Bürgermeister Schöpf
Ernst Schöpf: „In kleinen Gemeinden spielt die politische Farbenlehre wenig bis gar keine Rolle. Da schauen die Leut’ die Kandidaten an und sagen: ‚Der gefällt mir‘ ... oder eben nicht.“

„Wenn’s keine Wahl gibt, gibt es keine Demokratie“

30. März 2016
Die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen in Tirol sind geschlagen. Größter Wermutstropfen: In 107 Gemeinden nur ein Kandidat, in 32 davon auch nur eine Liste. Tirols Gemeindeverbands-Chef Ernst Schöpf sprach mit Hans Braun von KOMMUNAL über bedenkliche Entwicklungen.

Wie kommentieren Sie die Bürgermeister- und Gemeinderatswahl und was sagen Sie zur Wahlbeteiligung von mehr als 71 Prozent?



Die hohe Wahlbeteiligung ist erfreulich. Wir hatten aber etliche Gemeinden, wo es nur eine Liste und damit auch nur einen Bürgermeisterkandidaten gab – 42 an der Zahl – und wo die Wahlbeteiligung dann ein bisschen niedriger war. Ist aber klar, wenn die Entscheidung praktisch schon gefallen ist. Umgekehrt, und das war auch ein Phänomen, gab es Gemeinden, wo es bis zu zehn Listen und mehrere Bürgermeisterkandidaten gab. Dort war die Wahlbeteiligung dementsprechend etwas höher. Diese Gemeinden waren ausnahmslos größere Gemeinden wie Landeck, Imst mit zehn Listen und sechs Kandidaten, Telfs mit sieben Listen und sechs Bürgermeisterkandidaten. Das Besondere ist, dass es dort schon im ersten Wahlgang klare Ergebnisse gab. Nicht nur die Bürgermeister-Liste wurde durch die Wählerinnen und Wähler gestärkt, sondern auch die schon etablierten Bürgermeister.



Die ÖVP ist auch in Tirol offenbar die klare Bürgermeister-Partei. Aber durch die vielen Listen ist es in Tirol schwierig, den einzelnen Parteien genauen Zahlen zuzurechnen. Wie viele Bürgermeister hat die ÖVP denn nun?



Wir sind dabei, das zu erheben, weil wir das für den Verband ja wissen müssen, wo welche Liste anzusiedeln ist. In meinem Fall in Sölden gab‘s ja auch sieben Listen. Davon ist eine blau bis semi-blau, aber doch dort anzusiedeln, der Rest sind schwarze Listen. Für Sölden heißt das, dass von 15 Mandataren 13 schwarz sind.



In rund einem Drittel der Tiroler Gemeinden gab‘s nur einen Kandidaten – ist das nicht demokratiepolitisch eher bedenklich?



Ganz klar, in 107 Gemeinden gab’s nur einen Bürgermeisterkandidaten, beziehungsweise eine -kandidatin. In 32 dieser Gemeinden gab es auch nur eine Liste. Und es ist richtig, demokratiepolitisch ist das nicht erfreulich. Wenn keine Wahl mehr ist, ist – wenn man’s zu Ende denkt – wohl auch keine Demokratie mehr.



In 13 Gemeinden gibt es nun eine Bürgermeisterin – mit einer Option auf sechs mehr bei der Stichwahl am 13.3. Kommunalpolitik scheint in Österreich wirklich eher eine Männerdomäne zu sein? Oder woran liegt es, dass sich so wenige Frauen finden?



Weil Frauen es sich in Abschätzung der Realitäten dreimal überlegen, ob sie kandidieren. Ich mache das jetzt zum vierten Mal mit und ich bin beileibe kein Frauenfeind, aber auch in meiner Gemeinde ist es schwierig. Wann immer ich Frauen mit Potenzial anspreche und sie zu animieren versuche, für den Gemeinderat zu kandidieren, ernte ich fast immer ein „Nein, danke, bitte nicht ich!“.



Es geht wirklich nicht darum, dass Frauen von Listen oder gar aus der Politik ferngehalten werden sollen, aber aus meiner Sicht ist es sehr, sehr schwer, Frauen zu finden. Und das ist nicht nur in Österreich so.



In Südtirol gibt’s ein Wahlrecht, wonach eine Frauenquote auf einer Liste vorgeschrieben ist, sonst gilt die Liste nicht. Bei den Wahlen 2015 in Südtirol habe ich von vielen Kollegen dort gehört, wie schwierig es war, eine gültige Liste zu stellen. Das ganz unabhängig davon, an welcher Stelle der Liste die Frauen gereiht waren.

Und ganz ehrlich: Ich weigere mich schön langsam, mir vorwerfen zu lassen, dass es nur 13 Bürgermeisterinnen in Tirol gibt. Ich kann weder was dafür noch kann ich helfen!



Gramais ist ein besonderer Fall: Hier wurde mangels Liste oder Kandidat gleich gar nicht gewählt – die alte Mannschaft macht Medienberichten zufolge für drei Jahre weiter. Was passiert, wenn sich auch dann keiner findet? Was passiert, wenn das Beispiel Schule macht?



Das kann sich zu einem Musterfall entwickeln. Wenn sich tatsächlich niemand mehr findet, sind wir zwingend bei der Frage der Fusion, wie wir das im benachbarten Ausland – im unteren Engadin – schon erlebt haben.



In 23 Gemeinden wird es am 13.3. eine Stichwahl geben – ist das für Tiroler Verhältnisse viel oder wenig?



Das ist Durchschnitt, würde ich sagen.



In Axams könnte es die erste grüne Bürgermeisterin Tirols geben, die FPÖ hat einen Bürgermeister fix und die Chance auf zwei weitere Ortschefs – wird die Landschaft bunter?



Das hat stark mit den Persönlichkeiten zu tun. Aber vor allem, wenn die Gemeinden kleiner sind, spielt die Farbenlehre wenig bis gar keine Rolle. Dort schauen die Leute den, die Kandidaten an und sagen „der gefällt mir“ – oder eben nicht.



Ihr persönliches Wahlergebnis war mit einer Zustimmung von 80 Prozent sehr gut, aber Ihre Liste hat „nur“ 25 Prozent der Stimmen erhalten … was bedeutet das für die tägliche Arbeit? Ändert sich was?



Ich habe nie in meinem politischen Leben in Sölden Mehrheiten im Gemeinderat gehabt. Dadurch bin ich auch in der Praxis sehr geübt, andere in die Arbeit mit einzubinden.

Aber ich muss zugeben, dass ich es diesmal ein bisschen bedauere, weil ich einen sehr bewussten Schritt in Richtung Jugend getan habe und drei Unter-30-Jährige unter den ersten fünf auf der Liste hatte.



Haben die Themen Asylwerber oder Finanzausgleich eine große Rolle im Wahlkampf gespielt?



Der Finanzausgleich überhaupt nicht, weil das die Meisten gar nicht interessiert. Mich hat noch nie ein Bürger, eine Bürgerin gefragt, ob wir noch Geld haben, immer nur, dass das oder jenes noch gemacht werden sollte.

Und Asyl war – soweit ich das mitbekommen habe und wenn überhaupt – nur im Großraum Innsbruck zwischen Imst und Wörgl, also in der Inntal-Furche, ein Thema.



Wie stehen die Tiroler Gemeinden/der Tiroler Gemeindebund zu der diskutierten Grenzsperre am Brenner? Das trifft ja nicht nur eine Landesgrenze, sondern auch erstmals eine Grenze innerhalb einer Europaregion?



Das wäre ein massiver Rückfall! Wir hören jetzt wieder von den Gästen, dass sie bis zu eineinhalb Stunden bei der Einreise nach Deutschland im Stau stehen. Das sind ja längst überwunden geglaubte Zeiten. Wenn am Brenner plötzlich die Autos wieder angehalten und kontrolliert werden, ist das etwas, was bis vor kurzem unvorstellbar war.



Letzte Frage: Wie diskutiert man in einem Top-Wintersportort wie Sölden den Klimawandel? Heuer hatten wir ja gefühlt einen der wärmsten und kürzesten Winter aller Zeiten, auch wenn es jetzt Anfang März wieder offenbar jede Menge Schnee gibt.



Das Thema sehen wir mit Besorgnis, obwohl wir von der Höhenlage her ja begünstigt sind. Hier spielt erstens mit, dass der Schnee an sich in seiner Wucht nicht mehr so vorhanden ist. Gravierender ist aber, dass die Zahl der Schifahrer in den Herkunftsländern abnimmt