirtschaftlichen Druck, dass er nicht immer nur abhängig sein möchte von den Ländern durch entsprechende Ausgleichszahlungen. Sondern die Gemeinde will selber stark sein. Aber, da man damit künftigen Generationen auch Schaden zufügt, braucht nicht jede Gemeinde selbst ein Gewerbegebiet. Das ist sinnlos. Wir zerstören damit die Räume. Ich muss die Räume geistig eigentlich breiter denken, eher auf Kreisebene denken, wie entwickelt sich hier der Raum in einen Bezirk. Und nicht aus der Sicht der Kommune heraus. Halte ich für falsch.

Interkommunale Gewerbegebiete hat man in den Kommunen aber schon länger.

Ich halte das für keine kluge Entwicklung, den kommunalen Finanzausgleich hier zu forcieren, das man sagt, man verteilt dann die Kommunalsteuern, wenn jetzt in einer Gemeinde hier ein Zentrum entsteht für Gewerbebetriebe und die anderen Gemeinden verzichten sozusagen auf diesen Wettbewerb und sagen, wir lassen das dort. Und man verteilt dann auf die Nachbargemeinden die Kommunalsteuern. Das ist eine sehr kluge Entwicklung.

Ich glaube, man müsste einfach die jetzt schon rechtlich erforderliche Genehmigungspflicht einfach mit mehr Zähnen versehen. Damit das, was jetzt zahnlos wirkt, entsprechend wirkt.

Glauben Sie, dass die Länder mehr Zähne haben? Die wollen ja auch gewählt werden.

Aber das zuständige Regierungsmitglied ist nicht unmittelbar beim Bürger in der Gemeinde und der Bürger wählt nicht das Regierungsmitglied in der Gemeinde.

So wie ich das sehe, ist die Gemeinde die Schule der Demokratie. Die Bürger bringen den Gemeinden auch das meiste Vertrauen entgegen. Verlieren wir da nicht noch mehr? Machen wir da nicht eine Tür auf, die uns dann vielleicht als Gesellschaft auch schadet? Weil sich manchen Gemeinden aufgrund der ganzen Haftungsthematik etc. kaum mehr Bürgermeister finden?

Mir haben Bürgermeister schon gesagt in bilateralen Gesprächen, sie wären froh, wenn sie mit dieser Thematik nicht so eng konfrontiert werden. Wenn das sozusagen übergeordnet entschieden werden würde …

… die Widmungen?

Ja. Den Bürgermeister wäre eigentlich lieber, wenn man ständig in diesem tiefen Konflikt ist. Das bedeutet ja nicht, dass ich den Bürgermeistern was wegnehme.

Wenn die Länder und Fachexperten die Genehmigungspflicht stärker an entsprechend objektive Kriterien binden, dann dient das dem Land. In dieser Frage darf es nicht ausschließlich darum gehen, wie ich Einnahmen maximieren kann. Sondern ich glaube, Raum ist eine öffentliche Aufgabe. Wie dieser Raum gestaltet wird, darf nicht von Einzelinteressen entschieden werden.

Die öffentliche Aufgabe ist es, dass wir unseren künftigen Generationen ordentliche Räume hinterlassen. Und damit müssen Einzelinteressen zurückgestellt werden gegenüber öffentlichen Interessen und dort muss die öffentliche Hand eine viel stärkere Rolle einnehmen.

Ich sage es nochmals, die Landesregierung, weil hier geht es um die Zukunft dieses Landes. Das darf nicht von der Entscheidung eines Bürgermeisters respektive eines Gemeinderates abhängig sein, weil, was einmal tot ist, bleibt tot. Und uns muss auch klar sein, wenn wir so weiter tun: Vom Beton kann keiner abbeißen.

Das heißt, ich brauche nicht nur eine Neuausrichtung des Finanzausgleichs. Die Judikatur muss auch in die Richtung angepasst oder verändert werden, egal ob es sich um Bürgermeister oder das Land handelt?

Ich glaube, unumstritten ist, dass wir uns alle dazu bekennen, dass wir eine Infrastruktur brauchen. Wünschenswert ist allerdings eine Form der Infrastruktur, die auch nachhaltig ist. Ich halte nichts davon, nur Straßen zu bauen, sondern wir brauchen – und das sage ich auch in meiner Rolle als Vizepräsident des Aufsichtsrates ÖBB Holding – eine deutliche Fortsetzung des klaren Bekenntnisses zu einem Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Der öffentliche Verkehr braucht auch in der Infrastruktur weniger Fläche und ein Drittel von einer Straße. Ein klares Bekenntnis zur Schiene versus Straßen. Denn der Autoverkehr ist einer der größten Verursacher des Verfehlens des Vertrages von Paris für Österreich, was die Emissionen betrifft. Wir haben im Verkehr einen Zuwachs in den letzten 20 Jahren gehabt von über 70 Prozent.

Wenn es uns nicht gelingt, den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu transferieren, haben wir dort eine riesige Baustelle. Nämlich eine Baustelle mit unserer völkerrechtlichen Verpflichtung, diese Verträge einhalten. Ich glaube, die Zahlen sind bekannt, je nach Berechnung geht es um bis zu zehn Milliarden Strafzahlungen, die sich daraus ergeben, weil wir die Organisationsziele verfehlen. Es wäre klüger, statt Strafzahlungen das Geld in den öffentlichen Verkehr zu investieren. In der Folge hätte ich eine mehrfache Dividende. Ich reduziere die Emissionen, die Dividende zwei habe ich, ich schone mit der Infrastruktur Schiene auch Grund und Boden.

Da sind wir dann bei den Grundrechten. Weil eine Bekannte hat mir schon vor Jahren einmal gesagt, sie mag nicht in Öffentlichen sitzen, weil es da stinkt. Deshalb fährt sie mit dem Autor in die Arbeit.

Solche Beispiele kenne ich auch, die mir das wortwörtlich genauso gesagt haben. Ich sage nicht, dass ich Wahlfreiheit und Grundrecht einschränken will. Sondern ich sage, wir brauchen Anreizsysteme, die es attraktiv machen für den Entscheider, darüber zu entscheiden, welches Verkehrsmittel er nutzt. Beispiel wäre das Jobticket. Ich kann heute den Mitarbeitern die Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel rückerstatten. Der Dienstnehmer hat das Steuerfrei. Und der Dienstgeber kann es als abzugsfähige Aufwendung in seiner Buchführung und in seiner Einkommensermittlung berücksichtigen. Das ist eine Win-win-Situation.