Werner Kogler
Werner Kogler: "Obwohl Gemeindepolitik quer durch Österreich jeweils sehr unterschiedlich aussieht, kann man feststellen, dass die Möglichkeiten der Mitbestimmung für nicht koalitionär gebundene Gemeinderät_innen oft nur sehr gering sind."

"Abwanderung der Frauen und Jungen muss gestoppt werden"

Grünen-Spitzenkandidat Werner Kogler zur Nationalratswahl.

Die Diskussion rund um den Klimaschutz beschäftigt die Innenpolitik seit Monaten und ist auch ein wichtiges Thema für die Nationalratswahl. Wie sehen Ihre Pläne in Sachen Klimaschutz aus?

Der Klima- und Umweltschutz, also die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen, hat für uns Grüne oberste Priorität. Wenn wir die Erderwärmung unter dem Level von 1,5 Grad halten wollen, müssen wir sofort drängende Maßnahmen umsetzen.
Es ist unser Ziel, Österreich möglichst bis 2040 klimaneutral zu machen. Klimaschutz soll dazu nicht nur verfassungsrechtlich als Staatsziel verankert werden, sondern ganz als verbindliche Vorgabe für Politik und Wirtschaft gelten. Zukünftige Gesetze, Staatsausgaben und Infrastrukturprojekte haben einen Klimacheck zu bestehen.
Zusätzlich stehen wir für eine aufkommensneutrale, öko-soziale Steuerreform, die das Steuerprivileg für Diesel und Kerosin abschafft, Arbeit entlastet und eine CO2-Komponente eingeführt. Ein Ökobonus sichert den sozialen Ausgleich. Wir müssen alle bei der Gestaltung und Sicherung der Zukunft mitnehmen. 

Welche Maßnahmen planen Sie, um den ländlichen Raum zu stärken?

Für eine Stärkung des ländlichen Raums muss die Abwanderung der Frauen und Jungen gestoppt werden. Um hier gegenzusteuern, ist es wichtig, die Lebenssituation besonders für Frauen zu verbessern. Dazu bedarf es in erster Linie Jobs für Frauen und qualitativ hochwertige und Angebote der Kinderbetreuung, der Ausbildung und Qualifikation, und ein entsprechendes kulturelles Angebot. Insbesondere muss eine moderne, klimaneutrale und kostengünstige Verkehrsinfrastruktur als Alternative zum motorisierten Individualverkehr auf-bzw. ausgebaut werden.
Selbstverständlich funktioniert das alles nicht ohne Infrastruktur wie Schulen, öffentlicher Verkehr, Ärzt_innen, Kultureinrichtungen und weiterer Infrastruktur wie Breitband oder Förderungen für regionale Wirtschafts- und Wissenschaftsprojekten. 

Ultraschnelle Glasfaserinternetverbindungen sind die Autobahnen von Morgen: Wie wollen Sie den flächendeckenden Ausbau sicherstellen und angehen?

Österreich hat den Glasfaserausbau jahrelang verschlafen und ist eines der Schlusslichter in der OECD. Das Stadt-Land Gefälle in Sachen Breitbandversorgung in Österreich ist noch immer erheblich.
Das heißt nicht, dass blind per Gießkanne das Förderungsfüllhorn geöffnet werden soll. In Anbetracht der topographischen Herausforderungen Österreichs wird nicht überall die gleiche Technologie Sinn machen: Auf der Tiroler Alm sind 100 Mbit via Mobilfunk sinnvoller als ein Glasfaserkabel. In dichter besiedelten Gebieten sind hingegen Gigabit-Netze anzustreben. Die noch bestehenden Lücken in der Basisversorgung müssen zeitnah geschlossen werden, auch mit Förderungen. Dabei ist es egal, welche Technologie für die „letzte Meile“ zum Einsatz kommt (ob Mobilnetz oder Leitungsnetz).
In allen Fällen liegt der größte Druck auf dem unsichtbaren Rückgrat der Datenautobahnen: dem österreichischen Backhaul. Und dieser ist für die Internet-Versorgungssicherheit genauso wichtig wie eine 380KV Leitung für Energie oder die Westbahnstrecke für den Bahnverkehr. Der Backhaul braucht daher unsere Aufmerksamkeit wie jede andere kritische Infrastruktur. Denn auch 5G Netze sind nur so leistungsfähig wie der Backhaul, an den sie angeschlossen sind.

Österreich hinkt aktuell allerdings nicht nur beim Ausbau, sondern auch bei der Nutzung von Breitbandangeboten im europäischen Vergleich hinterher. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass im (kabelgebundenen) Wettbewerb etwas nicht ganz stimmt. Hier sollten wir ansetzen und Rahmenbedingungen für einen stärkeren Wettbewerb von Internet-Serviceprovidern zu Gunsten der (kabelgebundenen) Internetnutzer_innen schaffen.

Beim Ausbau der (5G-)Infrastruktur müssen aber auch die Interessen der Betroffenen gewahrt werden. 

Welche Maßnahmen wollen Sie setzen, um gegen den Ärztemangel anzukämpfen?

Die Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals – egal ob Ärzt_innen, Pflegepersonal oder sonstige Gesundheitsberufe – ist wesentlich für die Qualität der Gesundheitsversorgung. Das ist nicht nur, aber auch, eine Frage der Einkommenshöhe, sowie auch der Arbeitszeit und des Arbeitsumfeldes.
Wichtig ist es, Einrichtungen zu unterstützen und weiter zu entwickeln, die das Personal in Spitälern effektiv entlasten, wie etwa Primärversorgungszentren, allgemeinmedizinische Ambulanzen oder das Gesundheitstelefon 1450. So kann dafür gesorgt werden, dass bestimmte Patient_innen an anderen Stellen schneller und effektiver behandelt werden können. All das wird etwas kosten, aber auch zu Kostenreduktionen führen und die Gesundheitsversorgung ebenso verbessern, wie die Situation der Menschen in Gesundheitsberufen und die Lebenssituation der Menschen in diesem Land. 

Die Reform der Pflege beschäftigt die Politik seit Jahren. Auch die Gemeinden sind gefordert, da sie einen wesentlichen Organisations- und Finanzierungsbeitrag leisten. Wie sehen Sie die Pflege der Zukunft?

Die Pflege der Zukunft wird sich in hohem Maße professionalisieren und neue Angebote bieten müssen. Das wird nur funktionieren, wenn die Gemeinden, die die nächste und auch beste Ansprechstelle sind, die entsprechenden Mittel aus dem Bundesbudget zur Verfügung gestellt erhalten.
Dabei geht es einerseits um neue Formen der Pflege- und Betreuung, andererseits um eine bessere Entlohnung der in Pflege- und Betreuung beschäftigten Menschen und um die Erarbeitung höchster Qualitätsstandards. Die Kosten für diese sehr großen Aufgaben sind eine große Herausforderung und können nicht den Gemeinden aufgehalst werden.

Der Gemeindebund fordert– untermauert durch ein Gutachten – eine Aufgaben- und Kompetenzentflechtung im Bildungssystem und wünscht sich, dass das Personal in einer Hand vereint ist. Wie sieht für Sie das Bildungssystem der Zukunft aus?

Wir Grüne haben immer wieder gefordert, die bisherigen Landeskompetenzen inklusive der Landeslehrer_innen in den Bund zu transferieren. Das brächte größere Einsparungen und bessere Planbarkeit.
Bei den Bildungsreformverhandlungen 2018 konnten wir zumindest erreichen, dass alle Lehrenden zentral abgerechnet werden. Das Bildungssystem der Zukunft stellt aber nicht auf die Verwaltung ab, sondern die Schüler_innen in den Mittelpunkt. Struktur und Lehrplan orientieren sich an der bestmöglichen Förderung und Unterstützung aller Schüler_innen, mit und ohne Hochbegabung, mit und ohne Behinderung, mit und ohne Migrationsgeschichte.
Wir wollen eine inklusive Schule für alle, die die Chancengleichheit erhöht. Das bedeutet flächendeckende Ganztagsangebote mit verschränktem Unterricht, so dass die Schultasche in der Schule bleiben kann und kein teurer Nachhilfe-Unterricht notwendig ist. Die frühe Trennung muss abgeschafft, und eine gemeinsame Schule der 10-14jährigen eingeführt werden. Zudem muss das Bildungssystem der Zukunft auch die Zukunftsthemen adäquat abbilden - das gilt für die Klimakrise genauso wie für Digitalisierung, politische Bildung und Medienkompetenz. 

In vielen Gemeinden wird es immer schwieriger, geeignete Menschen zur Kandidatur für den Gemeinderat oder das Bürgermeisteramt zu gewinnen. Welche Ansätze haben Sie, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

Obwohl Gemeindepolitik quer durch Österreich jeweils sehr unterschiedlich aussieht, kann man feststellen, dass die Möglichkeiten der Mitbestimmung für nicht koalitionär gebundene Gemeinderät_innen oft nur sehr gering sind.
Um politisches Engagement für die Bürger und Bürgerinnen in den Österreichischen Gemeinden wieder attraktiver zu machen, braucht es dringend eine Demokratisierungsinitiative, die politische Mitbestimmung Einzelner auch abseits von etablierten Machtstrukturen erleichtert. 

Was bedeutet „Gemeinde“ für Sie ganz persönlich?

Gemeinde ist für mich die kleinste Einheit des Zusammenlebens, in der Politik sichtbar und für alle erlebbar wird, wo sich Politiker_innen im direkten Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern nicht hinter Floskeln verstecken können und wo der Zusammenhalt der Gesellschaft aufgrund der gegenseitigen Sichtbarkeit meist noch gut funktioniert.