Steinschlag auf einer Straße
Kam es zuvor noch nie zu Steinschlägen auf dem betroffenen Wegstück, ist grobe Fahrlässigkeit in der Regel auszuschließen.
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Haftungsfragen bei Steinschlägen

Die österreichische Rechtsordnung kennt weitreichende Verkehrssicherungspflichten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle begründet, auch für diese haften soll.

Besonders negative Bekanntheit erlangte unlängst die Tierhalterhaftung nach §1320 ABGB: Der Oberste Gerichtshof bestätigte die Teilschuld eines Landwirts an einer „Kuh-Attacke“, womit er mit seiner Rechtsprechung weiter in Richtung besonders strenger Anforderungen geht. Dieser Artikel beschäftigt sich mit einer weiteren Verkehrssicherungspflicht, nämlich der Wegehalterhaftung nach §1319a ABGB.

Es ist eine allgemeine Regel, dass jeder für die Verkehrssicherheit zu sorgen hat, der auf einem ihm gehörenden oder seiner Verfügung unterstehenden Grund und Boden einen Verkehr für Menschen eröffnet. Dieser Rechtssatz des Obersten Gerichtshofs wirkt auf den ersten Blick sehr allgemein formuliert, zieht jedoch weitreichende Rechtsfolgen nach sich. Da vielen Verantwortlichen der wahre Umfang der Haftung nach §1319a ABGB nicht bewusst ist, gilt es diese näher auszuführen.

Die Tendenz der Rechtsprechung geht in Richtung einer immer strengeren Verantwortung im Bereich der Verkehrssicherungspflichten, eine Mitschuld der Verantwortlichen ist in den seltensten Fällen auszuschließen. Maßnahmen, die Jahrzehntelang ausreichend waren, um Risiken vorzubeugen, reichen plötzlich nicht mehr aus, um einer Haftung zu entgehen. Für Unfälle, die vor einigen Jahren noch zum persönlichen Lebensrisiko gezählt worden wären, wird ein Verantwortlicher gesucht – und immer öfter auch im Wegehalter gefunden. Was steckt nun hinter der Gesetzesbestimmung der Wegehalterhaftung nach §1319a ABGB?

Was ist ein Weg im Sinne des §1319a ABGB?

Vereinfacht gesagt: Alles, was wie ein Weg aussieht, ist auch einer, und es kommen die Bestimmungen des §1319a ABGB zur Anwendung. Zur Verdeutlichung: Schleppliftspuren, Rodelbahnen, Wanderwege, ausgetretene Wald- und Wiesenpfade und sogar Parkplätze werden in der Rechtsprechung als „Weg“ bezeichnet, mit den daraus folgenden rechtlichen Konsequenzen.

Besonders tragische Fälle wie der tödliche Unfall eines 14-Jährigen beim Zustieg zur Eisriesenwelt im Salzburger Tennengebirge fallen ebenso unter die Wegehalterhaftung wie Mountainbike-Unfälle auf Forststraßen oder Unfälle im Zusammenhang mit Glatteis. 

Wer ist der Halter eines Weges?

Der Halter eines Weges ist, wer die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges trägt oder die Verfügungsmacht über diesen hat. Damit ist nicht zwingend der Eigentümer Halter. Indem die Verantwortung für die Instandhaltungsverpflichtung des Weges vertraglich übertragen wird, geht auch die Eigenschaft des Halters über, wodurch es möglich wird, das Haftungsrisiko auf einen Dritten zu übertragen.

Grobe Fahrlässigkeit bei der Erhaltung von Wegen

Der Wegehalter haftet für vorsätzliches und grob fahrlässiges Fehlverhalten im Zusammenhang mit seinen Wegen. Grob fahrlässiges Handeln im Sinne des § 1319a ABGB liegt vor, wenn eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, die die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falles in ungewöhnlicher Weise verletzt, und der Schadenseintritt nicht nur möglich, sondern geradezu wahrscheinlich ist. Im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht hat jeder, der eine Gefahrenquelle eröffnet, dafür zu sorgen, dass er die mit dieser verbundenen Gefahren in einem verhältnismäßigen Ausmaß minimiert. Der Wegehalter hat im Wesentlichen die Pflicht, den Weg in einem für dessen bestimmte Verwendung mangelfreien Zustand zu halten. 

Ein Weg ist in mangelhaftem Zustand, wenn dem Benützer „atypische Gefahrenquellen“ drohen, die den Eintritt eines Schadens als geradezu wahrscheinlich voraussehen lassen. Beispiele für solche atypischen Gefahrenquellen finden sich in der Judikatur zahlreiche, etwa morsche Brückengeländer, über Forstwege gespannte Ketten oder unzureichende Splittstreuung. Aber auch für Wege, von denen der „Halter“ keine Kenntnis hat, haftet dieser unter Umständen, wenn er etwa zumutbare Erhebungen wie die Einsicht in „Mappenpläne“ oder Wanderführer und in der Folge die Betreuung eines Teils der Wegfläche unterlässt (OGH 03.02.2005 2 Ob 299/04s).

Herausforderung Klimawandel

In Anbetracht der strengen Anforderungen an den Wegehalter stellt sich die Frage, wie mit neuen Entwicklungen umgegangen werden muss. Der Klimawandel macht auch vor Österreich nicht halt, insbesondere im alpinen Raum sind dessen Auswirkungen bereits deutlich spürbar. Wege, die jahrzehntelang als sicher galten, bergen plötzlich gänzlich neue Gefahren.

Doch nicht nur die steigenden Temperaturen, auch die vermehrt auftretenden extremen Wetterphänomene wie Hochwasser oder Starkregen können auf vormals sicheren Hängen binnen Tagen Steinschläge auslösen. Tragische Unfälle sind die Folge, wie der schon zuvor erwähnte tödliche Unfall im Tennengebirge. Neben der drängenden Frage, wie solche Schicksale in Zukunft vermieden können werden, bleibt für Wegehalter darüber hinaus die Unsicherheit, wo die Grenzen der Haftung für diese enden.

Verkehrssicherungspflicht ist Einzelfallentscheidung

Die Verkehrssicherungspflicht der Wegehalter ist nicht grenzenlos, der vom Halter anzuwendende Sorgfaltsmaßstab richtet sich nach Art des Weges und den von Fall zu Fall unterschiedlichen Gegebenheiten, wie etwa Jahreszeit oder geografische Lage, und bleibt damit immer eine Einzelfallentscheidung. So kann die Sicherheit auf Wanderwegen nie vollkommen garantiert werden, der Halter muss lediglich einen zumutbaren Aufwand betreiben. In erster Linie gilt es, Gefahren zu beseitigen.

Um beim Beispiel des Steinschlags zu bleiben: Kam es zuvor noch nie zu Steinschlägen auf dem betroffenen Wegstück, ist grobe Fahrlässigkeit in der Regel auszuschließen. Ist das Risiko bekannt, hat der Wegehalter regelmäßige, der ihm bekannten Gefahrenlage entsprechende Erhebungen anzustellen und finanziell zumutbare Maßnahmen zu setzen. Sind präventive Maßnahmen auf Grund der natürlichen Gegebenheiten nicht möglich oder zumutbar, können etwa Warnschilder aufgestellt werden. An einer regelmäßigen Überprüfung der Wege hinsichtlich Mangelhaftigkeit führt für den Wegehalter jedoch nichts vorbei.