Heinz Faßmann
Heinz Faßmann: "Die Gemeinden fürchten das, was nach der Anschubfinanzierung geschieht.“

"Ich bin nicht missionarisch unterwegs"

2018 wird für die Gemeinden ein entscheidendes Jahr. Allein im Bildungsbereich laufen drei 15a-Vereinbarungen aus – die erste bereits im August. Im Bildungsministerium laufen die Fäden für die Kinderbetreuung und die Schule zusammen. Offen sind noch viele Fragen, KOMMUNAL hat sie in einem Interview Minister Heinz Faßmann gestellt.

Das Thema Bildung entzweit wie kaum ein anderes unsere Gesellschaft. Die Bruchlinien der Diskussionen ziehen sich meist zwischen Bund, Ländern, Gemeinden, Lehrern – nicht einmal die ziehen immer an einem Strang – und Schülern, die sich auch nicht immer einig sind. Meist dreht sich der Streit um Prinzipien wie der „verschränkten Form des Unterrichts" oder der „additiven Form". Bei der ersten geht es auch darum, Üben, Lernen und Fördern in den Unterricht zu integrieren. Ein eventuell auftretendes Konfliktpotenzial innerhalb der Familie durch beispielsweise das (Nicht-) Schreiben von Aufgaben zu Hause wird vermindert. Bei den additiven Modellen werden die pädagogischen Angebote, die keinen Unterreichtszwecken dienen, im Anschluss an die Unterrichtszeit vollzogen.

Und dann geht es noch um die Form der Beurteilung der schulischen Leistungen. Die einen wollen die klassischen Noten von 1 bis 5, die anderen schwören auf die mündliche Beurteilung. Eine Definition für die Leistungsbewertung lautet zum Beispiel: „Die Leistungsbewertung muss den Spagat zwischen verschiedenen Funktionen machen, die ihr gesellschaftlich und in der schulischen Praxis abverlangt werden. Noten und Zeugnisse sind in erster Linie Rückmeldung zu den erreichten Leistungen. Noten sollen nicht so verstanden werden, als machten sie eine Aussage über den Wert eines Menschen. Leistungsbewertung macht daher immer wieder Gespräche mit den Schülern und mit den Eltern notwendig."

Was hat das mit den Gemeinden zu tun?

Zwischen diesen Bildungsansätzen, die noch dazu jeweils von verschiedenen politischen Ideologien vertreten werden, sitzen die Gemeinden zwischen allen Sesseln. Auch wenn sie im Endeffekt gar nichts mit der Form des Unterrichts oder der Benotung zu tun haben, sind sie als „Schulerhalter der Pflichtschulen" gefordert, den jeweiligen Unterrichtsansatz zu ermöglichen. Und da liegt der Hase im Pfeffer.

Eine wesentliche Frage ist beispielsweise, was alles unter die „äußere Organisation" der öffentlichen Pflichtschulen fällt – im Bundesverfassungsgesetz (B-VG) gibt es eine Aufzählung, wobei davon auszugehen ist, dass diese abschließend ist (Aufbau, Organisationsformen, Errichtung, Erhaltung, Auflassung, Sprengel, Klassenschülerzahlen und Unterrichtszeit).

Aus Sicht des Gemeindebundes gehört weder die Bereitstellung von Betreuungspersonal noch das (zukünftig aufgrund der Bildung von Schulclustern) bereitzustellende Assistenzpersonal (Sekretariate) zur äußeren Organisation der Pflichtschulen.

Das österreichische Schulwesen

Auch bei der Frage nach dem Assistenzpersonal – zum Beispiel das Sekretariat an Schulen bzw. Schulcluster – gibt es Regelungen, dass der Bund diese Mittel für das Verwaltungspersonal bereitstellen wird. Bislang gibt es jedoch keine Regelung, wer für dieses Personal zuständig ist und wer es anstellen soll (Wer ist verantwortlich? Wer ist Dienstgeber? Wer trägt das Risiko, dass sich die freiwerdenden Mittel nicht ausgehen? etc.). Auch hier geht der Gemeindebund davon aus, dass die Kosten wie auch die Zuständigkeit nicht bei den Gemeinden liegen können.

Die Fragen gehen sich noch weiter – Native Spakers, externe Referenten, Stützpersonal wie Sozialarbeiter oder Schulpsychologen, die Digitalisierung an Schulen, die Bereitstellung von Tablets oder Notebooks, die Betreuung an schulfreien Tagen, die Eintrittsgelder beispielsweise ins Schwimmbad – das alles harrt einer Lösung.

Die zentrale Frage ist daher, wofür die Gemeinde als Pflichtschulerhalter tatsächlich zuständig ist. Dazu haben nicht nur etliche Experten- und Juristengespräche stattgefunden, die meist kein Ergebnis gebracht haben. KOMMUNAL suchte einen anderen Ansatz und bat Bildungsminister Heinz Faßmann um ein Interview.

Herr Minister, laut einem Interview im letzten „Profil" sind Sie angetreten, um den „unseligen Prinzipienstreit" oder „den Glaubenskrieg" (der beiden divergierenden Ansätze von VP und SP) in der Schul- oder Bildungspolitik zu beenden. Wie steht dieser „Kampf"?

Heinz Faßmann: Ich muss korrigieren: ich bin nicht angetreten, um den „pädagogischen Glaubenskrieg" zu beenden. Ich bin nicht missionarisch unterwegs, sondern ich nehme die Mehrgliedrigkeit und die Unterschiede im Bildungsbereich so zur Kenntnis, wie sie sind.

Aktuelles Thema „Integrationsklassen" oder „Deutschförderklassen": Laut der Pressekorrespondenz des Parlaments sichern Sie „ausreichende Ressourcen" zu. Wie wird das künftig gehandhabt?

Die Ressourcen basieren auf Berechnungen meines Hauses über den Aufwand, der notwendig sein wird. Sie sind auch so berechnet, dass nicht alle außerordentlichen Schülerinnen und Schüler davon tangiert werden. Den Status als „außerordentlicher" kann man ja zwei Jahre behalten, und wir sind der Meinung, dass jemand, der den Status schon ein Jahr hat, nicht mehr in eine neue Deutschförderklasse kommen muss. Für diese Personen, die im ersten Jahr etwas gelernt haben müssen, wird eine Kursmaßnahme ausreichen.

Wie betrifft das jetzt die Gemeinden?

Da wir nicht mit einer Ausweitung von Schulraum rechnen, betrifft das die Gemeinden im Grunde nicht. Man muss auch immer wieder betonen, dass die Anzahl der Kinder gleich bleibt. Sie werden ja quasi nur anders angeordnet und kommen in andere Klassen.

Vor einiger Zeit war den Medien zu entnehmen, dass Mittel für den Ausbau ganztägiger Schulangebote auf Grundlage des Bildungsinvestitionsgesetzes deutlich erstreckt werden. In welcher Weise werden diese erstreckt? Erhalten Gemeinden pro Umsetzungsmaßnahme weniger Mittel?

Die Gemeinden erhalten gleich viel Mittel. Die Zielrichtung und die Summe bleiben gleich. Wir haben nur gesehen, dass die Gemeinden nicht in vollem Ausmaß auf die verfügbaren Mittel zugegriffen haben, wie es nach der Kalkulation passieren hätte sollen. Den Grund hat uns Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl auch sehr deutlich gesagt. Es ist eine Anschubfinanzierung, und die Gemeinden fürchten das, was nach dem Anschub geschieht. Dann müsste es eine Übernahme in den Regelbetrieb geben – und das ist derzeit, so glaube ich, die Bremse und die Erklärung, warum die Mittel nicht so abgerufen worden sind, wie sie abgerufen hätten werden können oder sollen.

Gibt es für dieses Problem der Anschubfinanzierung und daraus resultierend der weiteren Vorgangsweise in naher Zukunft eine Lösung?

Letztlich müssen das die Gemeinden selbst klären. Wir finanzieren wie gesagt bauliche Maßnahmen plus eine Anschubfinanzierung beim Personal.

In diesem Jahr läuft die Artikel 15a-Vereinbarung über den weiteren Ausbau ganztägiger Schulangebote aus, die unter anderem laufend Personalkostenzuschüsse für das Betreuungspersonal vorgesehen hat. Das Bildungsinvestitionsgesetz sieht nur Mittel für neue Ausbaumaßnahmen vor. Wird es auch für Gemeinden die auf Grundlage der 15a-Vereinbarung Ausbaumaßnahmen ergriffen haben, weiterhin und damit auch nach 2018 hinaus Kostenzuschüsse für das Betreuungspersonal geben?

Wir haben am Bildungsinvestitionsgesetz nichts geändert, daher bleiben die Bedingungen gleich. Ich glaube nicht, dass es weitere Zuschüsse geben wird, weil das ein auslaufendes Programm ist. Es ist einzig nur der Zeitpunkt des Abrufens der Mittel gestreckt, nicht die „Förderbedingungen".

Das Bildungsinvestitionsgesetz legt den Fokus auf die verschränkte Form der ganztägigen Schule. Wird es eine Abkehr davon geben und eine Gleichberechtigung zwischen offener Nachmittagsbetreuung und verschränkter Form geschaffen?

Ich bin hier für die Wahlfreiheit der Gemeinde. Das muss sie selbst entscheiden können und das muss sich klarerweise auch nach der Bedürfnislage der Eltern richten, ob sie nun das eine oder das andere Modell haben wollen.

Derzeit ist die Kompetenzlage im Bildungsbereich zersplittert. Gemeinden haben größte Schwierigkeiten in der Bereitstellung und Administration von Betreuungspersonal. Was halten sie vom Vorschlag des Gemeindebundes, alles Personal in eine Hand zu geben? Sehen Sie die Möglichkeit einer Kompetenzbereinigung?

Ich stimme der Diagnose zu, dass der Bildungsbereich kompetenzmäßig zersplittert ist, was nicht unbedingt einen Vorteil darstellt. Wir haben ja ein sehr komplexes System, woraus auch die Trennung zwischen Finanzierung und Verantwortung resultiert. Man muss auf der anderen Seite aber auch realistisch sein. Wenn die letzte große Koalition eine Systembereinigung nicht zusammengebracht hat, wie soll ich dann das schaffen können?

Die Hoffnung ist da, denn manchmal überkommt einen das Gefühl, dass die Diskussion auf dem Rücken der Kinder ausgetragen

wird.

Es sind zwei unterschiedliche Zugänge: Die Länder sagen, eigentlich könnten wir das besser, wir sind näher an der Region und näher an den Bedürfnissen der Menschen.

Andererseits ist es überall, wo die Länder das Sagen haben, komplizierter. Wir haben neun Bauordnungen oder neun Jugendschutzgesetze. Wir haben sehr viel Vielfalt, die man nicht immer rational erklären kann.

Die Kompetenzfrage ist besonders heikel. Wofür ist denn nun eine Gemeinde als Pflichtschulerhalter aus Ihrer Sicht tatsächlich zuständig?

Die Gemeinden sind ganz klar für die Schulerhaltung zuständig, sprich für alles, was für den Betrieb der Schule notwendig ist. Sie sind nicht für die Bereitstellung des Lehrpersonals verantwortlich, das übernimmt das Land.

Bei den Themen „Digitales Klassenzimmer", „Breitbandausbau", „digitales Schulbuch", „Tablets und Notebooks" etc. stellt sich die Frage, wie weit die Schulerhalterpflichten reichen. Jedenfalls geht der Gemeindebund davon aus, dass Tablets und Notebooks (so diese flächendeckend eingeführt werden) nicht Lehrmittel und damit nicht Aufgabe der Schulerhalters sind.

Hier gibt es eine ganz einfache Regel: Alle Unterrichtsmittel, die an der Schule bleiben und der Schule gehören, fallen in die Zuständigkeit des Schulerhalters, also der Gemeinde. Lehrmittel, die bei den Kindern bleiben, auch wenn sie die Schule verlassen, fallen daher nicht in die Zuständigkeit der Gemeinden.

Minister Faßmann mit KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun
Minister Faßmann mit KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun

Auch bei der Einbeziehung von externen Referenten im Unterricht (native Speakers, Schwimmlehrer) geht der Gemeindebund davon aus, dass die Gemeinden als (Pflicht-)Schulerhalter nicht zuständig sind.

Schwimmlehrer sind eindeutig Lehrpersonen, dafür sind die Gemeinden nicht zuständig. Native Speaker sind auch zum Lehrpersonal dazuzurechnen.

Hinsichtlich der Betreuung an schulfreien Tagen (Ferien, schulautonome Tage) stellt sich die Frage, ob es sich dabei um „Schule" handelt. Der Bund drängt seit Jahren die Gemeinden dazu, Betreuungsangebote bereitzustellen und setzt (befristete) finanzielle Anreize dafür. Gibt es dafür aus Ihrer Sicht eine Lösung?

Dass die bestehenden 15a-Vereinbarungen und des Bildungsinvestitionsgesetz befristet sind, ist nicht neu und war auch beabsichtigt, denn diese Vereinbarungen sollten nicht dazu führen, dass der Bund Kompetenzen an sich zieht, die eigentlich bei den Gemeinden liegen. Sie

dienen, wie bereits erwähnt als Anschub, als Anreiz dafür das Angebot auszubauen. Hier leistet der Bund über die Förderung neuer Infrastruktur einen langfristigen Beitrag und mit der Übernahme von Personalkosten eine zeitlich befristete Unterstützung. Von einem Drängen würde ich jedoch nicht sprechen, weil die Gemeinden stets selbst darüber entscheiden konnten, ob sie die Nachmittagsbetreuung ausbauen oder nicht.

Ebenso ungeklärt ist die Zuständigkeit für Eintrittsgelder, etwa für das Schwimmbad. Überwiegende Meinung ist, dass hierfür die Eltern nicht aufzukommen haben – offen ist daher wer diese Kosten zu tragen hat – Bund, Länder oder Gemeinden. Wer wird hier „in die Pflicht genommen"?

Stehen der Schule am Standort die zur Durchführung des Lehrplanes erforderlichen Räume oder Einrichtungen nicht oder nicht im ausreichenden Ausmaß zur Verfügung, ist die Gemeinde verpflichtet, für „Ausweichquartiere" im weiteren Sinne (z. B. Besuch eines Schwimmbades, eines Eislaufplatzes) zu sorgen. Kosten für den Eintritt in ein Schwimmbad im Rahmen des Unterrichtes (dislozierter Unterricht) sind also von der Gemeinde zu tragen.

Vorgesehen ist im Regierungsprogramm ein zweites kostenloses und verpflichtendes Kindergartenjahr für jene, die es brauchen. Wird der Bund den Entfall der Elternbeiträge gänzlich übernehmen?

Die 15a-Verhandlungen mit den Ländern und Gemeinden stehen erst an, da wird diese Frage ein zentraler Punkt sein. Wo der Bund die Kosten übernimmt, ist bei der sprachlichen Frühförderung. Wir wollen, dass sprachliche Frühförderung – in einer zu definierenden Qualität – im Kindergarten stattfindet und dafür werden Mittel bereitgestellt.

Letzte Frage: Was halten sie von der Akademisierung des Kindergartenpersonals? Braucht es universitär ausgebildetes Personal, das Kinder im Kindergarten betreut?

Im Grund ist es ein Bekenntnis zu einer qualitätsvollen Betreuung im Kindergarten. Diese stellt mehr als „nur" eine Betreuung dar, sondern hat auch für vorschulische Bildung in altersgerechter Form zu sorgen. Es ist klar, dass die intellektuelle Entwicklung bei Kindern in rascher und anregender Art und Weise gefördert werden soll. Dazu gehört auch die Sprachförderung.

Für mich steht außer Frage, dass Vierjährige schneller lernen als 14jährige. Daher ist es sinnvoll, im Kindergarten Personen zu haben, die auch über pädagogische Abläufe Bescheid wissen. Dahingehend finde ich es gut, qualifiziertes Personal zu haben.

Ich kenne aber die Sorgen der Gemeinden, die die steigenden Kosten der Gehälter fürchten. Aus dem Grund wird es in der Realität zu einer stufenweisen Akademisierung kommen. Am Beginn der Entwicklung wird die Leiterin oder der Leiter des Kindergartens eine Ausbildung als Kinderpädagogin oder Elementarpädagogin haben. Und wir werden den stufenweisen Ausbau nur in Abstimmung mit den Ländern und Gemeinden durchführen können – das ist im föderalen Österreich ein sinnvolles Gebot.

Zur Person

Heinz Faßmann (* 13. August 1955 in Düsseldorf) studierte in Wien Geografie und habilitierte 1991. Im Jahr 2000 wurde er Professor für Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung an der Uni Wien. Von 2011 bis 2017 war er Vizerektor. 2010 wurde er zum Vorsitzenden des Expertenrats für Integration bestellt.

Seit 8. Jänner 2018 ist er Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung der Republik Österreich.