Mure in St. Lorenzen
Momentaufnahme: 2012 verwüstete eine Mure das steirische Dorf St. Lorenzen. Ähnliches ist Ende 2019 in vielen Gemeinden Kärntens und Tirols passiert.
© Bundesheer/Schrottner

Gerüstet für den Ernstfall

Die Katastrophen, die im November und Dezember 2019 zahlreiche Orte in der Steiermark und in Salzburg in Atem hielten, haben einmal mehr gezeigt: Der Klimawandel mit seinen extremen Niederschlägen und häufigen Starkregenereignissen sorgt dafür, dass die Gefahr von Überflutungen, Vermurungen, Hangrutschungen und anderen Naturkatastrophen auch an Stellen lauert, die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte davor verschont geblieben sind. Vorbereitung gelingt nur durch eine umfassende Katastrophenschutzplanung auf Basis aller verfügbaren Daten. Eine Aufgabe, die in den Gemeinden immer stärkere Bedeutung gewinnt – und das im ganzen Bundesgebiet.

Jede Gemeinde ist gesetzlich verpflichtet, einen Katastrophenschutzplan zu erstellen und der jeweiligen Bezirkshauptmannschaft vorzulegen. Wie genau dieser ausgestaltet und was darin enthalten sein muss, regeln Landesgesetze. In jedem Fall geht es darum, Gefahrenkataloge und Maßnahmenpläne für den Ernstfall zu erstellen.

Gefahrenkataloge sind Grundlage

„Der Gefahrenkatalog ist der Grundstein der Katastrophenschutzplanung: Welche Bedrohungen gibt es für die jeweilige Gemeinde? Da ist vom Chemiebetrieb bis zum nahegelegenen Fluss alles zu bedenken. Und heute vermehrt natürlich Starkregenereignisse und Unwetter – das gilt es überall zu beachten“, beschreibt Thomas Hauser vom Niederösterreichischen Zivilschutzverband.

In Österreichs größtem Bundesland begleitet der Verband, der dazu mittels Bescheides beauftragt wurde, die Erstellung der Pläne und die Schulung der Einsatzstäbe. In anderen Bundesländern übernehmen diese Aufgabe die Behörden, also Bezirkshauptmannschaften, teils unterstützt von der Wildbach-und Lawinenverbauung, eine Dienststelle des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus. Sie liefern auch wertvolle Informationen, die zur Risikoeinschätzung ganz entscheidend sind. 

Gute Datenbasis und treffsichere Prognosen

Denn Katastrophenschutzplanung ist immer szenarienorientierte Planung. Das heißt, die Planung bezieht sich auf mögliche Bedrohungsszenarien für die einzelnen Gemeinden und beinhaltet Maßnahmen für vor, während und nach einer eintretenden Katastrophe.

Die Gefahren und ihre Auswirkungen in der Theorie richtig einzuschätzen, ist entscheidendes Qualitätsmerkmal eines guten Katastrophenschutzplans. Die gute Nachricht: Dank moderner Technologien sind die Prognosen heute treffsicher und den Gemeinden stehen umfangreiche Daten zur Verfügung. Etwa die, die im Gefahrenzonenkataster der Wildbach-und Lawinenverbauung sehr umfangreich digital verfügbar sind: Der Wildbach- und Lawinenkataster enthält alle Wildbach- und Lawineneinzugsgebiete, Gefahrenzonenpläne, alle 200.000 WLV-Schutzbauwerke, außerdem rund 112.000 Gutachten und derzeit 34.000 dokumentierte Schadenereignisse.

„Diese Daten stehen allen Gemeinden zur Verfügung und fließen in die örtliche Risikoeinschätzung ein“, so Gebhard Walter von der Sektion Tirol der Wildbach-und Lawinenverbauung. Das kostenlose WLV-Gemeindeportal, in dem alle 2100 Gemeinden angelegt sind, ist ein praktisches Werkzeug im Naturgefahrenmanagement.

Über die Plattform gemeindeportal.die-wildbach.at kann sich jede Gemeinde registrieren und dann auf die Daten zugreifen sowie direkt vor Ort den Zustand von Bauwerken eintragen und mit dem Handy aktuelle Fotos auf das Onlineportal hochladen.

Der Ernstfall als harte Schule

Gebhard Walter hat tagtäglich mit Naturgewalten und deren Folgen zu tun – und er weiß: „Die härteste Schule ist der Ernstfall. Denn jeder Fehler kann da fatale Folgen haben.“

Durch die hohe Frequenz an Ereignissen haben aber gerade die alpinen Regionen Österreichs große Routine im Katastrophenmanagement. „Wir haben eine bestehende Lawinenkommission, die tagt, sobald sich ein Ereignis ankündigt. Das war auch jetzt im November so, wo die Unwetter das gesamte Mölltal ja stark betroffen haben“, berichtet etwa der Mallnitzer Bürgermeister Günter Novak.

In der Lawinenkommission hat er zahlreiche Experten an der Hand, die entsprechend geschult sind und die Gegebenheiten gut kennen. „Das Wissen ist nicht nur beim Bürgermeister, sondern viele Profis wirken hier zusammen – neben den Freiwilligen Feuerwehr und anderen Helfern vor Ort ist auch die Zusammenarbeit mit dem Bundesheer und den Behörden erprobt“, betont er. 

Günter Novak, Bürgermeister von Mallnitz
Günter Novak, Bürgermeister von Mallnitz: „Das Wissen ist nicht nur beim Bürgermeister, sondern viele Profis wirken hier zusammen.“

Nötiges Rüstzeug: Schulungen und Planspiele

Natürlich braucht aber auch der Bürgermeister Know-how. Dafür bietet das Land Kärnten seit 2016 ein neues Bürgermeisterseminar unter dem Titel, „Die Rolle des Bürgermeisters im Krisen- und Katastrophenfall einer Gemeinde“. Im Jahr 2020 wird mit den drei letzten Bezirken und der Stadt Villach diese Seminarreihe abgeschlossen, 2021 beginnt der neue Turnus.

„Wir haben gerade in den Nachwahljahren einen verstärkten Bedarf an Schulungen, weil da natürlich viele Mandatare wechseln“, erklärt Thomas Hauser vom NÖ Zivilschutzverband. Denn auch im Flachland wird die Notwendigkeit der Vorbereitung auf Naturereignisse größer.

Aktuell haben 95 Prozent der 573 Gemeinden die Grundschulung des Zivilschutzverbandes durchlaufen. „Unser Ziel ist, dass bis Ende 2020 alle Gemeinden in Niederösterreich das Programm, das aus zwei Modulen besteht, durchlaufen haben“, so Hauser. Entscheidendes Element dieser Ausbildung: Ein Planspiel, in dem der Ernstfall vor Ort mit dem gesamten Einsatzstab durchgespielt wird. „Da zeigt sich dann eindrucksvoll, wenn in der Planung etwas übersehen wurde“, weiß Hauser.

Für Bürgermeisterin Erika Rogl aus der Großglocknergemeinden Kals steht der Umgang mit Naturgewalten fast an der Tagesordnung – entsprechend souverän ist die Abwicklung. Dennoch freut sie sich über das Schulungsangebot, das die Bezirkshauptmannschaft Lienz in den vergangenen Jahren für alle Einsatzleitungsstufen anbietet: „Ich halte es für entscheidend, dass man sich ,in Friedenszeiten‘ gut vorbereitet“, so Erika Rogl, deren Gemeinde vergangenes Jahr besonders hart von Sturmtief „VAIA“ getroffen wurde.

Erika Rogl
Erika Rogl, Bürgermeisterin von Kals am Großglockner: „Ich halte es für entscheidend, dass man sich in ,Friedenszeiten‘ gut vorbereitet.“

Gerade in den alpinen Regionen ist auch die Wildbach-und Lawinenverbauung gemeinsam mit dem Land Tirol im Bereich der Schulung aktiv, wie Gebhard Walter berichtet: „Wir haben nach 2005, wo es extreme Hochwasser im Tiroler Oberland gab, ein landesweites Schulungsprogramm umgesetzt und in den vergangen Jahren ergänzend Einsatzleiterschulungen und Einsatzstabsschulungen sowie Nachschulungen der Freiwilligen Feuerwehr angeboten. Gut vorbereitete und geschulte Einsatzleitungen und ein direkter Kontakt zu den einzelnen Fachexperten und Einsatzorganisationen erleichtern und verbessern die Ereignisbewältigung enorm“, so Walter.

Einschätzung und Information: Rezept für gutes Krisenmanagement.

Bürgermeisterin Rogl kennt den Ernstfall, die Lawinengefahr ist über die Wintermonate ständiger Begleiter.

„Auch wenn bei uns das Bewusstsein in der Bevölkerung natürlich groß ist und alle Haushalte vorbereitet sind, dass jederzeit sein kann, dass Ortsteile für einige Zeit abgeschnitten sind: Bei Katastrophenereignissen gehen natürlich die Emotionen hoch“, weiß sie. Darum sind vorausschauendes Handeln und rechtzeitige Information der Bevölkerung die entscheidenden Maßnahmen: „Natürlich haben wir auch keine Glaskugel, die uns vorhersagt, wie sich das Wetter genau entwickeln wird. Aber wenn ich zum Beispiel weiß, dass eine Schwangere kurz vor der Entbindung steht, dann informiere ich sie natürlich bewusst rechtzeitig, wenn die Gefahr besteht, dass die Verbindungswege verschüttet werden könnten. Genauso schicken wir vorsorglich Schüler früher heim oder informieren Bürger, die außerhalb des Tals arbeiten“, so Rogl.

Das zeigt, warum die Einsatzleitung auf Gemeindeebene gut aufgehoben ist: Die Bürgermeister und Gemeindevertreter sind durch Kenntnis der Gemeinde und der Bewohner die Richtigen, um Risiken richtig einschätzen zu können. Ihre Aufgabe ist auch, das Bewusstsein der Bürger zu schärfen: „Natürlich tragen die kürzeren Abstände zwischen den Ereignissen dazu bei, dass die Menschen sich von sich aus besser vorbereiten. Aber gerade wenn länger nichts passiert, ist es wichtig, an die Eigenverantwortung zu appellieren und über Risiken zu informieren“, so Anita Gössnitzer, Bürgermeisterin der Kärntner Gemeinde Obervellach, die im November stark von Überflutungen und Hangrutschungen betroffen war. 

Entscheidend: Gemeinden müssen agieren

Gössnitzer zeigt sich zufrieden mit dem Katastrophenmanagement: „Die Umsetzung des Katastrophenschutzplans hat optimal geklappt. Aber wir werden den Plan weiter optimieren, etwa was die bewusste Kontrolle der Zuläufe, Gräben und Bäche betrifft, um in Zukunft noch rascher reagieren zu können“, so Gössnitzer.

Genau diese präventiven Aufgaben seien ganz stark Verantwortung der Gemeinden, weiß auch Thomas Hauser vom NÖ Zivilschutzverband. Denn die Bürgermeister sind – gemeinsam mit den Einsatzorganisationen vor Ort – die ersten, die bei heranziehenden Katastrophen handeln müssen. Schon bevor die Bezirkshauptmannschaft die Katastrophe ausruft, müssen sie Entscheidungen treffen, informieren und Schutzmaßnahmen in die Wege leiten.

„Die Gemeinden müssen hier selbstständig entscheiden, ob Handlungsbedarf besteht“, so Hauser. Natürlich ist jede Katastrophe eine Extremsituation; Fehlentscheidungen oder Entscheidungen; die sich im Nachhinein als falsch herausstellen, gibt es natürlich, aber: „Der einzige Fehler, der auch rechtlich problematisch für die Bürgermeister werden kann, ist nichts zu tun“, so der Zivilschutz-Experte. Ansonsten sei vor allem die lückenlose Dokumentation im Einsatz entscheidend: „Je genauer später nachvollziehbar ist, warum und auf Basis welches Wissenstandes Entscheidungen getroffen wurden und wer dabei eingebunden war, desto besser sind die Einsatzleitungen abgesichert – selbst wenn es lange Zeit nach den Ereignissen zu Forderungen oder Klagen durch Betroffene kommt“, rät er. 

Gebäude in Gefahrenzonen: Wo sich bei Widmungen „der Spaß aufhört“

Verantwortung tragen die Bürgermeister auch schon in der Prävention. Denn die Analyse der vergangenen katastrophalen Hochwässer und Wildbachereignisse in Österreich hat gezeigt: Immer mehr Gebäude und Infrastrukturanlagen liegen in exponierten und zum Teil auch als gefährlich ausgewiesenen Gebieten, wo sich die Folgekosten von Katastrophenereignissen massiv auswirken.

Selbst dort, wo umfangreiche Schutzmaßnahmen durchgeführt wurden, konnten Schäden nicht vermieden werden. Denn Schutzbauten allein sind kein Garant – sondern eines von vielen Instrumenten – neben Gefahrenzonenplanung, Flächenwidmung, Eigenvorsorge und Bewusstseinsbildung.

Gerade das Thema der Flächenwidmung wurde nach der neuesten Unwetterkatastrophe wieder Gegenstand der Diskussion: In der Faaker See-Gemeinde Finkenstein wurden 50 Häuser beschädigt. Jetzt gäbe es in diesem Bereich keine Baubewilligung mehr und das sei auch gut so. „Denn es hat sich gezeigt, wie das mit den Überflutungen ist, wenn man an diesen Gräben und Bächen baut. Und wenn einmal Gefahr für Gesundheit und Leben besteht, dann hört sich der Spaß auf“, sagte Bürgermeister Christian Poglitsch im ORF-Interview. Natürlich drängt sich die Frage auf, wie Dörfer besser zu schützten sind und wie Gemeinden künftig bei Flächenwidmungen vorgehen sollen. 

Gefahrenprävention durch gezielte Steuerung des Flächenangebots

Dazu ist im Leitfaden des Bundes zu lesen, dass die Möglichkeit der direkten Gefahrenprävention durch die gezielte Steuerung des Flächenangebots für Siedlungs-, Gewerbe- und Infrastrukturzwecke ist eine der effektivsten und effizientesten Lösungen im Umgang mit Naturgefahren sei. Damit gemeint sind die Begrenzung der Flächenversiegelung und die Schaffung von naturnahen Freiräumen.

Rechtlich ist die Verankerung der Gefahrenzonenplanung sowie allfälliger daraus resultierender Vorbehalts- und Freihalteflächen im Raumordnungsrecht und den Baugesetzen der Länder noch nicht vorgesehen.

Bürgermeisterin Erika Rogl aus Kals hält das aus ihrer Erfahrung auch nicht für notwendig: „Bei uns wurden Widmungen schon in DER Vergangenheit immer mit Bedacht gemacht. Es liegt natürlich in der Verantwortung des Bürgermeisters, Begehrlichkeiten nicht nachzugeben, sondern mit Augenmaß  zu handeln und mögliche Folgewirkungen zu bedenken“, ist sie überzeugt und damit einer Meinung mit dem niederösterreichischen Gemeindebund-Vizepräsidenten Hannes Pressl: „Wir müssen die Dinge auf der richtigen Ebene regeln und den Bürgermeistern dabei auch entsprechende Handlungsmöglichkeiten geben, um ihre Siedlungen sinnvoll zu gestalten“, betont er.

Problematisch ist es dort, wo bei überregionalen Gefahrenbereichen einzelne Gemeinden sich nicht an der Freihaltung von Retentionsflächen oder anderen Schutzmaßnahmen beteiligen wollen und damit das Problem den Nachbarn zuschieben. Dort wäre die Einbeziehung der Ergebnisse der Gefahrenzonenplanung in die überörtliche und örtliche Raumplanung, wie es die Strategie des BNMT vorsieht, eine effektive Maßnahme, um die Möglichkeiten der Flächenvorsorge optimal auszuschöpfen.