Marmolata
Am 3. Juli 2022 kam es in den Dolomiten am Berg Marmolata zu einem Eissturz. Elf Menschen fanden dabei den Tod. In der Bildmitte ist die Abbruchstelle am Gipfel­gletscher der Punta Rocca zu sehen, auf­genommen zwei Tage nach dem Unglück.
© Provincia autonoma di Trento - CC BY 3.0

Umwelt

Klimawandel bringt neue Gefahren in den Bergen

Der alpine Raum ist vom Klimawandel überproportional stark betroffen. Dadurch ergeben sich neue Gefährdungslagen. Der Gletschersturz an der Marmolata ist nur ein Beispiel von vielen.

Der Gletschersturz auf der Marmolata Anfang Juli war ein plakatives Beispiel für die sich ändernde Gefahrenlage in den Bergen. Muss man mit einem derartigen Ereignis auch in Österreich rechnen?

Matthias Knaus, der Geschäftsführer des Österreichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit (ÖKAS), sagt Ja – sofern die Bedingungen vergleichbar sind. Auf der Marmolata spielten nämlich ein paar Faktoren zusammen. „Einer ist zum Beispiel, dass dieser Gletscher in dem Bereich, in dem er abgebrochen ist, auf einer Felsplatte gelegen ist. Ein Gletscher, der in einem Tal liegt, wie beispielsweise die Pasterze, wird nicht so schnell eine Gefahr darstellen, was einen möglichen Eissturz betrifft.“ 

Matthias Knaus
Über 40 Prozent aller Wanderunfälle sind auf Herz-Kreislauf-Versagen zurückzuführen.“ Matthias Knaus, Geograf, Bergführer, Alpinsachverständiger und seit Mai 2022 Geschäftsführer des ÖKAS

Wenn er an die Gebirgsräume in ­Österreich denke, gebe es schon einige, die ähnliche Merkmale aufwiesen, so Knaus. Im Allgemeinen könne man Hängegletscher auf Felsplatten benennen. „Es müssen wirklich steile Gletscher sein, damit  der gravitative Prozess des Absturzes überhaupt möglich ist, und sie müssen auf einem felsigen, glatten Untergrund sein, denn dann bildet sich der Wasserfilm, der dazu beiträgt, dass solche Bereiche abbrechen.“ 

Männer sind stärker gefährdet

Elf Tote und etliche Verletzte hatte der Eissturz auf der Marmolata zur Folge. Für ein Einzelereignis ist das viel, in der Gesamtbetrachtung jener Opfer, die jährlich im alpinen Gelände verunglücken, ist es verschwindend wenig.

Die Statistiken der Alpinpolizei verzeichnen für Österreich im Schnitt 286 Tote pro Jahr bei insgesamt 11.043 verunfallten Personen. Es lauern also noch zahlreiche andere Gefahren in den Bergen, insbesondere auf Männer, wie es scheint, denn 2021 waren 84 Prozent der tödlich verunfallten Personen männlich.

Knaus sitzt direkt an der Quelle und kennt die Verhältnisse. Zwar wisse man nicht, wie viele Leute auf den Berg gehen, und könne es höchstens über den Verkauf von Bergsportausrüstung hochrechnen. Tatsache ist aber, dass die Unfallzahlen leicht steigen.

Herz-Kreislauf-Versagen ist Hauptursache für Unfälle

Die meisten Unfälle passieren beim Wandern. „Man denkt da an spektakuläre Unfälle. Meistens ist es aber Herz-Kreislauf-Versagen – über 40 Prozent aller Unfälle beim Wandern gehen darauf zurück.“ Je nach Disziplin verändert sich die Hauptunfallursache. Beim Hochtourengehen, der nächsthöheren Kategorie, wenn man in Höhenstufen denkt, ist die Ursache das Ausgleiten, Stolpern bzw. Stürzen.

„Bei den Toten haben wir nur einen sehr geringen Anstieg. Bei den Unverletzten, also zum Beispiel jemandem, der blockiert ist, nicht mehr vor oder zurück kann und sich ausfliegen lässt, haben wir eine Zunahme. Die Altersgruppe der 21- bis 30-Jährigen ist bei uns schon mit dem Namen ,Blockierte‘ verankert“, berichtet Knaus

Neue Gefährdungslagen in den Alpen brachte auch die Pandemie mit sich. Mangels Reisemöglichkeit begannen viele Menschen, vermehrt die nähere Umgebung zu erkunden und sich quasi vor der eigenen Haustür auszuprobieren. Etliche starteten ohne die nötige Vorbereitung oder entsprechendes Training, teils sogar ohne Grundkenntnisse in die Berge. 

Neue Gefährdungen durch Folgen des Klimawandels

Die meisten der neuen Gefährdungslagen sind allerdings auf den Klima­wandel zurückzuführen. Der Alpenraum ist davon stärker betroffen als andere Regionen.

In den österreichischen Alpen wurde ein höherer Temperaturanstieg als im globalen Vergleich gemessen – und das hat Folgen. Aufgrund des zu erwartenden Temperaturanstiegs kann davon ausgegangen werden, dass sich der Anteil von Nassschneelawinen in den Alpen erhöhen wird und sie in höheren Lagen früher in der Saison auftreten werden.

Wissenschaftler erwarten, dass die Schneedecke unter 1.500 bis 2.000 Meter deutlich abnehmen wird. Das bedeutet zwar hier weniger Lawinen, dafür in höheren Lagen mehr, denn dort führt ein höherer Regenanteil am Winterniederschlag häufiger zu durchfeuchteten Schneedecken. 

Gefahr durch Starkregen

Starkregen-Ereignisse nehmen zu und mit ihnen die Gefahr von Sturzfluten. Eine jahreszeitliche Verschiebung extremer Niederschläge, die Muren- und Wildbachereignisse auslösen können, ist ebenso zu erwarten. Bei Annahme eines „besten“ Klimaszenarios ist für den österreichischen Alpenraum zumindest keine signifikante Veränderung der Murgang-Wahrscheinlichkeit im Mai und Juni und eher ein Rückgang der Wahrscheinlichkeiten in den Sommermonaten im Juli und August zu erwarten.

Bei Unterstellung eines schlechten Szenarios der weiteren Klimaentwicklung allerdings ist ein deutlicher Anstieg extremer Wildbach-Ereignisse anzunehmen, verlautbart das Institut für Naturgefahren vom Bundesforschungszentrum für Wald. 

Dessen Leiter, Jan-Thomas Fischer, plädiert für eine Risikosensibilisierung in der Gesellschaft, insbesondere in der Wahrnehmung von Naturgefahren. Als Lawinenforscher sind ihm auch die Schutzwälder ein besonderes Anliegen und er warnt vor dem Vernachlässigen ihrer Pflege. Einige Wälder hätten zwar nach wie vor eine Schutzfunktion, aber keine tatsächliche Schutzwirkung mehr.  

Jan-Thomas Fischer
Es werden immer die Bedrohungsarten unterschätzt, die schon länger keine Schlagzeilen gemacht haben.“ Jan-Thomas Fischer,
Lawinenforscher und Leiter des Instituts für Naturgefahren des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) in Innsbruck.

Welche Bedrohungsart wird eigentlich am meisten unterschätzt? Der Experte für Naturgefahren erklärt: „Es werden immer diejenigen Bedrohungsarten unterschätzt, die schon länger keine Schlagzeilen gemacht haben. Politische Antworten auf Extremereignisse kamen immer schubweise, um diese künftig zu verhindern oder abzumildern, wie etwa die Gefahrenplanung gegen Lawinen in den 1950er- und 60er-Jahren nach einigen schweren Lawinenabgängen. 2018 hatten wir zwar auch einen sehr schnee- und lawinenreichen Winter, sind aber an Katastrophenereignissen gut vorbeigeschrammt, was natürlich die öffentliche Wahrnehmung hinsichtlich Lawinen nicht ins Zentrum gerückt hat.“