„Die Sorgfaltspflicht des Wegehalters darf nicht überzogen werden, so ist dieser auch bei stark frequentierten Gehsteigen nicht verpflichtet, eine ballsaalähnliche Struktur sicherzustellen …“, so der OGH.
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Haftung

Ein Loch im Gehsteig - Grenzfall der groben Fahrlässigkeit?

Ein in der ORF-Sendung „Bürger­anwalt“ dargestellter Fall in der Stadt Wien hat auch in vielen Gemeinden für ­Aufmerksamkeit gesorgt. Ein 81-jähriger Mann stürzte auf einem Gehsteig, da die Asphaltdecke unter seinen ­Füßen plötzlich nachgab, infolge des Sturzes verletzte er sich schwer.

Die Haftpflichtversicherung der für Straßenverwaltung und Straßenbau zuständigen MA 28 verneinte einen Haftungsanspruch, da ihrer Ansicht nach weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit gegeben war, die Volksanwaltschaft hingegen ging ebenso wie der Geschädigte davon aus, dass der unter der Asphaltdecke gebildete Hohlraum vorhersehbar gewesen sei und daher grobe Fahrlässigkeit vorliege.

Bevor am Schluss auf das – hoffentlich eingetretene – „Happy End“ in diesem Rechtsstreit eingegangen wird, wird ein kurzer Überblick darüber gegeben, wo der OGH tatsächlich grobe Fahrlässigkeit angenommen hat und wo nicht.

Definitionen

Nach der Bestimmung des § 1319a ABGB haftet der Halter eines Weges, wenn durch den mangelhaften Zustand den Benützern ein Schaden zugefügt wurde und der Halter oder seine Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet haben.

Unter grober Fahrlässigkeit ist eine auffallende Sorglosigkeit zu verstehen, bei welcher der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern sogar als wahrscheinlich vorauszusehen war.

Wege im Sinne dieser Bestimmung sind auch die in seinem Zug befindlichen und dem Verkehr dienenden Anlagen, z. B. Brücken, Unterführungen und eben auch Gehsteige.

Wegehalter sind diejenigen, die die Kosten für die Errichtung und die Erhaltung des Weges tragen und die Verfügungsmacht haben, das heißt dem Eigentum kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Der Halter haftet nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seiner Leute (Mitarbeiter:innen).

Anforderungen an einen Weg und den Wegehalter

Die Rechtsprechung hat sich immer wieder mit Fällen beschäftigt, bei denen der mangelhafte Zustand eines Gehsteigs kausal für einen Unfall war.

Nach der umfangreichen Rechtsprechung sind dem öffentlichen Verkehr dienende Straßen so herzustellen und zu erhalten, dass diese bei Beachtung der Straßenverkehrsvorschriften gefahrlos benutzbar sind.

Davon, dass ein Weg gefahrlos benutzbar ist, müssen sich der Wegehalter bzw. seine Leute in zumutbaren, jedenfalls ausreichenden, Abständen überzeugen.

Die Anforderungen an den Zustand eines Weges und seine Verkehrssicherheit hängen auch von seiner Art und der Verkehrsfrequenz ab - ob es sich um einen Gehsteig entlang einer Hauptverkehrsader handelt oder einen alpinen Wanderweg, macht naturgemäß einen erheblichen Unterschied bei der Beurteilung der Haftungsfrage.

Die Sorgfaltspflicht des Wegehalters darf nicht überzogen werden, so ist dieser auch bei stark frequentierten Gehsteigen nicht verpflichtet, eine ballsaalähnliche Struktur sicherzustellen, wie dies der OGH in einer seiner zahlreichen Entscheidungen zu § 1319a ABGB festgehalten hat (10 Ob 50/04g MietSlg. 56.197).

War es grobe Fahrlässigkeit?

Im konkreten Fall führte aber keine kleine Unebenheit, sondern ein tiefes Loch in der Asphaltdecke zum Sturz des 81-Jährigen.

Die zuständige Magistratsabteilung bzw. deren Haftpflichtversicherung argumentiert, dass der unter der Asphaltdecke liegende Hohlraum bzw. die Gefährdung für die Verkehrsteilnehmer nicht erkennbar war und die letzte Kontrolle dieses Gehsteiges erst wenige Wochen zurücklag. In der Sendung wurde jene Entscheidung angesprochen, bei der der Unfall eines Schülers durch eine rund 10 Zentimeter hohe Erhebung im Asphalt (hereinwachsende Baumwurzel) entstanden war.

Dazu muss ergänzt werden, dass in diesem Fall aus dem Jahr 1993 (OGH vom 3.4.2001, 4 Ob 72/01v) die grobe Fahrlässigkeit deshalb angenommen wurde, da dieser ­Mangel jahrelang nicht behoben wurde.

Auch wenn Volksanwältin Gaby Schwarz auf Basis der vorliegenden Kenntnisse im „Wiener Gehsteigfall“ grobe Fahrlässigkeit vermutet, ist im Hinblick auf die bestehende Judikatur eher zweifelhaft, ob es dem Geschädigten gelungen wäre, der Stadt Wien bzw. der zuständigen Magistratsabteilung tatsächlich grobe Fahrlässigkeit nachzuweisen. 

Das Nachspiel

Die Versicherung der Stadt Wien hat dem Geschädigten ein finanzielles Angebot unterbreitet, um zu einer außergerichtlichen Lösung zu kommen. Dieses Angebot machte laut informierten Kreisen jedoch nur einen Bruchteil des Betrags aus, den der Anwalt des 81-Jährigen errechnet hatte. Schlussendlich gab es einen au­ßer­gerichtlichen Vergleich zwischen der Stadt Wien und dem Geschädigten. 

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