Raum mit Stuckdecke
Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen. Das Bestehende zu erhalten und weiterzubauen, den kulturellen und ökologischen Wert des Gebäudebestands weiterzudenken, ist eine große Zukunftsoption.
© hanohiki - stock.adobe.com

Erhaltet das Bestehende

Erhaltet das Bestehende! So muss der neue Imperativ des Bauens angesichts der Klimakrise und der damit immer stärker zutage tretenden Preisirritationen am Bau lauten. Welche Strategien es dafür geben ­könnte, darüber gibt es ein Buch und eine Ausstellung des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten.

Den Bestand erhalten ist die Position des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA): „Priorität kommt dem Erhalt und dem Weiterbauen des Bestehenden zu und nicht dessen leichtfertigem Abriss. Blauäugig oder romantisierend?“, schreibt Susanne Wartzeck, Präsidentin des DBA, im Vorwort des Buchs zur Ausstellung „Sorge um den Bestand“. Und sie verhehlt auch nicht, dass die damit verbundenen Fragen vielfältig sind:

Welche Zukunftsbilder formulieren produktive und überzeugende Ideen, die Menschen motivieren, eingeschlagene Pfade im Denken und Handeln zu verlassen? Ist dabei der propagierte Verzicht ein erstes Anzeichen für eine Ökodiktatur? Eine ökologische Transformation unserer auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftsweise wird mental und gesellschaftlich nur dann gelingen, wenn sich die damit verbundenen Lebens- und Arbeitsweisen im Alltag der Menschen bewähren. Könnte ein reduzierter Ressourcenverbrauch durch das Mitnutzen, das Weiternutzen und das Reparieren als Alternative zur Wegwerfgesellschaft eine Akzeptanz finden?

Altbau spiegelt sich in Neubau
Das Zusammenspiel von Alt und Neu kann spezifische Qualitäten erzeugen und die Vielschichtigkeit der Stadt bereichern. Die Schichten des Bestands sind eine einzigartige Ressource. Foto: christiane65 - stock.adobe.com

Erforderlich ist dafür ein Umdenken im kleinen Maßstab des täglichen Konsums ebenso wie im großen Maßstab des Bauens. Bauen ist nach wie vor immens ressourcenintensiv. Das muss sich ändern. Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen. Das Bestehende zu erhalten und weiterzubauen, den kulturellen und ökologischen Wert des Gebäudebestands weiterzudenken, ist eine große Zukunftsoption, um die Zusammenhänge zwischen Gebäude und Stadt, zwischen individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen in eine ökologische Balance zu bringen.

In zehn Strategien stellen Architekt/innen und Urbanist/innen – darunter auch der Kärntner Roland Gruber, KOMMUNAL-Lesern als Vordenker für Bauqualität im ländlichen Raum bekannt – ihre Sorge um den Bestand vor: ein Sorgetragen für den Gebäudebestand, für gewachsene soziale Strukturen und für den Fortbestand der Erde.

Sie laden ein, die Permanenz von Gebautem und Gewachsenem zu lesen, und plädieren für ein Weiterdenken und achtsames Reparieren von Lebensräumen und Wohnkulturen. Sie zeigen, wie sich neue Perspektiven im urbanen und regionalen Kontext durch vernetzte Ansätze, durch gemeinwohlorientierte Kooperationen und durch Beteiligungskonzepte ergeben. Für den künftigen Bestand, also die heute errichteten Gebäude, werden Strategien für den zirkulären Materialeinsatz und eine Offenheit für kommende Anforderungen entwickelt.

Zehn Strategien wurden neu gedacht:

1. Aufbruch ins Bestehende

Der Aufbruch ins Bestehende ist weit entfernt von der gesellschaftlich und politisch zugeschriebenen Rolle von Architekt/innen. Umso wichtiger sind jetzt auch öffentliche Auftraggeber und gesellschaftliche Partner, die vorangehen und richtungsweisende Bestandsprojekte vordenken und beauftragen.

Wir brauchen hier dringend ein konsequentes Umdenken und das Anerkennen von alternativem Handeln! Im Rahmen von Real­laboren wie internationalen Bauausstellungen oder Regionalen erproben Länder und Kommunen dies bereits. Die Bedeutung dieser Entwicklungsformate liegt in ihrem Selbstverständnis als gesellschaftliche Experimentier- und Versuchsräume. Begleitet von einer breiten Vermittlung und Beteiligung werden neue Arbeitsfelder und Allianzen initiiert, zieloffene Suchbewegungen wertgeschätzt und eingeübte Rollen aufgegeben. Für eine Gesellschaft in Transformation sind diese Formate unschätzbare Rat- und Referenzgeber. 

Bei der uns bevorstehenden Herausforderung ist – weit über diese nur vereinzelt stattfindenden Ausnahmeformate hinaus – der Kultur­wandel auch bei Bauherr/innen und Auftraggeber/innen notwendig. Für das Bauen als terrestrische Praxis braucht es eine gesellschaftliche Lust an diesem Experiment! Lasst uns gemeinsam aufbrechen!

2. Vom Wert der Permanenz

Das Entwerfen von Architektur kann als das Ermöglichen einer künftigen Transformation betrachtet werden. Der Neubau ist dabei lediglich die erste Etappe einer fortlaufenden Transformation, das vollständige Bewahren des Originalzustands dagegen ein Sonderfall. Kontinuität steht nicht dem gesamten Gebäude zu, sondern seinem konstruktiven und konzeptionellen Gerüst, das außer den dauerhaften auch fluide Teile mit geringerer Lebensdauer trägt, die zu einem Ganzen verwoben sind.

Je mehr robuste, dauerhafte Struktur ein Gebäude besitzt und je höher seine konzeptionelle Fähigkeit ist, Neues beim Weiterbauen sinnstiftend zu integrieren, desto größer ist auch sein Vermögen, Geschichten zu erzählen und Orte wachsen zu lassen, desto beständiger ist sein ökonomischer Wert. Die Lesbarkeit der Permanenz von Gebäuden erfordert, dass ihre robuste Struktur fühl- und sichtbar ist.

Die Definition des gelungenen Hauses richtet sich also nicht allein auf die Qualitäten des neu Erstellten, sondern auf seine Fähigkeit, das auf die Transformation Folgende ökologisch, ökonomisch und gestalterisch auf die sinnreichste Weise zu ermöglichen, ohne dass die Struktur und damit die Voraussetzung für Permanenz ganz verschwinden. 

Die Nutzungsdauer von Gebäuden muss allein schon aus ökologischen Gründen erheblich verlängert werden. Architekt/innen können Wege dafür aufzeigen. Ein Perspektivwechsel braucht auch gesetzliche Rahmenbedingungen, hier muss mehr passieren. 

Stetig steigende technische Bauvorschriften entwerten den Bestand. Eine Architektur der Permanenz muss die ökonomisch sinnvolle Variante werden, die von gesetzlichen Normen nicht länger benachteiligt wird. Die Umwertung des Bestands als Regelfall muss sich legislativ niederschlagen. Pflegen und Belassen müssen sich für alle Beteiligten lohnen. Die Vernichtung von erhaltbarer Bausubstanz muss teuer sein. 

3. Schön, dass ihr da seid!

Gerade jetzt, da der Wohnungsfrage mit massiven Neubaumaßnahmen begegnet wird, ist das städtebauliche Entwerfen mit großen Herausforderungen verbunden. Trotz des hohen Entwicklungsdrucks braucht es einen sensiblen Umgang mit dem Vorhandenen und ein Planungsverständnis, das sich die Wertschätzung der Vielschichtigkeit zur Aufgabe macht. Der Fokus liegt nicht auf der Umsetzung eines idealen Endzustands, sondern auf einem schrittweisen Weiterbauen. 

Die Wertschätzung des Bestehenden wird zum Ausgangspunkt für präzise Eingriffe und langfristig angelegte Strategien eines transformativen Städtebaus. Durch Um- und Neubauten werden neue Schichten hinzugefügt, die ihrerseits im Laufe der Zeit verändert und an zukünftigen Bedarf angepasst werden. Das Zusammenspiel von Alt und Neu kann spezifische Qualitäten erzeugen und die Vielschichtigkeit der Stadt bereichern. Die Schichten des Bestands sind eine einzigartige Ressource.

4. Bestand ist Handlung

Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Sorge um den Bestand sind Eigentümer/innenstrukturen und Wirtschaftlichkeitsmodelle, die ein gemeinwohlorientiertes Handeln ermöglichen. Nur durch eine – im Sinne eines Schutzeigentums – suffiziente ökonomische Struktur kann auch eine ökologische Neuausrichtung etabliert werden, die dem übermäßigen Verbrauch von Gütern, Stoffen und Energie ein Ende setzt.

Sorge um den Bestand bedeutet, strukturell zu verhindern, dass spekulative Bodenwertgewinne realisiert und unnötig hohe Finanzmittel investiert werden.
Sorge um den Bestand heißt auch, sich auf andere Planungs- und Vorgehensweisen einzulassen.

Die Ausstellung „Sorge um den Bestand“ fand im Deutschen Architektur-Zentrum (DAZ) in Berlin-Mitte statt.Foto: Leon Lenk
Die Ausstellung „Sorge um den Bestand“ fand im Deutschen Architektur-Zentrum (DAZ) in Berlin-Mitte statt. Foto: Leon Lenk

5. Einfach umbauen – einfach transformieren

Der Lebensort Stadt ist aktuell bestimmt vom Auto und seiner dafür notwendigen, ausufernden Infrastruktur. Nicht nur Straßen belegen wertvollen Raum, sondern auch Parkplätze, die insgesamt in Deutschland eine Fläche von der doppelten Größe Berlins belegen. Diese einseitig genutzte Infrastruktur zu qualifizieren, zu begrünen und damit als Lebensraum zurückzugewinnen, würde das Leben in den Städten programmatisch wandeln. Städte könnten mit Bäumen begrünt werden, die CO2 aufnehmen, die Stadt kühlen, die Lebensqualität fördern und zu einer neuen Wahrnehmung und so zu einer neuen Geschwindigkeit in der Stadt führen.

Die Regeln des fossilen Bauens stehen dem Wandel oftmals im Wege. Reallabore im Bauwesen senken geplant die gesetzlichen Vorgaben ab, um unter wissenschaftlicher Begleitung experimentell und innovativ zu arbeiten. Es ist das Ziel, unkompliziert und direkt, ohne große Beschränkungen und langwierige Vorläufe das einfache Bauen im Rahmen der Nutzung zu erforschen.

Das öffentliche und kommunale Bauen sollte als Repräsentant des Gemeinwesens mit einer Experimentierquote von mindestens fünf Prozent aller baulichen Investitionen in Reallaboren voranschreiten, um den Wandel zu forcieren.

6. Urban Blockchain

Bevor wir Neues errichten, sollten wir Altes anders nutzen. Die Zeichen sprechen für eine Stadt, in der Wohnen, Arbeiten und Bildung räumlich neu zu organisieren sind. Wie können sozial gerechtere und nachhaltigere Häuser und Nachbarschaften mit nur einem minimalen oder sogar ohne Eingriff in die Gebäudestruktur entstehen?

Die vierte industrielle Revolution, die sich durch cyberphysische Systeme, Technologien und Möglichkeiten auszeichnet, birgt die Option, die räumlich manifestierte, monofunktionale Gebäudenutzung der Gegenwart aufzubrechen.

Urban Blockchain ist eine Chiffre für eine dezentrale, gemeinsam genutzte, vertrauenswürdige und fälschungssichere Datenbank, die Menschen die Möglichkeit eröffnet, Verabredungen, Vereinbarungen, Verträge und Abstimmungen zu organisieren und zu skalieren.

Die Urban Blockchain bietet eine enorme Chance für Bestandsgebäude, ein smarter Baustein der Quartiersentwicklung zu werden. Sie ermöglicht neue Formen des Zusammenlebens über die eigene Wohnung hinaus und unterstützt digital den Verbund von Häusern und Gemeinschaften bei Themen der Ressourcenkontrolle, Mobilität, Raumverwaltung und Kommunikation. Die Urban Blockchain schafft durch eine Neuorganisation des Bestands reale Begegnungen in realen Räumen. Durch fluide Allianzen des alltäglichen Lebens und durch verstärkte Teilhabe können neue, resiliente Nachbarschaften entstehen. 

7. Verteilung auf das Vorhandene in der Zwischenstadt

Die Zwischenstadt ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen Auflösung von Stadt und Land. Damit kommt der Region, in der die Stadt, das Dorf und das Land gleichermaßen aufgehoben sind und das Alltagsleben der Menschen stattfindet, eine entscheidende Bedeutung als Planungs- und Handlungsebene zu.

Dafür muss die Regionalplanung in der Raumordnung und Landesentwicklung gestärkt werden, und Regionen müssen nicht nur funktional-infrastrukturell geplant, sondern auch räumlich-gestalterisch entworfen werden. Ebenso besteht die hierfür notwendige Aufgabe, die wertvolle dezentrale politische Ordnung der kommunalen Planungshoheit in eine Stärkung der Regionen einzubetten. Zudem ist darüber nachzudenken, wie der teilweise politisch motivierte geografische Zuschnitt regionaler Verwaltungseinheiten mit tradierten Kulturlandschaften sowie dem gelebten Alltag vor Ort in Übereinstimmung gebracht werden kann.

Reallabore sind der kreative Raum für eine Transformation der Zwischenstadt. Um dafür Erfahrungen zu sammeln, sind experimentelle, rechtlich institutionalisierte Reallabore ein Ansatz: für die praktische Umsetzung der Transformation in ausgewählten Zwischenstädten. Dabei werden in einem räumlich und zeitlich begrenzten Rahmen bestehende gesetzliche Regelungen kontrolliert außer Kraft gesetzt.

Neue, urbane Raumqualitäten sind dabei am besten mit einer synthetischen, generalistischen und interdisziplinären Herangehensweise zu erreichen. Auch testen Reallabore neue Formen von Beteiligungs- und Planungsprozessen, von gemeinschaftlichen Finanzierungsmodellen und von baulichen Typologien sowie formale und gesetzliche Regeln. Reallabore helfen, die Transformation der Zwischenstadt als kulturelle und ökologische Aufgabe zu verstehen und ihre gesellschaftliche Innovationskraft zu erkennen.

8. Aus Donuts müssen Krapfen werden

Ein Aufbruch der ländlichen Regionen braucht programmatische Inhalte, wie die leer stehenden und verödeten Stadtzentren und Dorfkerne wieder mit Leben gefüllt werden können. Zukunftsfähige Ideen für ihre Renaissance können nur gemeinsam mit den Bewohner*innen entstehen und angepackt werden.

Immer mehr Dörfer und Städte haben kein Zentrum mehr, sie sehen aus wie ein Donut. Das Leben findet am Stadtrand statt, in peripheren Eigenheimsiedlungen und Einkaufszentren, aufrechterhalten mit einem hohen Mobilitätsaufwand.

Dieser Donut-Effekt ruiniert die Städte nicht nur für die kommenden Generationen: Öffentliche Begegnungsräume verlieren ihre Bedeutung und Orte ihre Identität und Attraktivität. Um dem weiteren Verstummen der Stadt- und Dorfzentren etwas entgegenzustellen, braucht es mutige Akteurinnen und Akteure aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die bereit sind, partizipativ mit Bürgerinnen und Bürgern Neues zu denken und zu realisieren.

Fundus und Humus dafür liegen im konsequenten Aufspüren und in der umfassenden Transformation der regionalen Schätze und Besonderheiten. Das ist ein vielschichtiger, demokratischer Aushandlungsprozess über gemeinsame Zukunftsbilder, die mit neuen Formen des Wohnens, des Arbeitens und der Mobilität sowie mit Orten der Gemeinschaft das Leben in die ländlichen Regionen zurückbringen können.

Dafür sind starke bauliche Interventionen erforderlich, die einen inspirierenden Raum für das Leben im ruralen Raum erreichen – für ein zeitgemäßes Leben auf dem Land, das eine eigene Qualität erreicht, technologisch am Puls der Zeit, aber achtsam und entschleunigt. So wird ein deutliches Zeichen für einen sparsamen und intelligenten Umgang mit Grund und Boden gesetzt. 

9. 100 Prozent Ressource

Bauten als Rohstofflager. Eine kreislaufbasierte Bauindustrie verlangt nach sortenreiner Konstruktion, reversiblen Montageprinzipien, einfach zu zerlegenden Verbindungen und lösbaren oder im biologischen Kreislauf gehaltenen Beschichtungen, Lackierungen und Veredelungen.

Gebäude werden damit zum sortenreinen Materiallager. Der künftige Rückbau und die anschließende Wiederverwendung und -verwertung der Materialien müssen zwingend zum integralen Bestandteil jeder Planung werden.

Verpflichtende Materialpässe stellen zusammen mit einer öffentlichen Datenbank transparent dar, welches Material in welcher Form, an welchem Ort und in welcher Menge verbaut wurde. Durch eine intelligente Besteuerung kann der zirkuläre Materialeinsatz ökonomisch bessergestellt werden. Technische Normen und Haftungsregulierungen sind wie bereits in anderen europäischen Ländern für den erneuten Einsatz wiedergewonnener Baustoffe und Bauteile zu vereinfachen. So kann die Kreislaufgerechtigkeit von Gebäuden in Zukunft zu 100 Prozent technisch erreicht und politisch verlangt werden.

Neue Geschäftsfelder können auf Basis funktionierender Materialkreisläufe entstehen. Hersteller verkaufen ihre Produkte wie Teppichfußböden nicht mehr, sondern berechnen deren Nutzung. Nach Gebrauch wird das sortenrein hergestellte und eingebaute Material wieder in den Produktionsprozess zurückgeführt. Firmen sind in der Verantwortung, langlebige, qualitativ hochwertige Produkte zu produzieren, die im ökonomischen Selbstinteresse keine oder weniger Reparatur erfordern.

Dies ist eine Chance, den Bausektor mit innovativen Geschäftsfeldern komplett neu zu denken, die sich auf die Nutzung und nicht den Besitz von Produkten, Bauteilen oder einzelner Materialien übertragen lassen.

Der heutige Bestand als Materialquelle stellt nur eine Zwischenphase, einen Transitzustand auf dem Weg zu einer wirklichen 100 Prozent sortenreinen Bauweise dar. Ziel ist ein neuartiger Bestand, der jederzeit vollumfänglich als materielle Ressource zur Verfügung steht und gleichzeitig neue Geschäftsmodelle schafft, die den ökologischen Wandel bestärken.

10. Wachsender Bestand

Ob mit umliegenden Ästen, Erde oder Fellen bei der Urhütte oder der Beschreibung des Kunsthandwerkers Bezale im Alten Testament – seit es Behausungen gibt, haben Architektinnen und Architekten, die im Wortsinn die Ersten im Handwerk sind, eine Kompetenz über Ressourcen und Strukturen. Mit der Definition Ungers’, Architektur als eine an Zweck und Material nicht nur passive gebundene Kunst im Gegensatz zur freien Kunst zu begreifen, sondern als eine bindende Kunst, wird das deutlich. Wie lässt sich diese Verantwortung in heutige Planungsprozesse übertragen?

Der Bausektor gehört zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftssektoren. Mit dem Einsatz von Holz als Baustoff lassen sich die Klimaziele schneller umsetzen. Daher sollten wir Beton und Stahl weitestgehend vermeiden und mit Materialien bauen, die sich wieder regenerieren.

Nur nach welchem Prinzip einer nachhaltigen Forstwirtschaft wächst Holz tatsächlich nach, ohne die Gefahren einer Monokultur in der Holzwirtschaft oder fahrlässige Kahlschläge in den Plantagen  zu riskieren? Auch wenn Holz schnell wächst, ist sorgsam mit den Beständen der Erde umzugehen. Einzusetzen sind künftig weitere nachwachsende Rohstoffe wie Hanf, Stroh, (Baum-)Wolle, Schilf, Bambus, Kork oder Pilze, die sich reproduzieren können wie eine Joghurtkultur. 

Diese Herausforderung eröffnet ein neues Wissens und Forschungsfeld für Architektinnen und Architekten, Bautechniken im Dialog mit Klima- und Agrarpolitik zu denken und gemeinsam mit verschiedenen Institutionen zukunftsfähige Strategien voranzubringen.

Als Komponente von Baugenehmigungen werden darin die eingesetzten Rohstoffe, die Einbindung des Bestands sowie die Anpassungsfähigkeit erfasst. Innovative regenerative Materialien werden nur über die Lenkungswirkung des Preises verbindlich. Nur dann wird das Ideal einer klimagerechten Architektur wettbewerbsfähig und der Einsatz nachwachsender Materialien und anpassungsfähiger Strukturen belohnt.