Roger Hackstock
Roger Hackstock: „Die Gemeinden müssen von der Abhängigkeit von Öl und Gas befreit werden. Den Schwung der Energiewende dürfen wir trotz aller Krisen auf der lokalen Ebene nicht mehr abbrechen lassen.“

Kommunalwirtschaftsforum 2022

Energiewende: Das Rennen bis 2030 hat begonnen.

6. April 2022
Roger Hackstock ist Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Wien und seit bald drei Jahrzehnten mit dem Thema Energiewende beschäftigt. Seit 2012 ist er Geschäftsführer von Austria Solar. In dem Verband sind alle namhaften Unternehmen von Solarwärmeanlagen versammelt. Hackstock erregte mit einem Jahresbericht Aufmerksamkeit, dessen Inhalt man nur bei Sonnenlicht sehen kann. Beim Kommunalwirtschaftsforum appellierte er in seiner Keynote an die Gemeinden, die Energiewende voranzutreiben.

„Wir taumeln von einer Krise in die nächste. Erst die Klimakrise, dann zwei Jahre Pandemie, und jetzt dieser Krieg in der Ukraine. Die Energiepreise gehen durch die Decke und man hat das Gefühl, alles gerät aus den Fugen“, sagt Hackstock. Dadurch sei, was die Energiewende anbelangt, eine neue Situation entstanden. Der Umstieg von Öl und Gas auf erneuerbare Energie sei zu einer Existenzfrage geworden.

„Die Energiewende beschleunigt sich langsam, und im Zuge dieser Beschleunigung merken wir, dass es sich um eine Transformation handelt, die alle unsere Lebensbereiche berührt. Sie ist nicht erst seit kurzem im Gange, sondern schon seit 30 Jahren. Seit wir über die Folgen des Klimawandels Bescheid wissen, findet diese Transformation vom fossilen Zeitalter ins solare Zeitalter statt. Wir sind aber bisher mit angezogener Handbremse durch die Geschichte gefahren“, konstatiert Hackstock und argumentiert anhand von Zahlen: „Wir haben vor 30 Jahren unseren Energiebedarf zu 17 Prozent mit erneuerbaren Energien gedeckt. Heute decken wir ihn zu 34 Prozent mit erneuerbaren Energien. Wir haben ihn also in 30 Jahren verdoppelt. Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, schaffen wir die Energiewende erst im Jahr 2140, also 100 Jahre später als wir es uns vorgenommen haben.“

Energiewende wird hintangestellt

Im Jahr 2007 sind die Zeichen für Klimaschutz richtig gut gestanden. Der Weltklimarat hat erstmals klargestellt, dass der Mensch Schuld am Klimawandel ist. Das Anthropozän wurde ausgerufen. Im selben Jahr ist der Film von Al Gore, „Eine unbequeme Wahrheit“, ins Kino gekommen.

„Doch dann ist in den USA eine Immobilienblase geplatzt und es kam eine Finanzkrise, die sämtliche Aufmerksamkeit und Mittel gebunden hat. Klima war vom Tisch. Es hat bis zum Jahr 2015 gedauert, bis sich die Weltgemeinschaft in einem historischen Schulterschluss wieder zusammen getan hat und beschloss, die Erderwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten. Als die Jugendlichen nach einigen Jahren gemerkt haben, dass den Worten keine Taten gefolgt sind, war ,Fridays For Future' geboren. Das Thema hat begonnen politisch aufzuschlagen, hat Wahlkämpfe beeinflusst, und Klimanotstände wurden ausgerufen“, beschreibt Hackstock den Bewusstseinswandel.

„Dann kam die Pandemie und  mittlerweile der Krieg in der Ukraine. Immer wieder haben Krisen dazu geführt, dass wir uns von dem Thema entfernt, und wir wieder relativ von vorne begonnen haben. Wir müssen aufhören, diese Krisen als Ausreden zu benutzen um beim Klimaschutz säumig zu sein. Wir müssen Tempo zulegen.“

Wertschöpfung in die Gemeinden holen

In Österreich wurden im letzten Jahr 11,5 Milliarden Euro ausgegeben um Öl und Gas aus dem Ausland zu kaufen. Hackstock stellt die Frage, was wäre, wenn diese Milliarden zur Verfügung gestanden wären um in Österreich die Energiewende voranzutreiben und zitiert eine Erhebung des Landes Niederösterreich, das vor ein paar Jahren ausgerechnet hat, welche Auswirkungen es auf das Bundesland hätte, wenn es eine rein erneuerbare Energieversorgung hätte.

Man hat festgestellt, dass eine Milliarde Euro mehr Wertschöpfung im Land generiert würde. „Und es wurde festgestellt, dass diese Milliarde bei den Bürgern landen würde, bei den Betrieben und den Landwirten, und natürlich bei den Gemeinden, weil Solaranlagen, Holzheizungen, Wasserkraft- und Windkraftwerke meist von regionalen Unternehmen errichtet werden. Dadurch hätten Installateure, Elektriker, Baumeister und Monteure neue Arbeit. Die erneuerbaren Energien schaffen Arbeitsplätze in den Gemeinden“, stellt Hackstock klar.

„Es wird nicht einfach diese Wertschöpfung in die Gemeinden zurückzuholen, muss aber die Aufgabe für die nächsten zehn Jahre sein, denn das ist eine Konjunkturspritze, die lokal wirkt.“

Gemeindevertreter sind gefordert

Manchmal würden sich die Bürger gegen erneuerbare Energieprojekte wehren, deshalb brauche es Mut, Einfallsreichtum und soziales Geschick seitens der Gemeindevertreter, um die Prozesse für die Energiewende so aufzusetzen, dass der Vorteil und die Gewinne in den Gemeinden im Vordergrund stehen, meint Hackstock. Es hätten schon hunderte Gemeinden von der Energiewende profitiert – durch Betriebsansiedelungen, Steuereinnahmen, Pachteinnahmen, und neue Arbeitsplätze.

„Es ist eine Notwendigkeit unseren Wohlstand auch langfristig zu sichern. Die Gemeinden müssen von der Abhängigkeit von Öl und Gas befreit werden. Den Schwung der Energiewende dürfen wir trotz aller Krisen auf der lokalen Ebene nicht mehr abbrechen lassen“, mahnt Hackstock und verweist auf eine  Initiative, die der Dachverband Erneuerbare Energien Österreich letztes Jahr gestartet hat: „Über 150 Gemeinden haben diese Initiative bereits unterzeichnet, die die Bundesregierung auffordert, alle Hebel in Bewegung zu setzten, um es den Gemeinden leichter zu machen, die Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen – 100 Jahre früher als wenn wir so weiter machen wie bisher. Die Gemeinden müssen raus aus dieser Abhängigkeit, die uns erpressbar macht, und unseren Wohlstand bedroht. Niemand kann uns die Sonne, den Wind oder das Wasser verwehren. Wir müssen jetzt ins Handeln kommen!“