Urban Future Global Conference
Die Urban Future Global Conference ist as größte Fachevent Europas zum Thema nachhaltige Städte und Gemeinden.
© Rybakken

Gemeinden im Zentrum des Kampfes gegen die Erwärmung

Mit mehr als 2500 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Planern, Wissenschaftlern, Experten und Netzwerkern von allen Kontinenten ist die Urban Future Global Conference eine der größten Netzwerk-Plattformen für Kommunen weltweit. KOMMUNAL war bei der Tagung in Oslo.

Kennen Sie Gina Gylver? Wenn Ihnen dieser Name jetzt noch nichts sagt, macht das nichts, denn er wird bald bekannt werden. Sie ist erst 19 Jahre alt und seit ihrem zwölften Lebensjahr in Sachen Klimawandel aktiv, sozusagen das norwegische Pendent zur schwedischen Schülerin Greta Thunberg, die mit den Freitags-Demos weltweite Bekanntheit erhielt.

Gina ist eine der führenden Persönlichkeiten von „Youth & Nature-Friends of Norway“. Mit ihrem Alter steht sie für rund 1,8 Milliarden Menschen auf dieser Welt – die Jugendlichen. Auch sie sagt, dass für die Jungen nicht mehr viel Zeit bleibt und dass der Grund ist, warum sie ein Drittel ihres Lebens mit dem Kampf gegen die Klimakatastrophe verbracht hat. Und sie hatte einen großen Auftritt zu Beginn der „Urban Future Global Conference“ (UFGC) in Oslo Ende Mai. Ihre Aussage: „Egal was ihr tun wollt, macht es!“

Gina Gylver
Die 19-jährige Gina Gylver ist Norwegens Vorkämpferin für den Klimaschutz. Foto: Tove Lauluten

Das Auto war Symbol für die individuelle Freiheit

Wie das funktionieren kann, zeigt Bürgermeister der Vorsitzenden des Stadtrates von Oslo anhand seiner Stadt vor. In seiner Jugend – er stammt aus Oslo – war die Stadt eher provinziell geprägt und lag am Rande Europas. Individualverkehr prägte das Stadtbild und war so massiv, dass, obwohl Oslo direkt am Meer liegt, man zu Baden weit außerhalb fahren musste. In seinem eigenen Elternhaus wurde die Anschaffung des ersten Autors in den 60er als „Symbol für die individuelle Freiheit“ gefeiert.

Das hat sich im Laufe seines Lebens geändert. Heute stellt Johansen die Frage, wann wir begonnen haben, Städte für Autos zu bauen und nicht für Menschen. Eine Frage, über die ich im Laufe dieser Konferenz immer wieder gestolpert bin. Und zumindest bei jenen, die in Oslo dabei waren, herrscht die Vision vor, dass die Menschen „ihre Stadt“ wieder zurückwollen. Das gilt nicht nur für große Städte, auch mittlere und kleiner Gemeinden sind von dem Problem betroffen. Immer mehr weisen die Kernzone oder die Zonen rund um die Märkte oder Plätze als autofreie Zone aus.

In Oslo entscheiden nicht mehr die Autos, wie sich die Stadt entwickelt

Für Oslo hat die Stadtverwaltung unter Johansen vor Jahren eine Devise ausgegeben: „Wir lassen künftig Autos nicht mehr entscheiden, wie sich unsere Stadt und unsere Umgebung entwickeln soll!“

Ich persönlich kenne keine andere Stadt, in der so wenig Autos unterwegs sind. Klar, Einsatzfahrzeuge, Taxis, Lieferwägen und vereinzelt private Autos sind zu sehen, aber überwiegend sind es öffentliche Verkehrsmittel und Fahrräder aller Arten inklusive Lastenräder, die das Stadtbild prägen. Und Massen von Menschen, die zu Fuß unterwegs sind. Interessant ist, dass hier alle entspannt unterwegs sind, sogar Blickkontakt gibt es jede Menge – etwas, was man sonst nur mehr in den Gemeinden am Land findet.

Das Verkehrsverbund-System hat Oslo auch mit den Gemeinden der Metropolregion entwickelt – es hört nicht an der Stadtgrenze auf. Dass dieser Weg nicht einfach war, ist auch klar, wie Johansen und in einem anderen Workshop Morton Wasstøl, Oslos Direktor für Stadtentwicklung, aufzeigen.

Norwegens Kommunen kooperieren

Vermutlich kommt kein Bürgermeister, keine Bürgermeisterin mehr an der Tatsache vorbei, dass nur die Kooperation ein besseres Leben ermöglichen. Das bestätigen auch die Bürgermeisterinnen – überhaupt ist der weibliche Anteil an der Kommunalpolitik und -verwaltung in Norwegen erfreulich hoch – Lene Conradi aus dem Osloer Vorort Asker und Lisbeth Hammer-Krog aus der Gemeinde Bærum. „Klimaschutz macht nicht an Grenzen halt“, ist ihr Credo.

In Asker müssen beispielsweise alle neuen öffentlichen Gebäude ab 2020 zero-emission-Gebäude sein. Und in Bærum hat ein altes Industriegebiet neu belebt. Dort ist kein Arbeitsplatz, keine Einkaufsmöglichkeit, keine Schule mehr als fünf Minuten mit dem Rad entfernt – sozusagen eine Mini-Seestadt Aspern.

Die Macht der öffentlichen Aufträge

Oslo, so Johansen, hatte einen großen Startvorteil. Die Stadt „ist klein genug, um neue Lösungen, neue Zugänge zu testen und groß genug, um geglückte Lösungen für größere Städte und Metropolregionen aufzubereiten.“

Gemeinsam mit der Umlandgemeinden hat Oslo noch was geschafft: Sie haben die „Macht der öffentlichen Aufträge“ als Hebel verwendet, um von der Wirtschaft, auch der Bauwirtschaft, Lösungen zu verlangen, die klimaverträglicher sind als die althergebrachten.

Wenn es eine klare Weisung gibt, die Busse einer ganzen Region nur mehr mit Elektro- oder Biogas zu betreiben, wird sich die Wirtschaft danach richten. Und wenn es eine Anordnung gibt, dass auf Baustellen keine Dieselaggregate mehr laufen dürfen, wird sich auch die Bauwirtschaft danach richten. Das ist es, was die Macht einzelner Städte oder auch vieler kleiner Gemeinden ausmacht. Und darum dreht es sich beim UFGC, diese Beispiele aufzuzeigen und Lösungen zu präsentieren, die andere begeistern können. 

Begeisterung kann überall große Erfolge haben. Simen Knudsen zum Beispiel ist so ein Beispiel.

Pfand gibt Flaschen einen Wert

Der begeistere Surfer hat seinen Lieblingsplatz an der Westküste, wo der Atlantik für Surfer ein Paradies geschaffen hat. Und auf einer seiner Touren an der Küste ist ihm eine kleine Bucht, eigentlich ein rund fünf Meter breiter felsiger Einschnitt, aufgefallen, der randvoll mit Plastik war. Mit ein paar Freunden hat er diesen Abschnitt befreit und das auch dokumentiert.

Beim Aufarbeiten des Abfalls sind sie draufgekommen, dass 90 Prozent des Plastikmülls von den britischen Inseln über den Atlantik gekommen. Sie haben „Sky News“ die Geschichte gegeben mit dem Ergebnis, dass zumindest Schottland demnächst einen Riesenschritt in Richtung Kreislaufwirtschaft geht. Damit ist schon viel gewonnen, denn „wenn Plastikflaschen ein Pfand haben und es ein Sammelsystem gibt, bekommen die Flaschen einen Wert. Und damit wird aus Abfall eine Ressource“, wie Knudsen anmerkt.

Es ist Zeit, gegen die Erderwärmung zu mobilisieren

Ob es jetzt um Plastikmüll an einer menschenleeren Bucht ist oder ein Missstand in einer Gemeinde, sei egal, betont Ola Elversten, Norwegens Minister für Transport. „Die Lage ist ernst, wie der UN-Bericht über die 1,5 Grad Erwärmung aufzeigt. Aber es ist noch nicht zu spät. Man muss nur alles mobilisieren, Menschen mit der Bereitschaft, Unternehmen mit Verantwortung. Handeln müssen alle – aber die Städte und Gemeinden stehen im Zentrum.“

Elversten ging so weit, dass er Churchills berühmte Worte von „Blut, Schweiß und Tränen“ bemühte, aber „es gibt keine Alternative“, unsere Kommunen lebenswerter zu machen. Und das nicht nur auf Menschen bezogen, sondern auch für die Tier- und Pflanzenwelt. Wälder, Grünflächen, Bienen und Insekten, sie alle brauchen eine Trendwende.

Übrigens, auch am Königshaus ging die Konferenz nicht vorbei. Kronprinz Haakon nahm ganz unprätentiös in Reihe neun – zwei Reihen und rund drei Meter vom Autor dieser Zeilen entfernt, Platz und verlieh der Konferenz UFGC damit einen besonderen Touch. 

Vor der „automobilen Revolution“ waren Gemeinden viel menschenfreundlicher

„Es gibt nichts mächtigeres als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“

Das Zitat ist von dem französischen Schriftsteller Victor Hugo (*1802, +1885). Zitiert wurde es von Andrew Steer, dem Vorsitzenden des World Resources Institute in Washington DC. Er postulierte, dass jede Änderung von ambitionierten Menschen ausgeht, die diese Änderungen vorantreiben. Es sei eine Tatsache, dass vor der „automobilen Revolution“ Städte und Gemeinden viel menschenfreundlicher gewesen seien. Dass sie es wieder sein können, zeige ein kleiner Vergleich zwischen Houston in Texas und Kopenhagen in Dänemark. In Houston verbrauche man durchschnittlich 40 Prozent des Einkommens, um in die Arbeit zu fahren. In Kopenhagen sind es vier Prozent.

Autofreie Tage in Indien

Und ein Blick auf Indien mache das noch deutlicher. Manche Städte haben dort einen autofreien Tag pro Woche eingeführt, etwas, was es im Europa der späten 70er Jahre gab.

Während in Europa die Ölkrise Grund für die Beschränkung war, ist es in Indien das Faktum, dass der Verkehr in einem dramatischen Ausmaß zugenommen hat und die Kommunen reagierten. „An diesen Tagen gehören die Straßen auf einmal wieder den Menschen, es gibt Yoga, Musik, Radfahrer sind unterwegs, die Menschen atmen auf“, so Steer. Und auch wenn Gemeinden nur die dritte Ebene eines Staates sind, stehen sie im Zentrum, wenn es darum geht, unser Leben nachhaltiger zu gestalten.

Steer schloss mit einem anderen Zitat und einem Appell an alle kommunale Verantwortlichen. Martin Luther King habe nicht gesagt, „’I had a nightmare’, er sagte ‘I had a dream’ – und in dem Sinn: Los geht’s.”