Beate Meinl-Reisinger
Beate Meinl-Reisinger. „Wir unterstützen die Forderung nach der Reduktion des täglichen Flächenverbrauchs auf maximal 2,5 Hektar pro Tag bis 2030.“

Nationalratswahl

„Gemeinden brauchen mehr Abgabenautonomie“

6. September 2024
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger meint, dass in Österreich viel Geld eingespart werden kann, ohne Leistungen einzuschränken. Eine Reform der Grundsteuer könnte ihrer Ansicht nacht dazu beitragen, Leerstand unattraktiver zu machen. Beim Glasfaserausbau fordert sie eine Verpflichtung für Anbieter, genehmigte Ausbaupläne umzusetzen.

Der Bodenverbrauch ist eines der großen Themen unserer Zeit. Die Gemeinden wissen, wie wichtig ein sparsamer Umgang mit dieser Ressource ist. Das war mit ein Grund, warum der Gemeindebund den „Bodenschutzplan“ ins Leben gerufen hat. Was halten Sie von diesem Plan? Und wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach die künftige Rolle der Gemeinden, deren Raumordnungskompetenz in dieser Frage eine zentrale Rolle spielen wird?

Den Gemeinden kommt mit der momentan gegebenen örtlichen Raumplanungskompetenz eine extrem wichtige Rolle zu, was den Bodenverbrauch in Österreich angeht. Der Bodenschutzplan ist eine begrüßenswerte Bestätigung von Seiten der Gemeinden, Maßnahmen gegen den aktuell übermäßigen Bodenverbrauch setzen zu wollen.

Wir NEOS unterstützen die Forderung nach der Reduktion des täglichen Flächenverbrauchs auf maximal 2,5 Hektar pro Tag bis 2030. Um dieses Ziel zu erreichen, muss ein Bundesrahmengesetz mit verbindlichen Reduktionszielen sowie eine Bundesstrategie für Flächenmanagement und Raumordnung umgesetzt werden.

Bei den Gemeindefinanzen geht es ähnlich emotional zu. Viele Gemeinden können aktuell trotz Sparmaßnahmen und teils großzügiger Hilfen aus dem KIG immer öfter ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen, weil einfach kein Geld da sind. Die Teuerung, die hohen Standards und die Übertragung von Aufgaben ohne finanzielle Bedeckung tragen das ihre bei. Liegt die Lösung dieser Frage in mehr FAG-Mittel für die Gemeinden, der Ausschöpfung von Effizienzpotenzialen oder gar in der Einschränkung von kommunalen Leistungen?

Österreichs föderales System braucht ganz grundsätzlich eine fundamentale Reform von Einnahmen-, Aufgaben- und Ausgabenverantwortung. Insbesondere die Gemeinden würden von einer solchen Aufgaben- und Finanzierungentflechtung profitieren, da sie derzeit mit Teilen der ihnen zustehenden Mittel wiederum die Länder finanzieren müssen.

Zudem brauchen Gemeinden dringend mehr Abgabenautonomie, also Steuern, deren Höhe sie selbst bestimmen und einheben können. Ganz grundsätzlich sollten Mittel - auch im Rahmen des Finanzausgleichs - entsprechend der übernommenen Aufgaben fließen. 

NEOS wollen keine Einschränkung der kommunalen Leistungen. In Österreich kann viel Geld eingespart werden, ohne Leistungen einzuschränken. Diesen Spielraum sehen wir auch bei den Gemeinden – so könnten über Gemeindekooperationen zahlreiche Leistungsangebote günstiger erbracht werden (z. B. gemeinsame Veranstaltungszentren, Kinderbetreuungseinrichtungen und die Verwaltung selbst - Buchhaltung, Personalwesen, EDV). Hier müssen die Gemeinden auch in die Verantwortung kommen.

Die Gemeinden wollen seit Jahren eine Neuordnung bei der Grundsteuer. Es dabei um eine wesentliche gemeindeeigene Einnahme – und durch die Inaktivität, was die Valorisierung betrifft, verlieren die Gemeinden rund 380 Millionen Euro pro Jahr. Um das auszugleichen, müsste die Grundsteuer um 30 bis 40 Prozent angehoben werden. Ist es aus Ihrer Sicht zulässig oder geboten, Steuern auch anzupassen?

NEOS sind grundsätzlich für eine Reform der Grundsteuer. Dabei sollte sowohl die Bemessungsgrundlage als auch die Hebesätze erhöht werden.

Um die Abgabenautonomie zu stärken, sollten Gemeinden die Möglichkeit behalten, diese Hebesätze entsprechend ihres Bedarfs festzulegen. Klar ist aber auch: Angesichts der rekordhohen Steuern braucht es insgesamt in Österreich allerdings eine Entlastung. 

Was sind Ihre Ansätze, um die verzwickte Lage auf dem Immobilienmarkt zu entschärfen – gerade, weil viele Immobilien eher als Wertanlage behandelt werden. Wie wollen Sie diese Immobilien wieder mobilisieren und dadurch Eigentum wieder leichter und vor allem leistbarer zu ermöglichen?

Immobilien als Wertanlage sind nicht prinzipiell schlecht, schließlich können sie Wohnraum bieten, wenn sie vermietet werden. Dafür muss diese Option allerdings attraktiver werden, denn das Mietrecht und andere anwendbare Vorgaben machen Vermietung oft unattraktiv.

Auch eine Reform der Grundsteuer kann dazu beitragen, Leerstand unattraktiver zu machen. Zusätzlich kann eine Reform der Nebenkosten beim Immobilienkauf dafür sorgen, dass der Erstkauf günstiger wird - zum Beispiel durch eine dauerhafte Senkung der Grundbuchgebühren auf die tatsächlichen Kosten der Eintragung oder durch einen Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer, wenn die Immobilie langfristig als Hauptwohnsitz genutzt wird. 

Die Gemeinden finanzieren zu hohen Anteilen die Spitalsversorgung und die ärztliche Versorgung am Land sowie die Pflege mit. Die Gemeinden schaffen oft und im Grunde immer über den gesetzlichen Rahmen hinaus die Grundlagen, um eine Landarztstellen nachzubesetzen. Das ist aber die Aufgabe und Kompetenz der Gesundheitskassen. Was ist Ihr Rezept, um die ärztliche Versorgung am Land sicherzustellen, ohne dabei die Gemeinden zu involvieren?

Laut Verfassung gibt es sehr wohl einige Aspekte der Gesundheitsversorgung, die in Gemeindekompetenz liegen - was ja auch der Grund ist, warum beispielsweise für Schulärzte, Totenbeschau oder den öffentlichen Gesundheitsdienst neben dem Kassenvertragsarzt bei Landärzten auch ein eigener Vertrag mit der Gemeinde nötig ist.

Grundsätzlich stehen NEOS für Verwaltungsvereinfachungen und würden Vereinfachungen in der Gesundheitsfinanzierung sehr begrüßen. NEOS stehen für eine Finanzierung des Gesundheitssystems aus einer Hand und sollten sich in der nächsten Legislaturperiode Mitstreiter finden, um an Umsetzungsmöglichkeiten und Kompetenzbereinigungen zu arbeiten, freuen wir uns.

In vielen Bereichen der öffentlichen Hand wird durch eine – bewusst oder unbewusst – selbstgemachte Überregulierung das Leben in den Gemeinden zunehmend erschwert und belasten die Gemeindeverantwortlichen mit teils enormen Haftungsrisiken. Wie wollen Sie diese Überregulierung in den Griff bekommen – und dabei vor allem die Gemeinden aus dem Spiel lassen?

Gemeinden sind als Erhalter unterschiedlicher kommunaler Infrastruktur wie Spielplätze, Schulgebäude, Schwimmbäder oder Radwege für die Sicherheit dieser Infrastruktur verantwortlich. Wir sehen die enorm kleinteiligen Vorschriften als überbordend an und sehen hier vor allem die Bundesländer in der Pflicht, für weniger Vorschriften und Bürokratie für die Gemeinden zu sorgen. Eine grundlegende Entbürokratisierung für Unternehmen, aber auch Gemeinden ist unerlässlich, um für Entlastung zu sorgen.

Die Haftung der Infrastruktur sehen wir jedoch weiterhin bei der Gemeinde als Errichter und Erhalter dieser Infrastruktur, wobei es hier mehr Unterstützung und juristischen Beistand für die Bürgermeister und Verwaltungen braucht. Stärkere Zusammenarbeit und Pooling der Aufgaben zwischen den Gemeinden wäre hier ein erster Schritt.

Bei der Kinderbetreuung gibt es immer wieder Stimmen, die einen Rechtsanspruch wie in Deutschland fordern. Die Situation in Deutschland zeigt aber gerade auf, dass durch den Rechtsanspruch keine Plätze geschaffen werden, sondern nur der Kosten- und Belastungsfaktor massiv gestiegen ist. Braucht es in dieser Frage auch bei uns Zwang oder vertrauen Sie auf die bedarfsgerechten Lösungen, die die österreichischen Gemeinden seit vielen Jahren anbieten?

NEOS treten für einen Stufenplan ein, an dessen Ende ein Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungs- und betreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag stehen soll. Am Weg dorthin sind ein Reihe von Herausforderungen zu bewältigen, damit diesem Rechtsanspruch auch ein entsprechendes Angebot gegenübersteht, das personell und finanziell abgesichert ist.

Die Elementarpädagogik leidet schon jetzt unter einem Fachkräftemangel - es braucht daher entschlossene Schritte, um den Beruf zu attraktivieren und die Arbeits-, Bildungs- und Betreuungsbedingungen im Kindergarten und in der Kleinkindbetreuung zu verbessern. Dafür wird eine gemeinsame finanzielle Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden notwendig sein. Die Investition in qualitätsvolle Kinderbildung und -betreuung stärkt einerseits die Berufschancen der Eltern - und somit auch die Kaufkraft der Familien in der Gemeinde - und andererseits die Bildungschancen der Kinder.

Österreich bemüht sich seit der Nachkriegszeit, die Besiedelung und Bewirtschaftung des gesamten Landes sicherzustellen. Aktuell ist die flächendeckende Bereitstellung von Glasfaser einer der wesentlichen Infrastruktur-Herausforderungen. Was ist Ihr Modell, um zu einer vollflächigen Versorgung des Landes mit Glasfaser zu kommen?

NEOS setzen sich für eine flächendeckende Glasfaserversorgung in Österreich ein, um die Wettbewerbsfähigkeit und digitale Zukunft des Landes zu sichern.

Wir fordern eine umfassende Evaluierung der bisherigen Förderungen und des aktuellen Rechtsrahmens vor. Es braucht klare Verpflichtungen für Anbieter, genehmigte Ausbaupläne umzusetzen, sowie gezielte Anreize, um die Nutzung der Glasfaseranschlüsse zu erhöhen.

Durch eine Reform des Fördersystems und die Fokussierung auf den Glasfaserausbau wollen wir sicherstellen, dass Glasfaseranschlüsse zur Regel werden und Österreich im internationalen Vergleich aufholt.

Zur Unterstützung der kommunalen Gebietskörperschaft auf europäischer Ebene hat der Gemeindebund einen eigenen „EU-Kommissar für Gemeinden“ gefordert. Unterstützen Sie diese Forderung?

Wir NEOS sprechen uns dafür aus, die Größe der EU-Kommission zu reduzieren und sie durch eine Mehrheit im Europäischen Parlament wählen zu lassen. Ein weiterer eigener „EU-Kommissar für Gemeinden" würde dieser Forderung entgegenstehen. Aber uns ist klar, dass die nächste Kommission einen Schwerpunkt darauf legen muss, nach den vielen Gesetzespaketen der vergangenen fünf Jahre (z. B. Green Deal) auf Entbürokratisierung und eine effiziente Umsetzung zu achten. 

Was ist ihrer Ansicht nach die künftige Rolle der Gemeinden im österreichischen Staatsgefüge?

Die 2.093 Gemeinden spielen eine fundamentale Rolle im österreichischen Staatsgefüge, hier erbringt der Staat zentrale Dienstleistungen. Allerdings benötigt Österreich auch in Bezug auf das Staatsgefüge dringend strukturelle Reformen und den Mut, diese auch anzugehen. Als Reformkraft setzen wir uns dafür ein, dass Gemeinden nicht einfach immer neue Aufgaben bekommen, und ihre Finanzierung von politischer Taktik der Länder abhängt. Sie sollen Steuerautonomie erhalten und somit eigenes Geld einheben dürfen.