Andrea Winkelmeier
„Darüber darf man gar nicht zu viel nachdenken, sonst wird man keinen mehr finden, der das macht.“ Andrea Winkelmeier über persönliche Haftungen der Person im Amt des Bürgermeisters.
© Stadt Bruck/Paller

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Die Brückenbauerin aus Bruck an der Mur

Nach 750 Jahren und 103 Bürgermeistern wurde Andrea Winkelmeier zur ersten Frau an der Spitze der Stadt gewählt. In die Politik ging sie einst, weil es damals in Bruck keine Nachmittagsbetreuung für Kinder gab.
Bruck an der Mur
Bruck an der Mur ist eine der ältesten Städte Österreichs. Hier mündet die Mürz (von rechts) in die Mur (von links).Foto: Stadt Bruck/Meieregger

Auf die Welt gekommen ist Andrea Winkelmeier zwar in Villach, doch sie war noch keinen Monat alt, als ihr Vater, ein Eisenbahner, einen neuen Posten am damals frisch errichteten Bahnhof in Bruck an der Mur erhielt und daher mit Kind und Kegel – natürlich per Bahn – dorthin übersiedelte.

Winkelmeier durchlief ihre Volks-, Haupt- und Handelsschullaufbahn in Bruck und begann im Anschluss bei einer Baufirma in Kapfenberg zu arbeiten. Auf eines ihrer noch zuvor ausgeschickten Bewerbungsschreiben meldete sich jedoch alsbald der Brucker Bürgermeister mit dem Angebot, im städtischen Reisebüro zu arbeiten. Dieses gehört zu den Stadtwerken und die wiederum befinden sich zu 51 Prozent im Eigentum der Stadt.

Winkelmeier nahm an und begann an ihrer neuen Arbeitsstelle am Hauptplatz, dem Koloman-Wallisch-Platz, zu arbeiten. Der Job gefiel der jungen, reiseaffinen und kommunikativen Frau. 31 Jahre blieb sie für das Reisebüro tätig.

Koloman-Wallisch-Platz
Der Koloman-Wallisch-Platz (im Bild das Kornmesserhaus) ist der Hauptplatz von Bruck und seit jeher Wirkungsstätte von Andrea Winkelmeier. 

Fehlende Nachmittagsbetreuung als Auslöser

Ein Schlüsselerlebnis bewog Winkelmeier im Jahr 2000, sich politisch zu engagieren. Als die Alleinerzieherin eines winterlichen Tages nicht pünktlich aus dem Reisebüro wegkommt, um ihre Tochter Adriana aus dem Kindergarten abzuholen, der um 13 Uhr schließt, findet sie ihr 4-jähriges Kind kurz nach 13 Uhr fertig angezogen im Hof, quasi vor die Tür gesetzt.

„Das war wie ein Schockerlebnis für mich. Das vergesse ich mein Leben lang nicht.“ In den öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten gab es keinerlei Nachmittagsbetreuung. Auch Mittagessen gab es für die Kinder keines. „Um das zu ändern, wollte ich in der Politik mitarbeiten. Mit dem damaligen Amtsdirektor haben wir eine Umfrage gemacht, ob eine Nachmittagsbetreuung angeboten werden soll. Doch da haben alle gesagt, die bräuchten sie nicht. Das hätte wohl dem Image der superklassen Mami widersprochen, die voll und ganz für ihr Kind da ist.“

Daraufhin waren die Initiatoren der Umfrage erst mal perplex. Letztendlich hat man sich dazu entschieden, die Nachmittagsbetreuung trotzdem anzubieten. „Und heute sind plötzlich alle Plätze zu wenig. Da denk ich mir oft, dass wir damals die richtige Entscheidung getroffen haben“, sieht sich Winkelmeier bestätigt.

Spontane Entscheidung

Die junge Mutter blieb in der Politik, wurde in Folge Wohnungsreferentin, Gemeinderätin, Vizebürgermeisterin und schließlich Anfang des heurigen Jahres Bürgermeisterin. Als ihr Vorgänger Peter Koch im Oktober überraschend seinen Rückzug bekanntgab, hatte sie bis zur Vorstandssitzung der Stadtpartei nur drei Stunden Zeit, um eine Entscheidung zu fällen.

„Meine Tochter ist mittlerweile 28 Jahre alt, aus dem Haus und hat gerade ihr Jus-Studium erfolgreich abgeschlossen. Ich selbst bin beim Reisebüro bereits in Altersteilzeit und könnte eigentlich schon ein ruhiges Leben führen“, dachte Winkelmeier. Nach einer Achterbahn der Gefühle entschloss sie sich schließlich für das Amt. „Auch weil ich wusste, ich habe eine gute Verwaltung mit ausgezeichneten Leuten hinter mir, die mir helfen.“ Und im Hinblick auf die persönlichen Haftungsfragen meint sie: „Darüber darf man gar nicht zu viel nachdenken, sonst wird man keinen mehr finden, der das macht.“

Bürgermeisterinnenamt ist eine andere Liga

Winkelmeiers Arbeitsplatz wanderte somit vom Reisebüro im Süden des Hauptplatzes ins Rathaus im Norden.

„Ich wusste, dass sich jetzt das Leben ändert – aber wie gravierend, das ist mir erst am 1. Jänner bewusst geworden. Ich habe schon als Vizebürgermeisterin viel getan, doch das war nochmals eine andere Liga. Teilweise habe ich die ganze Woche, von Montag bis Freitag, 14-Stunden-Arbeitstage.“

Darum versucht die Ortschefin, sich zumindest am Freitagnachmittag Freizeit zu nehmen, denn „dauerhaft hältst du das nicht durch, das ist mir bewusst. Ich weiß nicht, warum ich überhaupt nicht müde werde, passe aber auf, denn vielleicht kippt das sonst von einer Minute auf die andere einmal. Ich glaube, solange es Spaß macht, hat man auch Energie.“

Live-Übertragungen eskalierten

Uhrturm in Bruck an der Mur
Wie Graz hat auch Bruck einen Uhrturm auf einem Schlossberg als Wahrzeichen. Er ist aber kein Nachbau, sondern der ehemalige Wachturm der Brandwache. Foto: Thomas Ledl CC BY-SA 4.0

Diese Energie braucht die Bürgermeisterin auch, denn in Bruck herrscht nicht nur einträchtige Harmonie. Zwar hat die SPÖ die absolute Mehrheit, doch im Gemeinderat sind fünf weitere Parteien vertreten, die ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen.

„Meine erste Gemeinderatssitzung umfasste aufgrund der Fragen der anderen Fraktionen 94 Tagesordnungspunkte“, erinnert sich Winkelmeier.

Die Live-Übertragungen, die ihr Vorgänger in der Corona-Zeit eingeführt hatte, schaffte sie wieder ab. „Das war so ziemlich das Tiefste, das man sich vorstellen kann, und wurde immer extremer, weil jeder die Bühne genutzt und noch ein Schäuferl nachgelegt hat. Da haben die Sitzungen bis Mitternacht gedauert.“ Auf eine Wiedereinführung will sich Winkelmeier erst einlassen, wenn die Fraktionen beweisen, dass sie auch einen entsprechenden Stil haben können, „ansonsten ist das nur Negativwerbung für die Politik“.

Radverkehrskonzept ist Konfliktpunkt

Für Differenzen sorgt auch die Umsetzung des Radverkehrskonzepts, das die Stadt 2018 beschlossen hat. Der direkte Radweg durch die Innenstadt sollte durch die zentrale Herzog-Ernst-Gasse verlaufen.

Eine Bürgerinitiative tritt vehement gegen den Verlauf entgegen der Fahrtrichtung auf, viele Brucker sind aber auch dafür. Winkelmeiers Vorgänger hat das Projekt daher aussetzen lassen, jedoch gilt es für die direkte Verbindung zum Bahnhof eine Lösung zu finden, „andernfalls müssen wir 550.000 Euro an Fördergeldern zurückzahlen. Manche Projekte sind in der Pipeline steckengeblieben und müssen nun angegangen werden, denn da hat sich ein Rückstau an Arbeitsaufträgen gebildet.“

Bruck an der Mur
Der zu errichtende Radweg in der Herzog-Ernst-Gasse sorgt in der Stadt für erregte Gemüter. Foto: Karl Gruber CC BY-SA 3.0 at

Investitionen in Bildung

Etliches befindet sich aber auch auf Schiene. Die Mittelschule am Kirchplatz, die Winkelmeier übrigens einst selbst besuchte, wird abgerissen und komplett neu gebaut. Die Kosten dafür belaufen sich aufgrund der Baukostenexplosion voraussichtlich auf 29 bis 30 Millionen Euro. Das Bildungszentrum Berndorf, das ihre Tochter besuchte, war früher vierklassig. Aktuell ist es achtklassig, wird auf zehn Klassen erweitert und erhält einen Anbau für eine Kindergartengruppe. Kostenpunkt: 5,5 Millionen Euro.

Mittlerweile sind in Bruck Mittagessen und Nachmittagsbetreuung für die Kinder glücklicherweise die Norm. „Für die Kinderkrippe Hochfeld bauen wir jetzt die dritte Gruppe und ich weiß, wenn wir anfangen zu bauen, ist das auch schon wieder zu wenig“, berichtet die Bürgermeisterin. Ebenso erhält der Hort in Oberaich eine dritte Gruppe.

Neuer Zuzug nach Bruck

Die ehemalige Gemeinde Oberaich wurde 2015 mit Bruck fusioniert, womit die Stadt um rund 3.500 Einwohner auf über 16.000 wuchs. Auch Zuzug gibt es wieder, nachdem die Bevölkerungszahl seit Anfang der 1970er-Jahre kontinuierlich rückläufig war.

„Unsere Wohnungen sind nicht so teuer wie in Graz und als wichtiger Verkehrsknotenpunkt haben wir gute Anbindungen in alle Richtungen. Wenn der Bahnverkehr tatsächlich so ausgebaut wird, dass es alle Viertel- bzw. halben Stunden Züge nach Graz und nach Wien gibt, dann wird Bruck natürlich noch attraktiver“, freut sich Winkelmeier, die tags zuvor bei der Babytaschenübergabe auch ein paar junge Mütter begrüßen konnte, die aus Graz zugezogen sind.

Vernetzung ist Trumpf

Natürlich tut sich auch viel in den anderen Aufgabenbereichen der Stadt. Egal, welchen man näher betrachtet, Winkelmeier spielt ihre große Stärke, die Kommunikationsfähigkeit, aus und setzt auf intensive Vernetzung. Immer ein offenes Ohr für jeden zu haben, egal um welches Problem es sich handelt, dafür ist sie bekannt.

„Die Menschen sind immer zu mir ins Reisebüro gekommen. Und auch als Wohnungsreferentin und später als Sozialstadträtin haben sie gewusst, bei mir wird nichts schubladisiert. Das schätzen sie sehr.“

Winkelmeier bemüht sich immer einen Weg zu finden, um zu helfen, daher rührt auch die Beschreibung Brückenbauerin. „Wir sind unter anderem mit Weiz, Leibnitz, Trofaiach, Knittelfeld und Villach in Kontakt. Der Innenstadt-Koordinator von Lienz hat uns beispielsweise das dortige Konzept vermittelt. Von dem dortigen jahrzehntelangen Prozess kann man sich einiges abschauen.“

Ihren Ausgleich findet die Brückenbauerin beim Mountainbiken. Unlängst hat sich die 58-Jährige dafür ein E-Mountainbike zugelegt. Vom Brucker Hausberg, dem Hochanger, bis zu kleineren Hügeln locken die zahlreichen Strecken um Bruck Leute aus nah und fern an.

Am besten abschalten kann die Stadtchefin allerdings im Urlaub. Für den heurigen Sommer hat sie auf Naxos, ihrer Lieblingsinsel, eine pittoreske Unterkunft gebucht. Nachdem ihre Tochter erwachsen ist, sind die Zeiten der Cluburlaube für Winkelmeier vorbei. Ruhig, idyllisch und mit einem tollen Blick aufs Meer soll es sein. Und danach kann es für sie wieder mit voller Kraft weitergehen, die Geschicke der Stadt zu lenken.

Zur Person

Andrea Winkelmeier

Alter: 58
Gemeinde: Bruck an der Mur
Einwohnerzahl: 16.044 (2022)
Bürgermeisterin seit: 23. Jänner 2023
Partei: SPÖ