Gemeinden brauchen Unterstützung beim Bodenschutz
Gleich eingangs des Gesprächs zollt Kanonier dem Gemeindebund Respekt. Das Papier des Gemeindebundes, der „kommunale Bodenschutzplan“, sei ein komplexer und sehr mutiger Ansatz. Er sieht auch, dass sich „die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Sachen Bodenschutz extrem bemühen“.
Das ganz Entscheidende sei, so Kanonier, dass wirklich einmal ein paar Schritte weitergedacht werde. „Das ist auch das Problem der Bodenstrategie. Jetzt haben wir diese Schlagworte – da steht natürlich eine Vielzahl von Umsetzungsschritten dahinter und die sind zum Teil nicht einfach und nicht konfliktfrei. Wie man dann diese Punkte tatsächlich auf den Weg bringt oder in die Umsetzung bringen will, das ist bei den einzelnen Punkten unterschiedlich schwierig.“
Was die Sicht auf die wirklich wichtigen Punkte verstellt, ist der mediale Wirbel um das 2,5-Hektar-Ziel. Gerade dieses wird vom Gemeindebund und von einigen anderen Stellen als eher unrealistisch bewertet.
„Das ganz Entscheidende ist“ so Kanonier, „dass mit diesem Papier ein paar Schritte weitergedacht wird. Natürlich ist es eine Frage, wie man diese Punkte tatsächlich auf den Weg bringt. Zum Teil ist es eine Frage der Kompetenzen, aber nur zum Teil. Wenn aber nur über die 2,5 Hektar diskutiert wird, beschäftigt das alle, doch in der konkreten Umsetzung vielfältiger Aufgaben nützt das wenig. Es ist eine unterkomplexe Darstellung, die viele für den Umgang mit Bodensparen relevante Aspekte ausblendet.“
Neuwidmungen als realistischer Bezugspunkt
Die Idee hinter den quantitativen Zielvorgaben oder Kontingenten, so Kanonier, war, dass man klarere Vorgaben für die künftige Flächeninanspruchnahme machen müsse – ergänzt eben durch quantitative Kriterien. So kam es zu den Hektar-Vorgaben.
Realistischer Bezugspunkt für Kontingente wären insbesondere die Neuwidmungen, weil allfällige quantitative Zielwerte rechtlich zugeteilt, überprüft und gegebenenfalls bei Abweichungen sanktioniert werden müssten. Flächeninanspruchnahme oder Versiegelung wären in Verwaltungsverfahren deutlich schwierigere Indikatoren. Bei Widmungskontingenten könnte einer Gemeinde gesagt werden: „Ihr habt nur mehr 5.000 Quadratmeter“, was zur Folge haben könne, dass nicht mehr alle gewünschten Entwicklungen gehen.
Ruf nach Bundesraumordnungskompetenz?
Die zweite große Frage bei Kontingenten für Flächeninanspruchnahme ist die Kompetenzfrage. Da Raumplanung grundsätzlich in die Zuständigkeit der Länder fällt, ist eben nicht der Bund zuständig – auch wenn das Regierungsprogramm des Bundes das 2,5-Hektar-Ziel enthält.
Auch im Zuge der Erstellung der Bodenstrategie wurde dieser Kompetenzkonflikt offensichtlich und kontrovers diskutiert. Der Ruf nach österreichweit verbindlichen Vorgaben für die künftige Flächeninanspruchnahme hat im Kern wohl auch den Wunsch nach einer Bundesraumordnungskompetenz. Ob eine anlassbezogene Diskussion über eine stärkere Position des Bundes in Raumordnungsangelegenheiten sinnvoll und umsetzungsfähig ist, kann bezweifelt werden. Ähnlich problematisch wären grundsätzliche Änderungen etwa im Finanzausgleich, um zu bewirken, dass die Zuwendungen an die Gemeinden nicht allein personenbezogen erfolgen.
Die wichtigsten Punkte für Bodenschutz
Was nun aus seiner Sicht die wichtigsten drei Punkte für das öffentliche Interesse sind, will ich wissen. Kanonier: „Bezüglich der Bodeninanspruchnahme ist sicher am wichtigsten, dass die Entwicklung nach außen massiv beschränkt wird und hochwertige Freiräume langfristig vor Bebauung gesichert werden. Alles, was gegen Zersiedelung ist, wäre mein zweiter Punkt. Es geht nicht nur darum, dieses ‚nach draußen‘ zu vermeiden, sondern auch zu schauen, dass nicht bauliche Nutzungen an planerisch falschen und isolierten Standorten entstehen. Und der dritte wesentliche Punkt ist die Siedlungsentwicklung nach innen. Wenn in Außenbereichen keine Siedlungsaktivitäten mehr zulässig sind, müssen wir uns sehr intensiv den Kopf darüber zerbrechen, wie eine effiziente Innenentwicklung ausschaut, wobei der Grünlandschutz nach außen im Verhältnis zur Innenentwicklung die leichtere Übung ist. Alles was mit Innenentwicklung zu tun hat, sind planerisch und rechtlich schon ‚die dicken Bretter‘.“ Maßnahmen wie Verdichtungen im Bestand, Bodenbeschaffung und Baulandmobilisierung, Leerstandmanagement und Entsiegelungen seien für Gemeinden vor allem im Vollzug anspruchsvoll.
Raumordnung ist eine der zentralen Kompetenzen der Gemeinden
Eine der Hauptmotivationen für Menschen, die das Bürgermeisteramt anstreben, ist es, „die Gemeinde voranzubringen und zu gestalten“. Kanonier: „Das ist natürlich das wesentliche Anliegen. Und ich will auch dazu sagen, dass den meisten Gemeindeverantwortlichen, den Bürgermeistern, natürlich klar ist, dass Bodensparen das Gebot der Stunde ist, mehr denn je. Was in dem Zusammenhang fehlt, ist die offene Debatte, was dann wirklich die Konsequenzen eines weitreichenden Siedlungs- und Baustopps wären. Derzeit ist die Raumplanung immer noch auf Wachstum und Entwicklung ausgerichtet. Es müsste uns eines klar sein: Wenn es zu restriktiven Grenzen in der Siedlungsentwicklung kommt, dann werden sich Erweiterungen wie bisher in vielen Gemeinden nicht mehr ausgehen. Die entsprechenden sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen müsste man ernst diskutieren. Wenn sich etwa Betriebsansiedlungen auf der grünen Wiese nicht mehr ausgehen, sind dieser Umstand – und vor allem die gravierenden Auswirkungen und Konsequenzen – klar zu kommunizieren.“
Regional abgestimmte Quoten für Nutzungen
Kanonier würde das Quantitative nicht ganz weglassen, aber er würde sehr viel zielgerichteter, nutzungsbezogen und auf Regionen abgestimmt handeln. So gebe es inzwischen immer mehr Regionen, wo Gemeinden kooperieren, wo etwa interkommunale Betriebsgebiete oder EKZ realisiert werden.
Ein spannender Ansatz wäre, so Kanonier, wenn sich mehrere Gemeinden regional abgestimmt Quoten für bestimmte Nutzungen, etwa Betriebsgebiete, überlegen. Ergänzend sollten sich Gemeinden oder Regionen – oder auch Länder – überlegen, welche Flächen für die vielfältigen Grünraumfunktionen überhaupt gebraucht und gesichert werden müssen.
Gerade die aktuellen Ereignisse würden zeigen, dass die wirklich wichtigen Flächen aus Sicht des Naturgefahren-Managements (Schlagwort: Starkregenereignisse und Hochwasser), aber auch aus Sicht der Ernährungssicherheit (Schlagwort: Bodenbonitäten) oder der Klimawandelanpassung (Schlagwort: Kaltluftschneisen) an Bedeutung gewinnen. Diese wichtigen Grünraumfunktionen sind in allfälligen Interessenabwägungen mit anderen (baulichen) Nutzungen stärker zu berücksichtigen. Entsprechende Vorgaben wären auch Aufgabe der überörtlichen Raumplanung, die in Absprache mit den Gemeinden langfristige Rahmenbedingungen definieren sollte.
Im Zusammenhang mit Bodenschutz schmerzen oftmals isolierte, kleinflächige Nutzungen und Bauten, die in der Statistik nicht durchschlagen, aber am falschen Standort situiert sind. Kanonier: „Da würde ich den Gemeinden viel lieber sagen: Schaut’s euch an: Welche Bereiche brauchen wir auf jeden Fall frei? Und die versucht’s dann langfristig zu schützen.“
Widmung nur mehr ins öffentliche Eigentum - spannend
Was sind denn nun die Vorschläge im Bodenschutz-Papier des Gemeindebundes? Aus Kanoniers Sicht gibt es einige Ansätze im Entwurf des Gemeindebundes, die weit über die Bodenstrategie des Bundes hinausgehen und wo sich, so der Professor, „der Gemeindebund auch weit aus dem Fenster lehnt“.
Einer der spannendsten Ansätze sei, dass künftig nur mehr ins öffentliche Eigentum gewidmet werde. Kanonier: „Das finde ich einen sehr mutigen Ansatz, weil bislang die Widmung weitgehend ,eigentümerblind‘ war. Bislang orientierten sich Baulandwidmungen – zumindest in der Theorie – nicht an Eigentümern, sondern an planungsfachlichen Kriterien. Eine solch gravierende Einschränkung des Grundrechts auf Eigentum wäre in der Bodenstrategie wohl kaum mehrheitsfähig gewesen. Grundsätzlich werden künftig allerdings Eigentumsrechte stärker beschränkt werden, etwa bei Rückwidmungen, kommunaler Bodenbeschaffung, Baulandmobilisierung oder Maßnahmen zum leistbaren Wohnen.“
Eingriffe ins Eigentum
Wenn im kommunalen Bodenschutzplan auf das Bodenbeschaffungsgesetz Bezug genommen wird, ist festzuhalten, dass – ähnlich wie bei der Einführung des Bundesgesetzes vor 50 Jahren – die Nachfrage nach leistbarem Bauland bzw. Wohnraum in vielen Gemeinden hoch ist und wirkungsvolle Instrumente weitgehend fehlen.
Bezüglich der zentralen Maßnahme der Enteignung „kenne ich eigentlich so gut wie keinen politischen Träger, und zwar unabhängig von der politischen Couleur, der dann wirklich Enteignungen durchführen würde. Auch das finde ich einen sehr mutigen Ansatz im kommunalen Bodenschutzplan“, meint Kanonier. Diese Maßnahmen, die massive Eigentumseingriffe bewirken, seien schon sehr beachtlich!
Baulandüberhänge mobilisieren
Clever am Gemeindebund-Papier seien auch die „Baulandentwicklungsgebiete“, die den Gemeinden die Möglichkeit bieten, in den Baulandüberhang hineinzukommen. Derzeit fehlen vielfach Instrumente für Gemeinden, um bestehende Baulandüberhänge zu mobilisieren.
„Laut kommunalem Bodenschutzplan kann für Baulandreserven ein Entwicklungsgebiet festgelegt werden, das aber erst wieder als Bauland freigegeben wird, wenn die fristgerechte Bebauung mittels Vertragsraumordnung abgesichert ist“, führt Kanonier aus. Solche planungsrechtlichen Ansätze für einen wirkungsvollen Umgang mit dem Baulandüberhang seien für die Gemeindeentwicklung essenziell, insbesondere wenn künftig kaum noch Baulandwidmungen in Außenbereichen erfolgen werden. Der Vorschlag von „Baulandentwicklungsgebieten“ sei innovativ und gehe auch weit über die Vorschläge der Bodenstrategie hinaus.
Transparenz im Umwidmungssprozess
Interessant im Entwurf des kommunalen Bodenschutzplans ist die Forderung nach mehr Transparenz im Umwidmungssprozess. Partizipative Öffentlichkeitsbeteiligung ist ein grundsätzliches Anliegen und sollte auch bei Planungsentscheidungen durchgängig gelten. Das jeweilige Maß an Transparenz und Beteiligung obliegt aber sowieso den einzelnen Gemeinden. Den Gemeinden ist es in der Regel nicht verwehrt, über die gesetzlich geregelten Verfahrensbestimmungen hinaus zusätzliche partizipative Formate einzusetzen und Bürger und Bürgerinnen in Planungsprozesse einzubinden.
Bürgerbeteiligung stößt auf Grenzen
Nicht zu übersehen ist allerdings das Problem in vielen Gemeinden, überhaupt noch größere Bauprojekte durchzubringen und zu realisieren. Auch wenn bestimmte Projekte schon länger in örtlichen Entwicklungskonzepten fixiert sind und eine Realisierung des Vorhabens ansteht, weil etwa der Grundeigentümer endlich die Liegenschaft verkauft, regt sich vielfach beträchtlicher Widerstand in der Bevölkerung. Auch wenn das öffentliche Interesse an der Bebauung hoch ist, etwa für leistbares Wohnen, aber auch für Betriebsansiedlungen, fehlt die Akzeptanz in der Bevölkerung.
Ob man da nicht an die Grenzen der Bürgerbeteiligung stoße, will ich wissen. Kanonier: „Da geht es sicher an die Grenzen der Bürgerbeteiligung. Die Bürger lieben die Veränderung nicht – und schon gar nicht bei sich selbst. Gerade bei der Thematik des Bodenschutzes ist es nicht selten so, dass die, die am meisten für Bodenschutz eintreten, die ,Habenden‘ sind. So nach dem Motto: ‚Jetzt ist es genug. Ich habe noch die Bauparzelle bekommen und jetzt ist aber endgültig Ende.‘“
Vor dem Hintergrund der heiklen Akzeptanz und vielfältigen Bürgerinteressen wird der künftige Umgang mit der Siedlungsentwicklung für viele Gemeinden nicht einfacher.
Zur Person
Arthur Kanonier wurde 1965 in Dornbirn geboren und begann 1985 an der TU Wien mit dem Studium der „Raumplanung und Raumordnung“. 1993 promovierte er zum Dr. tech mit dem Thema „Grünlandschutz im nominellen und funktionellen Raumordnungsrecht“.
Seit September 2000 hat er eine Assistenzprofessur am Institut für Rechtswissenschaften an der Fakultät für Architektur und Raumplanung an der TU Wien und ist heute Leiter des Forschungsbereichs „Bodenpolitik und Bodenmanagement“.